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Rezensionen / Sängerin

1981 – Sendung: Schallplatten für Kenner

Am Mikrophon: Manfred Sack

Guten Abend, liebe Zuhörer. Ich habe Sie mit einem Präludium begrüßt, das wir dem Brasilianer Aitur Villa Lobosch verdanken. John Williams hat es gespielt. Ich habe es nicht nur deswegen ausgesucht, weil ich ein Vorspiel von Moderator-Originalität brauchte, sondern weil sich mir beim Hören eine eigenartige, vielleicht auch nur eingebildete, Beziehung zur Musik Wolf Biermanns aufgedrängt hat. Ich kann es schwerlich genauer beschreiben. Es ist die Stimmung, die von dieser gespannten Melodik ausgeht, die scheinbar harmlos, manchmal mit insistierenden Wiederholungen anfängt, die dann aber plötzlich auffliegt und wunderbare Kapriolen schlägt. Sie hören also Lieder von Wolf Biermann, aber: Nicht er singt sie - man hört ihn nur ein- oder zweimal - sondern es singt Eva-Maria Hagen. Ihr ist es wunderbar passiert, daß auch ihre zweite Schallplatte, etwa ein Jahr nach der ersten herausgekommen, genauso gut ist wie das schöne Debüt. Und gut meint da schon ein bißchen mehr. Sie werden es, denke ich, gleich selber bemerken. Eva-Maria Hagen wird hier begleitet von einem italienischen Ensemble aus Mailand. Damit lasse ich es erst einmal bewenden. Das Lied heißt "Kunststück". Es besteht aus sechs gleich gebauten Strophen, deren letzter Vers jedesmal das eine Wort "Kunststück" ist. Sie werden hören, wie schwierig es ist, dieses eine Wort zu sprechen, und das heißt, ihm jedesmal eine andere, unverwechselbare Spannung zu geben.

Nur ein Wort, das jedesmal anders zu sprechen, - wirklich ein Kunststück ist; so ganz, glaube ich, mit letzter Vollendung, ist es der Sängerin dann doch nicht geglückt. Aber das werden Sie gleich vergessen, wenn Sie das nächste Lied hören, genannt "Einschlaf- und Aufwachelied". Es ist ein Liebeslied, und es hat eine so schöne Melodie, daß Sie Ihre Aufmerksamkeit darauf verwenden sollten, sie möglichst genau zu hören. Wie sie ganz sanft nach den ersten Worten sich zärtlich aufschwingt, wie dann der Ton da oben gehalten und ausgekostet wird, ganz lange, auf dem wichtigsten Wort, an das die nächsten Wörter dann rasch noch mit hinausgezogen werden. Und wie die Melodie sich dann allmählich entspannt, wie sie gewissermaßen ausgeatmet oder ausgeseufzt wird. Dann gibt es in der Mitte des Liedes eine kleine Besinnungspause, ein Zwischenspiel ohne Worte, nur die Melodie bekommt eine zweite Playbackstimme, die Frau Hagen auf die eigene gesungen hat, und die dann schließlich mit Wolf Biermanns Stimme ihre Kadenz findet.

Ein Liebeslied, ein sehr liebes Lied, reines, ungetrübtes, sogar fröhliches Glück. Davon ist nun in den nächsten Liedern nichts zu spüren. Die Gefühle werden komplizierter, sie lassen sich schwerer deuten, und eigentlich sind es Lieder, die man immer wieder hören möchte, in der Hoffnung, daß sie etwas von ihren Rätseln preisgeben und sich einem allmählich eröffnen. Das erste heißt "Bin mager und fühle mich". Es spricht darin jemand, der, nach einem offenbar schmerzlichen Verlust, empfindlich ist gegen alle und gegen alles. Es ist also ein Lied, das viel Aufmerksamkeit verlangt. Die Begleitung hilft einem dabei nur scheinbar. Sie klingt harmlos und läßt erst allmählich die Bedrängnis ahnen. Arrangiert hat sie mit Oboe und Cello, Harmonika und Baß, ein Mitglied dieses Mailänder Ensembles Havadia. Es gibt den Biermannschen Liedern eine ganz ungewohnte, ungewöhnliche, aber nur beim ersten Hören exotisch wirkende Farbe. Außerordentlich in ihr ist nicht nur die Besetzung, sondern auch die Art, wie sie sich in die Texte schmiegt, wie sie nicht auf Wörter oder Sätze, sondern eher auf die Inhalte hinter den Inhalten hört, wie sie vorsichtig Gefühle reflektiert. Der Satz Moni Ovadias, der das Ensemble leitet, ist nicht besonders überheblich: "Wir haben", sagte er, "mit unseren Arrangements etwas von den musikalischen Möglichkeiten, die in Biermanns Liedern angelegt sind, zur Entfaltung gebracht". Er beschreibt es mit einem Bild: "Aus der Knospe" sagt er, "lassen wir die Rose aufblühen". Und nun hören Sie das Lied "Bin mager nun und fühle mich".

Zwei Eigenarten Biermannscher Lieder haben sich nun schon angedeutet: Die erste: Seine von Brecht und anderen geweckte Lust zu Wörter- und Wortspielen, eigentlich also zu Gedankenspielen. Was die Wörter angeht, findet man solche inneren Reime wie die "irren wirren Fragen". Aber viel interessanter sind die Wort- und Satzspiele mit ihren seltsamen Verkehrungen. In Dresden z. B. steht bei Biermann ja die Elbe still und die Stadt fließt träge vorbei. Oder: Wer sich  n i c h t  in Gefahr begibt, d e r kommt darin um. Oder harmloser: Ich will noch ein paar eckige Runden drehn ums Carree. Das ist das eine. Das andere ist immer wieder die manchmal deutliche, manchmal aber nur durchscheinende Sehnsucht nach dem einen ungeteilten - er sagt das Wort hier nicht - Vaterland, das er ja wie wenige erlitten hat. Sie hören es jetzt in dem Lied "Und als wir ans Ufer kamen". Es ist ein Lied voll wunderschöner Bilder. Zum Beispiel, wenn es davon erzählt, was sich wie im Wasser spiegelt. Das Wasser, eine von Wolf Biermann öfter verwendete Metapher, ist nur die poetische Vokabel für "Grenze" und für die innere Zerrissenheit, die sie erzwingt oder schürt.

Beide, Wolf Biermann wie Eva-Maria Hagen, haben eine Heimat verlassen und sich in eine andere schicken müssen. Sie lassen keinen Zweifel, daß sie sich dort nun nicht mehr wie Fremde vorkommen. Aber das verdeckt nicht den alten Schmerz. Die Wunden, sagen sie gerade, wollen nicht zugehen unter dem Dreckverband. Was wird mit unseren Freunden, und was wird noch aus dir, aus mir? Im nächsten Lied, mit dem Wort "Noch" überschrieben, findet man die verlassene, kujonierte, andere Heimat in einer zornigen Erinnerung wieder. Es ist das Drüben mit dem Antennengestrüpp nach Westen. Das Land ist still, wie Grabsteine stehen die Häuser still, das Land ist still. Noch. Die Menschen noch immer wie tot. Noch. Wie war das mit dem Frühling im Roten Prag? Das Lied, das wie ein grausiges Gemälde anfängt, singen und schreien beide, Wolf Biermann und Eva-Maria Hagen.

Lieder von Biermann zu singen. Erika Pluhar z. B. hatte einen unternommen und dabei etwas ganz anderes aus ihnen gemacht. Aber die erste Frau, die nicht nur Biermanns Lieder wiederzugeben vermag, sondern der es trotz seiner Mitarbeit hier gelingt, sich, nein, die Lieder von Biermann freizumachen, sie sich also wirklich anzueignen, das ist Eva-Maria Hagen. Vielleicht liegt es daran, daß Biermann mit intensiver Zurückhaltung dabei mitgewirkt hat, aber wohl auch daran, daß die Biographien beider miteinander verflochten sind, die persönlichen wie die politischen. Sie hören auch davon in einem Lied das den Titel der neuen Schallplatte abgibt "Ich leb` mein Leben". Es ist eins der Lieder, die hier geschrieben worden sind mit dem Blick zurück, also hinüber. Beide tragen es vor. Eva-Maria Hagen singt, Wolf Biermann begleitet sie.

Ich habe nun Lust, eine kleine Zäsur zu machen und einen Gitarristen auftreten zu lassen, der eine ganz andere Art zu spielen pflegt, der auch bemüht ist, eine Musik für sich selber zu erfinden, für seinen Kopf, sein Gefühl, seine Hände und sein Instrument, dem er dann aber auch sehr ungewöhnlich Klänge abverlangt. Das Raffinement des Spiels versteht man aber erst, wenn man weiß, daß der Musiker sich im Playbackverfahren vervielfältigt hat. Es ist Martin Ederer. Das Stück heißt "Wildness" und stammt von einer Schallplatte mit dem Namen "Grea".

Zurück zu Eva-Maria Hagen und ihren Liedern von Wolf Biermann. Was sie jetzt singt, kennen Sie. Es heißt "Soldat, Soldat". Aber so hören Sie`s zum erstenmal und vielleicht werden Sie finden, es sei Biermann, aber ganz Eva-Maria Hagen. Das Lied beginnt beinahe so wie ein Eisler-Song, aber es ist ganz ein Biermann-Lied, das hier eine sehr eigenwillige, bedrängende Interpretation erfährt durch das Arrangement der Italiener, die in gespieltem Gleichmut Legato spielen, während die leidenschaftlich insistierende Stimme sie aufzuwiegeln und mitzureißen versucht. Ein leidenschaftliches Lied, eine Verzweiflungstat, ein Aufruf, eine Moralpredigt, erfrischend vor Angst und Zorn.

 Das nächste Lied heißt "Barlach-Lied". Ich brauche dazu garnichts weiter zu erzählen, nur einen kleinen Hinweis möchte ich geben. Sie sollten auf die Begleitung hören, auf das Cello-Tremolo, auf die Zuwiderhandlungen der Musiker gegen die Melodie und auf die vorsichtig lancierten Dissonanzen.

 Und nun folgt ein Lied, das Wolf Biermann bei Apollinaire gefunden hat in einem Gedichtband von 1913. Es ist das Gedicht über die Mirabeau-Brücke, die die Seine überspannt. Und es ist ein Gleichnis, das in einer Übersetzung so heißt "Hin geht die Liebe, wie dies Wasser fließet", hin geht die Liebe, langsam wie das liebe Leben, wie die Hoffnung so voll Inbrunst. Hier jedoch ist aus dem Apollinaire-Gedicht ein Lied von Wolf Biermann geworden, eigenartig von Musik umflossen, die Seine.

Ich beende unsere Kennerstunde mit dem "Lied vom donnernden Leben". Nicht bloß, weil hier endlich mal eine richtig berlinert. Und damit Adieu. – Manfred Sack –

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Eva-Maria Hagen, Schauspielerin, Chansonette und Kabarettistin, Mutter der Rock-Röhre Nina und ehemalige Lebensgefährtin Wolf Biermanns, ist 54 Jahre alt und immernoch weit jünger als die Jungen, die gelernt haben, auf der Bühne ihre Seele umzukrempeln, auch wenn sie nichts zu bieten haben. Sie ist keine gemachte, sondern eine gewordene Künstlerin- unmäßig, kämpferisch, authentisch. Ihre Lieder sind prall, frivol und ohne Selbstmitleid, ihre Stimme... ausdrucksstark, nuancenreich und von offensiv-erotischer Ausstrahlung. Sie ist ein Erlebnis.

"Frankfurter Rundschau"
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...diese naive, raffinierte, unberechenbare Stimm-Künstlerin schafft, was wenigen anderen gegeben ist: eine vollkommene Symbiose aus Wort und Ton, aus Text und Stimme...
Das mit den Männern und den Frau'n! Lauter Lieder über Liebe mit entwaffnenden, selbstironischen Tönen und maßgeschneiderten musikalischen Arrangements, stets alternierend zwischen Barmusik, Tangoseufzern, Zigeunergeigen und lyrischen Oboenklängen: gleichzeitig ein Familientreffen mit Biermann selbst und Tochter Nina, die im Duett auf die "Alten Knacker" begleitet: frisch, frech und immer höchst lebendig. Eva-Maria Hagen singt nicht mit Seitenblick auf Massenpublikum- auch auf dieser Platte nicht, obwohl hier Hörgewohnheiten keinesfalls überfordert werden. Kein einziger der Texte stammt von ihr, alle hat Biermann geschrieben bzw. Prevert, Okudshava und Brassens nachgedichtet; aber sie verleiht ihnen ohne Ausnahme eine völlig persönlich empfundene Aura. Einsame Klasse

"Quäker" Nürnberg
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Auf der Schallplatte sind es Lieder von Wolf Biermann und, von ihm ins Deutsche übertragen, auch je eines von Brassens, Clement, Okudshava, Prevert und Rosetti, lauter herzbewegende, kesse, sinnenfrohe, innige, unwiderstehliche Bekräftigungen der Zeile: "Die Liebä höret nimmer auf", die Liebe mitsamt ihren unerschöpflichen Verwicklungen. Es ist erstaunlich, was mit diesen kleinen, in Melodien versetzten Dichtkunstwerken hier geschieht. Da sind zum einen der Pianist Gerlich und der Posaunist (und Dirigent) Anders, die sie in originelle Arrangements gekleidet haben und sie von einer scheinbar burlesk besetzten Kammermusik-Kapelle spielen lassen. Da ist zum anderen die Diseuse Eva-Maria Hagen, die die Lieder singt, als seien es von jeher die ihren gewesen (einige sind es ja auch). Sie spricht, wenn sie singt, sie singt, wenn sie spricht, sie spielt die Verse und holt hervor, was darin verborgen ist, Kraft und Zärtlichkeit, Trotz und Ironie, Erotik und Selbstbehauptung- es bleibt dennoch immer eine musikalische Veranstaltung. Beinahe glaubt man, die Identität von Text, Arrangement und Interpretation sei nie treffender gewesen als hier.

DIE ZEIT- Manfred Sack
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Eine Frau zum Bersten erotisch, eine Schauspielerin, immer zwischen Weinen und Lachen, eine Diseuse hochdramatischer Natur...

Die Welt
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27.11.2006 / Havelland / Falkensee
EVA sang WOLFSLIEDER

Geburtstagsofferten im 70-jährigen Ala-Kino

Sie hat es noch, das gewisse Etwas. Und mit ihrer Stimme verhält es sich offenbar wie mit einem guten Wein: je älter desto besser. Das Publikum jedenfalls - auch wenn der große Kinosaal des Ala gestern Vormittag nur halb gefüllt war - applaudierte mit sichtlicher Begeisterung der Sängerin, Schauspielerin und Autorin Eva-Maria Hagen. Sie war Stargast beim Kino-Festival zum 70. Geburtstag der Ala-Tonfilmbühne in Falkensee und kehrte damit zurück in eine Stadt, in der sie in ganz jungen Jahren einige Zeit zu Hause war - nachzulesen in ihrem Buch "Eva jenseits vom Paradies" (2005).
Von Falkensee aus fuhr sie zu den Proben nach Berlin, wo sie Anfang der 50er noch unter der Regie Brechts gearbeitet hatte. Er und Wolf Biermann, der Liederdichter, dem sie 1965 begegnete, haben ihren künstlerischen Weg maßgeblich beeinflusst. Und so waren es denn auch Brechtsongs und Wolfslieder, die die Hagen gestern ihrem Publikum präsentierte. Sie rankten sich um ein Thema, um das Thema: die Liebe, wovon beide Männer einiges, doch Evas bekanntlich weit mehr verstehen.
Die frühe Tageszeit ist nicht ihr Ding, bekannte die Hagen freimütig, die übrigens die selten gewordene Gabe besitzt, in Würde zu altern. Mit feiner Selbstironie ließ sie denn auch bei der Ankündigung des Brechtschen "Lied von der haltbaren Graugans" das Publikum wissen: "Das hat auch mit mir zu tun." Doch sie sang nicht nur Unterhaltsames zu Thema Nr. 1, sie las es auch, und zwar aus "Eva und der Wolf" (1998). In diesem Buch schildert sie in Briefen an ihren "Minnesänger, Troubadour und Drachentöter" (Hagen über Biermann) unter anderem, wie die linientreue Riege der Partei- und Staatsführung beim "Manöverball" vom rechten Pfad abzukommen drohte, so sie genug Hochprozentiges genossen und ein verlockendes jugendfrisches Dekolleté vor Augen hatte.

Hiltrud Müller, Ulrike Gruska
 

 

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