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HEINER MÜLLER
UND ERNST JÜNGER — EINE DEUTSCHE KONSTELLATION
Von Siegfried Gerlich
Er hatte ihn bereits in seiner frühen Jugend gelesen, und derlei
Lektüren begleiten einen nicht selten bis zuletzt. Sein Plan, den über
Hundertjährigen nach Berlin zu laden und im Berliner Ensemble mit einer
großen Lesung aus seinen Werken zu feiern, ließ sich nicht mehr
verwirklichen, aber der lang gehegte Wunsch nach einer persönlichen
Begegnung war in Erfüllung gegangen. Der Ältere kannte das Werk des
Jüngeren nicht, und so stellte sich Heiner Müller mit taktisch klugen
Worten Ernst Jünger vor: „Wir haben einen gemeinsamen Feind: Wolfgang
Harich.“ — „Kommen Sie!“
Und er kam nach Wilfingen, heimlich, die Mauer war noch nicht gefallen.
Der Umstand, daß der marxistische Philosoph Jünger als Wegbereiter des
Faschismus und Müller als defaitistischen Renegaten, mit dem kein
sozialistischer Staat zu machen sei, attackiert hatte, bot ein schönes
billet d’entree; Annäherungen ergaben sich dann in Gesprächen über
Rausch und Drogen, und am Ende sprachen Liebhaber von Katastrophen
miteinander.
Es darf von einer Wahlverwandtschaft zweier Männer gesprochen werden,
die zeitlebens von vielen angefeindet wurden, und die doch wußten, daß
sie zu anderer Zeit einander auch als Feinde hätten begegnen können. Die
Schlagworte aber, die den geistigen Habitus Jüngers treffen, sind auch
für Müller schlagend: aristokratischer Dandyismus, preußischer
Anarchismus, heroischer Nihilismus. In beider Lebenswerk sind Rausch,
Krieg und Tod allgegenwärtig, und der Todesverachtung des zweimaligen
Weltkriegers verwandt erscheint auch die stoische Gelassenheit, mit
welcher der „Krieger ohne Schlachten“ sterbend seinem Tod ins Auge sah.
Das Leben war ihm der Güter höchstes nicht: ”Was zählt ist das Beispiel,
der Tod bedeutet nichts.”
Das Beispiel, das Heiner Müller gab, war ein Leben, das sich im
permanenten Einsatz für eine unzeitgemäße Sache verzehrte: die
Wiedergeburt der Tragödie aus dem Geiste der Revolution. Eine grausame
Kulturrevolution war die tragische Utopie, das schwarzromantische
Leitmotiv seines Lebens und Schaffens. Die Beharrlichkeit, mit welcher
der letzte Tragiker von Rang dem hohen Anspruch seines Programms zu
genügen suchte, zeugt nicht nur von seinem im besten Sinne deutschen
Eigensinn, der ihn widerständig machte gleichermaßen gegen die
politische Gängelung der Kultur im Osten wie gegen deren ökonomische
Vernutzung im Westen. Sie verrät auch den heiligen Ernst eines Dichters
in dürftiger Zeit, der fürchten mußte, daß, was bleiben werde, nicht die
Dichter, sondern die Bomben stiften, und dennoch unerbittlich blieb in
seinem Kampf auf verlorenem Posten.
Den existentiellen Heroismus des einsamen Wolfes hat Müller freilich nie
so plakativ herausgestellt wie Jünger. Notorisch bediente sich dieser
rote Werwolf der List des Odysseus, sich ein Niemand zu nennen, wenn
andere nach dem Namen fragten. Seine maskenhafte Physiognomie schützte
den Verletzlichen vor den Blicken der Zudringlichen und sicherte dem
Dramatiker die erhabene Freiheit, mit seinen Figuren zu spielen wie die
griechischen Götter mit den Schicksalen der Sterblichen. Im Unterschied
jedoch zu der Götter grausamem Spiel barg Müllers Theater der
Grausamkeit vor allem seinen eigenen Schmerz. Jünger mochte als Mensch
unerschütterlicher wirken, und doch hinterließ gerade er eine ganze
Ästhetik des Schmerzes. Mit den Worten des jungen Lukács möchte man
beide zu jenen ”tieferen Geistern” zählen, ”die ihr entströmendes Blut
zu purpurnem Stahl zu erstarren und zum Panzer zu schmieden versuchen,
damit ihre Wunden ewig verborgen bleiben.”
Mit diesem durch Kampf und Schmerz gestählten Ethos standen Jünger und
Müller in der verfemten Tradition der deutschen Kriegsliteratur des
zerrissenen Kleist, des visionären Hölderlin, des wahnhaften Nietzsche.
Im Jahrhundert der totalen Mobilmachung indessen sollte eine neuartige
Figur das Schlachtfeld betreten, und es war der Nationalbolschewist
Jünger, welcher der traditionellen Gestalt des Kriegers die moderne des
Arbeiters zur Seite stellte und auch diesen zur Kampfmaschine zurüstete.
Der Kommunist Müller dagegen funktionierte das Theater zur
Kriegsmaschine für die Aufbauschlacht des Arbeiterstaates um. Seine
Mobilisierung des zögerlichen Hamlet zur zynischen Hamletmaschine aber
setzte einen so grausamen Exorzismus in Szene, daß in Stahlgewittern
klirrend kalter Buchstaben mit den Feinden der Revolution auch alle
schöne Bühnenliteratur in Staub versank. Einer aus den Fugen geratenen
Welt bescherte der Dramatiker heillose Untergänge in absurden Endspielen
und erotischen Horrorkabinetten, in deren allegorischer Apokalyptik
schließlich der barocke Ursprung des deutschen Trauerspiels wieder
aufbrach. Die Ausnahmezustände aber, in denen die Hochspannung zwischen
formaler Strenge und inhaltlicher Brüchigkeit kollabierte, trieben
Müller in eine nackte Mimikry mit dem Tod: seine disparaten Fragmente
nährten sich von den zerstückelten Körpern der Schlachtfelder, das Blut
der Opfer war darin zu toten Buchstaben geronnen, und weil keine
Hoffnung für die Toten ist, verweigerten manche Texte ihren Sinn.
In aller dialektischen Überreizung des historischen Verfremdungstheaters
blieb freilich Müllers Leitbild Brecht bis zuletzt gegenwärtig, und
sternenweit entfernt von dessen Gefilden forschte ein Jünger demütig
nach einer zeitentrückten Hieroglyphik des Seins und Strahlungen
besonderer Art. In der epischen Natur des grazilen Jünger war eine
ruhige Klarheit herangereift, während der dramatische Geist des
fragileren Müller unaufhörlich nur die höchsten Wellen über sich
zusammenschlagen ließ. Aber Jünger besaß einmal, was Brecht immer schon
gefehlt hatte: ein Sinn für das Tragische — und dessen Glutkern übte auf
Müller zeitlebens eine abgründige Faszination aus. Jüngers Werk stand
exemplarisch für die denkerische Durchdringung jener epochalen Erfahrung
des Tragischen, die den Materialschlachten des Ersten Weltkrieges
abgerungen war und Gestalt angenommen hatte im Sozialismus des
Schützengrabens, um sich dann in den Konflikt jener feindlichen Brüder
aufzuspalten, die sich schließlich im Weltbürgerkrieg der Ideologien
zermalmen sollten: Kommunismus und Faschismus. Im Gegensatz zu Brecht
attestierte Jünger beiden Bewegungen die historische Notwendigkeit
gleichrangiger Erscheinungsformen des mobilisierten Arbeiters. Für
Müller wiederum mußte sich gerade deren äußerer Widerstreit und innere
Widersprüchlichkeit zur tragischen Vision erheben. Wer die Tragödie des
zwanzigsten Jahrhunderts schreiben wollte, konnte sich nicht mit der
Logik des Zerfalls der bürgerlichen Welt begnügen; er mußte vor allem
ihren Konflikt mit der sozialistischen Welt zum Drama gestalten, nicht
ohne zuletzt noch deren eigenen tragikomischen Untergang als Farce
darzubieten.
Als mit dem Sieg des globalen Kapitalismus die marxistische Idee der
Revolution als Lokomotive der Weltgeschichte endültig ausgespielt hatte,
wurden für den unermüdlichen Kämpfer die Ideen einer konservativen
Revolution wieder virulent: Müller dachte sie sich mit Benjamin als
Griff des in den Abgrund rasenden Menschengeschlechts nach der
Notbremse; mit Carl Schmitt als Aufhalter des drohenden Untergangs; vor
allem aber mit Jünger als anarchischen Aufstand des Lebens gegen eine
technokratisch verwaltete Weltzivilisation. Sein letztes Ziel war eine
apokalyptische Kulturrevolution, die gerade die irrationalen Kräfte
zurückzuerobern sollte, die der Kommunismus zu Unrecht dem Faschismus
überlassen hatte. So munitionierte sich der späte Müller mit den
vitalistischen Impulsen des jungen Jünger, um die schmerzhafte Wunde
einer unabgegoltenen Utopie wieder aufzureißen und den Blutstrom einer
vernarbten Menschheit erneut zum Fließen zu bringen. Für Jünger
hingegen, der bereits nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges seine
Friedensschrift zu Papier gebracht hatte, war der Krieg längst nicht
mehr „das letzte Refugium des Humanen“, als welchen ein tragischer
Humanismus Müller ihn zu sehen gelehrt hatte.
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