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Rezensionen Die aus'm Osten: Eva-Maria Hagen Lasziv wie Jeanne d Are - fromm wie Moll Flanders Es ist Sonntag, ein Nachmittag, die Sonne strahlt, und alle Vögel sind schon da und singen im Garten der Singakademie (ehemals), des Maxim Gorki Theaters (gegenwärtig). Ich warte auf Eva Maria Hagen. Eine Probe ist angesetzt in ihrem ersten
Solo-Abend in Berlin. In der Stadt, die sie vor einem Dutzend Jahren
verlassen hat, weil Biermann, Wolf, nicht wieder Einlaß fand nach einem
Gastspiel „drüben". Die Geschichte ist Geschichte, mittlerweile. - „Ich
kann ohne Wolf nicht leben. Der Ist mein Vater, mein Sohn, mein engster
Vertrauter, meine Familie, Wenn's mir nicht gut geht, nehmen wir uns an
die Hand und gehen nach Italien. Italien ist sein Garten. In Hamburg.
Wir setzen uns auf eine Bank, Wolf sagt: Ist es nicht schön, hier in
Italien? - Und gleich geht's mir besser. So ist das, sagt sie mir
später, und wie sie das sagt, ist man von ihrer lebenswichtigen
Anbindung an diesen Biermann überzeugt. Nach zögerlichem Auftakt klappt es mit dem Spot, der ihren liebenswerten Figurationen folgen soll, dem Licht für die Augen und überhaupt: Damit man „alles" sieht, sagt sie, wünscht sie sich denn „Ich hab im Maul noch alle meine Zähne. Mein Busen hängt noch lang nicht auf'm Bauch. Ich baumel ooch noch jerne mit de Beene. Nun bin ich alt und sterben werd' ich auch." Sie jauchzt und schluchzt, hat Kraft, Zartheit und Zähigkeit, wenn sie dies Lied singt, das Biermann für sie schrieb. Probe. Jetzt kramt sie mitten auf der Bühne Kleider aus der Tasche, monologisiert: Ich möchte heut' was Ernsthaftes anziehen. Weist mir aus der Helligkeit in den dunklen Zuschauerraum spanisch zigeunerische Zipfelröcke in flammendem Rot und strengem Schwarz. Läßt plötzlich alles sinken und zweifelt: Bei dem Wetter, ob da überhaupt Leute kommen? Das Haus ist ausverkauft, wird ihr vermittelt. Schön, sagt sie und legt alle Klamotten auf den Flügel. Dort leuchten und glitzern sie ein wenig von der „Show", die angehen soll diesen Abend. Sie nimmt die Gitarre, setzt sie ab, sagt her zu mir ins Parkett: Das ist ein bittersüßes Gefühl, hier zu stehen. Verstehst du das? Ich hab' mich menschlich verhalten. Auf mich ist Verlaß. Das ist so. Deswegen mußte ich gehen. Meine Grenzgängerträume - ich hab' sie aufgeschrieben. Wie man sich fühlt über vierzig und dann neu beginnen. Ich hoffe, das ist alles drin, in meinen Liedern, den tollen von Wolf, der alles auf den Punkt bringt mit seiner wunderbaren Sprache. "Und wenn ich weinte, weinte ich zu Ende, bis mir nicht eine Träne übrig blieb", singt sie, zupft dazu ein wenig die Saiten ihres Instruments. In der Garderobe, im gnadenlosen Licht der Sonne, sieht man, was sie ohnehin bekennt: Ihr Alter. Es zeigt ein schönes Gesicht. Dann stellt sie mir - wie später ihrem Publikum „meinen wunderbaren jungen Pianisten" vor. Sie leben und arbeiten miteinander seit vier Jahren. Die Vorstellung. Der Saal ist voll. Viele junge Leute. Sie wollen Biermann-Lieder hören, sie wollen die Mutter von NINA hören und sehen. Sie kommt. Immer noch aufgeregt, aber ein Profi. Frech lästert sie los, röhrt, flüstert, schmeichelt und trällert: Ihr sitzt im Dunkeln, ich steh' im Licht, ich krieg 'ne Gage, ihr kriegt sie nicht." Es knistert im Saal, der Funke Ist aufgeflogen, hat das Feuer entzündet. Jetzt wollen sie EVA-MARIA Hagen. Die ist perfekt. Technisch, gestalterisch, voller Nuancen. Sie hat ihr Gelebtes, ihr Talent und ihr Können, Biermanns und andere Texte, die poetischen Wahrheiten fremder Kulturen und die Musiken dazu in sich versammelt. Nun singt, nein, trillert, trällert, kullert und kollert sie, dreist und sinnlich über alle Lagen (Höhen und Tiefen), übergangslos vom Sprechen zum Heulen, Lachen und Schreien - singt sie, ja, aus sich heraus. Anders gesagt: Da kommt nichts vor, was nicht vorkommt. Oder, wie der Dichter sagt: „Der Mensch kann nur austeilen, das was er hat." Eva-Maria hat 'ne Menge auszuteilen, und die Menschen im Saal nehmen das begeistert an, klatschen, juchzen, wollen mehr, mehr, mehr von „Liebe, Liebe, Liebe, Haß." Wie sie da steht in ihrem Kleid aus höllisch roter Seide, weder von Drachen, Teufeln, Spießern, Grenzern, Parasiten totzukriegen - das macht Mut und Hoffnung. Refrain: „Ich will, daß junge Weiber und auch alte wiie Blumen blühen dürfen, rund ums Jahr." Dem ist nichts hinzuzufügen. - Anne Dessau Ich spielte nie im Welttheater - die Dame ohne Unterleib - ich bin noch viel zu jung und gerne ... bin ich auch ein altes Weib.
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Berlin, Februar 1990
Flammenkleid
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