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Eva-Maria Hagen im Porträt

Ich hatte mich früh entschieden. Mit sieben Jahren schenkte ich mein Herz dem Abenteuer bestehenden Ritter Ivanhoe, alias Roger Moore, dessen blitzblanke Rüstung eine wohlige Vorahnung von Schönheit und Stärke aufscheinen ließ. Als das Westfernsehen mir dann mit Bonanza drei Helden auf einen Blick servierte, von denen allerdings nur Little Joe und Adam mein Interesse fanden, war ich zum ersten Mal in meinem Leben zwischen zwei Männern hin und her gerissen.

Kurzum, mein Bewusstsein, dass auch Frauen schön sind, war recht unterentwickelt. Als meine Freundin Christiane mir stolz ein Foto von einer Frau zeigte - es muss Ende der 60er Jahre gewesen sein - und ich Schulter zuckend fragte, wer denn das sei, erntete ich einen ungläubig verachtenden Blick. Das ist Eva-Maria Hagen! Nun also hatte ich den Salat und Karl-Eduard von Schnitzler Recht. Hätte ich wenigstens ab und zu seinen "Schwarzen Kanal" gesehen, wüsste ich, dass Westfernsehen dumm macht. So aber kannte ich eben nur schöne Männer aus der falschen Himmelsrichtung und beschloss, fortan Nachhilfeunterricht bei Christiane zu nehmen. Sie hatte nicht nur ein Foto von der jungen Schauspielerin, sondern einen ganzen Karton voll. Wir stöberten ihn durch, verglichen unsere Körperhaltung und Garderobe mit der ihren und krempelten beim Gummitwist unsere Rocke noch etwas höher.

Unsere Traudel

Eva-Maria Hagen wird im Oktober 1934 als Kind einer Landarbeiterfamilie in Hinterpommern geboren und wächst bis zu ihrem zehnten Lebensjahr mit ihren Geschwistern in Kremlin auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Familie ins brandenburgische Perleberg umgesiedelt. Die im Bahnbetriebswerk Wittenberge begonnene Ausbildung zur Maschinenschlosserin schließt die junge Frau nicht ab, sondern beginnt 1952 ein Schauspielstudium in Ostberlin. Ihre erste Theaterrolle übernimmt sie ein Jahr später in der Inszenierung von Erwin Strittmatters "Katzgraben" am Berliner Ensemble unter der Leitung von Bertolt Brecht. Aus der fünfjährigen Ehe mit dem Drehbuchautor Hans Oliva-Hagen geht die gemeinsame Tochter Nina (Catharina) hervor, spätere Punkröhre, Schauspielerin und Enfant terrible der Unterhaltungsszene.

Eva-Maria Hagen setzt ihre Schauspielausbildung an der Fritz-Kirchhoff-Akademie in Westberlin fort und beginnt ihre Karriere 1957 mit der DEFA-Komödie "Vergesst mir meine Traudel nicht". Als Traudel Gerber wird sie zum Star. Sie verkörpert ein aufmüpfiges Mädchen, das aus einer Erziehungsanstalt ausbricht und von Lust und Lebenshunger getrieben seinen Weg sucht. Die Kindfrau setzt Naivität, Charme, Witz, Notlügen und auch eine Portion Gerissenheit ein, um ans Ziel zu kommen. Einen Verbündeten findet sie in dem Volkspolizisten (!) Hannes Wunderlich, der ihr auf nicht ganz legalem Wege zu einem gültigen Personalausweis verhelfen will. "Über Nacht kannte mich die ganze Republik. Es kam mir unwirklich vor, dass man durch einen Film bekannt werden kann wie ein bunter Hund. Einerseits schmeichelte es ungemein, andererseits wurdest du beobachtet, wo man ging und stand wurde geflüstert: Das isse! Unsere Traudel! Manche fassten mich an, um sich zu vergewissern, dass es wahr sei. Auch ich musste mich anfangs kneifen, war bei der Umfrage nach der beliebtesten Schauspielerin von Unbekannt an der Spitze gelandet - und genoss das Bewundertwerden."(1)

Gesicht des Sozialismus?

Eva-Maria Hagen verkörpert die Zukunft. Sie ist Symbol eines deutschen Schönheitsideals nach 1945, das Intelligenz und Unschuld mit erotischer Vollbusigkeit und Liebe zur Heimat verbindet. Denn schön sollte das Gesicht des Sozialismus schon sein. So versprach Walter Ulbricht 1959 der Bevölkerung mit dem Siebenjahrplan "Brot, Wohlstand und Schönheit". Im selben Jahr erhält die Hagen ein Engagement am Berliner Maxim-Gorki-Theater, gehört ab 1961 zum Schauspielensemble des Deutschen Fernsehfunks in Berlin Adlershof, ist an zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen beteiligt und schmückt mehrfach das Titelblatt der Zeitschrift "Filmspiegel". Die Begegnung mit Wolf Biermann und das im Dezember 1965 durchgeführte 11. Plenum des Zentralkomitees der SED verändern ihr Leben grundlegend. Die Ausrichtung der künftigen Kunst und Kulturpolitik der DDR lässt keine kritischen Stimmen mehr zu. Erich Honecker führt den Parlamentsmitgliedern exemplarisch vor, wie viel "Dreck", der zu Unmoral und dem Sozialismus fremden Lebenshaltungen auffordert, von Künstlerinnen und Künstlern produziert wird. Es beginnt ein willkürlicher Kahlschlag unter RegisseurInnen, Musikerlnnen, Komponistlnnen, AutorInnen, die einer dekadenten, antisozialistischen, gar konterrevolutionären Arbeit bezichtigt werden. Der Funktionalisierung von Kunst und Kultur als Mittel des "Klassenkampfs" sind damit Tür und Tor geöffnet. Folgerichtig erhält auch Wolf Biermann, der sich als aufrechter und nicht als blind dienender Kommunist versteht, Autritts- und Publikationsverbot. Da sich Eva-Maria Hagen vorbehaltlos zu ihrer Liebesbeziehung bekennt, ist sie fortan Repressalien ausgesetzt. Theaterengagements finden sich für sie nun vorrangig in der Provinz. Das Fernsehen zahlt lieber das monatliche Gehalt, ohne eine Gegenleistung von der jetzt als politisch unzuverlässig geltenden Schauspielerin zu fordern. Aber da ist noch etwas: Nach dem 11 . Plenum ist es auch die Frage, ob die "Marilyn Monroe des Ostens" nicht doch zu viel Sexappeal für ein sozialistisches Antlitz hat. Immerhin ist die Frauenkommission des ZK der SED der Meinung: "Unsere Frauen wirken durch ihre Persönlichkeit und nicht durch erotische Ausstrahlung. "Und wären Hagens Tagebuchaufzeichnungen und Briefwechsel mit dem Liebsten, die an höchste Schreibkultur längst vergangener Jahrhunderte erinnern, schon damals publiziert, so hätten gewiss nicht die Schönheit, Vertrautheit und tiefe Emotionalität des Geschriebenen im Mittelpunkt veröffentlichter Kritik gestanden, sondern die Empörung über Zügellosigkeit und Unmoral. Die Hagen ist nicht Abbild der werktätigen Frau und Mutter, wie Ulbricht und Honecker es nun wünschen. Sie wird ab Mitte der 60er Jahre dem DDR-Publikum in Film und Fernsehen immer mehr vorenthalten. Ihrer Popularität tut das keinen Abbruch. Sie tanzt in Musicals, tritt vor Genossenschaftsbäuerlnnen ebenso auf wie in Volkseigenen Betrieben. Ihr Gesicht ist nun nicht mehr das gewünschte Gesicht offizieller Politik, es ist für viele das Gesicht von Aufrichtigkeit, Liebe und Mut. Und jede Seite definiert,was Schönsein heißt - und Schönheit ist politisch.

Zivilcourage und Sehnsucht

Hagen und Biermann sind bis 1973 Lebenspartner und auch späterhin durch eine außergewöhnliche Freundschaft verbunden. 1976, nach dem legendären Konzert Wolf Biermanns in Köln, organisiert die Hagen mit anderen Künstlerlnnen und Kulturschaffendenden den Protest gegen die Ausbürgerung des Liedermachers aus der DDR. Sie glaubt zunächst, dass die Regierung ihre Entscheidung rückgängig machen wird. Doch weit gefehlt! Auch die Hagen-Frauen verlassen nun - gleich vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern - die DDR, und es wird noch enger im Land.
Im Westen kann Eva-Maria Hagen nicht mit der gleichen Bekanntheit rechnen wie im Osten. Zeitweilig geht der starken Frau die Lebensfreude in der neuen Heimat verloren. Es dauert etwas, bis sie wieder durch die Lande tourt, Rollen beim Film, Fernsehen und am Theater übernimmt, malt, publiziert und vor allem singt. Nach dem Fall der Mauer wird auch die Uckermark wieder zu einem ihrer Lebensmittelpunkte.
1977, als Eva-Maria Hagen das eine deutsche Land verlassen muss, um in dem anderen mühsam anzukommen, stirbt Maxi Wander. In ihrem Buch "Guten Morgen, du Schöne" berichten Frauen über ihr Leben in der DDR. Es ist viel von Lebenshunger, Selbstbewusstsein, Lust, Frust, Zivilcourage, Schmerz und Sehnsucht die Rede - und all das ist Schönheit. Und ganz viel Hoffnung!

(1) Eva-Maria Hagen, "Eva jenseits vom Paradies", Berlin-Ullstein-Verlag 2005, S. 250f Foto privat.

Dr. Kirsten Beuth, geb.1956 in Ostberlin, hat Kultur- und Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert und war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Akademie der Künste der DDR. Seit 1996 arbeitet sie als Studienleiterin am Frauenstudien- u. -bildungszentrum der EKD.


"Frauen in Bewegung" - Heft Nr.2 - April 2006
"Evangelische Frauenarbeit in Deutschland e.V.





 





 





 

 


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