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Interview in der Zeitschrift ›SIEGESSÄULE‹Fräulein Schneider, die Berliner Pensionswirtin, beugt sich in Cabaret dem Druck der Nazis und verlässt ihren Verlobten Herrn Schultz, den jüdischen Obsthändler. Wie nah ist Ihnen diese Rolle?Oh, vorerst ist sie ganz weit entfernt. Aber ich bin Schauspielerin - und werde sie mir einverleiben. Vom Charakter her - meiner Biografie, meinem Wesen und Verhalten nach - ist sie mir fremd. Ich würde mich nicht gegen meinen Geliebten entscheiden. In den 60er Jahren sind Sie in der DDR massiv gedrängt worden, sich von Wolf Biermann, dem Liedermacher und Dissidenten, zu trennen. Das haben Sie nicht getan. Können Sie Fräulein Schneiders Entscheidung trotzdem nachvollziehen? Ja. Sie ist bereits älter, hat einen anderen Lebensweg hinter sich, Fortuna war ihr nicht hold. Politisch ist sie uninteressiert - ihr liegt viel an ihrer kleinen Welt, ihrer Pension. Sie ist ein übrig gebliebenes altes Fräulein - und auf einmal trifft aus heiterem Himmel ein Glücksstrahl ihr Herz, diese späte Liebe. Warum verlässt sie ihn dann? Sie hat Angst um ihre Existenz, um ihren Gewerbeschein, den sie zum Zimmervermieten braucht. Und sie ist einfach keine Heldin: "Ich bin keine Julia und du kein Romeo", sagt sie zu Herrn Schultz, "wir müssen vernünftig sein." Sie haben damals zu Wolf Biermann gehalten und die DDR verlassen. Mir blieb nichts anderes übrig. Ich hatte mich wie viele Künstler dafür eingesetzt, dass die Ausbürgerung rückgängig gemacht wird. Daraufhin wurde mir fristlos gekündigt, ich bekam Arbeitsverbot. Und ich wollte dort sein, wo Wolf Biermann ist. Als man ihn nicht in die DDR zurückließ, war klar, ich verlasse das Land. Ihr Tochter Nina hat sie begleitet. Wäre sie übrigens nicht eine wunderbare Sally Bowles? Nina probte damals, vor 30 Jahren tatsächlich gerade die Sally, in Leipzig. Als sie hörte, dass Wolf Biermann ausgebürgert worden war, schmiss sie alles hin und fuhr mit dem Taxi nach Berlin, um sich am Protest gegen die "Maßnahme" zu beteiligen. Nina war damals 20. Ja, sie wäre eine tolle Sally gewesen! Als Mutter von Nina Hagen sind Sie eine extrovertierte junge Frau sicherlich gewöhnt. Wie empfindet aber das brave Fräulein Schneider die Nachtclubtänzerin Sally Bowles? Ich möchte die Figur so anlegen, dass sie zu Sally und dem jungen Mieter Clifford so etwas wie einen unbefriedigten Mutterinstinkt entwickelt. Kinder und Mütter haben ja auch meistens eine sinnliche Beziehung zu einander. Der Amerikaner Cliff ist ja ursprünglich bisexuell angelegt, das geht jetzt bei der Inszenierung so ein bisschen verloren. Es klingt an, bleibt der Fantasie des Publikums überlassen. Ich finde es schön, dass es so offen ist. Sally sagt, jeder sollte leben, wie er es mag. Das finde ich auch. Zum Glück hat sich viel zum Positiven verändert im Laufe der Zeit. In England zum Beispiel, hörte ich gerade, heiratet Elton John seinen Freund. Das sowas inzwischen möglich ist, finde ich toll und einen großen Fortschritt. Frau Hagen, ich danke Ihnen für das Gespräch. Interview: Diane T. Schöppe |
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