Berliner Morgenpost
Dienstag, 23. September 2008 03:07 - Von Felix Stephan
Zum zweiten Mal kehrte Wolf Biermann heim nach Berlin Mitte. Ans Berliner
Ensemble, wo er in den 50ern als Regieassistent tätig gewesen war. Doch Biermann
kam nicht allein. Wie schon im letzten Jahr erhielt er Verstärkung vom
Göteborger Kammerchor unter der Leitung von Gunnar Eriksson.
Entsteht hier eine neue deutsch-schwedische Biermann-Tradition, wie es die
Botschafterin Schwedens kurz vor Konzertbeginn stolz verkündete? Es sah ganz
danach aus.
Arrangeur Eriksson hatte tief in die Trickkiste gegriffen. Mal umschmeichelte
der Chor die Lieder Biermanns mit ätherischem Schönklang, dann wieder ließ er
wackelige Cluster und mikrotonales Stimmgewirr aufbrausen. Auf dem Sprung durch
die Musikepochen streifte das Ensemble die Chansonkunst der Renaissance ebenso
wie Bach-Choral und romantischen Chorsatz. Daneben sorgten zwei Jazzmusiker,
Pianist und Saxophonist, für improvisatorische Spontanität. Das Überraschendste:
Es passte alles irgendwie zusammen. Fern von jeder Sentimentalität gewannen die
Lieder an zusätzlicher Tiefe.
Biermann bot in abgewetzter brauner Cordhose das gewohnte Bild. Er genoss seinen
Auftritt in vollen Zügen. Er hatte ein vielköpfiges Ensemble auf der Bühne, das
ihn mindestens genauso verehrte wie sein Publikum. Er konnte sich, wenn nötig,
fallen lassen, sich ausklinken, ausruhen.
Mit der "Ballade vom preußischen Ikarus" begann der Abend geschichtsträchtig.
Biermann hatte das Stück ein Jahr vor seiner Ausbürgerung geschrieben und als
Zugabe auf seinem legendären Köln-Konzert 1976 vorgetragen. Ein Lied, das auf
eindrückliche Weise die innere Zerrissenheit des Künstlers angesichts der
deutsch-deutschen Teilung zeigte.
Biermann kamen beinahe die Tränen. Er brach ab, setzte wieder an. "Es ist zu
nah...da sind zu viele Erinnerungen...", entschuldigte er sich. Immer wieder
sang Biermann von Vergangenheit, Schmerz und bitteren Erfahrungen.
Ein Kapodaster half seiner Gitarre, ferne Tonarten zu erreichen. Bei den neueren
Liedern schaute Biermann sicherheitshalber auf seine Spickzettel.
Zwischen den Stücken streute der Liedermacher kleinere und größere persönliche
Weisheiten ein. Sprüche wie "Ich glaube nicht an Gott, sondern an die Menschen.
Und dieser Glaube ist noch weniger zu begründen." Oder: "Die Sehnsucht nach dem
Tod ist doch nichts weiter als die spiegelverkehrte Sehnsucht nach einem
lebendigeren Leben."
Biermann schwärmte davon, 'schwedifiziert' zu sein. Als Beweis dafür widmete er
den Mittelteil des Programms dem schwedischen Dichter Nils Ferlin. Für die
Lieder "In die Irre" und "Grauer Vogel" holte Biermann - keineswegs frei von
Eitelkeit - seine junge hübsche Frau Pamela auf die Bühne.
Sein schwieriges Verhältnis zu Berlin kam dann im Lied 'Heimkehr' zum Ausdruck:
"Heim, Heimat, Heimweh" heißt es dort, "gibt es wohl, doch Heimkehr keine"...
"BE! - Wo sind sie alle hin, die Penner / Jetzt starr ich wie verrückt Visagen
an / Und denk: so grinste Stasi-Schiefmaul, wenn er / Vor meinem Haus rumhing,
als Jedermann /..."
Und Biermann ließ tatsächlich seinen Blick scharf durch das Publikum wandern.
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