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(1990)
Was heißt hier Männer über Frauen — von wegen über!
Gelegentlich lag ich und schrieb dann auch eher unter einer Frau, aber öfters noch schrieb ich für — nein, nicht für Frauen, ich schrieb einen ganzen Sack voll Lieder und Balladen für eine ganz bestimmte Frau: für Eva-Maria Hagen, die ewige Mutter der ewigen Nina. Die Kenner werden es besser wissen: die Mutter singt nicht schlechter als die Tochter, nur 'n bißchen anders.
Das war damals, 1965, ein delikates Extra unserer politischen Geschichte in der DDR: Genau in dem Jahr, als ich von den falschen Göttern, die jetzt gestürzt sind, verboten wurde, da spielten die ewigen, die wahren Götter im griechischen Himmel aus Langeweile ein Spielchen auf der Erde: sie brachten Eva-Maria Hagen und den Autor des Liedes zusammen. Es war im Sommer, ich glaube, mein letzter erlaubter öffentlicher Auftritt vor dem großen Verbot. In Halle traten wir gemeinsam auf. Ich war Anfänger, aber sie war schon sehr populär. Eva war eine Art sozialistisch gereinigte Marilyn Monroe, eine schöne junge Frau, die von der Filmindustrie als, versteht sich: fortschrittliche Sexbombe den Arbeitern und Bauern der DEFA serviert wurde. Nun hatte sie sich mit dem Staatsfeind eingelassen und ließ sich durch keine Drohung der Stasi und mit keinem Karriere—Köder von dieser Liaison dangereuse abbringen. Damit war diese scharfe Schönheit für die Bonzen unbrauchbar geworden, war keine scharfe Waffe mehr im Kampf um die Seele der Menschen.
Ja, es war für Ulbricht & Co. eine politische Katastrophe und ein teurer Verlust, denn diese Eva-Maria Hagen war nun eine Investitionsruine auf zwei langen Beinen. Eva war eine der wenigen Gelegenheiten, wo Volk und Regierung mal einig waren: solch ein frisches liebenswürdiges Menschenkind mochten sie alle leiden: die jungen Kerle schwärmten von ihr, die Soldaten pinnten Eva-Maria-Hagen-Poster an ihre Spindwände — tja und die alten Säcke im Politbüro schmückten sich gern mit dieser blondlockigen sinnenfrohen (heute würde man sagen: affengeilen) unvergänglichen Jugend. Eva—Maria Hagen ging damals im verhaßten Ghetto Wandlitz ein und aus. Ein paar Jahre vorher, am 13. August '61, als die Mauer gebaut wurde, hatte sie mit ihrer Gitarre die tapferen Mauererbauer besucht und paar Liedchen geträllert, eine Art Fronttheater im Kalten Krieg. Und sie hatte sich für ein politisches Werbefoto bei den Grenzsoldaten auf einen Panzer gesetzt und hatte ihre hübschen Beine vom phallischen Rohr eines Panzers baumeln lassen. Mit all dem war von nun an Schluß.
Die Bonzen sprangen vor Wut im Karrée und führten sich auf wie ein Zuhälter, dem ein Mädchen weggeschnappt wurde. Sie mir, ich ihr, wir standen einander bei in diesen schwierigen Jahren, und keiner hat je den anderen verraten. Das klingt für banale Leute womöglich banal und übertrieben — aber nur für den, der nicht weiß oder nicht wissen will, wie es in dieser Zeit in der DDR zuging.
Wieviele Freundschaften sind über die Jahre zerbrochen in dieser riesigen Menschenbrechmaschine! Das Parteiabzeichen hatte mehr Gewicht als der Kuß, und die Zärtlichkeit der Geliebten kam oft nicht an gegen den Pferdekuß der Stasi. Wieviele Liebende verließen einander — aber nicht etwa, weil ihre Liebe vorbei war, sondern weil der staatliche Druck die feinen Herzfäden zerriß. Weil das verhaßte System bis in die intimsten Geheimnisse reintrampelte mit dem plumpen Bleifuß der Macht. Das Gift des Mißtrauens zersetzte alle menschlichen Beziehungen, die Angst vor Spitzeln ging bis unter die Bettdecke der Liebenden.
Diese Verletzungen sind es, die jetzt sichtbar werden, und sie sind schwerer zu heilen als die verrottenden Fassaden in Leipzig. Ohne solche zuverlässige Hilfe, wie die meines alten Freundes Robert Havemann, ohne die Liebe mit Eva—Maria hätte ich den jahrelangen Kampf mit so übermächtigen Herren nicht durchgestanden. Und auch als wir uns trennten, ließen wir uns nicht im Stich.
Nun sind wir seit 13 Jahren im Westen. Und neben dem ganzen politischen Streit und Kuddelmuddel der Weltgeschichte läuft auch noch die biologische Lebensuhr weiter: wir werden alt.
Eva-Maria, die ewig junge Schöne ist längst Großmutter geworden. Mehr noch als in der östlichen gehört es sich in der westlichen Gesellschaft überhaupt nicht, alt zu werden. Jung musste sein! Dynamisch! Faltenlos! Sportlich! Durchsetzungsfreudig! Und dieser Jungfetischismus terrorisiert die Frauen in dieser Männergesellschaft noch viel mehr als die Männer. Eva-Maria Hagen wird auch mit diesem Problem besser fertig als manche andere. In ihren Konzerten merkt sie es, in den Gesprächen danach. Ihr Beispiel ermutigt viele Frauen, die sich nicht im Scheinwerferlicht an der Rampe tummeln. Und ist es nun ein Verbrechen und ein chauvinistischer Dreh besonderer Raffinesse, daß es mal wieder ein Mann ist, der dies schreibt und ein Mann, der dieser Frau das Lied vom guten Älterwerden auf den Leib schreibt? Spricht so grob, so deutlich überhaupt eine Frau? Entspricht das den Regeln einer feministischen Ästhetik? Sollte sie nicht gefälligst selber über sich schreiben, sozusagen authentisch? — Fragt sie selber! Ich glaube, sie wird Euch anlachen und Euch schonend beibringen, daß sie eine Sängerin und keine Dichterin ist. Und dann wird sie Euch vielleicht zuzwinkern und Euch beibringen, daß ihr uralter Freund Wolf als Vater von neun Kindern auch eine kleine Mutter wurde. — Im übrigen kommt auch das Lied Ich hab im Maul noch alle meine Zähne ursprünglich von einer Frau: eine der Töchter des Zeus — voilà Ihr frauenfeindlichen Frauen! — die Muse Eratho hat mich geküsst. (Wolf Biermann)
Das Lied "Ich hab im Maul noch alle meine Zähne"
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