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“Es brennt, Brüder, es
brennt“
19.05.2008
Eva-Maria Hagen singt an der Esslinger Landesbühne jiddische
Lieder
Von Elisabeth Maier
Esslingen - “Es brennt, Brüder, es brennt“ heißt ein
Lied, das Mordechaj Gebirtig im Krakauer Ghetto geschrieben hat. Der jüdische
Künstler, der 1942 von Soldaten der Wehrmacht erschossen wurde, macht
den Verfolgten mit der melancholischen Weise Hoffnung. Das Lied endet
mit dem entschlossenen Appell, das Dorf wieder aufzubauen. Mit unbändigem
Optimismus trotzt der Künstler den Judenpogromen. Dieses und andere
jiddische Lieder, meist von ihrem ehemaligen Lebensgefährten Wolf
Biermann nachgedichtet, sang Eva-Maria Hagen im Schauspielhaus der Württembergischen
Landesbühne (WLB) in Esslingen. “Bei mir biste schejn…“ nennt
sie ihren ungewöhnlichen Liederreigen, der jetzt im Rahmen des
WLB-Aktionstages “60 Jahre Israel“ zu erleben war.
Zu der ehemaligen DDR-Schauspielerin, die 1977 ihrer damaligen großen
Liebe Wolf Biermann in den Westen gefolgt war, hat WLB-Intendant
Manuel Soubeyrand eine besondere Beziehung. “Ich bin heute ein
bisschen aufgeregt“, bekannte der Theatermann, der selbst Biermanns
Ziehsohn ist und in seiner Kindheit viel mit Eva-Maria Hagen zusammen
war. Die heute 73-jährige Künstlerin, die in Hamburg lebt und im
Sommer einen Hof in der Uckermark bewirtschaftet, erfüllt die
jiddischen Lieder mit Melancholie und Sehnsucht. Die dunklen Töne
trifft die Künstlerin mit der klar konturierten Stimme ebenso schön
wie Lebensmut und Freude, die die Musik ausstrahlt. Mit Siegfried
Gerlichs sensibler Begleitung am Klavier intoniert sie verschüttete
Volksweisen und Lieder vergessener Komponisten, die auch vom Schmerz
des jüdischen Volkes erzählen.
Das leicht beschwingte Kinderlied “Hunger hat auch dein Kätzelchen“
von Mordechaj Gebirtig, das Biermann ins Deutsche übertragen hat, hört
sich auf den ersten Blick unbeschwert an. Fein akzentuiert die Sängerin
Hagen dann aber die tiefschwarzen Zwischentöne, die vom Leid der
Kinder im Ghetto erzählen. Bitterkeit lässt ihre Stimme fast
verstummen. Darin liegt die große Stärke der Sängerin und
Schauspielerin, die Mutter der Punk-Ikone Nina Hagen ist. Mit ihrem
temperamentvollen Gesang reißt sie das Publikum mit. Besonders schön
sind die Passagen, in denen Hagen Jiddisch singt. Dann greift die Künstlerin
selbst zur Gitarre. Die Sprache der osteuropäischen Juden, die vom
Mittelhochdeutschen inspiriert ist und viele slawische Elemente hat,
klingt in ihrer Interpretation vertraut. Das überlieferte jiddische
Liebeslied “Wann ich dich soll verlieren“ singt sie mit so viel
Inbrunst, dass sie fast wie ein frisch verliebtes Mädchen wirkt.
Eva-Maria Hagen gräbt aber nicht nur lange verschüttete Weisen aus,
die vom Leben der Juden erzählen. Mit ihrem großen
schauspielerischen Talent bringt sie das Leiden der Menschen zum
Ausdruck, die von ständiger Angst vor Verfolgung gepeitscht waren.
Dennoch vergisst sie dabei nicht Schönheit und Leichtigkeit dieser
Kultur. Auch vor dem grandiosen Schlager “Bei mir biste schejn“
aus der Feder von Scholom Secunda hat sie keinerlei Berührungsängste.
Beschwingt wie auf der Musicalbühne wischt sie mit dem Titelsong
ihres Programms die trüben Gedanken weg.
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