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Rezensionen
FREITAG, 26. Mai 1978 – TAGESSPIEGEL
Der
Menschenlieder-Macher
Wolf Biermann mit Eva-Maria Hagen im Renaissance-Theater
Eventuell anwesenden,"Politikastern' unter den Zuhörern im ausverkauften
Renaissance-Theater, die sich nur für den "Fall" Biermann interessieren,
erteilt Biermann gleich zu Anfang auf seine liebenswürdig-freche Weise
eine Abfuhr, indem er ankündigt: "Das ist kein Biermannabend - Marktware
wird heute nicht geliefert..." So eingestimmt begannen beide, Wolf
Biermann und Eva-Maria Hagen (Mutter von Nina Hagen), ihren "Abend mit
Liedern aus der kleinen Kiste -...'und lieb sein kann ich auch", ein~
Programm, das man, ohne zu übertreiben, zu den Höhepunkten des
Rahmenprogramms im diesjährigen Theatertreffen' zählen darf.
Da prasselt über drei (1) Stunden ein Liederregen nieder, Lieder, Songs
und Chansons über die. Liebe, den Krieg, Deserteure und Verrat, die das
Publikum mal traurig stimmen, dann ihm vor Lachen Tränen in die Augen
treiben. Biermann-Hagen spielen mit ihrem Publikum, klären es lachend
auf und lassen es gleichzeitig über neue Einsichten stolpern, nach ihrem
Motto: "Hau dir in die Fresse, mein Herzblatt". Strotzend von
Gegensätzen, wie ihre Lieder, ist die Art, wie beide sie singen, besser
gesagt: inszenieren. Jedes Lied ist ein Kunstwerk für sich, keins wie
das andere, und was gefällt ist erlaubt: Pfeifen, feixen, grölen,
Sprechgeschrei, mal lieblichzynisch,' makaber-nett, versoffen, mal
trommelfellzerreißende Kopftöne, dazu immer passend unpassend,
Biermann-Hagens Körpersprache und Mimik, dazu lässig-virtuos Gitarre,
Klavier, Drehleier oder "Sächsische Hummel" (wohl eine Vorform der
Zither) - eigentlich unbeschreiblich. Dazwischen Biermanns Kommentare -
die Hagen dagegen schweigsam -, wenn er die Geschichte seiner
"Menschenlieder" (wie er sie nennt) erzählt, lakonisch auf frühe
marxistische Gedanken in Volksliedern des 14. Jahrhunderts hinweist und
schelmisch zugibt, Texte des Schotten Robert Burns, des französischen
Dichters Béranger oder des sowjetischen Bulat Okudshava "ein bißchen
grob geändert" zu haben.
Und wenn er mal nicht genau weiß, ob nun Francois Villon oder Paul Zech
oder gar ein anderer der Autor seines Liedes ist, antwortet Biermann
entschuldigend-anklagend mit Brecht. "Man soll in Fragen des geistigen
Eigentums nicht so pingelig sein."
So hat er es auch mit seinen Liedern gemacht, die er im Laufe der Jahre
für Eva-Maria Hagen geschrieben hatte, die sie damals noch in der DDR
öffentlich sang. Der Autor Biermann durfte dabei natürlich nicht genannt
werden, so schob er sein Lied "Von den großen und den kleinen Fürsten"
Béranger unter, und schon gefiel es den "Herren" drüben.
Es fällt mir schwer, aus Biermann-Hagens scheinbar unerschöpflichem
Repertoire schwedischer, englischer, amerikanischer, schottischer und
anderer Völker Liebes- und Kinderlieder Beispiele auszuwählen, steht
doch jedes und doch keines von ihnen beispielhaft für diesen Abend, ob
nun der "fröhliche amerikanische Liebeskrimi: die Ballade von Johnny
Sand und Betsy Bucht", der naive schwedische Kinderreim "Hofhund und
Papagei" oder die Balladen über den höheren Blödsinn des Soldatentums.
Mit seinen "Menschenliedern" hat Biermann Einblick in seine Werkstatt
gegeben, gezeigt, daß seine Lieder gleichwertig neben den sogenannten
politischen stehen, sich ergänzen, viel mehr: er verwischt die Grenze
zwischen politischem und unpolitischem Lied, die es für Biermann gar
nicht gibt.
Das ist eigentlich erst der Liedermacher Biermann, den ich mir seit
diesem Abend ohne Eva-Maria Hagen – die mehrmals Extra-Beifall erhielt –
kaum mehr vorstellen kann. Und es ist auch Biermann, der trotz allem,
trotz "Kronleuchter, schwarzem Samtvorhang und dem ganzen Quatsch hier",
eben gerade darum, weil er ein Freund der harten Brüche ist, zum Schluß,
nach tosendem Beifall und -zig Zugaben, sein "Trotz alledem" singt,
seine Anklage an die bundesdeutsche Wirklichkeit. – Rita Ackermann
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