"Die Kraniche ziehen"
Eigentlich
dürfte ich die Geschichte des kleinen Stofftieres noch gar nicht
erzählen, denn es soll eine Überraschung werden. Noch sitzt es keck und
putzig auf dem Schreibtisch einer jungen Berliner Schauspielerin und
wartet darauf, daß ein lieber Gast aus Moskau kommt, dem es dann für
immer gehören soll.
Vielleicht würde es heute noch zwischen anderen seinesgleichen im
Schaufenster des Spielwarengeschäftes stehen, wenn es nicht einen
sowjetischen Film gäbe, in dem ein Namensvetter von ihm eine wichtige
Rolle spielt, wenn dieser Film,
"Die
Kraniche ziehen", jetzt nicht in Berlin synchronisiert worden wäre,
wenn unsere junge deutsche Schauspielerin nicht von der überwältigenden
Leistung der sowjetischen Kollegin mitgerissen worden wäre, der sie ihre
Stimme leihen durfte.
Viele "wenn", doch sie wären ausschlaggebend dafür, daß Eva-Maria Hagen
sich nach Abschluß der Arbeit an "Die Kraniche ziehen" auf die Jagd
nach einem Stoff-Eichhörnchen machte.
Dies
erzählte die Künstlerin, als wir sie in ihrem Heim irgendwo im Bezirk
Prenzlauer Berg besuchten:
"Ich hatte schon so viel von diesem Film gehört: von Journalisten, die
ihn in der Sowjetunion sahen, aber auch von sowjetischen Kollegen, als
sie vor einem Jahr nach Berlin kamen. Damals erlebte der Film "Wie der
Stahl gehärtet wurde" seine deutsche Erstaufführung, und der
Hauptdarsteller, Wassili
L a n o w o i, berichtete mir von "Die Kraniche ziehen'.
Zuerst hatte ich Wassili in Verdacht, seine Begeisterung für diesen Film
hätte zur Ursache, daß seine junge Frau, Tatjana S a m o i I o w a ,
darin zum erstenmal eine Hauptrolle spielt. Doch dann hörte ich, wie
unsere Kritiker nur in Superlativen von diesem Film sprachen.
So schlug meine Spannung Purzelbäume, als ich zu Probeaufnahmen ins
Synchronatelier der DEFA nach Johannisthal bestellt wurde. Hier sah ich
den Film nun zum erstenmal. Um ehrlich zu sein: Superlative reichen
nicht aus, diesen Film zu charakterisieren. Für mich gab es nur noch
eins: Ich mußte die Rolle der Weronika bekommen . . ."
Wer Gelegenheit hatte, "Die Kraniche ziehen" schon einmal zu sehen, kann
Eva-Maria Hagens Begeisterung verstehen. Denn dieser Film, der von der
großen Liebe zweier junger Menschen in den Tagen des zweiten
Weltkrieges erzählt, offenbart überragende künstlerische
Meisterschaft. Kein Wunder, daß er soeben das Ereignis bei den XI.
Internationalen Filmfestspielen in Cannes war, daß Tatjana Samoilowa
dort mehr gefeiert wurde als mancher Star.
Gewiß war es für eine junge Schauspielerin wie Eva-Maria Hagen eine
nicht einfache Aufgabe, die große darstellerische Leistung ihrer
sowjetischen Kollegin nachzugestalten. Dies gestand sie uns:
"Es waren wohl die schwersten Tage meiner bisherigen Synchronarbeit,
aber wir alle - Regisseur, Aufnahmestab, meine Partner und ich -
waren uns vom ersten Tag an darüber klar, daß wir für diesen Film unser
Bestes geben mußten. Der Regisseur verlangte von uns, nicht nur am Pult
zu stehen und die Dialoge deutsch nachzusprechen, sondern unseren
Text so zu gestalten, daß die herrliche Atmosphäre dieses Films nicht
durch eine starre Sprache zerstört würde."
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Artikel im Original
Schon im Juni wird "Die Kraniche ziehen" in
unserenLichtspieltheatern zu sehen sein. Wir werden dann beide,
Tatjana, und Eva-Maria, in einer Rolle sehen und hören. Über der
gemeinsamen Arbeit an diesem Film sind sie Freundinnen geworden, obwohl
sie sich persönlich noch nicht kennengelernt haben. Auf dem Schreibtisch
Eva-Maria Hagens aber wartet ein Stoff-Eichhörnchen .
Manfred Heidel
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