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»Wir ehren Eva-Maria Hagen«

Laudatio von Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz Kurt Beck

In der Brochhaus-Enzyklopädie wird das Stichwort "Brief" lapidar definiert: "Schriftliche, meist ausführlichere und verschlossen übersandte Mitteilung an einen abwesenden Adressaten; ersetzt häufig ein Gespräch, kann dieses aber auch vorbereiten oder sich darauf beziehen." Weiter heißt es dort: "Der Brief hat sich auch zum Selbstzeugnis bedeutender Autoren und zur literarischen Kunstform entwickelt." Carl Zuckmayer beherrschte die Kunst des Briefeschreibens. Wer sich davon überzeugen möchte, dem empfehle ich das Buch: "Späte Freundschaft, Carl Zuckmayer, Carl Barth in Briefen", das übrigens bereits in der 10 Auflage erschienen ist. Die Kunst des Briefeschreibens scheint in unserer Zeit langsam, aber fast unaufhaltsam verloren zu gehen. Ich denke, viele unter uns bedauern dies außerordentlich. Es ist eben etwas anderes, ob man einen Brief schreibt oder ein E-Mail hinterlässt. Es ist auch etwas anderes, ob man sich die Zeit nimmt, sich jemandem zuzuwenden, oder in einem raschen Telefonat meint, das wirklich sagen und ausdrücken zu können, was man tatsächlich sagen und ausdrücken möchte. Jetzt gibt es auch Auguren, die sagen, der Brief werde eine Renaissance erleben, sozusagen als Gegenbewegung zu allen technischen Formen der Kommunikation. Ich hoffe, dass es so ist. Aber ich bin ehrlich, ich bin nicht sicher, wenn ich die Hektik des Alltages mir so vor Augen führe, die sicher unser aller Leben mit prägt, ob diese Renaissance kommt. In jedem Fall ist das, was ein Brief ausdrückt, etwas Wertvolles, dass einem an dem anderen gelegen ist und dass man bereit ist, sich viel Zeit für sie oder für ihn zu nehmen.
Sicherlich haben Sie auch, meine sehr geehrten Damen und Herren, schon an den eben gehörten Beispielen nachempfunden, dass dieses sich Zuwenden von manchen Leuten in besonderer Weise ausgedrückt werden kann.
Ich freue mich sehr darüber, dass wir in diesem Jahr, in dem wir zum 21. Mal die Ehre haben, die Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz man sie sozusagen zu verleihen, Eva-Maria Hagen diese Auszeichnung übergeben dürfen für ihre besondere Fähigkeit, Briefe zu schreiben.
Liebe Frau Hagen, ich habe zu Weihnachten Ihr Buch gelesen und war beeindruckt von der Lebendigkeit, die aus diesen Briefen spricht, auch wenn man sie sozusagen als Dritter wahrnimmt, von der sprachlichen Vielfalt, von dem, was an Gefühlen nachvollziehbar ist. Auf den zweiten Blick bin ich dann unsicher geworden.
Ich habe fast ein schlechtes Gewissen bekommen, weil ich gespürt habe, wie wenig wir in der Bundesrepublik und in der DDR doch über Jahrzehnte hinweg voneinander gewusst haben. Wir haben nebeneinander gelebt, wenige Kilometer auseinander. Wir haben geglaubt, vieles wahrzunehmen und richtig zu sehen. Vielleicht haben wir uns hier sogar eingebildet, vieles objektiver sehen zu dürfen als diejenigen, denen bestimmte Informationen nur nach dem Durchlaufen eines Filters gegeben worden sind. Dennoch: Vom wirklichen Leben der Menschen, die auf der anderen Seite dieses schrecklichen Zauns gelebt haben, – das spürt man aus Ihren Briefen, das spürt man aus dem Buch – wussten wir sehr wenig. Sie geben uns Einblicke, Sie geben uns ein Stück Geschichtsunterricht in einem lebendigen, persönlichen Stil und in einem gar nicht auf andere Weise gleichwertig zu vermittelnden Maß. Auch dass die Staatssicherheit immer mitlas, wird deutlich. Es wird deutlich, welche Kraft die Menschen entwickelt haben, dies zu wissen und dennoch ihr Stück Freiheit sich zu nehmen, ihre Freiheit zu leben, soweit dies eben möglich gewesen ist. Auch das ist eine Erfahrung, die für unsere Seite Deutschlands so selbstverständlich nicht war. Sie eröffnet uns auch in dieser Hinsicht neue Perspektiven.
Was Sie uns schildern, ist aber auch ein Bild der Repressionen, die ausgeübt worden sind, und wie man damit zurecht gekommen ist in einem nichtfreiheitlichen Staat. Und insoweit, wenn man es weiter denkt, kommt natürlich auch die Freude auf, dass wir diese Situation in ganz Deutschland jetzt überwunden haben. Ich denke, in diesem Sinne ist es wohl wahr, dass Ihr Buch auch ein Beitrag dafür ist, dass wir lernen, zwischen West und Ost und Ost und West, uns besser zu verstehen. Der Alltag zeigt uns, dass wir dafür noch einige Mühe aufwenden müssen, weil wirtschaftliche Anstrengungen das eine sind. Aber sich verstehen und wieder zu gemeinsamen Ausdrucksformen zu finden, das ist sicher das dahinter Stehende. Dass Sie uns dazu viel gegeben haben, dafür haben wir zu danken. Aber selbstverständlich werden mit diesem Preis heute nicht nur die Veröffentlichung der Briefe und ihre Form ausgezeichnet, sondern wir achten Ihr Lebenswerk insgesamt und wollen es besonders würdigen.
Es ist uns natürlich in diesem Land Rheinland-Pfalz eine Verpflichtung und Ehre, dass wir die Carl-Zuckmayer-Medaille als Andenken an den grossen Dramatiker und Schriftsteller vergeben dürfen und damit einen Auftrag haben, sein Werk und sein Vermächtnis, das der deutschen Sprache in besonderer Weise zugewandt ist, zu würdigen. Die Verleihung findet traditionell am Todestag des Autors statt. Heute vor 20 Jahren wurde zum ersten Mal die Carl-Zuckmayer-Medaille verliehen, nachdem zuvor die Schriftstellerin und Gattin Carl-Zuckmayer-Medaille verliehen.
Die Urkunde lautet: Carl-Zuckmayers, Grau Hedan-Zuckmayer, die erste Prägung der Medaille erhalten hatte.
Bevor ich Ihnen, verehrte Frau Eva-Maria Hagen, die Carl-Zuckmayer-Medaille überreiche, will ich noch Ihre Aufmerksamkeit auf das Fass Wein lenken, das unübersehbar hier die Bühnendekoration bestimmt. Das hat natürlich seine guten Gründe: Alle wissen, dass Carl Zuckmayer ein besonderer Freund, Kenner und Verehrer der Riesling-Weine aus Rheinhessen gewesen ist. Und deshalb ist es natürlich ein rhein-hessischer Riedling, der mit dem Preis verbunden ist. Er kommt vom Weingut Gunderloch aus Nackenheim und damit aus der Heimat Carl Zuckmayers, einem Ort, der nie vergessen werden wird, weil er im "Fröhlichen Weinberg" eine grosse Rolle spielt.
Die Urkunde lautet: Carl-Zuckmayer-Medaille. In Anerkennung der Verdienste um die deutsche Sprache wird im Andenken an Carl Zuckmayer Frau Eva-Maria Hagen die Carl-Zuckmayer-Medaille verliehen.
Liebe Frau Hagen, herzlichen Glückwunsch, herzlichen Dank für Ihr Werk und alles, alles Gute für die Zukunft!

Mainz, gezeichnet den 18. Jan. 1999. – Der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz.

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... die weissen Rosen aus Mainz ... von Eva  ...

 

 


    Eva-Maria Hagen mit Mario Adorf, 1999
     Preisträger der Carl-Zuckmayer-Medaille 1996    

       

 


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