Zurück zum Verzeichnis Rezensionen

WESERKURIER, 16. MÄRZ 2009

Mitreißende Lebensfreude

Eva Maria Hagen verzaubert in der Stadthalle ihr Publikum

Von Susanne Ehrlich

Verden. Sie ist ganz große Dame und zugleich "eine Frau wie du und ich". Sie ist 75 Jahre alt, aber ihr Herz ist vielleicht noch nicht mal volljährig. Sie ist in ihrer Kritik direkt und kompromisslos, hat deshalb viel Schweres erlebt und ist doch ohne jede Bitterkeit. Mit ihrer mitreißenden Lebensfreude verführte und verzauberte Eva Maria Hagen ihr Publikum in der Verdener Stadthalle.

Schon ihr Anblick, als sie die Bühne betritt, ist anrührend: In ihrem schwarzen zeitlosen Kostüm - oben schlicht, unten sich bauschende feminine Rüschen -, mit einem leuchtend grüngelben Schal als Farbtupfer, steht sie beinahe schüchtern vor dem Publikum, und ihre Zartheit hat so gar nichts Gebrechliches, eher etwas Mädchenhaftes. "Jetzt bin ich erst mal ein bisschen verlegen", verkündet sie, bevor sie mit einigen großen Brecht-Nummern loslegt, und kaum hat sie den Mund aufmacht, wird deutlich, dass diese Frau eigentlich sagen und tun kann, was sie will - man muss einfach gebannt an ihren Lippen hängen. Jeder Augenaufschlag, jedes Wort, jede Wendung in der Stimme und jedes kleine Kichern steckt zugleich voller Ironie und Wärme; ihre unbekümmerte Weiblichkeit ist derartig "unbeschädigt" von siebeneinhalb Jahrzehnten, dass jede Frau im Publikum, die sich ein paar ihrer Jahre wegwünscht, sich aufgebaut und wie von einem spannenden Versprechen ermutigt fühlt.

Auf ihre ganz eigene Weise, erst beiläufig plaudernd, dann plötzlich von wilder Leidenschaft gepackt oder hochdramatisch, interpretiert sie "Surabaya-Johnny", den "Bilbao-Song" und die "Ballade von Mackie Messer"; für die "Erinnerung an die Marie A." greift sie selbst zur Gitarre, setzt sich seelenruhig zurecht, probiert dann erst einmal eine Weile mit dem Kapodaster herum, kommentiert ihre Vorbereitungen mit Selbstironie, um dann gleich nach den ersten zögernden Akkorden jeden Einzelnen im Saal in ihren Bann zu ziehen.

Immer wieder scheint die Ähnlichkeit mit ihrer Tochter Nina durch, nicht so sehr optisch, sondern eher im sich spitz hochschraubenden Lachen, in den beiläufig-frechen Kommentaren, dem gewissen Kiekser in der Stimme. Diesen typischen abrupten Registerwechsel, oft mitten in einer Gesangsphrase, den hat sich Nina offensichtlich bei Mama abgeguckt, und er verfehlt bei beiden seine Wirkung nie.

Nicht ganz allein ist Eva Maria-Hagen gekommen, um in Verden den Frauentag gesanglich zu feiern - was sie "damals" in der DDR immer musste und heute dennoch von Herzen gern tut. Nein, außer ihrem mit überzeugender Kompetenz und Einfühlung im Hintergrund wirkenden Pianisten Siegfried Gerlich hat sie zwei junge Frauen im Gefolge. Die eine ist Marie Biermann, Tochter des langjährigen Weggefährten Wolf Biermann und längst selbst eine großartige Sängerin und Schauspielerin. Erfrischend frech und betörend sinnlich singt sie drei Lieder, die ihr Vater seiner Freundin Eva-Maria für das Bühnenstück "Der Blaue Engel" schrieb: Damals wollte sie nicht einfach die Filmsongs der Dietrich singen, denn auf der Bühne sollte es schon weniger ätherisch, lieber etwas handfester zugehen. Nun, die Lieder gerieten sogar sehr viel handfester. Aber nur allzu gern ließ sich das Publikum auf die offenen Gesten und unverschämt sinnlichen Töne der bildschönen, lebenssprühenden Endzwanzigererin ein.

Die Andere war Sibylle Schellhorn, eine große Verehrerin der Hagen, die per E-Mail mit ihr Kontakt aufnahm, seitdem hin und wieder mit ihr singt und vor allem ihre russischen Lieder dokumentiert hat. Aus Köln kam sie nach Verden und durfte mit dem "Alabama-Song" sogar mit Eva-Maria und Marie auf der Bühne stehen.

Nach einigen plattdeutschen und jiddischen, zum Teil von Biermann auf Deutsch übersetzen Songs, einigen baltischen Liedern und der anrührenden gesungenen Autobiografie "Sieben Leben hat die Katze" war das Publikum aufgewühlt, angerührt, trampelte aus Leibeskräften und jubelte der wunderbar jungen Alten zu. Was Eva-Maria Hagen hat, das kann kein noch so aufwändig "standardisiertes" Bildungssystem mit all seinen Skills, Levels und Credits zum Gedeihen bringen. Ein großes und offenes Herz, ein hellwacher Blick auf Mensch und Gesellschaft, ein klarer Standpunkt und ein sicheres Bewusstsein dessen, was man für sich selbst und für sein Leben will - anderenfalls aber ein klares und selbstbewusstes "Nein" - verbunden mit der Tapferkeit, die Folgen zu tragen. Mehr solche Frauen mit soviel Lebenslust und Mut täten unserer Gesellschaft gut.

 

Eva Maria Hagen und Marie Biermann

Archiv |  Kontakt  |  Shop |  Impressum | 

Inhaltsverzeichnis