MAGISTER-ARBEITEN

Kunst und Politik in der DDR:

Eva-Maria Hagens Standpunkt in Eva und der Wolf

par
Karine L.abelle
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Brief an Eva-Maria Hagen – von Karine Labelle Dienstag, 31. Mai 2005

Sehr geehrte Frau Hagen,

Ich heisse Karine Labelle und ich bin Austauschstudentin an der Freien Universität Berlin. Ich komme aus Kanada und studiere Germanistik in meiner Heimat an der Université de Montréal in Quebec. Ich interessiere mich besonders für die Geschichte Deutschlands in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Deswegen habe ich mich entschlossen, meine Magisterarbeit über Ihr Buch "Eva und der Wolf" zu schreiben. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns treffen könnten, um Ihr Buch zu besprechen.

Ich bin noch nicht sehr weit mit meinem Projekt gekommen und kann Ihnen leider zur Zeit noch keinen festen Plan vorstellen. Mein Thema lautet: « Kunst, Liebe und Politik in der DDR: Eva-Maria Hagens Standpunkt in Eva und der Wolf.» Hier ist eine Übersetzung von meinem Themenantrag.

"Ich werde meine Magisterarbeit über das Buch "Eva und der Wolf" von Eva-Maria Hagen schreiben, das vom Leben der ost-deutschen Schauspielerin und Sängerin Eva-Maria Hagen zwischen 1965-1976 handelt. Dieses originelle Werk ist in der Art einer Kollage aufgebaut und besteht aus einer Auswahl von Briefen zwischen Frau Hagen und ihrem damaligen Gefährten Wolf Biermann sowie aus Bildern, Stasiberichten, Ausschnitten aus dem Tagebuch Frau Hagens und anderen Dokumenten. Ich werde das Buch unter verschiedenen Aspekten analysieren: Erstens werde ich die ungewöhnliche Struktur des Buchs, die im Gegensatz zu den traditionellen Autobiographien Platz für verschiedene Interpretationen offen lässt und die Wahrheit über die gesellschaftliche, familiäre und künstlerische Lage der Betroffenen gewissermaßen im Raum stehen lässt.

Die leidenschaftliche Beziehung zwischen Eva-Maria Hagen und Wolf Biermann darf nicht ignoriert werden, weil sie die Quelle für eine Menge flammender Briefe, in denen Frau Hagen ihre Ideale enthüllt und ihr literarisches Talent zeigt, gewesen ist.

Mit Rücksicht auf den politischen und gesellschaftlichen Kontext in der DDR in den 60er und 70er Jahre, werde ich dann die Gründe, warum die Haltung und die Worte Frau Hagens, sie zum "Staatsfeind" gemacht haben, herausfinden. Ich werde mich auf die Ideale Frau Hagens, ihre Suche nach Freiheit sowie ihre offene Kritik am SED-Regime konzentrieren. Ich werde ausserdem aufzeigen, mit welcher Gewalt die SED sich in das private Leben Frau Hagens eingemischt hat und was die Beziehungen zwischen subversiven Künstlern den Regierenden bedeutet hat. Eva-Maria Hagen ist zweifellos eine der vorzüglichsten Persönlichkeiten der DDR gewesen, nicht nur wegen ihres Talents, aber auch weil sie ein Beispiel für die Verweigerung gegenüber der destruktiven Macht des 5ED-5taates darstellt...."


Université de Montréal

Kunst und Politik in der DDR: Eva-Maria Hagens Standpunkt in Eva und der Wolf

par

Karine Labelle

Département de littératures et de langues modernes

Faculté des études supérieures

Mémoire présenté à la Faculté des études supérieures

en vue de l’obtention du grade de maîtrise

en études allemandes

option civilisatio

Septembre, 2007

© Karine Labelle, 2007


Université de Montréal

Faculté des études supérieures

Ce mémoire intitulé :

Kunst und Politik in der DDR: Eva-Maria Hagens

Standpunkt in Eva und der Wolf

Présenté par:

Karine Labelle

a été évalué par un jury composé des personnes suivantes :

Nikola von Merveldt

Manuel Meune

Till van Rahden


Résumé

Kunst und Politik in der DDR: Die Standpunkt Eva-Maria Hagens in Eva und der Wolf se consacre à l’analyse de l’oeuvre biographique Eva und der Wolf. Eva-Maria Hagen, actrice de renom en République Démocratique Allemande, raconte dans Eva und der Wolf sa relation tumultueuse avec le poète et dissident, Wolf Biermann.

Nous nous familiariserons en un premier temps avec la biographie des protagonistes, en tenant compte du contexte social et politique dans lequel ils ont évolué. Nous aborderons ensuite le thème de l’originalité du livre. En effet, Eva und der Wolf se démarque par sa structure inhabituelle qui regroupe divers documents, tels des rapports de la Stasi, des lettres, des photos et des poèmes. C’est dans cette perspective que nous examinerons le rôle du lecteur, la narration, le genre littéraire et la véracité et la transtextualité de l’oeuvre.

Finalement nous fonderons notre analyse du premier chapitre « Der Biss in den Apfel » sur les connaissances acquises dans les trois sections précédentes. Nous soulignerons l’opposition entre la douloureuse prise de conscience de Hagen quant à la nature dictatoriale de l’État et le regard féerique et joyeux que Hagen porte sur la vie. De plus nous nous pencherons sur la violence et l’intensité des mesures prises par la Stasi pour faire taire Hagen et Biermann, tout en soulignant l’aspect grotesque de l’appareil étatique. Nous présenterons par ailleurs le point de vue et le regard que posent Hagen et Biermann sur l’État et nous soulignerons la collusion entre le pouvoir et le monde des arts pour ainsi illustrer la pertinence historique de l’oeuvre dans son ensemble.

Mots clés: Hagen, Biermann, RDA, Allemagne de l’Est, culture est-allemande, histoire, politique, dictature, Stasi, services secrets,

Summary

Kunst und Politik in der DDR: Die Standpunkt Eva-Maria Hagens in Eva und der Wolf focuses on the analyses of the biographical work Eva und der Wolf. Eva-Maria Hagen, a well know actress in the German Democratic Republic, tells the story of her stormy relationship with the poet and state enemy, Wolf Biermann, between 1965 and 1976.

We will start by discussing the protagonist lives while taking into account the social and political context where they have evolved. We will then get onto the subject of the book’s originality. Indeed, Eva und der Wolf stands out through its unusual structure, which gathers various documents, such as Stasi-Reports, letters, pictures and poems. From this perspective we will examine the reader’s part, the narration, the literary genre, the veracity and the transtextuality of the work.

We will finally base our analysis of the first chapter "Der Biss in den Apfel" on the new knowledge acquired in the preceding three sections. We will emphasize the painful clash between Hagen’s awakening to the dictatorial nature of the state and her joyful and enchanted views on life. Moreover we will look into the violence and the intensity of the measures taken against Hagen and Biermann, while pointing out the grotesque aspect of the state machinery. What’s more, we will illustrate Hagen’s and Biermann’s point of view on the state and we will highlight the collusion between the government and the artists. We will therefore show the book’s global historical relevance.

Keywords: Hagen, Biermann, GDR, East Germany, East German culture, politics, history, dictatorship, Stasi, secret services.

Zusammenfassung

Kunst und Politik in der DDR: Der Standpunkt Eva-Maria Hagens in Eva und der Wolf behandelt das Eva-Maria Hagens autobiographische Werk Eva und der Wolf. Hagen, in der DDR eine bekannte Schauspielerin, stellt in Eva und der Wolf ihre stürmische Beziehung mit dem Dichter und Staatsfeind Wolf Biermann zwischen 1965 und 1976 dar.

Zu allererst befassen wir uns mit den Lebensläufen der Protagonisten, sowie mit dem gesellschaftlichen und politischen Rahmen, in dem sie sich entfaltet haben. Zweitens analysieren wir die Originalität des Buches, das durch seine ungewöhnliche Struktur hervorsticht, und das aus einer vielseitigen Sammlung von Dokumenten wie Briefen, Stasi-Akten, Bildern und Gedichten besteht. Wir interessieren uns für die einzigartige Struktur des Buches, die sich durch die Rolle des Lesers, die Erzählebene, die Gattung und die Wahrhaftigkeit des Werkes sowie durch deren Transtextualität erklären lässt. In einem dritten Schritt wird der Titel und die Kapiteltitel des Buches und deren religiöse und märchenhafte Symbolik untersucht, die sich als Treibkraft des erstens Kapitels des Buches herausstellt.

Letztendlich führen wir auf Basis der Erkenntnisse aus den drei vorangegangenen Abschnitten dieser Arbeit eine exemplarische Analyse des ersten Kapitels „Der Biss in den Apfel“ durch. Besondere Aufmerksamkeit soll hier dem Gegensatz zwischen Hagens schmerzlicher Bewusstwerdung der diktatorischen Natur des Staates einerseits, und ihrem märchenhaften Blick auf das Leben andererseits geschenkt werden. Wir veranschaulichen auch die Gewalt und die bedrückenden „Maßnahmen“ der Stasi gegen Hagen und Biermann, wobei der groteske Aspekt des Staatsapparats betont wird. Des weiteren sollen Hagens und auch Biermanns Standpunkt und Einsicht über den Staatsapparat, sowie die Kollusion zwischen Macht und Kunst, und damit die historische Relevanz des Werkes dargestellt werden.

Schlüsselwörter: Hagen, Biermann, DDR, Ostdeutschland, ostdeutsche Kultur, Politik, Geschichte, Diktatur, Stasi, Ministerium für Staatssicherheit.

Inhaltsverzeichnis

Page Titre..........................................................................................................i

Identification du jury..........................................................................................ii

Résumé............................................................................................................iii

Summary..........................................................................................................iv

Zusammenfassung...........................................................................................v

Inhaltsverzeichnis............................................................................................vi

Abkürzungen....................................................................................................ix

Remerciements.................................................................................................x

Einleitung........................................................................................................1

1. Über die Protagonisten..............................................................................9

1.1. Eva-Maria Hagen im Sog der deutschen Geschichte.........................9

1.1.1. Vor Wolf Biermann..................................................................9

1.1.2. Nach der Begegnung mit Wolf Biermann...............................12

1.2. Wolf Biermann, der Lebens- und Kunstgefährte...............................15

1.3. Biermann-Hagen: Ein politisches Paar.............................................20

2. Die Originalität des Werkes.....................................................................24

2.1. Ein biographisches Werk ?...............................................................24

2.1.1. Bourdieus Definition der biographischen Illusion...................24

2.1.2. Der Standpunkt Eva-Maria Hagens.......................................25

2.1.3. Das Vorwort Biermanns.........................................................26

2.2. Eine unübliche, durch den Leser zu vollende Erzählung..................27

2.3. Die Transtextualität bei Gérard Genette...........................................28

2.4. Bilder als Paratext.............................................................................30

2.5. Die Gedichte Biermanns: ein Beispiel von Intertextualität................32

2.6. Das Spiel mit den Schriftarten...........................................................35

2.7. Ein Werk mit literarischem Anspruch ?.............................................37

3. Der Titel und die Kapiteltitel...................................................................39

3.1. Eva und der Wolf : Ein Märchentitel..................................................39

3.2. Die Kapiteltitel...................................................................................40

3.2.1. Einführende Bemerkung zu Religion und Namen..................40

3.2.2. Was im Anfang war: Der Biss in den Apfel 1965- 1966

(S. 6-95).................................................................................41

3.2.2.1. Die Genese als Intertext............................................41

3.2.2.2. Das Bild im Bild........................................................44

3.2.3. Himmel und Hölle – 1967 (S. 96 – 149).................................44

3.2.4. Ein Wendejahr? : Im Osten geht die Sonne auf – 1968

(S. 150-193)...........................................................................45

3.2.5. Zwischen theatralischer Illusion und realem Schmerz :

die Titel für die Jahre 1969-1974...........................................46

4. Das allmähliche Erwachen als Grundlage des Werkes.......................50

4.1. Die anfängliche Idylle........................................................................51

4.2. Dornröschen und die 7 Spitzel : Die Stasi als Inbegriff des

Grotesken?.......................................................................................52

4.3. Eiertanz bei den Mächtigen...............................................................55

4.3.1. Der Kraftprobe mit Parteifunktionär Sindermann..................56

4.3.2. Honecker, Schnitzler und Co. oder Wie die DDR-Prominenz

Hagens unwiderstehlichem Charme erliegt...........................59

4.3.2.1 Honeckers zweideutiger Blick...................................60

4.3.2.2 Medienglamour à la DDR : Eduard von Schnitzler....61

4.3.2.3 Tanz und Politik: Wenn Stasi-Chef Mielke

mit einer Feindin flirtet................................................65

4.4. Das Spiel wird ernst..........................................................................67

4.4.1 Die Zäsur in der deutschen demokratischen Kultur................68

4.4.2 Einschränkungen und öffentliches Urteil.................................69

4.4.3 Der Märtyrer aus dem Osten..................................................72

4.4.4 Die Theaterwelt in der DDR nach dem 11. Plenum................74

4.4.5 Hetzkampagne in der Medienlandschaft.................................78

4.4.5.1 Entarteter Antifaschismus in der DDR......................79

4.4.5.2. Wenn Freunde und Verwandte dem Staat dienen...81

4.4.6 Der Tod Dornröschens oder der Biss in den Apfel.................84

4.5 Überwachung und Gewalt..................................................................86

4.5.1 Die enthüllte Staatssicherheit................................................86

4.5.1.1 Die Sklavensprache..................................................86

4.5.1.2 Die große Spinne webt ihr Netz..............................88

4.5.2 An der Spitze der Gewalt........................................................90

4.5.3 Anatomie eines Nervenkrieges...............................................91

4.5.4 Ein Beispiel der staatlichen Großbürokratie............................94

4.6 Zwischen Machtlosigkeit und Hoffnungen..........................................97

4.6.1 Die Auferstehung...................................................................100

4.6.2 Die große Rolle auf der Bühne..............................................102

4.6.3 Übergang zum zweiten Kapitel..............................................103

5 Abschluss..............................................................................................107

Literaturverzeichnis...................................................................................113

Anhang........................................................................................................116

Interview mit Eva-Maria Hagen....................................................................116

Abréviations

BRD: Bundesrepublik Deutschland

DDR: Deutsche Demokratische Republik

DEFA: Deutsche Film Aktiengesellschaft

DFF: Deutscher Fernsehfunk

FDJ: Freie Deutsche Jugend

GI: Geheimer Informator

IM: Informeller Mitarbeiter

MfS (ou „Stasi“): Ministerium für Staatssicherheit

ND: Neues Deutschland

NÖS: Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft

NPDP: National-Demokratische Partei Deutschlands

NSDAP: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

SBZ: Sowjetische Besatzungszone

SED: Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

VEB: Volkseigener Betrieb

ZK: Zentralkomitee


Remerciements

J’aimerais d’abord remercier Monsieur Manuel Meune pour son immense soutien, pour son aide et pour ses conseils tout au cours des quatre dernières années. J’aimerais aussi tout particulièrement remercier Madame Eva-Maria Hagen, auteure de Eva und der Wolf, pour sa généreuse participation à mon projet et pour avoir été une si grande inspiration. Un grand merci à mon père, Pierre Labelle, et ma mère, Roselyne Séguin, pour leur soutien financier et leurs encouragements.

J’aimerais aussi remercier les personnes suivantes pour leur précieuse aide au cours de la rédaction : Manuela Schöndorfer, Christian Peschke, Achim Bohnert, Tim Hildebrandt, Gerit Friedrich, Andrea Schwebe, Sybille Drexler, Alexandra-Katharina Golecki, Jeannine Knierim et tout particulièrement Anika Stoever.


Einleitung

Die im Westen hoch mediatisierte Ausbürgerung Biermanns im Jahr 1976 löste in der DDR eine große Sympathiewelle innerhalb der kulturellen Landschaft aus. Biermann, der seit 1965 unter Berufsverbot stand, durfte nach einem Konzert in Köln nicht mehr in der DDR erscheinen. Dies löste eine Empörung im kulturellen und intellektuellen Milieu aus: Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle protestierten gegen diese Ausbürgerung, die darauf zielte, ein Exempel zu statuieren, um die Opposition zum Schweigen zu bringen. Trotz der heftigen Proteste wurde in dem Jahr nicht nur Biermann unwiderruflich ausgebürgert, sondern auch Freunde von ihm und andere Dissidenten. Unter diesen Freunden befand sich die vielseitige Künstlerin und ehemalige Gefährtin Biermanns, Eva-Maria Hagen.

Hagen opferte eine große Karriere auf der Leinwand, indem sie sich für ein gerechtes Leben einsetzte und ihren Freund und Geliebten, Wolf Biermann, tatkräftig unterstützte. In ihrem Buch Eva und der Wolf behandelt Hagen auf originelle Weise den Zeitabschnitt ab ihrer Begegnung 1965 mit Biermann bis hin zu ihrer Ausbürgerung im Jahre 1976.

Eva und der Wolf ist ein autobiographisches Werk über das Leben der Schauspielerin Eva-Maria Hagen und ihres Lebensgefährten, den Dichter und Liedermacher Wolf Biermann. Das Buch umreißt außerdem die Karriere Hagens, sowie ihre Liebesbeziehung mit Wolf Biermann, und deren Politisierung zwischen 1965 und 1976. Im Buch Eva und der Wolf bietet Hagen nicht nur Einblick in das unvermeidliche Aufeinandertreffen von Kunst und Politik in der DDR, sondern auch einen entsprechenden Kommentar zum politischen und kulturellen Geschehen im Zeitraum 1965 - 1976.

Als Eva-Maria Hagen ihre Stasi-Akte nach der Wende las, wurde ihr „schwarz vor Augen“[1]. Wie zahlreiche andere DDR-Bürger konnte sie nicht glauben, was was da alles in den Aufklärungsberichten und „Observationen“ von „Eckermänner und -frauen[2]“ stand, unter denen auch Namen von Bekannten angeführt waren, von denen sie es nie erwartet hätte[3]. Außerdem hatte Eva-Maria Hagen die Briefe Wolf Biermanns sowie ihre eigenen an ihn von Westkorrespondenten über die Grenze schmuggeln lassen.[4]

Daraus entstand das Buch Eva und der Wolf – der Gegenstand meiner Forschung – das 1998 zur Leipziger Buchmesse präsentiert wurde. Hagen wollte in diesem Buch die Vergangenheit nicht neu formulieren, sondern das Material verwenden, das sie besaß, dazu Berichte aus Stasi-Akten, Sachen, die sie in Tagebüchern aufgezeichnet hatte[5]. Laut Lothar Heinke wolle Hagen die Leserschaft ermutigen, sich ihrer Geschichte bewusst zu werden, endlich laut darüber zu sprechen, was ihnen widerfahren war. Auf die Weise könne jeder selbst daran arbeiten, um sich von einem Trauma befreien.[6]

Die Karriere von Hagen hatte 1957 glänzend begonnen. Als sie jedoch nicht bereit war, ihre Beziehung zu Biermann aufzugeben, hatte ihr Verhalten eklatante Folgen für ihre Karriere: es ging bergab mit ihr, während Biermann zum Symbol der Erpressung durch das kommunistische Regime wurde. Hagen und Biermann erkannten die Ungerechtigkeiten des politischen Systems in der Deutschen Demokratischen Republik, lehnten aber die Instrumentalisierung ihrer Person ab, indem sie ihren Prinzipien und ihrer Integrität treu blieben. Sie schützten so ihre Privatsphäre von der allgegenwärtigen Eindringlichkeit und den perniziösen Angriffen des Staatsapparats so gut wie möglich, dessen Maßnahmen darauf zielten, Biermann zu zwingen, das Land zu verlassen.

Biermann wurde 1976 ausgebürgert, sowie Hagen und andere Freunde von ihnen ein Jahr später. Heute ist der Fall Biermann weltweit bekannt und wird reichlich dokumentiert, aber leider wird der Name Hagen in diesem Zusammenhang kaum erwähnt, trotz ihrer Rolle im Leben von Biermann. Doch aus dem Blickwinkel Hagens und ihrer Erfahrung entsteht ein kulturelles und geschichtliches Zeugnis, das von Wissenschaftlern nicht übersehen werden darf. Das im folgenden behandelte Buch ist so reich und so außerordentlich, dass es genügend Material für mehrere Forschungsprojekte liefert. So könnte man das Buch aus der Sicht der Literaturwissenschaft untersuchen, und dabei die Struktur, Gattung und literarischen Wert betonen. Man könnte anderseits das Buch aus der geschichtswissenschaftlichen Perspektive betrachten. Weiterhin bietet jedes Kapitel vom Buch inhaltlich neue Themen, die sich für verschiedenste Forschungsorientierungen eignen.

Es ist schwierig eine gradlinige Analyse dieses Buches zu versuchen, da die literarischen Aspekte und die Originalität des Buches eine Beeinflussung auf die Objektivität der Leser in Bezug auf die Geschichte der DDR hervorruft. Deswegen werden wir in dieser Arbeit versuchen, anhand des ersten Kapitels des Werkes die Originalität der Form und die historische Relevanz des Inhalts zu veranschaulichen und verschiedene literarische und historische Beobachtungen verwenden, um sich gegenseitig erklären zu lassen.

Die Originalität Eva und der Wolf liegt in der Authentizität sowie an der Spontaneität der verschiedenen Dokumente, aus denen sich das Buch zusammensetzt. Es besteht eine interessante Kombinationen von zwei parallelen Perspektiven: Einerseits ist Eva und der Wolf ein persönliches und emotionales Zeugnis, das kein bloßer Rückblick ist, sondern eine Zeitreise. Anderseits bekommt der Leser gleichzeitig einen Zugang zum Standpunkt des Ministeriums für Staatsicherheit (MfS oder Stasi).

Daraus ergibt sich eine originelle Parallelität zwischen einer sehr persönlichen Erfahrung der Geschichte und einem Beispiel für den Mechanismus eines repressiven Systems. Es wird im Folgenden heraus gearbeitet, dass Eva und der Wolf ein außergewöhnliches literarisches Werk ist. Der Inhalt wurde anscheinend nicht zu einem besonderen Zweck oder für ein bestimmtes Zielpublikum bearbeitet. Es ist aber gerade aus diesem Grund ein vollkommen neuer Blick auf die DDR, ein Werk, das es verdient, studiert zu werden. Der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, betonte:

Sie [Hagen] geben uns Einblicke, Sie geben uns ein Stück Geschichtsunterricht in einem lebendigen, persönlichen Stil und in einem gar nicht auf andere Weise gleichwertig zu vermittelnden Maß. [...] Es wird deutlich, welche Kraft die Menschen entwickelt haben, dies zu wissen und dennoch ihr Stück Freiheit sich zu nehmen, ihre Freiheit zu leben, soweit dies eben möglich gewesen ist. Auch das ist eine Erfahrung, die für unsere Seite Deutschlands so selbst verständlich nicht war. Sie eröffnet uns auch in dieser Hinsicht neue Perspektiven. [7]

Eva und der Wolf ist sicherlich kein Forschungsgegenstand im traditionellen Sinn des Wortes, da es weder ein „rein literarisches“ Objekt ist, noch ein historisches Dokument. Es gibt zahlreiche Artikel und Bücher, die sich mit zeitgeschichtlichen Fragen auseinandersetzten, die in Eva und der Wolf angesprochen werden, jedoch findet man wenige Werke und Artikel, die eine Analyse von Eva und der Wolf bieten. Die Sammlung des Robert-Havemann-Archivs in Berlin erwies sich hinsichtlich des Buches als etwas enttäuschend, da nur wenige Artikel zu finden waren. Die meisten wurden anlässlich der Veröffentlichung Eva und der Wolf publiziert. Ein Artikel aus der Leipziger Volkszeitung (21. März 1998) zitiert die besten Stellen des Buches; in einem anderen Artikel aus dem Tagesspiegel (29. März 1998) beschreibt Hagen, wie das Buch entstand. Die Taz veröffentlichte am 15. Mai 98 einen Artikel, der einen Überblick über dem zeitgeschichtlichen Kontext des Buches anbietet, während die Berliner Zeitung am 10. Februar 1998 nur einige interessante Informationen präsentierte. Wie oft bei wenig erforschten Themen bietet die Internet-Seite Wikipedia, sowie die offiziellen Internetseiten von Eva-Maria Hagen, eine interessante Sammlung. Weiterhin wurde das Buch Eva und der Wolf mit der „Carl-Zuckmayer-Medaille“ des Landes Rheinland-Pfalz wegen „Verdienste um die deutsche Sprache“ ausgezeichnet[8]. Die Laudatio und Vorträge, die anlässlich der Medaillenverleihung ausgesprochen wurden, sind in einem Buch gedruckt worden[9]. Obwohl einige aufschlussreiche Informationen aus jenen Dokumenten zu finden sind, bietet keins von ihnen eine ausführliche Analyse des Buches bzw. von Teilen des Buches. Es sind meistens Buchrezensionen, die den historischen Aspekt des Buches mittels Anekdoten unterstreichen, ohne aber näher darauf einzugehen und den Akzent auf den literarischen Wert des Buches legen.

Da die Forschung noch lückenhaft ist, habe ich mich entschlossen Frau Hagen zu bitten, mir ein Interview zu geben, wozu sie sich bereit erklärte. So gibt Eva-Maria Hagen in einem schriftlichen Interview – das sie mir im November 2005 zurückschickte – einen genaueren Einblick in ihre Auffassungen von Kunst und von der DDR. Das Interview befindet sich im Anhang.

*****

In einem ersten Teil der Arbeit wird der Lebenslauf der Hauptprotagonisten – Wolf Biermann und Eva-Maria Hagen – besprochen, indem die bedeutungsvollen Ereignisse der Geschichte betont werden, die die Lebensabschnitte der Protagonisten geprägt haben. Weiterhin wird in diesem Teil auch die politischen Standpunkte Hagens besprochen und beschrieben.

Im nächsten Schritt wird die Originalität des Buches präsentiert. Wir analysieren die Struktur des Buches und beschreiben die literarischen Mittel und Kenntnisse, die sich für unsere Analyse als nutzvoll erweisen werden. Wir werden uns auch fragen, ob Eva und der Wolf wirklich zu der biographischen Gattung gehört, oder ob aus Eva und der Wolf eine neue Gattung entsteht, durch dessen Besonderheiten. Wir werden auch sehen, wie das Werk von verschiedenen Stilen und Gattungen entlehnt. Wir werden auch uns mit der Transtextualität beschäftigen, die in Eva und der Wolf eine wichtige erzählende Rolle spielt.

Wir werden uns dann in einem dritten Teil mit den Titeln und Kapiteltiteln des Werkes auseinandersetzten, die einen wichtigen Teil der Transtextualität bzw. des Paratextes bilden. Allerdings spielen die Kapiteltitel und der Haupttitel eine besondere Rolle in der Symbolik des Buches, da sie zahlreiche Märchenfiguren und –andeutungen aufgreifen. Das Märchen ist eine metaphorische Darstellung der Ablehnung der Realität und der Apfel eine Wahrnehmung des Staates. Diese zwei gegensätzliche Symbole, die sich gegenseitig ergänzen, sind vor allem im ersten Kapitel „Der Biss in den Apfel“ besonders prägnant. Deswegen legen wir großen Wert auf jene Symbolik, indem wir die Polysemie des Apfels besprechen, sowie die Parallelität zwischen dem Märchen Peter und der Wolf und dem Buch Eva und der Wolf.

Übrigens bietet jeder Kapiteltitel einen Überblick über die Handlung jegliches Kapitels. Dieses Thema werden wir auch besprechen, um unsere Analyse in ihrem Zusammenhang zu setzen.

Nachdem wir uns mit der Originalität und der Symbolik des Buches vertraut haben, setzen wir uns im vierten Teil mit der Analyse des ersten Kapitels fort. Da eine Analyse des gesamten Buches den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, suchen wir ein Kapitel, „Der Biss in den Apfel“ exemplarisch aus. Dieses Kapitel ist aber informationsreich, deswegen steht es stellvertretend für das gesamte Werk. Außerdem wurde Biermanns spektakuläre Ausbürgerung, wie schon erwähnt, so reichlich erforscht und dokumentiert, dass wir lieber den wichtigen Zeitraum des 11. Plenums untersuchen, das die Kulturpolitik der DDR neu definierte.

Wir unterstreichen dabei Hagens allmähliche Wahrnehmung ihres Milieus, indem wir zeigen, wie ihr Blick auf ihre Umgebung das Funktionieren des Machtapparates entlarvt, von der Erpressung über das Ausspionieren bis zu Gewaltmaßnahmen. Gleichzeitig bezeugen Hagen und ihre Stasi-Akten von der Machtlosigkeit und der Demütigung, die sie und Biermann erlebt haben, sowie von ihrer Beharrlichkeit und ihren Hoffnungen.

Damit wir die Entwicklung der Lage betonen können, werden wir unser viertes Kapitel in vier Zeitabschnitten aufteilen. Wir setzen uns erst mit der ursprünglichen Frechheit des Paares – besonders Hagens – der DDR gegenüber auseinander, indem wir Hagens Blick auf die Stasi untersuchen. Wir betonen Hagens groteske Darstellung der Stasi und besprechen die märchenhaften Figuren, die sich darin eingliedern.

Wir besprechen dann in 4.3 „Eiertanz bei den Mächtigen“ die zweite Phase der allmählichen „Erwachung“ Hagens, die sich in einem Machtspiel verstrickt. In dem Zusammenhang werden wir Fragen nach den Privilegien und der Instrumentalisierung besprechen, indem wir die Kehrseite der Medaille für Prominente in der DDR veranschaulichen. Damit setzten wir uns mit dem abgekarteten Spiel zwischen Macht und Medien auseinander und wir veranschaulichen die Kollusion zwischen Künstlern und Politiker. Wir untersuchen die Diskrepanz zwischen Hagens ursprünglichem Verständnis der herrschenden politischen Klasse und der Realität, sowie den Sinn und die Funktion der Symbolik des Märchens und des Apfels.

In Kapitel 4.4 „Das Spiel wird ernst“ besprechen wir die unmittelbaren Folgen des 11. Plenums in Hagens und Biermanns Leben, sowie ihren Blick und Kritik auf die kulturelle Landschaft in der DDR und in den sowjetischen Republiken, besonders die Instrumentalisierung des Antifaschismus in der DDR.

Dann werden wir das staatliche Getriebe an Hand der ersten Stasi Akten näher ins Auge fassen. Wir besprechen die „Sklavensprache“ als Abwehrtechnik gegen Wanzen und Überwachung, wir beantworten die Fragen „warum“, „wozu“ und „wie“ und betonen die Schwierigkeiten des Paares mit Überwachung, Isolation und Mordanschlag anhand der Stasi-Berichte. Wir werden uns auch mit dem Bruch in der Erzählung auseinandersetzen, der mit der Einführung von Stasi-Berichten verbunden ist.

Schließlich werden wir die neuen Aussichten des Paares, nach dem gescheiterten Mordanschlag erörtern: Hoffnung, Beharrlichkeit und kritischer Einblick trotz der Überwachung, Unterwanderung und Isolation.

Zunächst befassen wir uns mit dem Lebenslauf der Protagonisten. Wir werden die prägenden Erfahrungen und Erlebnisse in das Leben Hagens und Biermann betonen. Wir werden sehen in welches ruhelose Jahrhundert Hagen und Biermann aufgewachsen sind, was die Entwicklung ihrer Persönlichkeiten sicherlich beeinflusste.


1 über die Protagonisten

1.1 Eva-Maria Hagen im Sog der deutschen Geschichte

1.1.1 Vor Wolf Biermann

Eva-Maria Hagen, geb. Buchholz, kam am 19. Oktober 1934 in dem Dorf Költschen, bei Landsberg an der Warthe (heute Polen), zur Welt[10]. Bis zum 10. Lebensjahr wuchs sie aber in Kremlin auf, östlich der Oder[11]. Ihre Mutter hatte dort Arbeit in der Landwirtschaft gefunden. Als Kind erlebte sie den Krieg und dessen Grausamkeiten hautnah. Eva-Maria Hagen war katholisch getauft, den Religionunterricht erteilte ein evangelischer Pfarrer: Im schriftlichen Interview, das ich von ihr machen durfte[12], meinte Hagen, sie sei nicht nur konfirmiert worden, hätte auch zu Gott gebetet, mit ihm geredet. Nach dem Krieg erlebte sie mit ihrer Familie die Vertreibung der deutschen Bevölkerung durch die sowjetischen Truppen und kam zusammen mit Flüchtlingen bis nach Perleberg in der Prignitz in Brandenburg[13].

Allmählich keimte Hoffnung auf für einen „besondern deutschen Weg“ zum Sozialismus. Doch die SED wurde immer mehr der verlängerte Arm des sowjetischen Apparats. Nachdem sich in Jugoslawien Tito 1945-48 geweigert hatte, sich der sowjetischen wirtschaftlichen Herrschaft zu beugen[14] und Unabhängigkeit von Moskau verlangte sowie nach Ausbruch des Kalten Krieges, musste die Sowjetunion als Vorbild gelten und die Angleichung der SED an die kommunistische Partei der Sowjetunion wurde verstärkt[15]. Ulbricht, treuer Schüler Stalins, unterwarf sich den Sowjets gern und nach einer ersten Parteisäuberung, wurde die SED 1948 zur Partei „neuen Typus“ erklärt. [16]

Das stalinistische System - das 1952 seinen Höhepunkt in der DDR erreichte – überragt die diktatorische Herrschaft der üblichen kommunis tischen Hegemonialparteien durch folgende Merkmale, wie Weber sie betont: Eine Verfügungsgewalt der Partei über einer zentralisierten und kollekti vierten Wirtschaft, eine Kaderpolitik die vom System der „Nomenklatura“ geprägt ist – das heißt eine Liste von Personen, die außerordentliche Vorrechte genossen - eine Ermangelung an Mitbestimmung in der Wirtschaft und in Betrieben. Daraufhin hatte die stalinistische Partei „immer Recht“, ihr Organi­sationsprinzip war von einem sehr hierarchischen Zentralismus geprägt, während die Partei und der Staat ein Erziehungs-, Informations- und Orga nisationsmonopol hatte. Der Stalinismus ist auch durch den Personen kult Stalins, Parteisäuberungen sowie durch unerbittliche Verfol gung politischer Gegner gekennzeichnet. Das Ganze war von der dogmati schen Ideologie des Marxismus-Leninismus und der Willkürherrschaft gebündelt[17].

Diese Umstände tangieren noch nicht das Leben Hagen, die 1949 eine Maschinenschlosserlehre im Bahnbetriebswerk Wittenberge beginnt, zur Berufsschule ins RAW, dem Reichsbahnausbesserungswerk geht, nebenbei zur Laienspiel- und Tanzgruppe, durch den Sport: Leichtathletik und Handball viel rumkommt. 1952 fing sie ein Schauspiel-Studium in Ost-Berlin an, 1953 spielte sie bereits unter der Regie von Bertolt Brecht im Berliner Ensemble – wie in Hagens zweitem Buch Eva Jenseits von Paradies zu lesen ist [18].

Als die Menschen im Juni 1953 auf den Straßen protestierten, erlebte die Gesellschaft gerade eine Krise des „Aufbaus des Sozialismus“, der das politische Leben der DDR nach deren Gründung 1949 prägte. Die Arbeits- und Lebensverhältnisse verschlechterten sich nach und nach und die Regierung war nicht in der Lage, die Krise zu überwinden. Der Tod Stalins im März 1953 ließ die Bevölkerung auf eine Verbesserung der Lebenssituation hoffen, aber die Einführung des „Neuen Kurses“ in der DDR enttäuschte. Der Neue Kurs sollte die politische und ökonomische Krise lösen: es wurde die Liberalisierung der Innenpolitik angekündigt, indem die Restriktionen gegen Selbstständige und Bauern beendet und die Lebensverhältnisse rasch verbessert werden sollten[19]. Die mit ihm verbundenen Maßnahmen wurden jedoch immer strenger und machten die Lebensverhältnisse noch miserabler. Besonders hart traf die Leute 1953 die Zwangskollektivierung der Land wirtschaft, aber erst die Erhöhung der Produktivitätsnormen um 10% in den Betrieben war der Auslöser vom 17.Juni-Aufstand, der außer Kontrolle geriet, so daß die sowjetische Besatzungsmacht Panzer einsetzte, es Tote gab und eine hochgefährliche Lage entstand[20].

Damals spielte Hagen im Berliner Ensemble im Stück Katzgraben von Erwin Strittmatter, Regisseur war Brecht. Ein Jahr später heiratet sie den Schriftsteller Hans-Oliva Hagen, mit dem sie 1955 eine Tochter Catharina, heute als Nina Hagen bekannt, hatte. Die Ehe scheiterte 5 Jahre später.

1956 setzte sie ihr Schauspielstudium an der Fritz-Kirchoff-Akademie in West-Berlin fort. 1957 spielte sie in der DEFA-Produktion (Deutsche Film-Aktiengesellschaft) Vergesst mir meine Traudel nicht die Titelrolle. Damit begann ihre steile und erfolgreiche Karriere. Zwischen 1957 und 1965 allein spielte sie in etwa 50 Fernseh- und Filmproduktionen.[21] Darunter waren auch weniger interessante Stoffe, wo hauptsächlich ihr Äußeres gefragt war, eine attraktive Blonde mit erotischer Ausstrahlung. Später hieß es: Sie war die Brigitte Bardot oder die Monroe des Ostens.[22]

Zu dieser Zeit stellte die „Ausblutung der DDR“ die größte Herausforderung und das größte Problem für die Parteikommunistische SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) dar. Die Flüchtlingszahlen zwischen den Jahren 1953 und 1961 hatten einen direkten Zusammenhang mit den politischen und wirtschaftlichen Umständen. In den Krisenjahren 1953 und 1956 verließen die DDR zirka 390 000 bzw. 260 000 Menschen. 1960 flüchteten 200 000 und innerhalb von 7 Monaten flüchteten 1961 160 000 Menschen. Zwischen 1953 und dem Mauerbau am 13. August 1961 flüchteten insgesamt 2 076 000 Menschen[23]. Um der so genannten „Republikflucht“ entgegenzuwirken, wurden die Grenzen immer dichter, bis sie schließlich mit dem Bau der Berliner Mauer völlig verriegelt wurden.

In ideologischer Hinsicht war die Karriere Eva-Maria Hagens für das DDR-Regime tadellos. Sie war nicht nur eine sehr talentierte Künstlerin, sie war auch eine überzeugte Kommunistin im reinsten Sinn des Wortes und bekam deswegen den Beinamen oder den Titel „das Kind aus dem Volke[24]“. Die noch staatstreue Eva Maria Hagen unterstützte sogar den Mauerbau auf plakative Weise, sang für Soldaten zur Gitarre, auf einem Panzer sitzend[25] ließ sich mit abfotografieren[26]. Sie war übrigens nicht die einzige Künstlerin, die diesen Schritt als politisch und wirtschaftlich notwendig betrachtete. Aber als berühmte Schauspielerin hatte ihre Geste einen besonderen Stellenwert. Diesen Schritt, der mit dem Image, das sie nach der Begegnung mit Biermann hatte, kollidiert, scheint Eva-Maria Hagen im Interview nicht zu bereuen und meint, Sie hätte sich „auch schon vor der Begegnung [mit Wolf B] so verhalten, dass [sie sich] im Spiegel [hat] ankucken können.“[27] Im Mai 1965 lernte sie Biermann bei einem Lieder-Abend, bei dem mehrere Künstler auftraten, im Steintor-Varieté in Halle kennen[28].

1.1.2 Nach der Begegnung mit Wolf Biermann

Hagen geriet gleich ins Visier des Staates, als sie eine Liebesbeziehung mit Wolf Biermann einging, da Biermann schon „Sand im Getriebe“ des Staates war, wie folgend erläutert werden soll. Zwischen 1965 und 1976 – der Zeitabschnitt, mit dem sich Eva und der Wolf beschäftigt, ging es mit der beruflichen Laufbahn Hagens weiter abwärts, weil sie ihre Liebe zu Biermann nie für eine noch so glänzende Karriere aufgegeben hätte. Das „Kind aus dem Volke“ wurde - einst scherzhaft so tituliert - zur „sozialistischen Hexe“[29] und wegen Staatsverleumdung angeklagt. Dazu schrieb sie mir: „Eine einzige Farce war das. Demonstrieren der Macht. Einschüchterungsversuche. Kettenrasseln. Macho-Gehabe. Es gehörte zum Programm Angst und Schrecken zu verbreiten.“[30] Ihre Arbeitsmöglichkeiten wurden eingeschränkt, sie durfte immer seltener auf der Leinwand oder dem Bildschirm erscheinen und wurde in die Provinz geschickt, gastierte ab 1966 als “Eliza“ im Musical My Fair Lady, sang und tanzte als „Pistache“ in Can-Can, war die „Rosa Fröhlich“ in Professor UNRAT (Der Blaue Engel).[31].

Die Stasi war nicht nur auf Vernichtung ihrer Existenz aus, sondern wendete Methoden von Psychoterror an, belästigte sie, indem man z.B. anrief, um ihr den „Tod“ Biermann mitzuteilen. Sie bedrohte Hagen und verursachte einen Autounfall, indem sie das Auto des Paares manipulierte. Ihre Tochter Nina wurde in der Schule ebenfalls belästigt. Zusätzlich musste sie mit Drohungen ihres Ex-Mannes Hans-Oliva Hagen rechnen. Sie erlitt u.a. einen Nervenzusammenbruch und beging einen Selbstmordversuch.

Die Hoffnungen, einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zu schaffen, waren 1968 sehr groß, als ein Liberalisierungsversuch, heute bekannt als „Präger Frühling“, unternommen wurde. Der erste Sekretär der Kommunistischen Partei der CSSR (KPC) Alexander Dubcek zielte auf eine Gleichberechtigung zwischen den Ländern des Warschauerpakts und eine gegenseitige Wirtschaftshilfe. Er versuchte, die Verfassung der CSSR zu ändern, aus dem Grund, für sein Land mehr Unabhängigkeit von der UdSSR zu erreichen. Er schlug die Zulassung anderer Parteien, sowie die Demokratisierung des Apparates und die Rehabilitierung politischer Opfer vor. Die DDR-Bürger, die sich eine Liberalisierung ihrer Gesellschaft wünschten, legten viel Hoffnung auf den neuen Kurs, dem Reformwind, der über die CSSR wehte. Aber sie wurden schwer enttäuscht, als am 21. August 1968 die Sowjets mit Panzern durch Prag rollten und damit ihre absolute Herrschaft über die Satellitenstaaten wiederholt manifestierten[32]. Die Kulturpolitik wurde in diesem Zug härter, das Schlimmste für Hagen sowie für zahlreiche Querdenker der DDR sollte aber noch kommen.

Als Biermann 1976 ausgebürgert wurde, obgleich Hagen und Biermann sich 1972/73 getrennt hatten, versuchte sie mit Hilfe der Intellektuellen- und Künstlerkollegen, die Ausbürgerung rückgängig zu machen und unterschrieb die gemeinsame „Solidaritätserklärung“[33]. Kurz drauf bekam sie die fristlose Entlassung von ihrer Arbeitsstelle und ihre Auftrittstermine wurde abgesagt. Auch ihr damaliger Freud, der Regiestudent Matti Geschonneck, wurde exmatrikuliert[34]. Eva-Maria Hagen beantragte ihre Ausreise aus der DDR in die BRD und war mit der Aberkennung ihrer DDR-Staatsbürgerschaft, obwohl sie den Wunsch zum Ausdruck gebracht hatte, diese behalten zu dürfen – einverstanden[35]. Dieser Prozess kulminierte mit der „Entlassung aus der Staatbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik“ und ihrem offiziellen Übergang in den Westen, mit Tochter Nina sowie ihrem Gefährten, Geschonneck[36]. Sie schreibt, sie schaute auf ihre DDR-Vergangenheit wie auf einen viel Staub aufgewirbelt und noch nicht verdaut habenden Brocken voll von Leben, Seelenschmerz, großer Erwartung, Birkengrün und Hoffnung. Ein Erbe das sie nicht loslässt, schon durch ihre Bücher, in denen sie sich intensiv damit beschäftigt hat[37]. Eine Art Selbsttherapie sei das gewesen.

Ab 1977 setzte Hagen ihre Karriere in der BRD fort und spielte in ihren früheren west-deutschen Jahren in mehreren Theaterstücken, u.a. Woyzeck, Die Kameliendame, Mutter Courage, Medea - und nahm mehrere Platten auf, arbeitete weiter mit Wolf Biermann zusammen, trat auch im Ausland auf: Paris, Dublin, Stockholm, Kopenhagen, Zürich, Brasilien. Ab 1989 drehte sie auch wieder einige Filme im wiedervereinigten Deutschland.

1998 erschien das Buch Eva und der Wolf. Hagen 2000 das Buch Evas Schöne Neue Welt, heraus das aber durch Einspruch ihrer Tochter vom Markt genommen wurde. 2005 erschien ihr Buch, Eva jenseits vom Paradies, das das Leben Hagens bis zu ihrem ersten Erfolg mit dem Film Vergeßt mir meine Traudel nicht wiedergibt[38]. Eva-Maria Hagen ist heute noch aktiv in der kulturellen Landschaft Europas und beteiligt sich an kulturellen Ereignissen.

1.2 Wolf Biermann, der Lebens- und Kunstgefährte

Um dem Buch seinen eigentlichen Wert verleihen zu können, ist es sinnvoll, einen Überblick über das Leben von Wolf Biermann zu geben, damit wir begreifen können, was sein politisches Engagement in den Augen der SED bedeutete und was für eine eigenwillige und pfiffige Persönlichkeit Biermann schon als junger Mann war.

Wolf Biermann, der aus einer Arbeiterfamilie stammt, kam am 15. November 1936 in Hamburg zur Welt. Sein jüdischer Vater wurde 1943 in Auschwitz als Saboteur und Angehöriger des kommunistischen Widerstandes umgebracht. Biermann wurde nach dem Zweiten Weltkrieg Mitglied der „Jungen Pioniere“ und 1950 vertrat er die BRD beim 1. Deutschlandtreffen der FDJ (Freie deutsche Jugend) in Ost-Berlin[39].

Biermann siedelte 1953 nach seinem Abitur in die DDR über, wo er die Werke Bertolt Brechts und Hanns Eislers entdeckte. 1957 unterbrach er nach zwei Jahren sein Studium der politischen Ökonomie an der Humboldt-Universität Ost-Berlin. 1957 bekam er eine Stelle als Regieassistent am Berliner Ensemble und beschäftigte sich mit der Arbeit Eislers, indem er das Agitprop[40]-Stück Die Mutter inszenierte, dessen Musik von Eisler komponiert worden war[41].

Trotz der damaligen großen Unruhe in der Gesellschaft begann Biermann zwei Jahre später – 1959 – ein neues Studium – Philosophie und Mathematik. Er wollte das Theater jedoch nicht vernachlässigen und nach einem gescheiterten Versuch, die SED zu vertreten und die Bauern von der Relevanz der Landwirtschaftsreformen zu überzeugen, versuchte Biermann 1960 eine Analyse seines eigenen Misserfolgs zu inszenieren. In seinem Agitprop-Stück, in dem es um die sozialistische Entwicklung der Landwirt schaft ging. Das Stück sollte beim 150. Jubiläum der Humboldt-Universität aufgeführt und die Musik von dem Ernst-Hermann-Meyer-Ensemble gespielt werden. Das Stück wurde jedoch abgelehnt, weil die Agitprop nicht den damaligen Vorstellungen des patriotischen Kommunismus entsprach.

Biermann und Hanns Eisler trafen sich kurz nach diesem Verbot zum ersten Mal. Ihre Beziehung war entscheidend: In einem Interview meinte Biermann, seine ersten Lieder wären sehr „Eislerisch“ gewesen:

You can’t always be inventing the wheel for the first time. You’re standing on other people’s shoulders, otherwise you can’t get anywhere. So I “eislered” away like crazy…[42]

Eisler war allerdings von Biermann Liedern nicht sofort begeistert, nach einigen Bedenken alleerdings entschied sich Eisler mit Enthusiasmus, Biermann in die Medienkreise einzuführen, bevor Eisler 1962 starb.

1963 war für Biermann ein bewegtes Jahr: Als erste Inszenierung entschied er sich für das Stück Berliner Brautgang, das sich mit dem Mauerbau beschäftigte; Das Stück wurde verboten und das von Biermann gegründete Berliner Arbeiter- und Studententheater wurde nach der Premiere geschlossen. Nach zwei Jahren Wartezeit wurde die Kandidatur Biermanns als SED-Mitglied 1963 gestrichen, weil seine Gedichte und Lieder – auch wenn sie keine unmittelbare Kritik an der Regierung enthielten – nur „die alltägliche Realität des Lebens im Sozialismus“ darstellten und halt deswegen wie eine Kritik des existierenden Systems wirkten[43]. Er befreundete sich in diesem Jahr auch mit dem künftigen Dissidenten Robert Havemann[44].

Nachdem Biermann seine ersten Gedichte in der Anthologie Liebesgedichte, abgedruckt bekamveröffentlichte Biermann 1965 seine erste Platte Wolf Biermann (Ost) zu Gast bei Wolfgang Neuss (West) und seinen berühmten Lyrikband Die Drahtharfe. Dies entsprach nicht dem, was sich der Staat unter Kunst vorstellte und bescherte Biermann totales Auftritts- und Publikationsverbot wegen „Klassenverrats“ und „Obszönität“[45]: Das Verhältnis zwischen Biermann und der SED verschlechterte sich rapide in diesem Jahr anlässlich des 11. Plenums des Zentralkomitees, das bekanntlich wie ein „Kahlschlag“ in der Künstlergemeinschaft der DDR empfunden wurde. Die Partei stellte klar, was sie sich unter Kultur in der DDR vorstellte. Den Künstlern wurde vorgehalten, sich einer ungezügelten Sexualität hinzugeben, statt ein harmonisches Bild des Sozialismus zu befördern.[46] Honecker warf den Künstlern „spießbürgerlichen Skeptizismus“, „Nihilismus“ und „Unmoral“ vor.[47] Einige der Angegriffenen auf dem 11. Plenum übten sogar eine sie demütigende Selbstkritik[48]. Dieser Zeitabschnitt wird oft als „Eiszeit in der Kulturpolitik“[49] der DDR bezeichnet.

Das 11. Plenum war die zweite Phase des „Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“ (NÖS)[50], deren erste Phase im Januar 1963 angekündigt wurde. Es zielte zwar auf einen Übergang vom Stalinkult zur „sozialistischen Menschengemeinschaft[51]“ ab. Damit wollte die Partei, die aus ihrer Sicht positiven Aspekte, der von Stalin entstellten marxistischen Theorie, übernehmen. Dennoch ertrug sie keine neuen Ideen, keine Widersprüche und keine Missklänge: Die Partei wusste, wie der echte Sozialismus auszusehen hatte und lehnte es ab, sich kritisch mit dem marxistischen Erbe auseinander zu setzten.[52] Die innere Struktur der SED blieb unverändert, das heißt der gesamte Parteiapparat mit seinen hauptamtlichen Funktionären, sowie auch der Staatsapparat (Regierung, Justiz, Polizei, Leitung der Wirtschaft, usw.) blieben dieselben.[53]

Daraus folgte nicht nur eine härtere Linie gegenüber den Künstlern, sondern auch die Eingliederung der Kunst in das sozialistische System, um den „neuen“ Menschen mit sozialistischer Moral und Disziplin zu fördern, wie die Partei es verstand. Auch die Künstler sollten zum Beweis der Notwendigkeit der Zweistaatlichkeit beitragen.[54] Die Arbeit der Künstler und Intellektuellen wurde von der Partei noch mehr kontrolliert und genauso wie auf alle anderen Ebenen der Wirtschaft zu propagandistischen Zwecken instrumentalisiert. Namen wie Robert Havemann, Jürgen Fuchs, Christa Wolf – unter den wenigen, die sich zu wehren versuchten – und natürlich Wolf Biermann wurden besonders hart getroffen.

Die Filmkunst und die DEFA bildete jedoch die Kernfrage des 11. Plenums. Die Kinowelt hatte bis in die sechziger Jahre eine gewisse Freiheit genossen: sogar Koproduktionen mit der BRD sowie anderen europäischen Ländern waren gegen Ende der vierziger Jahre erlaubt gewesen. Die Liberalisierung der SED-Politik in den fünfziger Jahren hatte bei der Filmindustrie eine verstärkte Produktion von Unterhaltungsfilmen mit nur verdeckter ideologischer Tendenz zur Folge gehabt[55]. Vielleicht machte sich Ulbricht Sorgen über die leeren Kinosäle, als er 1953 betonte:

Es ist zu begrüßen, dass bereits Besprechungen über das Thema der Filmkomödie stattgefunden haben. Es ist notwendig, mit Hilfe des Spielfilms und des Kinderfilms das Unterhaltungsbedürfnis der Menschen zu befriedigen und dabei gleichzeitig ihren Geschmack zu erziehen.[56]

Obwohl die DEFA später unter strengere Kontrolle gestellt wurde, verwirklichte sich 1964 die Verfilmung von Christa Wolfs Roman „Der geteilte Himmel“, der von der Trennung eines Paares durch den Mauerbau handelt. Dabei muss berücksichtigt werden, dass es damals heftige Diskussionen über die politische und ideologische Rolle der Spielfilme gab. Regisseur Frank Beyer fragte in diem Zusammenhang ironisch und provokativ, ob das Publikum jetzt wie Analphabeten behandelt werden sollte, so als müsste man ihnen das A, B und C erst beibringen[57].

Als Vorzeichen des 11. Plenums kann man Chruschtschows folgende Äußerung anführen. Er bezeichnete 1963 die Filmindustrie als das „wichtigste künstlerische Mittel der kommunistische Erziehung des Volkes“[58]. Tatsächlich wurden zwei staatliche Organisationen sowie die Hauptverwaltung XX oder HV XX[59] der Stasi u.a. für die Genehmigung und Kontrolle über der DEFA zuständig[60]. Schließlich bekamen diese Organisationen anlässlich des 11. Plenums verstärkte Eigenverantwortung über die DEFA. [61] Die SED statuierte Beispiele aus zwei Filmen: „Denk bloß nicht, ich heule“, das Jugendliche besonders ansprach, während „Das Kaninchen bin ich“ das Thema der Strafgefangenschaft behandelte. Nachdem diese Filme verboten wurden, kam die gesamte Produktion der DEFA von 1965 auf den Index bzw. wurde den neuen Richtlinien angepasst, das heißt 12 Filme[62].

Für Biermann bedeutete das 11. Plenums nicht nur Verbot, sondern auch Isolation und eine böse Hetzkampagne wurde gegen ihn inszeniert. Zwischen 1965-1976 wurden Biermanns Gedichte in der Bundesrepublik veröffentlicht, eine Genehmigung, um im Westen aufzutreten, bekam er nicht. Mit seiner LP Chausseestraße 131 bekam Biermann 1969 den Fontane-Preis der Stadt West-Berlin. Im September 1976 war er vom Pastor der Prenzlauer Nikolaikirche eingeladen worden zu singen. Die Spitzel des Regimes waren anwesend, ohne einzuschreiten. Kurz drauf wurde er ausgebürgert – in Abwesenheit, durfte nach einem Konzert in Köln nicht in die DDR zurück.

Biermanns Ausbürgerung löste eine große Empörung aus unter den mitfühlenden Menschen der DDR: Künstler kamen zusammen, setzten sich für eine Rücknahme der Entscheidung ein und forderten die Rückkehr Biermanns in die DDR. Als Antwort auf ihre Proteste wurden viele Künstler solange schikaniert, bis sie nicht mehr im Land bleiben wollten oder durften. Die darauf folgende Ausbürgerungswelle bedeutete das Ende einer Ära. Sie erstickte die Ansätze von Liberalisierung des Landes, die ursprünglich mit dem Amtsantritt Honeckers als Staatschef 1971 verbunden war.

Viele Künstler, die sich vor der Ausbürgerung Biermanns bei aller Kritik für die DDR eingesetzt hatten, distanzierten sich danach von ihr. Biermann setzte seinerseits seine Karriere fort und blieb der DDR – aber auch dem Westen – gegenüber kritisch. Wenn auch geschwächt, blieb sein linkes Engagement im Großen und Ganzen bestehen. Er trat in den folgenden Jahrzehnten immer wieder in Deutschland und im Ausland als Liedermacher auf, und beteiligte sich in den 90er Jahren – manchmal polemisch – an der Debatte über die Wiedervereinigung. Seit 2000 arbeitet Wolf Biermann für die Zeitschrift Die Welt und wohnt in Hamburg und Banyuls (Frankreich).

1.3 Biermann-Hagen: Ein politisches Paar

Es sei hier kurz auf die wichtigsten Stationen im Leben des Paares Biermann-Hagen hingewiesen. Die Protagonisten begegneten sich zum ersten Mal 1965. Weil Hagen und Biermann zu Beginn ihrer Beziehung an verschieden Stellen des linken politischen Spektrums standen, wurde ihre Beziehung seitens der Partei mit Stirnrunzeln und kritischen Augen gesehen. Hagen hatte Zugang zu einem breiten Publikum, wobei Biermann ein produktiver aber „staatsfeindlicher“ Liedermacher war. Die Stimme Eva-Maria Hagens wurde dann zum Sprachrohr Biermanns (auch als er noch unter keinem Berufsverbot stand, waren seine Auftrittsmöglichkeiten beschränkt). Ihre Bühnenauftritte nutzte sie aus, als sie z.B. im Oktober 1965 vor den regierenden Instanzen der ganzen kommunistischen Welt das Lied „Kunststück” provokativ interpretierte[63] oder im Zug und in der Öffentlichkeit gelegentlich gern die Lieder Wolf Biermanns für ihre Fans sang[64]. Als ich Hagen fragte, was die Waffen der Opposition waren, antwortete sie:

Ich habe keiner Organisation angehört (außer der „Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft“ und Gewerkschaft) sondern mich bei privaten Gesprächen und Begegnungen so verhalten, daß man wußte, wo ich stehe, was ich denke und mache, ­allerdings nichts, was andere gefährden konnte. Da ich sehr bekannt war im Volk und beliebt, war ich auch eine Art Vorbild für so manche, das ängstlichere Charaktere ermutigte, ebenfalls den Mund aufzumachen.[65]

Obwohl die Stimmung zwischen Biermann und dem Staat schon angespannt war, verkörperte Biermann am Anfang ihrer Beziehung keine unmittelbare Bedrohung, da er in der DDR schnell zensiert und neutralisiert werden konnte. Allerdings waren seine westlichen Kontakte dem Staat stets ein Dorn im Auge gewesen: Er galt in der BRD als Opfer der DDR und schadete deren Ruf. Ferner zwang ihre Liebe Hagen, ihr Lager auszusuchen. Sie war eine für den Staat unangebrachte Verknüpfung zwischen Staats feind lichkeit und idealem „Kind aus dem Volk“. Deswegen – aber nicht nur, wie wir es später besprechen werden – wurde Hagen von Anfang an und immer massiver unter Druck gesetzt und aufgefordert, ihren Freund zu verlassen.

Das Paar Hagen-Biermann ertrug eine Menge Repressalien und Erpressungsversuche, bevor die beiden sich 1972 trennten. Doch unterhalten sie noch immer eine enge Freundschaft. Hagen kämpfte gegen die Ausbür ge rung bis zum letzten Moment, das heißt bis sie selber keine anderen Ausweg sah, als diesen „Antrag auf Ausreise aus der DDR[66]“ zu stellen.

Auch wenn Hagen in ihrer DDR-Zeit sich den Ideen des Kommusismus zugehörig fühlte, war sie keine stark politisierte Frau. Nach dem Krieg hatte hatte sie einfach Sehnsucht nach Geborgenheit im großen Kollektiv. Der Nachholbedarf an Lebensfreude lag ihr mehr am Herzen, als die „große Politik”. So erklärt Hagen im Interview:

Ich glaubte daran, dass die Befreiung vom Faschismus durch die Sowjetarmee die Welt verändern wird. Aber letztendlich war es Lebenshunger, das Bedürfnis, beim Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung mitzumachen, wo es gerechter als bisher zugehen sollte.[67]

Es ist naheliegend sich die Frage nach dem politischen Einfluss Biermanns auf Hagen zu stellen. Ich fragte Hagen inwiefern Biermann denn ihr Leben veränderte und was sich änderte. Sie antwortete:

Vorerst nicht viel. [...] Die Zeit unseres Zusammenlebens, die Erfahrungen zwischen 1965-1977 waren jedenfalls lehrreiche Jahre, die mir in mancherlei Hinsicht die Augen geöffnet haben, den Horizont erweiterten.

Ich fragte sie auch, ob sie damals denselben ideologischen Standpunkt auch ohne Biermann vertreten hätte, antwortete sie Folgendes:

Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß ich von Kindheit an Ungerechtigkeit erkannte, war aber politisch und auch was allgemeines Wissen betraf, zu ungebildet, als daß ich ernsthaft hätte mitreden können. Doch habe ich mich auch schon vor der Begegnung mit Wolf B., denke ich, so verhalten, daß ich mich im Spiegel habe ankucken können.[68]

Hagen betonte also, dass sie sich mehr um Dinge kümmerte, die ihr Privatleben betrafen[69]. Rein politisch war ihre Motivation ursprünglich nicht, es ging eigentlich darum, nach den Kriegeszeiten wieder „normal“ zu leben. Allerdings hatte sie ab und zu auch Wut auf die Genossen, weil der Fortschritt auf sich warten ließ, sah sich anfangs aber keineswegs als Oppositionelle.

Die neuen Machthaber haben sich, nachdem der „Drache“ Adolf Hitler tot war, Deutschland vom Faschismus befreit, nach anfangs hoffnungsvoller Entwicklung Richtung Sozialismus bzw. Kommunismus selbst als „Lindwürmer“ entpuppt, sich die Privilegien ehemaliger Fürsten und Potentaten zugestanden und das Volk geknebelt, das Denken vorgeschrieben, denn „Die Partei, die Partei, die hat immer Recht“, heißt es in ihrer Hymne.[70]

Die Frage nach den Privilegien (auch von Hagens Privilegien) ist ein Belang des ersten Kapitels in Eva und der Wolf. Wir werden die Gelegenheit haben, uns mit diesem Thema auseinanderzusetzen, wenn wir das erste Kapitel des Buches anschneiden. Aber es besteht in dem oben stehenden Zitat eine zweite Kritik an der ausgeübten Macht der Partei: Am Anspruch auf die absolute Wahrheit, ein Merkmal des Stalinismus. Es kommt in Eva und der Wolf übrigens oft vor – vor allem in zahlreichen Liedern Biermanns – dass dieser sich auf die SED-Regierung als eine Gruppe von Stalinisten bezieht. In den sechziger Jahren hatte sich laut Biermann am erstarrten ideologischen Gerede der DDR-Machthaber trotz Stalins Tod kaum etwas verändert.

Dieser Überblick des Lebens der Protagonisten erklärt vielleicht warum der Name Hagen kaum erwähnt wird, wenn es um Politik geht: Zu mehreren Gelegenheiten, machte sie mir klar, dass ihre Politisierung viel mehr an den Umständen lag, als an einem reinen Interesse, wie es bei Biermann der Fall war. Biermann und Hagen, zwei starke und kluge Menschen, die es verstanden, ihre Meinung auszudrücken, haben sich ergänzt: Einerseits erweist sich Frau Hagen als artikulierte Frau, eine große begeisterte Künstlerin, die ihr Talent vor allem für ein „freudenreiches“ Leben eingesetzt hat. Anderseits ist Biermann eher ein Intellektueller, der sich auch für eine bessere Welt eingesetzt hat, aber im Gegensatz zu Hagen steht bei ihm Politik in Vordergrund, und er hat sich durch seine dichterische Arbeit freiwillig in das gesellschaftliche Leben eingemischt.

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Wir haben uns mit den Protagonisten und ihrem Leben vertraut gemacht, jetzt werden wir die Originalität des Werkes, sowie dessen Struktur ins Auge fassen. Wir werden ihre Rolle besprechen, uns damit auseinander setzen und fragen, ob das Werk zur biographischen Gattung gehört, indem wir die Besonderheiten des Buches hervorheben und ergreifen.

2 Die Originalität des Werkes

Es fällt dem Leser schwer dieses Werk zu kategorisieren, weil es sich verschiedener literarischer Stilmittel bedient und diese dennoch nicht eindeutig verwendet werden. Zuerst möchte man Eva und der Wolf als Autobiographie bezeichnen. Denn das Buch enthält zweifellos hauptsächlich biographische Elemente, wie z.B. private Briefe und Tagebuch-Ausschnitte. Das Kategorisieren des Werkes ist darum aber umso schwerer, weil es keinen Autor im traditionellen Sinne des Wortes gibt, sondern eher einen „Kapellmeister“, der, wie der Dirigent seine Musiker miteinander in Einklang bringt, die verschiedenen Stimmen – u.a. die zahlreichen Stasispitzel und Nebenprotagonisten – zusammenbindet und dem Leser in einer anscheinend unbearbeiteten Form vorstellt.

Aber kann man Eva und der Wolf wirklich als autobiographische Erzählung einordnen? Was darf der Leser aus dem Buch erwarten? Gilt das Buch als historische „Wahrheit“? Außerdem, welche Rolle spielt die Struktur in dem Verständnis des Buches? Könnte es sein, dass ein Leser im Buch eine völlig andere Botschaft findet, als ein anderer? Beeinflusst die Struktur des Buches die historische Darstellung?

2.1 Ein biographisches Werk ?

2.1.1 Bourdieus Definition der biographischen Illusion

Mit dem Thema Biographie und Autobiographie hat sich Pierre Bourdieu öfter beschäftigt. In seinem Text Die biographische Illusion stellt er sich eben diese Frage: Wie authentisch, wie wahr kann eine Autobiographie oder eine Biographie sein[71]? Er vertritt die Meinung, die Biographie im traditionellen Sinn, unter welcher man sich eine Lebensgeschichte vorstellt, die „eine lineare Bewegung[72]“ mit Anfangs- und Ausgangspunkt darstellt, sowie den Anspruch auf Vollständigkeit hat, sei eine Illusion. Er behauptet, dass das Subjekt einer Autobiographie Ereignisse vorschlägt, die nicht unbedingt vollständig sind und die dem chronologischen Ablauf nicht immer gerecht werden. Der (Auto)Biograph versucht logisch und kohärent in seiner Darstellung des betroffenen Lebens zu sein und sucht nach einem logischen Zusammenhang zwischen den Ereignissen, der sich aber oft als illusionistisch erweist:

Eine Lebensgeschichte zu produzieren, das Leben als eine Geschichte zu behandeln, also eine kohärente Erzählung einer bedeutungsvollen und gerechten Abfolge von Ereignissen, bedeutet vielleicht, sich einer rhetorischen Illusion zu unterwerfen, einer trivialen Vorstellung von der Existenz, die eine ganze literarische Tradition nicht aufgehört hat und nicht aufhört zu unterstützen[73]

Klar ist, dass in autobiographischen Texten die Darstellung der Autoren nicht deckungsgleich ist mit ihrer Person, sondern dass die Autoren sich mehr oder weniger unbewusst bemühen, Verständnis für das Leben zu wider spiegeln, das sie gern geführt hätten, oder das sie glauben, geführt zu haben. Damit soll nicht angedeutet werden, dass Autobiographen lügen, sondern dass sie ihrem Leben unbedingt einen kohärente(re)n Sinn geben möchten, sei es bewusst oder nicht.

2.1.2 Der Standpunkt Eva-Maria Hagens

Der von Bourdieu beschriebenen biographischen Illusion ist sich Eva Maria Hagen offenbar bewusst. Obwohl sie keine Biographie hat schreiben wollen,[74] hat sie doch biographische Elemente ausgesucht, sodass die Frage nach der Illusion berechtigt ist. Aber es ist gerade diese Illusion, welcher Hagen -mit Erfolg- zu entkommen versucht: Erstens weil die chronologische Reihenfolge durch die ursprüngliche Datierung der schriftlichen Dokumente gesichert ist, und zweitens weil sie sich für eine Struktur entschieden hat, die keinen roten Faden, keinen Zusammenhang zwischen den Ereignissen herzustellen versucht. Hagen hat dadurch auf einfache aber wirksame Weise einen Weg gefunden, sich den damaligen Augenblick zu vergegenwärtigen, ohne ihren heutigen Standpunkt ins Spiel kommen zu lassen.

Objektiv ist Eva-Maria Hagen in ihren Erzählungen verständlicherweise nicht. Das weiß sie auch – sowie Wolf Biermann es im Vorwort zum Ausdruck bringt. Sie will ihre eigene Wahrheit liefern, wissend, dass sie keinen Anspruch auf absolute Wahrheit verlangen darf. Außerdem ist die Auswahl der Unterlagen, die in Eva und der Wolf erschienen sind, nach dem beliebigen Ermessen von Eva Maria gemacht worden.

2.1.3 Das Vorwort Biermanns

Wolf Biermann geriet auch nicht in die Falle der biographischen Illusion. Nach Biermanns Ansicht hat dieses Buch keinen Anspruch auf absolute Wahrheit. Genau das ist der Punkt, auf den Wolf Biermann hinaus will, wenn er im Vorwort schreibt, er wisse nicht, was im Buch stecken werde.

Mit dem Vorwort stellt er die Absichten des Buches vor, oder besser gesagt, was sie sein sollten. Ihm geht es zwar auch um die Wahrheit. Er erklärt sich „einigermaßen sicher“, “dass Eva nur wenig geglättet und im Nachhinein nichts umgelogen hat“. Der Gebrauch jener Begriffe fällt jedoch auf. Biermann meint damit nicht, dass Eva-Maria Hagen die ganze Wahrheit sagen würde, sondern dass sie zumindest nicht lügen würde. Der Unterschied ist wichtig, weil er auf die Art eine wichtige Frage aufwirft, die nach der objektiven Wahrheit. Biermann bemerkt, dass man sich „über niemanden gründlicher irrt als über sich selbst“ und im gleichen Atemzug meint er, dass es einfältig sei, objektive Wahrheit zu verlangen. Man solle vor allem immer die radikale Wahrhaftigkeit liefern. Ferner erklärt er, er halte es für wichtig, dass Eva-Maria Hagen ohne falsche Scheu, aber auch ohne liebvolle Rücksichten das Ihre authenntisch vorzeigen, dass sie also ihre eigene Wahrheit an den Tag bringt und sich selbst nicht anlügt, weder im Namen der Freundschaft, noch der geschichtlichen Triftigkeit.

Deswegen hat sich Biermann an diesem Projekt auch nicht beteiligt, da er keine Zensur ausüben wollte. Er bezeichnet diese Wahrhaftigkeit als „ungewaschene Wahrheit“, jene, die man sieht so wie sie erscheint, grob und ungeschliffen. Reine Wahrheit sei ein Trugbild. Jeder hat seine eigenen Wahrheiten, die nach eigenen Gefühlen, Erfahrungen, Standpunkten und Weltanschauungen filtriert und modelliert werden.

Dieses Bewusstsein, dass der Wille, die absolute Wahrheit darstellen zu wollen, eine Falle ist, verlieh Hagen einen sehr eigenartigen Stil, der – auch wenn Eva und der Wolf manchmal ein wenig an Alfred Döblins Berlin, Alexander Platz erinnert – das Buch in eine Kategorie für sich absondert, für die man den Begriff „biographische Erzählcollage“ anwenden könnte.

2.2 Eine unübliche, durch den Leser zu vollendende Erzählung

Das Buch Eva und der Wolf ist keine übliche Erzählung: Es besteht aus verschiedenen Dokumenten, wie Ausschnitte aus dem persönlichen Tagebuch Eva-Maria Hagens, aus dem Briefwechsel zwischen Biermann und Hagen und innerhalb des erweiterten Familienkreises, sowie aus Berichten vom Ministerium für Staatssicherheit und anderen offiziellen Dokumenten, Bildern, Zeichnungen, Gedichten und einigen Briefen, die Hagen an höhere Instanzen geschrieben hat. Jedes Dokument enthält einen kleinen Teil der Erzählung. Die kleinen Geschichten informeller Mitarbeiter (IM) der Stasi werden neben einander gestellt, was das Buch zu einer mehrstimmigen Erzählung macht, wobei aber der Leser, wie wir gleich sehen werden, eine wesentliche Rolle spielt.

Die Originalität des Textes besteht auch schließlich darin, dass die Auswahl der Dokumente zwar willkürlich gewesen ist. Aber trotz möglichen Auslassungen ist das Rekonstruieren des biographischen Stoffs relativ begrenzt, wenn man es mit der traditionellen Biographie vergleicht. Das heißt nicht nur, dass die Authentizität der eingeschlossenen biographischen Elemente wahrscheinlich höher ist, es bedeutet auch, dass das Buch sich eher an die Intelligenz und den Verstand des Lesers wendet, der selbst Schlussfolgerungen ziehen soll.

Man könnte jene Art Erzählung als sehr „porös“ bezeichnen: Sie ist oft lückenhaft oder die Dokumente werden aus ihrem originalen Zusammenhang gerissen; dies überlässt es dem Leser, den gesamten Sinn zu rekonstruieren. Sie hinterlässt eine Menge Ungewissheiten, für die nie Erklärungen gegeben werden. Immerhin wurde von Eva Maria Hagen kein Wort speziell für dieses Buch geschrieben; nur die „Fakten“ sollten sprechen. Gewiss reichen einige Fakten, um ein grobes historisches Bild der Ereignisse darzustellen, nicht aber wenn es um präzisere Details geht.

Die wichtigsten Etappen der DDR-Geschichte in diesen Jahren sind zumindest andeutungsweise anwesend und trotzdem bleiben sehr viele Lücken in der Wahrnehmung des Lesers bestehen; vor allem weiß dieser nicht immer genau, in welcher Phase die Liebesbeziehung Biermann-Hagen sich gerade befindet, ob sie gerade eine Krise erleben, oder ob sie inzwischen nur noch befreundet sind, usw. Die Lücken sind ein Hindernis, wenn man diese Lebensgeschichte mit dem damaligen gesellschaftlichen Kontext verbinden will, aber sie sorgen beim Leser für eine weitere Interpretationsebene. Die Fähigkeiten des Lesers, Folgerungen zu ziehen, sowie seine geschichtlichen Kenntnisse spielen beim Verstehen des Buches eindeutig eine wichtige Rolle. Außerdem erinnern diese Lücken den Leser daran, dass ein Mensch weder allmächtig noch allwissend ist, wenn es um das eigene Leben ist.

2.3 Transtextualität bei Gérard Genette

Die lückenhafte Struktur des Buches, die übrigens auf die Tatsache hindeutet, dass man in der DDR oft zum Schweigen verurteilt war, können wir besser verstehen, wenn wir auf Gérard Genettes Transtextualitätstheorie zurückgreifen.

„Transtextualität“ ist ein von Genette stammender Oberbegriff, der fünf andere Konzepte – „Intertextualität“, „Paratextualität“, „Metatextualität“, „Hypertextualität“ und „Architextualität“ – umfasst[75]. Mit dem Begriff Transtextualität zielt Genette auf die Klärung und Systematisierung der Beziehungen verschiedener Texte zu einander ab[76]. Im Fall des Buches Eva und der Wolf spielt sie eine bedeutende Rolle, und hilft uns, einen roten Faden im Buch zu erkennen. Für unsere Studie sind vor allem drei Begriffe relevant:

1. Die Intertextualität: Sie ist die "effektive Präsenz eines Textes in einem anderen[77]" und nimmt drei Formen an – Zitat, Plagiat und Anspielung. Dieser Begriff ist in Eva und der Wolf besonders relevant, weil man im Buch sehr viele Anspielungen auf andere Texte findet – etwa auf die Bibel oder auf Gedichte von Brecht und Biermann.[78]

2. Die Hypertextualität: ist die Umformung eines Ausgangstextes da, der entweder nur im Stil (Transformation) oder im Thema (Imitation) umgeformt werden kann. Dies kann sich als eine spielerische, ernste, satirische sowie als ironische Beziehung zum Ausgangstext heraus stellen. Dieser Begriff ist für unsere Studie nicht so zentral, aber wir können ihn anwenden, wie z.B. wenn Biermann in einem seiner Lieder den Begriff „Eckermann“ für den gesamten Stasiapparat anwendet[79].

3. Die Paratextualität: Sie ist ein Kommentar in Bezug auf den Text und fügt Informationen hinzu, die den Leser steuern können.[80] Sie erlaubt es dem Text, ein vollständiges Buch zu werden: Ein Motto, ein Vorwort, ein Nachwort oder eine Widmung.[81]

Ferner unterscheidet man zwischen dem mit dem Text eng verbundenen Peritext (Schutzumschlag, Titel, Gattungsangabe, Vor- und Nachwort oder verschiedene Mottos) und dem Epitext, der ergänzende Mitteilungen über den Text einschließt, welche sich oft nicht direkt im Text befinden, wie z.B. Interviews, Briefe oder Tagebücher, der also paratextuelles Element bein haltet, das „nicht materiell in ein und demselben Band als Anhang zum Text steht“, sondern „im freien Raum zirkuliert […], anywhere out of the book”.[82]

Der Begriff der Paratextualität können wir leicht auf Eva und der Wolf anwenden, zumal es einen als Vorwort identifizierten Text gibt, aber das erschöpft nicht ganz die Frage nach der Struktur des Buches. Fest steht, dass das ganzes Buch als ein ‚transtextuelles’ Werk gelten kann: Fast alle Elemente, die die Collage in Eva und der Wolf ausmachen, passen mehr oder weniger zur Kategorie des Paratextes, wie z.B. die Tagebuchausschnitte und der Briefwechsel, die im Kontext einer normalen Erzählung am Randes des Buches stünden und also als Epitext gelten würden. Hier aber gehören sie zum Text und bilden ungefähr 90% des Buches.

Das Buch Eva und der Wolf erscheint als ein paradoxer Text, der fast nur aus Paratext besteht, in dem der eigentliche Text, im Sinne einer über greifenden Erzählung, aus Lücken besteht oder im Rekonstruktions vermögen des Lesers. Dies zeigt uns, wie außergewöhnlich der Buchtypus ist.

2.4 Bilder als Paratext

Bevor wir uns ausführlicher mit den Briefen und Tagebuch-Ausschnitten befassen (die am ehesten einer „normalen“ Erzählung gleichen), können wir uns einer bestimmten Art von Paratext widmen, nämlich die Photographien und Zeichnungen umfasst, insofern diese auch Informationen liefern, die erst das Buch zum vollständigen, dem Wunsch des Autors entsprechenden Text machen.

– Die Photographien

Die Photographien stellen hauptsächlich Eva-Maria Hagen, ihre Tochter Nina und/oder Biermann mit Freunden in alltäglichen Situationen dar, sowie Porträts verschiedener Menschen, von denen an dieser besonderen Stelle gerade die Rede ist. Sie geben dem Leser den Eindruck, in die Privatsphäre einbezogen zu sein und verleihen der Erzählung die Gelegenheit sich zu „verkörpern“. Sie zielen darauf ab, nicht nur die Geschichte lebendig zu machen, aber sie wirken als Zeugnis der Geschichte, demonstrieren eine gewisse Echtheit und Wahrhaftigkeit.

Damit ist allerdings nicht gemeint, wie wir früher gesehen haben, dass die Bilder DIE Wahrheit aufzeigen, ihre Funktion besteht auch darin, dass sie mit der Andeutung auf das Märchen brechen, die – wie wir später sehen werden – im Titel Eva und der Wolf enthalten ist. Die Märchenstimmung wird ironisiert, indem dem Leser bewiesen wird, dass die ‚Geschichte’ einen sehr alltäglichen Kern hat.

Von diesem Standpunkt aus betrachtet, bilden die Photographien also einen Teil des Paratextes, oder, genauer gesagt, einen Teil des Peritextes, indem sie wie ein erklärender Text wirken zumal sie manchmal am Textrand stehen: diese photographierten Menschen waren einmal am Leben, sie haben gelacht, sie haben geliebt, sie haben gelitten, usw. Sie verstärken und unterstützen also das Geschriebene. Am Anfang jedes Kapitels des Buches hat Hagen außerdem systematisch ein Porträt der Hauptprotagonisten gestellt, das als eine Art Einführung zum nun beginnenden Teil dienen soll. Diese Photographien geben Hinweise auf die jeweilige Stimmung, und deuten an, wessen Lebensabschnitt nun behandelt wird.

– Zeichnungen, Notizen und Kritzeleien

Die Zeichnungen werden zum großen Teil wie Photographien behandelt übernehmen als Peritext dieselben Funktionen. Die meisten stammen von Wolf Biermann. Sie sind meistens nur Kritzeleien. Außerdem finden wir Musiknoten und geschmückte Notizen. Sie sind teilweise unvollständig und verstärken dadurch den Einklebebucheindruck, als ob man in der Lage wäre, die Erinnerungen Hagens zu verfolgen, wie sie ihr gerade in den Sinn gekommen sind. Dies verschärft den Eindruck, Hagen wolle eigentlich ihre Sicht, ohne die Wahrheit all zu bewusst zu rekonstruieren, darstellen.

Die Zeichnungen gelten teilweise als Begrüßung, oder sie wirken spielerisch-ironisch, wie zum Beispiel die Hand[83], die auf dem Brief gezeichnet ist, mit einem Zeigefinger, der ironischerweise auf Biermanns Kopf zeigt und zu suggerieren scheint, dass er sich „schuldig“ zu lieben fühlt, oder auf ein bestimmtes Element zeigt, als ob Biermann sich damals lustig über die Stasi gemacht hätte, wissend, dass Spitzel seinen Brief bestimmt lesen würde, als möchte er im Kampf mit der Stasi durch seinen Witz die Oberhand gewinnen, gerade indem er zeigt er sei sich dessen bewusst, welche Stellen die Stasi am meisten interessieren sollten.

Aber manchmal kommen auch andere Kunstwerke zur Geltung. Wenn Biermann kein großer Maler ist, hat Eva Maria Hagen zweifellos Talent als Malerin. Einige ihrer Gemälde findet man im Buch wieder, es werden auch Zeichnungen von Freunden, u.a. Jürgen Böttcher und Peter Graf gezeigt, wie die Zeichnung Ein Bein ist ab von Graf.[84]

2.4 Die Gedichte Biermanns: ein Beispiel von Intertextualität

Die Gedichte sind auf jeden Fall dem Text inhärent, weil sie unmittelbare Reaktionen auf die Ereignisse sind. Dichtung ist zweifellos eins der beliebtesten Ausdrucksmittel Biermanns und nimmt daher eine wichtige Rolle in Eva und der Wolf ein. Der Stil Biermanns in „Kunststück[85]“ (1965) ist besonders ironisch, manchmal sarkastisch und zynisch. Das Lied gehört zu den wichtigsten Gedichten Biermanns, weil die damit ausgeübte Kritik nicht deutlicher sein könnte.

Kunststück

Wenn ich mal heiß bin – lang ich mir ne Wolke runter –

und wring sie über mir aus

Kalte Dusche – Kunststück

Wenn ich mal kalt bin – lang ich mir die Sonne runter –

und steck sie mir ins Jackett

Kleiner Ofen. – Kunststück

Wenn ich bei ihr bin – schwimmen Wolken mit uns runter –

rollt die Sonne gleich mit.

Das ist Liebe – Kunststück.

Wenn ich mal müd bin – lange ich mir den lieben Gott runter –

und der singt mir was vor.

Engel weinen – Kunststück.

Wenn ich mal voll bin – geh ich kurz zum Teufel runter –

und spendier Stalin ein Bier.

Armer Alter. – Nebbich

Wenn ich mal tot bin – werd ich Grenzer und bewache –

die Grenz zwischen Himmel und Höll.

Ausweis bitte! - Kunststück

In „Kunststück“ werden mehrere Elemente aus dem Reich oder des „Guten“ als Kunststücke betrachtet, die den Menschen vertraut und lieb sind, oder als Elemente, die es dem Menschen erlauben, Kunststücke zu zaubern, Wolken, Sonne, Liebe, Gott. Doch wird bald Stalin mit dem Teufel verbunden und als „Nebbich“ beischimpft. Nebbich ist ein jüdisch-deutsches Wort, das aus den Wörtern „Nie bei euch“ [86] kommt und „Pechvogel“ bedeutet. Das ist eine unmittelbare Kritik an Stalin, aber dann kommt noch die ironische Pointe Kritik: sogar in dem Tod besteht eine Grenze, die zwischen Himmel und Hölle (was metaphorisch an die Trennung zwischen Freiheit und Diktatur erinnert). Aber dieses Mal kontrolliert nicht die staatliche Instanz, sondern der kleine Mann, das Opfer der Geschichte, das sich endlich revanchieren kann. Dieses Spiel mit christlicher Erlösungsthematik ermöglicht es Biermann seine Kritik an der Praxis – nicht am Ideal – des Kommunismus zu äußern, sowie seine Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Wir werden in Kapitel 4.6 unserer Analyse eine weitere Gelegenheit haben, wenn wir das Gedicht „Auferstehung“ untersuchen, uns mit dieser Thematik auseinanderzusetzen.

Dieses Gedicht ist ein typisches Beispiel für Biermanns Stil. Selbstredend geht es bei Biermann nicht immer um Politik, aber das Politische spielt fast immer eine Rolle, sei es wegen seines Engagements, das so viel Platz in seinem Leben einnimmt. In Gedichten wie „Marie im November“[87], „Die Schauspielerin“[88], „Von uns“[89] und sogar „Leben mit E“.[90], die wir auch in Eva und der Wolf finden, gibt es immer eine implizite politische oder gesellschaftliche Bemerkung. In „Marie im November“, geht es um den Selbstmordversuch Hagens, der unmittelbar mit Verfolgungen durch die Stasi in Zusammenhang gebracht wird. Für den Leser, dem Hagens Leben nicht vertraut ist, ist es schwierig zu glauben, es könnte auch anders gewesen sein. Wo der Leser aber einige Informationen hat, wäre es vorstellbarbar, dass die Wurzeln des Nervenzusammenbruchs Hagens auch woanders liegen[91]. Dennoch lässt die zweite Strophe in „Marie im November“ vermuten, dass die Stasi die Hauptschuld trägt, obwohl zusätzlich auch noch andere Hintergründe mitgewirkt haben könnten:

[…] Die Vogelfänger parken am Straßenrand

Sie machen in dieser Walpurgisnacht

Auf unsre vergifteten Worte Jagd

Sie fangen uns mit Magnettonband

Ihre Wanzen lauern im Kanapee

Polypen lungern wie je ums Karree

Mensch Weib! Habe ich dich töten gemacht ?

Was hat dich so blutig erröten gemacht ?

Alt, alt, alt bin ich worden in dieser Nacht[…][92]

In dieser Strophe wird die Einmischung der Stasi in die Privatsphäre des Liebespaars auf sehr anschauliche Weise dargestellt. Die drei letzen Verse deuten darauf hin, wie sehr die Beziehung – die zur Erpressung durch die Stasi führte – durch die Stasiverfolgung strapaziert wurde.

Unabhängig daran, ob die Gedichte zur traditionellen Definition des Paratextes passen, haben wir hier ein gutes Beispiel, dass sie doch vollständig zum Text Eva und der Wolf gehören. Der Biermannische Intertext ist genauso wichtig wie die Berichte oder die Briefe zum Verständnis des Buches, da sie eine weitere Erzählungsebene ausmachen.

2.6 Das Spiel mit den Schriftarten

Zur Transtextualität des Textes gehört auch das Spiel mit den Schriftarten. Die Größe und die Natur der Schrift haben eine doppelte Funktion. Einerseits sorgen sie für Klarheit: Jeder Art Dokument wird eine eigene Schriftart zugestanden, damit der Leser die Kategorie von Text leichter erkennen kann. Anderseits wird dadurch dem Inhalt der ausgewählten Dokumente eine bestimmte Atmosphäre verliehen. Man findet im Buch vier Kategorien von Schriften: Die kursiven Buchstaben, die Handschrift, die kleinen Buchstaben und die „übliche“ Schrift – mit normaler Schriftgröße –, auf die wir hier nicht länger eingehen.

– Die Kursivschrift

In einem Dialog, wo unausgesprochene Gedanken oder Überlegungen zwischendurch eingefügt werden, ist es üblich, die kursive Schrift anzuwenden. Nun sind im Fall von Eva und der Wolf die Tagebuch ausschnitte kursiv geschrieben. Sie sind zwar keine „rohen” Gedanken, stellen aber ein innerliches Gespräch dar, und die Kursivschrift macht dem Leser klar, dass dies keine Briefe sind, sondern eben persönliche Gedanken, die nicht sofort für andere gedacht sind.

– Die Handschrift

Die Handschrift. die im Buch reproduziert wird – teilweise sogar Photokopien von Originalen – manchmal für Briefe, aber auch für kleine Notizen verwendet, und deutet auf Zärtlichkeit, Emotionen, Menschlichkeit und Kreativität hin. Sie ist der Ausdruck der Persönlichkeit in einer Welt, wo erwartet wird, dass derselbe Standpunkt von den meisten vertreten wird. Sie ergänzt gedrucktes Zeichnen in der Form von kleinen Liebeswörtern. Die Handschrift deutet auf eine gewisse Freiheit der Gefühle und steht im Widerspruch mit der staatlichen Ideologie.

– Die „Staatschrift“

Die sachliche Schrift der „staatlichen Texte“ entspricht dessen Strebung nach Ordnung und Gehorsamkeit: Eva und der Wolf enthält staatliche Unterlagen, die teilweise Original-Photos sind und teilweise Reproduktionen. Die Reproduktionen werden mit einer ähnlichen Schrift (kleinen Buchstaben) geschrieben. Entsprechend dem Bild der staatlichen Ideologie, deutet die Wahl dieser kleineren und engeren Buchstaben auf die Härte und auf die von dem Staat verursachte Beklemmung der Gedanken an. Diese Schrift ist rückgratlos und steht deswegen zur Handschrift in unmittelbarerem Gegensatz. Die Handschrift ist jedem Menschen eigen und zeugt von gewissen Charakterzügen und Emotionen des Autors, wenn er schreibt. Diese Opposition gibt den Kampf zwischen Staatsapparat und individuellem Willen wieder, zwischen Kunst und Diktatur, mittels des Buchstabens.

Man bemerkt zwei Buchstabensgrößen, die mit dem Staat assoziiert werden: Die häufigsten sind die ganz kleinen, womit die Stasi-Berichte geschrieben wurden. Und die „IM-Buchstaben“ genannt werden können. Diese Texte sind schwieriger zu lesen, weil die Buchstaben eng aneinander gereiht sind. Die Stasi-Berichte wurden ursprünglich mit dieser Schrift aber wahrscheinlich nicht in der Schriftgröße geschrieben, aber im Buch sind sie verkleinert worden, vielleicht aus praktischen Gründen. Auf jeden Fall deuten sie auf das Gefühl der Unterdrückung hin, die Last der SED soll spürbar gemacht werden: dies erinnert den Leser an das Erstickungs gefühl, das der SED-Apparat seiner Bevölkerung aufgezwungen hat. Durch diese Schriftart, wird eine bestimmte Wirkung erzeugt – ähnlich wie rhetorische Mittel.

Als Eva-Maria Hagen an Honecker schreibt, in der kindlichen Hoffnung, die Entscheidung über die Ausbürgerung Biermanns rückgängig zu machen, wird die Schrift kleiner als die Hauptbuchstaben der „üblichen“ Schrift, bleibt größer als die „IM-Buchstaben“ und der Brief wird in einen Kasten gestellt.[93] Es scheint so, als hätte sich Eva-Maria Hagen ausnahmsweise und freiwillig – wenn auch ungern – dem aufgezwungen Rahmen des Systems angepasst, damit ihr Brief überhaupt berücksichtigt wird. Sie hat sich dem System jedoch nicht unterworfen. Die mittleren Druckbuchstaben wirken im Gegensatz zu den kleineren zwar wie ein halbes Zugeständnis, doch der Inhalt spricht eine Sprache für sich. Und es ist ein verzweifelter Versuch ist, Biermann zu retten.

2.7 Ein Werk mit literarischem Anspruch ?

Der Wortschatz Eva Maria Hagens – wir werden dies im 4. Kapitel unserer Analyse darstellen – ist besonders reich und ihr Stil sehr bunt. Das teils literarische, teils umgangssprachliche aber immer geist- und abwechs lungs reiche Sprachniveau steht im Kreis Biermann-Hagen im Gegensatz zu dem des MfS, deren Redensart sehr peinlich-deskriptiv aber auf ihre Weise auch sehr narrativ ist. Zur Ausdrucksweise der Stasi gehört die Anwendung zahlreicher Konjunktive I, was sehr hypothetisch wirkt, da die Kette der Informanten nicht immer zuverlässige Informationen zu liefern scheint. Viele Vermutungen oder Interprätationen der Spitzel gelten seitens des Staates nicht desto trotz als Wahrheiten. Wir werden im vierten Kapitel unserer Analyse die Gelegenheit haben, den Wechsel des Erzählers zu besprechen, sowie die Qualität der von der Stasi gesammelten Informationen.

Hagen verleiht ihren Briefen durch ihre Kunst des Briefschreibens eine besondere Stimmung, da sie zahlreiche literarische Mittel anwendet, die normalerweise eher dem literarischen Schaffen vorbehalten sind, wie zum Beispiel Auslassungen, Wortfelder oder eine hohe Metapherdichte. Ihr Wortschatz ist immer sehr reich aber ihre Sprachebenen reichen – wie in modernen Romanen – von Umgangsprache bis zur literarischen Sprache, Ebenen die sie mit ausgesuchtem Wortschatz, mit Witz und Talent miteinander verstrickt. Dieses kontinuierliche Bemühen um Stil fällt einem umso stärker auf, als man sich in einem privaten Brief normalerweise nicht immer besonders bemüht, dichterisch zu schreiben. Das Buch Eva und der Wolf wurde nicht zufällig mit der „Carl-Zuckmayer-Medaille“ ausgezeichnet.

Die Originalität des Buches lässt sich auf allen Ebenen der Struktur des Werkes beobachten und beansprucht deswegen die Sinne des Lesers viel mehr als eine übliche Biographie. Einerseits nimmt das Visuelle einen wesentlichen Teil des Buches ein und spielt somit eine wichtige Rolle, indem es manchmal den eigentlichen roten Faden ausmacht. Dabei haben die bestehenden Lücken wahrscheinlich die erwünschte Wirkung, das heißt ein unvollständiges Gedächtnis darzustellen, das keinem linearen Gedankenfluss folgt, sondern Momentaufnahmen, Augenblicken eines Erinnerungsalbums ähnelt. Möglicherweise zielen aber die Lücken auch auf das Bewahren eines Teils des Mysteriums ab oder auf den Schutz des Privatlebens von Menschen (einige IMs waren wohl enge Freunde), eine bestimmter Schamhaftigkeit. Die Auswahl der Dokumente war auf keinen Fall objektiv.

Anderseits fordert die ständige, oft überraschende Abwechslung des Stils, des Erzählers und der künstlerischen Mittel das Interesse des Lesers, der, wie in einer Achterbahn, ständig von einer Umwelt in die andere gedrängt wird. Hagen stellt kommentarlos ihre Erinnerungen und Gedanken dar und weckt somit die Neugier des Lesers, dessen außergewöhnlicher und quasi interaktiver Beitrag zur Vollendung der Geschichte des Buches gehört.

Außerdem unterstützt die Struktur und die Originalität des Buches die Aussage, Eva Maria Hagen hätte keinen Anspruch auf absolute Wahrheit, da sie weder nach einer Rechtfertigung oder einer Erklärung der Ereignisse strebe, noch eine Beziehung zwischen Ursache und Wirkung herzustellen versuche. Der literarische Anspruch ihres Werkes wächst auch gerade durch den „Rekonstrukteur“, dem avancierten Leser der Werkes, der Art und Weise, das als ein Hauptmerkmal der modernen Literatur gilt.


3. Der Titel und die Kapiteltitel

Als Teil des Peritextes spielen der Titel und die Kapiteltitel sowie -untertitel eine aussagekräftige Rolle: Einerseits weil sie den ersten Überblick, eine Zusammenfassung des nachfolgenden Textes geben, eine Information vermitteln, andererseits, weil sie eine bestimmte Stimmung schaffen, indem sie manchmal eine doppelte Bedeutung haben oder eine verborgene Botschaft oder Andeutung enthalten, die eine Untersuchung wert ist.

3.1 Eva und der Wolf: Ein Märchentitel?

Wenn der Leser zum ersten Mal das Buch in die Hände bekommt, muss er sofort an Peter und der Wolf denken. Der Titel Eva und der Wolf zieht Nutzen aus der zufälligen Tatsache, dass Biermann mit Vornamen „Wolf“ heißt. Der Titel des Buches enthält auch die Gegenüberstellung zwischen dem Bösen und dem Guten, aber dieses Mal ist es der Staat, der die Moral vorschreibt. Der Titel eines Märchens ist immer schlicht und enthüllt fast immer den Namen des Hauptprotagonisten und/oder den Kern der Handlung. Weiterhin besteht die Hauptfunktion eines Märchens darin, eine Lehre, eine Moral oder edelmütige Werte darzustellen, wobei die Gegner dieser Werte oft in einem Wolf verkörpert sind. In Märchen steht der Wolf oft für den gefährlichen Räuber, der das harmlose Opfer töten – oder schänden – will.

Der Titel des Buches gehört gleichzeitig zum Paratext (bzw. Peritext) und zum Hypertext, indem er eine eindeutige Anspielung auf das musikalische Märchen Prokofjews ist. Es besteht eine unleugbare ironische Parallele zwischen dem Märchen und dem Buch Eva und der Wolf: In Peter und der Wolf geht es um den hungrigen Wolf, der Peters Ente schluckt, der aber am liebsten Peter fressen würde. Ohne zu gehorchen, geht Peter auf die Jagd nach dem Wolf und fängt ihn. Einerseits ist es der SED-Apparat, der festgestellt hat, Biermann sei böse, und Eva das „harmlose“ Kind aus dem Volk. Biermann, wie der Wolf, wolle nicht nur den Staat angreifen, sondern auch das Beste daraus für sich haben, das heißt das Kind aus dem Volk. Anderseits wird Eva – wie Peter – ungehorsam (also doch nicht so harmlos) und tut, was sie für richtig hält. Also liegt die Ironie des Titels darin, dass Hagen die Verleumdung Biermanns durch den Staat anscheinend übernimmt, indem sie Biermann mit dem bösen Wolf Peter und der Wolf vergleicht, während jedem klar sein soll, dass Biermann eigentlich ein Opfer der Stasi des Systems ist.

Es ist weniger das traurige Ende der Geschichte Biermann-Hagen im Vergleich zu dem Ende von Peter und der Wolf als die brisante Tatsache, dass die Biermann-Hagen- Geschichte eine grausame menschliche Erfahrung ist und kein Märchen, keine Erfindung eines wohlwollenden Künstlers, die die bittere Ironie ausmacht. Diese Ironie wird bis in die ersten Briefe weitergetrieben, auf die wir später zurückkommen. Es ist auch ein sarkastischer Vorwurf an die SED und seine Vorstellung, die DDR sei ein fast paradiesisches märchenhaftes Land.

3.2 Die Kapiteltitel

Das Buch besteht aus neun Teilen, mit denen jeweils ein Datum oder eine Zeitspanne sowie ein Bild verbunden werden. Nochmals erinnert ein solches Seitenlayout den Leser an ein Familienalbum, wo die Trennung zwischen den Zeitabschnitten sorgfältig markiert wird. Obwohl nicht alle Titel sich so ergiebig kommentieren lassen, wollten wir uns mit den Kapiteltiteln und deren unmittelbaren Peritext befassen.

3.2.1 Einführende Bemerkung zu Religion und Namen

Auffällig sind in zahlreichen Kapiteln die christlichen Metaphern, die dem Buch eine besondere Dimension verleihen. Auch wenn sie nicht im Vordergrund von Hagens Leben stand, übte die Religion doch einen gewissen Einfluss auf sie aus. Was sie von der Kirche hält, als religiöse Institution aber auch als „Dach“ für gesellschaftliche Veranstaltungen, lautet wie folgt:

Als Kind glaubte ich an den Lieben Gott, bin katholisch erzogen worden, habe gebetet, bin konfirmiert, dann wurde uns der Genosse Stalin als wahrer Gott vorgesetzt. Ich unterhalte mich gern mit klugen Theologen, mag Stille und Andacht in alten Kirchen, erbauliche Predigten. Die Kirche hat mich im Laufe der letzten Jahre sogar öfter zu Konzerten, Lesungen, sogar zu Vorträgen, Symposien eingeladen, z. B. zum Thema „Kindheiten“, „Liebe und Alltag“ u.s.w.[94]

Wir können daraus interpretieren, dass Hagen die Rolle der Kirche in ihrem Leben anerkennt und dass sie ihr dankbar ist. Jedoch weigert sie sich, sich Katholikin zu nennen. Möglicherweise schätzt Hagen die spirituelle Weisheit und die philosophischen Aspekte, die mit der Religion verbunden sind. Womöglich stört sie aber der Anspruch auf absolute Wahrheit der Institution, genau wie beim SED-Staat. Wir werden diesen Aspekt der Kirche in dem Kapitel 4.6 unserer Analyse ausarbeiten.

Der Ursprung des Vornamens Eva-Maria verrät auch einiges über die Stellung ihrer Familie gegenüber der Kirche. Unter Berücksichtigung von den Umständen ihrer Geburt – sie war ein unerwünschtes Kind und wurde von dem Mann ihrer Mutter adoptiert – sollte der Doppelname „Eva-Maria“, ihrer Großmutter nach, ihre Seele im Gleichgewicht halten[95]. Deswegen bezieht sich Hagen mehrmals im Lauf des Buches Eva und der Wolf andeutungsweise an die „Eva“ und die „Maria“ in ihr, als ob sie eine doppelte Persönlichkeit hätte.

3.2.2 Was im Anfang war : Der Biss in den Apfel 1965 – 1966 (S. 6 – 95)

Der Titel „Der Biss in den Apfel“ bezieht sich direkt auf die Genese. Die Parallele zwischen dem Anfang des alten Testaments und dem Anfang der Beziehung wird dadurch gleich betont.

3.2.2.1 Die Genese als Intertext

Zu allererst sollen wir uns an die mehrdeutige Symbolik des Apfels in der Genese erinnern. Er ist die Frucht, die auf dem Baum der Erkenntnis wächst und er wird oft mit der Versuchung durch das Böse gleichgesetzt wächst. Auf spiritueller Ebene steht der Baum der Erkenntnis metaphorisch für das Wissen, das Menschen zwingt, über ihre Umgebung zu urteilen. Also zwingen die Äpfel Biermann und Hagen metaphorisch, die Ungerechtigkeiten in der Welt, sowie den Unterschied zwischen Gutem und Bösem zu erkennen. Und dass er aus der Hand Hagens die Äpfel isst, deutet darauf hin, dass Hagen wie Eva, die Verursacherin dieser Erkenntnis ist. Mit der Erklärung des Doppelnamens Eva-Maria im Gedanken, wollen wir mit folgendem Zitat Biermanns herangehen:

Ich liebe Dich, Eva, weil ich die Äpfel der Erkenntnis pfundweise aus Deinen Händen essen will; Ich liebe dich, Maria, weil ich Dir ein Kind machen will, das die Welt erlöst, ich liebe Dich, weil ich Gott bin und Adam und Joseph, der Trottel[96].

Auf Lateinisch heißt Apfel übrigens malus, was wiederum auch‚ das Böse’ heißt. Trotz Gottes Verbot, die Frucht zu essen, beißen Adam und Eva doch in den Apfel. Symbolisch gilt diese Gebärde als eine Rebellion gegen Gott. Mit dem Essen der verbotenen Frucht erlangen Adam und Eva Zeugungsfähigkeit, müssen aber ums Leben kämpfen. Sie nehmen damit nicht nur ihre Nacktheit zur Kenntnis, sondern erlangen die Fähigkeit, Leben zu schaffen. Sie müssen aber aus dem Paradies vertrieben werden, weil sie sich anmaßen, Gott zu ersetzen.

Einerseits ist Eva die Versucherin, die das Gesetzt bricht. Biermann teilt die Schuld mit ihr, die traditionellerweise Eva zugewiesen ist und macht sich damit ebenso „schuldig“. Anderseits ist Maria die Schöpferin und Retterin, die durch ihre Zeugung die Welt retten kann, bzw. Gott ersetzen kann, indem sie erlösendes Leben schafft. Das Kind kann man doch als Schöpfung im breiten Sinn verstehen, sei es auf der Ebene der Kunst oder der Gedanken. Aber dann setzt Biermann fort und behauptet, er sei Gott, Adam und Joseph, der Trottel. Er sei Gott, weil er selber schaffen kann – das heißt er sei frei, kann Kunst schaffen, Gedanken oder Meinungen sich ausdenken und Adam, weil er die Versuchung nicht widerstehen kann. Was Biermann mit „Joseph der Trottel“ meint, ist nicht klar, vielleicht deutet er an Joseph sei betrogener Mann? Nun kann diese Metapher aber auch auf staatliche Ebene übertragen werden.

Weiterhin kann aber auch der Biss in den Apfel als die Erwachung Hagens betrachten werden, da Hagen viel von Biermann in politischer Hinsicht gelernt hat, wie wir es in unseren Kapiteln 1.3 gesehen haben und später auch in 4.1 sehen werden.

In diesen Fall kann der Apfel aber für eine verbotene und bedrohte Liebe stehen, die das Bewusstsein des DDR-Volkes (die Äpfel der Erkenntnis) durch das „Kind aus dem Volke“ – Eva-Maria Hagen – wecken konnte: „Der Biss in den Apfel“ verkörpert die für den Staat bedrohende Verknüpfung von zwei sich ergänzenden starken Persönlichkeiten, die die vom Staat erwünschte Ordnung auf die Probe stellten. Denn auch das Paar Biermann-Hagen wurde sich seiner Fähigkeit, „Leben“ zu schaffen, bewusst – vor allem im künstlerischen Sinn als freie kreative Menschen –, oder seiner Fähigkeit, einen eigenen Willen zu behaupten und den allmächtigen und allwissenden Staat in Frage zu stellen. Durch ihre Verbindung erfahren sie – ähnlich wie Adam und Eva mit Gott – wie man zum Menschwerden sich vom „Vater-Staat“ emanzipieren muss.

Aus dem Titel entsteht allerdings ein unterschwelliger Vergleich zwischen dem SED-Staat und Gott. Die Geschichtswissenschaft in kommunistischen Staaten hatte den Anspruch auf absolute Wahrheit, was an den Absolutheitsanspruch vieler religiösen Doktrinen erinnern kann. Tatsächlich hatte der Personenkult um Stalin in der Sowjetunion und in anderen kommunistischen Ländern die Religion weitgehend ersetzt, die – sofern sie nicht verschwunden war – entweder instrumentalisiert wurde oder als feindliche Aktivität ins Visier des Staates geriet. In der DDR hatte die SED die moralische Autorität der Kirche unverhohlen mit einer Reihe von Maßnahmen einschränken bzw. ersetzen wollen, u.a. mit der Einführung der Jugendweihe, die die Funktion einer geistigen „Einweihung“ in den Sozialismus hatte und die Konfirmierung ersetzen sollte, sowie mit der Einführung in den 50er Jahren der 10 Gebote der SED – die 10 Pflichten der DDR-Bürger[97]. Diese beiden Maßnahmen zielten darauf ab, die moralische Autorität der Kirche zu ersetzen.

Die Metapher der Bisses in den verbotenen Apfel verweist einerseits auf den Staat und den orthodoxen Marxismus-Leninismus als neue Verkörperung der absoluten Autorität, und anderseits auf die verbotene Liebe zwischen Eva-Maria Hagen und Wolf Biermann, die durch diesen „Biss“ bzw. durch das Bekenntnis zu ihrer neuen Beziehung ihre „Fähigkeiten“ als Menschen, Künstler und Bürger wahrnehmen – die aber auch aus ihrem Garten Eden, aus dem doch nicht so paradiesischen Kommunismus vertrieben werden, wie der Leser schon vermutet.

3.2.2.2 Das Bild im Bild

Das begleitende Bild zum Titel „der Biss in den Apfel“ zeigt den Oberkörper Biermanns, der auf einem Stuhl sitzt. An der Wand hinter ihm hängt ein zweites Bild, mit dem Paar Biermann-Hagen, auf dem Hagen neben Biermann steht, der selber Gitarre spielt. Im Hintergrund stehen Bäume und an einem von ihnen hängt ein Apfel – womöglich ein Apfel der Versuchung. Interessanterweise gehört der Apfel offensichtlich nicht zum Originalbild: Die Bildschärfe verrät eine Bearbeitung. Allerdings weiß man nicht, ob diese Fotomontage zeitgleich mit dem damaligen Bild entstanden war, oder ob es anhand des Computers anlässlich der Veröffentlichung des Buches gemacht wurde – was das Spiel mit dem Leser als „Vollender des Werkes“ noch stärkt und das Spiel mit den eingeschachtelten Erzählebenen unterstreicht.

3.2.3 Himmel und Hölle – 1967 (S. 96-149)

Dieser Kapiteltitel steht im Zug des vorigen Titels „Der Biss in den Apfel“, indem er mit der religiösen Andeutung fortfährt. Der Titel „Himmel und Hölle“ nimmt die Dichotomie zwischen Diktatur und Freiheit wieder auf, zwischen Hoffnung auf Gott und Begegnung mit dem Teufel, die im ersten Titel und im Zusammenhang mit dem Gedicht Biermanns „Kunststück“ zu finden war. Das Gedicht wendet übrigens das Bild von „Himmel und Hölle“ auch an. Dieser Kapiteltitel verkündet gleichzeitig das Glück der Zweisamkeit sowie die diktatorischen Erpressungen, die für das Paar Biermann-Hagen das Jahr 1967 besonders prägen, welches mit einem Selbstmordversuch Hagens kulminiert.

3.2.4 Ein Wendejahr? Im Osten geht die Sonne auf – 1968 (S. 150 – 193)

Dieser Kapiteltitel suggeriert dem Leser eine vielschichtige Idee: dank des gleichzeitigen Bezugs auf den politischen, religiösen und den geographischen Osten / Orient. Einerseits geht die Sonne naturgemäß im Osten auf, eine wissenschaftliche Tatsache, die metaphorisch auch als ein spirituelles Erwachen ausgelegt werden kann. Diese Interpretation bzw. Bedeutung entstammt orientalischen Kulturen. Anderseits, nüchtern betrachtet, kann der Kapiteltitel auch eine gesundheitliche Besserung beinhalten: Es ging 1968 Eva-Maria Hagen physisch und psychisch wieder viel besser, nachdem sie sich von einem Nervenzusammenbruch erholt hatte. Sie berichtet in diesem Kapitel sogar von einem „erfüllten Leben[98]“

Aber die naheliegendste Erklärung für den Titel ist der indirekte Hinweis auf die Geschehnisse in Prag. Wie wir in der Einführung gesehen haben, setzten die Ost-Deutschen sehr viel Hoffnung auf den „Prager Frühling“, auf ein besseres und gerechteres Leben in der DDR zu schaffen.

3.2.5 Zwischen theatralischer Illusion und realem Schmerz : die Titel für die

Jahre 1969-1974

- Provinztheater 1969 (S. 194 – 235)

Mit diesem Kapiteltitel verlässt Hagen vorläufig die religiöse Dimension zu Gunsten des Bezugs auf die Theaterwelt. Hier bezieht sich der Kapiteltitel erstrangig auf die Etappe der Karriere Hagens, nachdem sie gezwungen war, von der Leinwand herabsteigen und in Provinztheater tätig werden mußte. Das begleitende Bild zeigt Eva-Maria – wahrscheinlich als Eliza im Musical My Fair Lady, die ein Diadem wie eine Prinzessin trägt. Es zeugt – trotz der Degradierung ins Hinterland – von den Erfolgen und Hoffnungen Hagens, die keinesfalls verschwunden zu sein scheinen. Auch diese Etappe kann als erfolgreich bezeichnet werden. Dennoch deutet der Titel auch unleugbar auf die DDR als provinzielles Land, das mit seinen „zu bestrafenden“ Künstlern hart und plump umgeht, und sich damit selber ins Lächerliche zieht, indem es zur politischen – allerdings tragischen – Farce wird.

– Hinter den Kulissen – Winter, Frühling 1970 (S. 236 – 331)

Der nächste Kapiteltitel, auch mit der Theaterwelt verbunden, bezieht sich auf die Fortsetzung der Karriere Hagens, die nun Pistache in Can-Can interpretiert. Außerdem ist dieser Titel eine Andeutung auf das politische Machtspiel hinter den Kulissen des offiziell inszenierten DDR-Sozialismus, als am Ende der Ulbricht-Ära der Weg für seinen Nachfolger, Erich Honecker, geebnet wird.

- Achterwasser - Sommer 1970 (S. 332- 351)

Ohne tiefe Bedeutung scheint der nächste Titel zu sein, „Achterwasser“ ist ein bekanntes Surf- und Segelrevier und gehört zu Usedom, bei Ückeritz, wo Eva Maria Hagen den Sommer 1970 verbrachte und wo sie Biermann mehrere Briefe schrieb. Das begleitende Bild zeigt Biermann, der einsam aussieht, mit bewölktem Himmel im Hintergrund. Höchstens kann man den Titel als Anspielung auf die „Achterbahn“ der Gefühle und die ruhigen Wasser die es eben nicht immer sind, verstehen.

- Von Drachen und Wanzen – Herbst 1970 (S. 352 – 409)

Die Kapitel „Von Drachen und Wanzen“ enthält besonders viele IM-Berichte, offizielle Dokumente und Briefe an die Behörden, die zeigen, wie intensiv das Paar, das mal getrennt, mal wieder zusammen zu leben scheint, abgehört und abspioniert wurde. Der Begriff Drachen bezieht sich möglicherweise auf den monströsen, niederschmetternden Einfluss des Untieres Stasi. Allem Anschein nach kommt die Drachen Metapher aus der Bibel: Satan wird oft durch einen Drachen dargestellt. Man kann also eine Verbindung zwischen Satan und der Stasi erstellen, bzw. zwischen dem höllischen und dem politischen Untier. Außerdem wird am Ende des ersten Kapitels ein Gemälde aus Biermann dargestellt, wo ein Clown – Biermann als harmlosen Hofnarr – von einem dreiköpfigen Drachen beobachtet wird. Bei „Wanzen“ denkt man an ekelhafte Insekten, Parasiten, an widerliche Menschen und nicht zuletzt an kleine Abhörgeräte. Alle Bedeutungen lassen sich auf die Stasi anwenden.

- Herzschmerz 1973- 1974 (S. 410 – 425)

Das kürzeste Kapitel des ganzen Buches umreißt den Lebensabschnitt von Eva-Maria Hagen kurz nach der Trennung von Wolf Biermann. Dies ist eine besonders schwere Zeit für Hagen, da sie neben den privaten Schwierigkeiten auch von starken Arbeitseinschränkungen gekennzeichnet war. Auf einem Porträt aus dieser Zeit erscheint Hagen besonders traurig. Es gibt keine eindeutigen Belege für die Trennung des Paares außer ein Foto von Hagen und ihrer neuen Bekanntschaft. Weiterhin erwähnen mehrere Kurzbiographien, dass sich das Paar 1972 trennte.

Der Kapitel wurde bewusst Herzschmerz genannt, ein Begriff, der normalerweise keinen Zusammenhang zur Liebe hat, im Gegensatz etwa zu „Liebeskummer“. „Herzschmerz“ ist ein eher medizinischer Begriff, der eher an körperliche Krankheiten erinnert, der in dem Fall aber besonders gut auf das mehrfache – psychische und physische – Leiden Hagens hinweist.

– Die Abtreibung aus dem Paradies 1976-1977 (S.426 – 533)

Hier nimmt Hagen, um einen besonders schmerzhaften Zeitabschnitt ihres Lebens zu bezeichnen, die religiöse Metapher wieder auf,: ihre Ausbürgerung. Sie erklärt im Interview, die DDR sei ihre Heimat gewesen und bemerkt, die Ausbürgerung von 1977 habe sie als “zweite Vertreibung“ erlebt.

Andererseits waren die Wurzeln zum zweiten Mal gekappt worden, Bindungen zu Menschen, Freunden, der Heimat, denn ich durfte nach dem Krieg nicht in das Dorf zurück, woher ich ursprünglich stamme - und dann auch nicht mehr dorthin, wo wieder so etwas wie eine Heimat entstanden war, in die DDR; man scheuchte mich weg an der Grenze mit den Worten: Sie sind hier unerwünscht. Das war schon bitter.[99]

Auffällig ist in diesem Kapiteltitel, dass Hagen sich nicht für den Begriff Vertreibung, sondern Abtreibung entschieden hat. Sie betont dadurch das Brutale an dieser Ausbürgerung. Auch in anderen Texten, besonders im Lied “Ich leb’ mein Leben oder Ballade vom wiederholtem Abtreiben”, die Wolf Biermann 1980 für sie schrieb, bezeichnet Hagen ihre Ausbürgerung als eine Abtreibung (Abortion) und „als Ereignis von elementarer Gewalt, als tiefen schmerzlichen Verlust und Fall in eine dunkle Verlorenheit.“[100]

Man denkt hier an die Kinder-Eltern-Beziehung in Hagens Leben. Wir haben erwähnt, Hagen wäre ein unerwünschtes Kind gewesen: Ihre Mutter hatte bereits 1 Jahr zuvor einen Sohn geboren, unehelich, wünschte sich nun mit Leib und Seele eine Abtreibung[101]. Das latente Gefühl, unerwünscht zu sein, wird durch das Fallengelassenwerden durch “Väterchen” Staat bestätigt. Hagen, einst vorbildliches „Kind aus dem Volke“, wird vom allmächtigen „Übervater” Staat verstoßen, vor die Tür gesetzt.. Der Titel des letzten Kapitels verleiht dem ganzen Kapitel eine sehr drückende Stimmung, die die Grundfarbe ausmacht, die der Leser auch behält, wenn er das Buch zumacht.

Damit endet der theoretische Teil unserer Analyse. Wir haben genügend Kenntnisse über die Struktur, Symbolik und die Natur des Werkes gesammelt und erfassen können, um einen vielschichtigen Blick und der sich daraus ergebenden Betrachtungsweise über Inhalt und Form des erstens Kapitels, „Der Biss in den Apfel“, darlegen zu können.

4 Das allmähliche Erwachen als Grundlage des Werkes

In diesem Kapitel nutzen wir die Gelegenheit, die eingeführten Kenntnisse aus den ersten drei Kapiteln in Zusammenhang zu setzen. Die Ereignisse und Hagens Erfahrungen werden als Beispiele angeführt, um die geschichtlichen und literarischen Hintergründe aufzeigen zu können. Das informationsreiche erste Kapitel wurde exemplarisch ausgewählt, da es einerseits einen bedeutenden Zeitraum abdeckt, nämlich den des 11. Plenums, und da es anderseits eine reiche Symbolik enthält. So verstrickten sich in diesem Zeitraum die Symbolik der Märchen und die Symbolik des Apfels mit der allmählichen Wahrnehmung des Staates sowie mit der wachsenden Bedrohung, die in den Werken von Hagen widerspiegelt wird. Es findet somit eine Übertragung der realen Welt in das literarische Werk von Hagen statt.

Obwohl es Hagen immer klar gewesen ist, dass ihre Beziehung zu Biermann die Behörden in Unruhe versetzte, benahm sie sich frech und zuversichtlich. Sie machte gute Miene zum bösen Spiel, wissend und spürend, dass ihre Situation mit Biermann vom Anfang an problematisch war. Es scheint, als ob sie oft Märchenstil und –figuren in ihren Briefen verwendete, um sich über die Stasi lustig zu machen. Dies wirkt, als ob sie den Behörden zeigen wollte, sie sei darüber erhaben oder unbezwingbar. Das Paar Hagen-Biermann ließ sich nicht – noch nicht – vom Staat einschüchtern aber ihm blieb bewusst, dass es tatsächlich ins Visier des Staates geraten war, und dass ihre Post durchgelesen wurde.

Eben durch diese Post wird die Geschichte des Paares im ersten Teil meistens erzählt. Unmittelbar am Anfang wird der Ton des Buches angegeben: Die Briefe, die ausgewählt wurden, enthüllen neben verschiedenen Aspekten der Persönlichkeiten, viele politische Standpunkte. Die Korrespondenz des Paares zeigt schon im ersten Teil eine Steigerung von Frechheit und Unbekümmerheit bis zur Kraftprobe mit den Behörden. Eine Situation, die stufenweise immer gefährlicher wurde und die Wachsamkeit Hagens forderte. Wir werden uns mit diesen Entwicklungsphasen befassen, die im ersten Kapitel des Buches enthalten sind.

4.1 Die anfängliche Idylle

In dem Kapitel „Der Biss in den Apfel“ aus Eva und der Wolf vermischen sich die anscheinende Sorglosigkeit und das Groteske in der Form märchenhafter bzw. traumhafter Bilder. Das erste Kapitel fängt mit einem idyllischen Bild Eva-Maria Hagens an: Sie rennt über eine Wiese, das Gesicht voll freudiger Erwartung. Dieses klischeehafte Bild kommt zweifellos aus einem Film und deutet einerseits darauf hin, dass zu dieser Zeit die Karriere Hagens noch im Aufstieg war. Anderseits wirkt dieser positive Einstieg, das Bild des jungen Mädchens, wie eine märchenhafte Darstellung der perfekten Liebe, die visuelle Einführung für den kommenden Brief.

Die ersten Zeilen des ersten Teils beziehen sich auf die Liebe zwischen Eva-Maria Hagen und Wolf Biermann. Das folgende Zitat gibt dem Leser den Ton in Eva und der Wolf an, indem die Erotik und die idyllische Leidenschaft der Beziehung von Anfang an mit einem politischen Ton gemischt wird – mit einer Anspielung auf den Wettbewerb zwischen dem kapitalistischen und dem sozialistischen System – was die Originalität des Briefwechsels dieser Periode ausmacht:

Versteinerte Muscheln suchen, Glücksklee finden, im Strandcafé auseinander tanzen, ineinander versunken versinken....Du klärst mich über die Systeme und deren Unvereinbarkeit auf, ich hänge gottgläubig an Deinen Lippen und warte ab was sich ergibt, wenn die Nachtschleier fallen.[102]

Abgesehen von dem politischen Aspekt dieses Zitates, ist eine solche Vorstellung der Liebe, wenn nicht unbedingt märchenhaft, immerhin traumhaft und scheint aus einem Liebesroman zu stammen. Der literarische Wert dieser Stelle ist außerdem bemerkenswert und vereinigt zierlich Politik und Prosa.

Die erste Seite enthält wesentliche Informationen, die dem Leser wirksam vermittelt werden: Biermann ist derjenige, der den politischen Aspekt des Paares vertritt, während Hagen ihn mit ihrer leidenschaftlichen Natur ergänzte.

Wie den meisten DDR-Bürgern, aber im Gegensatz zu Biermann, fehlte Hagen das Engagement und die Bildung, um eine Schlüsselrolle in der politischen Landschaft zu spielen[103]. Das sollte sich aber schnell ändern, da sie dabei war, durch persönliche Erfahrung zu lernen. Die Beziehung implizierte, dass Hagen sich in politischen Streit einmischen musste, aber eins ist sicher: Eva Maria Hagen ließ sich nichts vorschreiben, nicht einmal von dem Staat. Genau in diesem Punkt treffen sich Biermann und Hagen. Die Dichtung Biermanns kam den Behörden schon vor seiner ersten Begegnung mit Hagen ungelegen, wie das Gedicht „Antrittsrede des Sänger“, 1963, es beweist.

4.2 Dornröschen und die 7 Spitzel: Die Stasi als Inbegriff des Grotesken?

Das Groteske im Verhalten der Stasi wurde oft hervorgehoben, da ein Großteil der Bevölkerung von den übertriebenen Verschwörungsverdächti gun gen wusste. Beim Lesen einer Stasiakte hat man häufig über den mechanisch wirkenden und komplizierten Wortschatz geschmunzelt, den die Stasi entwickelt hatte, um ihre Arbeit ernsthafter und bedeutender darzustellen, als sie eigentlich war. In dem ersten Kapitel betont Hagen diese grotesken Aspekte des Machtapparates. So kann sie die Behörden bis zu einem gewissen Punkt entschärfen, indem sie sie bloßstellt, und ihnen arroganterweise zu sagen scheint: „Ich weiß, wo ihr steht. Ich spiele mit, aber ich lasse mich nicht täuschen“

Über die Definition des Begriffes Groteske besteht kein Konsens: Entfremdung, Karnavalisierung, Paradox, Dekonstruktion[104] sind einige der Begriffe, die im Zusammenhang mit dem Grotesken angewendet wurden. Fest steht zumindest eines: Das Groteske besteht aus zwei Polen, einem oft tragischen bzw. ernsthaften Pol und einem oft lustigen bzw. leichten. Es zeigt die Grenze einer bestimmten Welt, mit Hilfe von Deformation, Übertreibung und Vermischung von zwei verschiedenen Stilen oder entgegensetzten Wirkungen. Das Lustige besteht darin, dass ein fremdes und/oder unpassendes Element ins Tragische eingeführt wird. Dadurch wird das Tragische lächerlich bzw. grotesk.[105]

Also berufen sich Hagen und Biermann am Anfang oft auf ironische Weise auf die Stasi und betont damit das Groteske ihrer Natur, wie hier, im folgenden Zitat, wo Stasi und Märchenstil eng mit einander verstrickt sind und damit die Gegenüberstellung zwischen Märchen und Stasi stärker machen.

Nebenan im Wäldchen, besser gesagt: gepflegter Parkanlage, ruht sich die Staatssicherheit aus von ihrer Schwerarbeit untertage, dem Schichtbetrieb rund um die Uhr, hat mir der gute Geist des Hauses, die Küchenfee, geflüstert. Man sieht aber nichts, zu dichter Baumbestand, widerborstig in-sich-verkrallte Hecken. Dornröschen schläft da aber bestimmt nicht, um wachgeküßt zu werden.[106]

Das Bild der Stasi, das der Leser bekommt, ist zweifellos grotesk. Der Begriff „Wäldchen“ ist niedlicher und entzückender als ein einfacher „Wald“. Wäldchen steht außerdem in Widerspruch zu den Begriffen „gepflegter Parkanlage“. „Wäldchen“ steht am Pol des Märchens und „gepflegter Parkanlage“ steht am Pol der ernsthaften Realität. Aus der Diskrepanz zwischen den Polen entsteht eine groteske Wirkung.

Genauso geht es mit Ausdrücken wie „Schwerarbeit untertage“ und „Schichtbetrieb“, die zu einem Bergwerk oder zur „Arbeitersprache“ der DDR gehören. In diesem Kontext erinnern sie den Leser zwar an Schneewittchens 7 Zwerge, aber auch daran, dass die Stasi – und deren „Arbeiter“ – sich als “Schild und Schwert“ der Partei verstand, die sich wiederum als „Vorhut der Arbeiterklasse“ sah. Damit integriert sie ironischerweise den Bauern- und Arbeiterstaat – welcher zum ernsthaften bzw. tragischen Pol gehört – in das Märchen, welches am traumhaften Pol steht. Das Traumhafte verzerrt den diktatorischen Aspekt des Arbeiter- und Bauerstaates und gerade deswegen kann man behaupten, dass das Zitat grotesk wirkt.

Der „gute Geist des Hauses“ und die „Küchenfee“ sind ironische Fälschungen von Märchenfiguren, die in Märchen normalerweise als „Betreuer“ oder „Beschützer“ der Hauptfiguren vorkommen. Mit dem Spitznamen der Stasi im Hinterkopf – „Schild und Schwert der Partei“ – versteht man, dass Hagen sie lächerlich macht, indem sie den Spitzeln freundliche Absichten unterstellt. Das Verb „flüstern“ ist auch ironisch, da es eigentlich Eva-Maria Hagen kein Geheimnis ist, dass sie zu Hause beobachtet wird. Sie betont die bösen Absichten der Stasi mit der Dornröschen-Figur, die sie der Stasi gegenüberstellt. Mittels der Formulierung „widerborstig in-sich-verkrallte Hecken“ unterstreicht sie die Diskrepanz zwischen der Reinheit Dornröschens und der Arglist und Unerbittlichkeit der Stasi als kollektives Wesen. Diese groteske Erniedrigung der Stasi zielte darauf ab, die Bedrohung zu verdrängen und dabei die Stasi nicht wahrhaben zu müssen.

Wegen solcher Stellen habe ich Hagen gefragt, ob sie gewusst hat, dass die Stasi sie überwachte. Sie antwortete:

Gewußt nicht, geahnt, teils gespürt, Machtlosigkeit und Demütigungen erlebt in alltäglichen Dingen. Der Umgang damit? Ignorieren, Verdrängen, mit List umzugehen, meine Popularität ausnutzend, durch Diskutieren, Frechsein. Dann der Glaube daran, daß überall Menschen zugange sind, die nicht nur entweder gut oder böse sind, sie dazu verführen, zuzuhören, sie anzustecken mit meiner Unerschrockenheit, Furchtlosigkeit. Das ist mir oft gelungen.[107]

Unter dieses neue Licht kann man eine weitere Bemerkung stellen: über diese Märchenfiguren – die Küchenfee und der Gute Geist des Hauses – die man angeblich nur zu spüren bekommt. Sie sind eine Verkörperung des Gefühls Hagens, beobachtet zu sein. Wir haben auch ein gutes Beispiel für den frechen Umgang Hagens mit den Spitzeln. Die Verführungsaspekte werden wir in Kapitel 4.5 besprechen. Wir werden zunächst im Kapitel 4.3 „Eiertanz bei den Mächtigen“ die Gelegenheit haben, den dritten Teil des Zitates darzustellen, indem wir Hagens Verhalten auf der Bühne besprechen werden und mit Hochgradierten der staatlichen Macht.

4.3 Eiertanz bei den Mächtigen

Bekanntlich genießen in fast jedem politischen System der Welt Prominente gewisse Privilegien. Man könnte denken, dass es in einer offiziell genannten „klassenlosen Gesellschaft“ anders sein könnte bzw. sollte. Die Frage der Privilegien spielt in Eva und der Wolf eine gewisse Rolle. Zwischen Juli und November 1965 – die Zeitspanne, wovon nun die Rede ist – verschärfte sich die Frage nach dem bevorstehenden Nachlassen der Privilegien von Hagen selbst. Deswegen habe ich Hagen gefragt, ob sie als prominente Persönlichkeit gewisse Privilegien genoss:

Einladungen von VEB´s, (volkseigene Betriebe) und Klubhäuser zu Festen, Gedenktagen, ins Gästehaus der Gewerkschaft an der Ostsee. Und wenn man das Geld zusammen hatte, früher ein Auto als ein „Normal-Sterblicher“, ich den weißen Skoda-Sport „Felicitas“ zum Beispiel. Aber dieses Verhätscheln hatte auch Nachteile: Man war ständig im Blickpunkt, ein Stück lebendes Volkseigentum zum Anfassen und Bewundern. Aber wehe, man hatte eine von der Linie der Partei abweichende Haltung oder äußerte sich kritisch ... da verstanden die Genossen keinen Spaß.[108]

Die folgenden, im Buch erwähnten Feste veranschaulichen das „Verhätscheln“, besprechen von dem die Rede ist. Erwartet von Hagen wurde, dass sie lächelt, singt, die Partei unterstützt, tanzt...und viel mehr. Weil Hagen die Gelegenheiten benutzt, ihren eigenen und Biermanns Standpunkt zu vertreten und weil sie die verlangte Gegenleistung zu ihrem Berühmtsein ablehnt, wird Hagen rasch in ihre Schranken verwiesen.

Allerdings machte sich Hagen nicht nur lustig über die Stasi, sie provozierte auch kämpferisch und verführerisch die Behörden, die sie eigentlich nur unterhalten sollte. Die Stelle, mit der wir uns nun auseinandersetzen, kennzeichnet den Wendepunkt in den Verhältnissen zwischen Hagen und der Macht, die Kriegserklärung Hagens an die Behörden. Nicht nur benutzte Hagen zum ersten Mal ihre Bühne, um einen politischen Standpunkt auszudrücken, sondern sie bot den Behörden auch mehrmals die Stirn.[109]

Die zwei Briefe, bzw. Ereignisse, den wir gleich besprechen werden, sind ohne Zweifel der Auslöser für die Wende in der Beziehung Hagens mit der DDR-Führung. Auf zwei Festen ist Hagen den mächtigen Herren der DDR begegnet. Das erste Fest im „Elephanten“ beschrieb sie in einem Brief, den sie in Berlin am 13. Juli 1965 verfasste. Das zweite Fest beschrieb sie aus Reinhardsbrunn am 22. Oktober 1965, also drei Monate später. Allerdings hat man den Eindruck, dass die Einschränkungen die anlässlich des zweiten Fest eingeführt wurden, eine Konsequenz der ersten sind.

4.3.1 Der Kraftprobe mit Parteifunktionär Sindermann

Anlässlich des Besuchs wichtiger Vertreter der Militäreinheiten sämtlicher kommunistischer Staaten wurde Hagen eingeladen, um einige Lieder zu singen. Sie schrieb Biermann einen Brief, wo sie erzählte, was an diesem Abend geschah: Sie wurde erstmal der politischen Elite vorgestellt, dann sang sie wie erwartet. Doch obwohl der „Genehmiger“ Hagen verboten hatte, Lieder von Biermann zu interpretieren[110], trug sie ungehorsam dessen provokatives Lied „Kunststück“[111] vor.

Um die Schärfe des Kommentars Hagens zu verstehen, ist es zweckmäßig zu wissen, wer Horst Sindermann war. Sindermann wurde während des Krieges mehrmals wegen anti-nationalsozialistischer Aktivitäten inhaftiert und wurde nach dem Krieg Mitglied der KPD. Einst Chefredakteur verschiedener Zeitungen – der „Sächsischen Volkszeitung“, der „Volksstimme“ und der „Freiheit“ –, war er zu dieser Zeit unter anderem der Erste Sekretär der SED-Bezirksleitung Halle[112] und für die Auftritte Hagens zuständig. Er mischte sich außerdem in die Debatte über die Filmproduktionen in den fünfziger und sechziger Jahren ein. [113]

Hagen stellte das Lied wie folgt vor:

›Genosse Sindermann, Ihr Steckenpferd ist die Kultur. Sie haben ein offenes Herz für die Kunst. Passen Sie auf! Ich bring was von einem Dichter unserer Zeit, den ich schätzte und verehre. Mal sehen, ob Sie rauskriegen, wer gemeint ist.‹ Ich sagte ›Kunststück‹[114]

Man kann sich vorstellen, mit welcher anmutigen Art Hagen sich ausgedrückt hat, als sie Sindermann verhöhnte. Bestimmt darf ein ehemaliger Chefredakteur kein Amateur sein, was die Kultur angeht, wie der Begriff „Steckenpferd“ es impliziert. Es besteht auch ein leichter Spott, als Hagen sich auf das „offene Herz“ Sindermanns bezieht, wenn man weiß, dass Sindermann zwischen 1954 und 1963 Abteilungsleiter für Agitation und Propaganda im Zentralkomitee der SED gewesen war.[115] Außerdem war sich Hagen dessen bewusst, dass Sindermann wusste, wer Biermann war – wie er es nach dem Lied bestätigte,[116] und eben darin liegt der Hohn. Dann fängt sie an, das Lied zu singen:

Bei der Stelle ›Und spendier Stalin ein Bier‹ hatte sich der Raum hörbar elektrisch aufgeladen, es knisterte vor Hochspannung zwischen mir und dem Pulk.[...] Verner stampfte auf wie Rumpelstilzchen, drehte sich um die eigene Achse, giftete zähneknirschend: ›Nicht zu fassen!‹ [dann] sah er befehlshaberisch in die Runde und schluckte schließlich die Kröte, als keines der Mitglieder der Regierung Anstalten machte, seine Gedanken in die Tat umsetzten zu lassen.

Stroph lächelte gelassen, doch seine Augen waren kaltwach und beobachtend. Einer sagte jovial [...] ›Wir sind doch keine Stalinisten‹ Er meinte damit wohl, daß man so was ruhig laut sagen darf, ohne fürchten zu müssen, deswegen auf die Schwarze Liste zu kommen.

Alle waren angegangen, hatten Schwitznacken, eine feuchte Aussprache, redeten durcheinander und aufeinander ein [...] Sie gaben sich tolerant, humorig, selbstgefällig.[117]

Zum ersten Mal veranstaltete Hagen selbst eine mächtige Unruhe innerhalb der höheren Sphären des Machtapparats. Hier ist die Reaktion des „Pulks“ bemerkenswert: Das Lied störte sehr, doch keiner machte etwas, als könnte sich die DDR – noch – nicht leisten, Imageschäden zu erleiden, indem sie die Hofnärrin zu früh unterbricht.

Es lohnt sich, die Sprache Hagens zu besprechen. Das Wort „Pulk“ ist besonders angebracht, weil es auf zwei Ebenen verstanden wird. Einerseits bezieht es sich auf eine große Menge Menschen, die sehr nah beieinander stehen. Es bezieht sich anderseits auf militärische Verbände von Kampfflugzeugen oder –fahrzeugen, was an die militärischen Aspekte des Lebens in der DDR erinnert. Es ist auch keine schmeichelhafte Andeutung an den Beruf ihres Publikums. Was der Ausdruck „feuchte Sprache“ betrifft, ist er typisch für die bildhafte Sprache Hagens und legt einfach nahe, dass die Herren alkoholisiert waren und mit entsprechender Aussprache und entsprechendem Ton sich ausdrückten.

Trotz der anscheinend ausgebliebenen Reaktion des Pulkes ließen schon am folgenden Tag die Privilegien für Hagen nach: Sie durfte nicht ins Hotel, das für Zivilbevölkerung gesperrt war und die feinen Leckereien, die den Künstlern normalerweise angeboten wurden, waren ihr nicht gestattet. Man muss dazu sagen, dass Hagen als Schauspielerin an einen gewissen Luxus gewöhnt war und dass sie es genoss[118]. Also war es für sie eine Überraschung, wenn nicht eine Beleidigung, aus der elitären Gesellschaft wie ein Kind, das man bestrafen möchte, ausgeschlossen zu werden.

Die Künstler bekamen dann eine Ermahnung zur Disziplin, die Hagen als „militärisch“ bezeichnet. Bei der Gelegenheit schrieb Hagen: „Da knallte meine Hand auf’n Tisch und der Satz: Da hört sich ja doch alles auf! – gleich hinterher.“[119] Dieses Verhalten sollte nicht folgenlos bleiben.

Etwa drei Monate später beschreibt sie ein weiteres Fest mit der politischen Führung der SED. Sie erzählt von den Folgen ihrer Reaktion auf die Ermahnung zur Disziplin: Hagen fühlte sich „verschaukelt und unter aller Sau behandelt“, weil die Unterhalter in einem „provisorischem Nebengelaß“ und „wie Zaungäste einquartiert“ wurden. Sie durften „laut Protokoll“ nicht tanzen, was sie als „groteske Folgen“ bezeichnete[120]. Sie beschreibt die Haltung der Herren gegenüber den auftretenden Künstlern als folgende:

„Und wenn die Herrn schauen wollen, schauen sie und wenn sie essen wollen, dann nagen sie am Schenkel vom Fasen. Trotzdem waren sie gnädig, taten volksverbunden und spendeten mehr oder weniger emphatisch Applaus.“[121]

Von dort, wo Hagen stand, als sie die obenstehende Beobachtung machte, hatte sie einen Überblick über den Saal. Sie sah, wie die Elite der „klassenloser Gesellschaft“ den Luxus genoss. Es gab ein Streuprogramm: Viel zu Essen und ein reichhaltiges Kulturprogramm. Sie beschreibt verdrießlich und ironisch („Sie waren gnädig“) die respektlose Haltung der Herren der SED gegenüber den Künstlern, die sie sarkastisch als „appetitanregend“ beschreibt. Als Künstlerin ist sie von der Gleichgültigkeit dieser Herren beleidigt. Sie hebt die Heuchlerei der vermeintlichen sozialistischen Herren hervor, die „volksverbunden taten“, aber eigentlich nur Desinteresse zeigen.

Dieser gesamte Überblick kann als Einführung für die Erzählung ihrer Begegnung mit besonders prominenten und hochgestellten Persönlichkeiten betrachtet werden.

4.3.2 Honecker, Schnitzler und Co. oder wie die DDR-Prominenz Hagens unwiderstehlichem Charme erliegt

Es ist für den Leser wesentlich zu verstehen, inwieweit die Künstler damals zwischen zwei Stühlen saßen, besonders in den Situationen, die gleich besprochen werden. Die Künstler und Prominenten sollten ein System mehr oder weniger unterstützen – bzw. auf keinen Fall opponieren – dessen Ungerechtigkeiten ihnen klar waren. Doch wenn sie eine Lebensqualität erhalten oder überhaupt arbeiten wollten, mussten sie ihre Augen vor wiederholtem Unbill und dubiösen Handlungen verschließen, und zwar nicht nur als Zeugen, sondern auch als Geschädigte.

Einige ließen sich sogar gern in das Apparatssystem eingliedern und von ihm zu propagandistischen Zwecken benutzen, um den Apparat zu fördern – wie Eduard von Schnitzler und seinen „Schwarzen Kanal“.

Im Fall Hagens ist es ihre Schönheit, die sie paradoxerweise verletzbar machte, sie aber gleichzeitig vor sofortiger Zensur schützte. Solange sie sich mit Singen und Schauspielern zufrieden gab, da sie schön und talentiert war, war sie im Kreis der Mächtigen gern als Amüsement akzeptiert und bekam als Gegenleistung eine reichliche Begünstigung. Gewiss wurde sie wegen ihrem Verhalten im „Elephanten“ gerügt, doch nicht sofort verstoßen. Aber nun musste sie sich ihr Lager aussuchen, da was von ihr verlangt wurde, mehr als Schauspielen war: Dieses Mal musste sie einsehen, dass der Luxus, den sie einst so gern genoss, seinen Preis hatte.

Wenn wir weiter die Reaktion Hagens auf die Ungerechtigkeiten besprechen, werden wir uns gleichzeitig mit dem Aspekt des Amtsmiss brauchs auseinandersetzen, der nicht nur Instrumentalisierung der Kunst und der Prominenten bedeuten kann, sondern auch eine leichte bis starke sexuelle Belästigung.

4.3.2.1 Honeckers zweideutiger Blick

In folgenden Teilen des Briefes teilt Hagen Biermann ihre Empörung mit, da sie unter dem Eindruck steht, ein Teil der „Leckerei“ zu sein: Es fiel ihr auf, wie die Männer sie betrachteten und sie mit den Augen verschlangen: „Wenn mich nicht alles täuscht, schmulte dafür Honecker bei meiner Darbietung […] wie ein verklemmter Mönch schräg an mir runter und vorbei ins Aus[122]“. Damit drückt sie sarkastisch – lustig – aus, dass Honecker, sie mit wenig Feingefühl, dafür aber viel Aufregung und mit verstohlenem Blick ins Aus anschaut, was sich wahrscheinlich auf ihr Dekollete oder ihren Hintern bezieht. Dann erzählt sie nicht genau, was sie zu ihm sagte, nur dass sie ihn zum Schweigen brachte, und dass sie wusste, „wie man solche Kotztypen schockt, ohne das Gesicht zu verlieren.“[123]

Außerdem beschrieb sie Biermann, wie die Spaltung zwischen Künstlern bzw. „Zivilbevölkerung“ und den Herrschenden sie in Verlegenheit setzte:

Doch vorher, wie ich so saß, fiel mir messerscharf unsere klassenlose Gesellschaft ins Auge. Die [oben beschriebene] Situation erzeugte eine Leichenkellerstimmung. Ich fühlte mich unterkühlt, wollte nach Hause, […] Meine Opposition, die dank Deiner Anstiftung reichlich Kraftfutter bekommen hat, stieg und wucherte. Ich sagte [zum Organisator], daß ich mir wie in einem Ghetto vorkomme und die Uniform vom Nachmittag, die mit dem schmalen Denkvermögen, wußte den Begriff nur bei den Nazis anzusiedeln.[124]

In dem ersten Brief des Buches erzählt sie doch, wie sie ihre Privilegien genoss, nie zuvor schienen diese Privilegien die Elite gestört zu haben, doch dieses Mal erlebte Hagen die Ungerechtigkeit am eigenen Leib – die sie vorher eher theoretisch kannte, verwendet sehr starke Begriffe, wie „Ghetto“, um ihren Zustand zu beschreiben, zieht Paralelen, vergleicht die DDR unmittelbar mit dem Nationalsozialismus. Außerdem bemerkt sie, wie Biermann sie tatsächlich beeinflusst. Hagen nahm kein Blatt vor den Mund, um ihre Opposition auszudrücken, aber weil sie eine schöne und redegewandte Frau war – der Sexismus bevorzugt kein ideologisches System –, sind die Herren noch bereit, ihr eine neue Chance zuzugestehen, allerdings unter gewissen Bedingungen.

4.3.2.2 Medienglamour à la DDR: E.v. Schnitzler

Auch Schnitzler, der Moderator der damaligen TV-Sendung „der schwarze Kanal“, war bei diesem Fest und erregte den Abscheu Hagens. Der Titel „Schwarze Kanal“ bezog sich auf die Farbe der Christlichen Demokraten, die damals in der BRD herrschten. Schnitzler beabsichtigte den angeblich lügnerischen Diskurs der Christlichen Demokraten zu enthüllen, indem er ausgewählte Stellen aus den westlichen Medien übernahm, um sie dann aus ihrem Kontext herauszunehmen und zu bearbeiten, damit sie seine eigenen Behauptungen bestätigen. Schnitzler benutzte die Pressefreiheit des Westens, und behauptete dabei, die Selbstkritik sei die Methode des Westens, um die eigene Implosion zu vermeiden. Er spielte mit Wörtern, um dem Westen böse Absichten zu unterstellen, führte erdachte Gespräche mit westlichen Teilnehmern, welche natürlich nicht antworten konnten, und kommentierte mit übertriebener Ironie und Sarkasmus die ausgewählten westlichen Aussagen.[125]

Schnitzler war der Vertreter par excellence des abgekarteten Spiels zwischen den Mächtigen und den Medien, indem er bis in die höheren Sphären der Gesellschaft stieg und eine Freikarte zum Luxus besaß. Man muss trotzdem sagen, dass der „Fall“ Schnitzler ein sehr besonderer war, unter Berücksichtung seines politischen und propagandistischen Diskurses im Rahmen der Sendung „der schwarzer Kanal“. Schnitzler hatte eindeutig sein politisches Lager ausgesucht und galt als extrem loyaler Wortführer der Regierung. Obwohl er offiziell kein Politiker war, war er ein Propagandaträger erster Wahl geworden.

Daraufhin bemerkt Hagen die ausgeprägte Neigung Schnitzlers zum Luxus. Es gibt in dem folgenden Zitat ein Wortfeld zum Thema Monarchie: „Lüstling“, „Höfling“, „Thronnähe“, „Adelsherrn“ und „Lord“. Hagen möchte damit einerseits betonen, wie nah an der Macht Schnitzler stand. Anderseits entmythifiziert Hagen dadurch den „realexistierenden Sozialismus“, der Volksnähe predigt, aber eigentlich monarchische Rituale nachäfft.

Dann bog der Schnitzler vom >Schwarzen Kanal< ins >Künstlerviertel< ein. Er hat eine Vorliebe fürs Milieu. Das luxuriöse Nachtmahl hatte ihn wülstig gemacht, redselig, aufgeräumt. Ein galanter Lüstling mit Manieren, düftwässerchen-durchgetränkt, polierte Fingernägel, Höfling im engeren Ring, ein Typ, der seinen Platz in Thronnähe behauptet. Nicht zu vergessen das Dessert: Wackelpudding und Flitterhintern, feuchtglänzende Teil von Haut, Evas zwei- bis eindeutige Liedchen; zusätzlich die Führungsmannschaft-Atmosphäre hatten ihn angespitzt und ließen den Adelsherrn sich herablassen.[...] Dann wollte er tanzen. Und zwar mit mir. Ich wollte nicht. [...] Also machte der Lord auf Konversation [...] quakte mit verklärtem Geheimnisträgerblick und konspirativem Froschaugenaufschlag: Achtzigtausend Mann wären die Woche über in ständiger Bewegung, [...] ein Normalverbraucher kann sich überhaupt nicht vorstellen, wieviel Metall zur Zeit auf Achse ist. [...] Da waren alte Bekannte, versessen auf ein Wort zum Sonntag, nein, Montag, Neubewerberinnen, die was an ihn fanden; unbegreiflicherweise hat er immer tolle Frauen angezogen: Inge Keller zum Beispiel.[126]

Als „Lord“ Schnitzler – eine sarkastische Anspielung auf seinen Namen – „ins Künstlerviertel ein[biegt]“, wird betont, dass er trotz seiner Aktivität im Fernsehen nicht wie die Künstler oder Unterhalter betrachtet wurde, sondern zu den rein politischen Herren aus der feinen Gesellschaft gehörte. Denn er spielte eine bedeutende Rolle in dem diktatorischen Getriebe.

Karl-Eduard von Schnitzler genoss sozusagen eine doppelte Macht. Einerseits hatte er Zugang zu bestimmten Informationen und liebte es, zu betonen, dass sie dem „Normalverbraucher“ nicht zugänglich waren. Weil er sich sehr gerne von den politischen Entscheidungsträgern instrumentalisieren ließ, wurde er selber eine politische Instanz, wenn auch nur ein Affe des Machtapparats.

Anderseits genoss er den „glamourösen Aspekt“ der Medienmacht, feine Sachen wie Parfum, Alkohol, usw. Auch eine Anspielung auf Schnitzlers überdimensioniertes Ego befindet sich im obenstehenden Zitat: Hagen schrieb, die alten Bekannten wären “versessen auf ein Wort zum Sonntag, nein, Montag“. Damit deutet sie an, dass manche „Gläubige“ Schnitzler und seine Sendung, die Montag gesendet wurde, wie einen Gottesdienst verfolgen, da Sonntag als Tag des Herren im atheistischen Staat DDR ausfiel.

Er konnte deswegen Frauen, erinnert Hagen, die sich eine Karriere wünschten – die „Neubewerberinnen“ – sowie andere prominente Frauen, deren Namen Hagen in ihrem Brief aufzählt, mit Lockvogelangeboten oder mit seinem Ruf in sein Bett ziehen. Ob er log oder nicht, ist eigentlich egal, da er die Damen beeindruckte und ihnen vor Augen führte, er gehöre zum den Kreis der Mächtigen.

Hagen zieht eine Parallele zwischen Frauen und Desserts – „Wackelpudding und Flitterhintern, feuchtglänzende Teil von Haut“: nachdem Schnitzler satt und alkoholisiert ist, holt er sich eine Frau ins „Künstlerviertel“. Auch ihr „Liedchen“ gehören dazu, die sie ironischerweise durch das Suffix –chen erniedrigt. Hagen macht an der Stelle ein interessantes Wortspiel: „Evas zwei- bis eindeutiges Liedchen“. Damit meint sie wahrscheinlich, dass obwohl ihre Lieder eine ironische Zweideutigkeit enthielten, die eigentlich leicht verständlich war, die Herren sie nicht verstanden oder verstehen wollten.

Schnitzler versuchte seine Spielchen mit ihr zu spielen: Er gab sich wichtig, indem er ihr mit „Geheimnisträger-Blick“ Informationen verriet, die eigentlich sinnlos waren. Aber sie lehnte das Tanzen ab und ließ sich nichts vormachen. Es besteht ein Widerspruch zwischen der eigentlichen Macht Schnitzlers und dem Desinteresse Hagen ihm gegenüber. Er war zwar politisch sehr einflussreich, doch fand Hagen ihn besonders abstoßend.

Schnitzler genoss eine große Macht im politischen Leben. Obwohl es sich um keine direkte Entscheidungsmacht im üblichen politischen Sinn handelte, war er für einige eine moralische Autorität. Allerdings wurde er auch von vielen gehasst, die seine Sendung als grobe Propaganda entlarvten.

Aber auch Sindermann wollte mit Hagen tanzen. Obwohl sie mit einer frechen Antwort ablehnte, im Gegensatz zu Schnitzler, gelang es Sindermann ein Lächeln aus Hagen zu ziehen: „ [Sindermann sagte] dass ich [Hagen] schön wäre, klug, eine sozialistische Hexe, hihi. Und das Lied von Dir [Biermann] gestern hätt ihm toll gefallen...“[127] Sindermann nennt Hagen eine „Hexe“, weil das „Kind aus dem Volk“ der Partei kritisch gegenübersteht, ihr „verbotene“ Lieder zu hören gibt, und sich trotzdem unwiderstehlich zeigt; immerhin bleibt sie noch „sozialistisch“ und gehört noch nicht zum feindlichen Lager.

4.3.2.3 Tanz und Politik: Wenn Stasi-Chef Mielke mit einer Feindin flirtet

Später während des gleichen Abends, begegnete Hagen einen der höchsten Vertreter der SED, Erich Mielke, Minister der Staatssicherheit. Sie hatte ihn auf dem schon erwähnten ersten Fest im „Elephanten“ zum ersten Mal getroffen, hatte ihn beleidigt, indem sie ihn für einen einfachen Militär gehalten hatte. Im folgenden Zitat aus einem Brief an Biermann gibt Hagen ihr Gespräch mit Mielke wieder, als er sie während des nächsten Festes zum Tanzen aufforderte:

Und plötzlich sagte einer seinesgleichen hinter ihm: Genosse Minister haben heute noch nicht getanzt, wollen Genosse Minister nicht tanzen? (wörtlich!) Und Genosse Minister senkte seinen Blick auf die Höhe, wo mein Busen sitzt, gab seiner Stimme einen monotonen Klang, grotesk gespielt: Ja, was will ich, will ich tanzen, will ich nicht? Würden Sie denn wollen, wenn ich will?! […] – Warum nicht, sagte ich artig. Ich hätt nichts dagegen, obwohl es mir eigentlich verboten wurde. Aber ihretwegen kann man ein Verbot ja wohl mal getrost übertreten, oder? [Mielke] Wer hat das angeordnet. Hinter meinem Rücken! […] Und er flüsterte aggressiv mit der Art Humor, ungewollt eine Karikatur auf sich selber spielend, […]: Schon gewusst? Bin der Minister für Staatssicherheit.[128]

Die Sprache, die von Mielke und seinem Adjutanten angewendet wird, klingt in Hagens Text mechanisch, als seien die Männer wie Roboter programmiert. Die Art des Adjutanten, seinen Respekt gegenüber Mielke zu demonstrieren, ist grotesk. Er ersetzt das „Sie“ ständig durch „Genosse Minister“, was übertrieben höflich und distanziert klingt, ja fast krankhaft.

Und der Kommentar von Hagen zwischen Klammern „(wörtlich!)“ betont ihre Überraschung, legt nahe, dass sich ein normaler Mensch nicht so auszudrücken würde, und legt das Verkrampfte am Regime bloß.

Mielke schaut den Körper Hagens an, bevor er sich entscheidet, mit ihr zu tanzen. Hagen sagt, dass er „ungewollt eine Karikatur auf sich selber spiele“ und suggeriert, dass er versuche, sich wichtiger zu geben, als er eigentlich ist. Seine Aussagen klingen eher so, als ob er Hagen nicht als Person wahrnimmt und nur an ihrem Körper interessiert. Hagen soll außerdem nicht glauben, dass sie ihm die Ehre eines Tanzes erweist, sondern, dass er ihr diese Ehre erweist.

Hagen spielt mit und gibt Mielke das Gefühl, dass er zu den Mächtigen gehört und dass sie es schätzt, dass sie bei ihm gewisse Privilegien genießt. Sie behauptet – ironisch –, sie könne dank Mielke „getrost“ das Tanzverbot übertreten. Sie schmeichelt anscheinend seinem Ego, dem eines Chefs, der immer die Macht hat, Befehle zu überdenken. Dadurch deutet sie auf die Ungerechtigkeit des Machtapparates hin, auf den Zynismus seiner Vertreter.

Beim Tanzen diskutiert das ungleiche Pärchen weiter:

Wenn Sie [Hagen] mal Kummer haben, Hilfe brauchen. Bin für Sie da. Ohne Spaß. Schreiben Sie, Berlin-Lichtenberg, Normannenstraße. Kommt an. [...]- Und meine Rüschen raschelten. – wo ich wohne? Prenzlauerberg. – Wo genau! – Zelterstraße. – Nummer! – Sechs.

Er hielt meine rechte Hand unter seine Augen, als hätte er Lupen statt Pupillen. Nein, kein Ehering, nur einer mit Brillanten. Er lächelte kindlich, gleichzeitig verschlagen. ›Ein Zwitterwesen‹, kam’s mir in den Sinn, ›was fürn mickriger Mephisto‹ Und dachte, als ich seine auf der Stirn vorquellenden Gedanken las: Mach mir bloß kein Ärger. Erspar dir eine Niederlage. Deine dir unterstellten Arbeitsbienen schwärmen rum und registrieren jedes Wimpernzucken. Womöglich stechen sie mich hinterrücks, wenn ich durch eine enge Gasse muß. Doch dicht an meinem Ohr summt er die Melodie vom Tango mit.[129]

Hagen erzählt auf besonderes raffinierte Weise, wie Mielke sie verhört und sie – wahrscheinlich – am Hintern anfasst: Eine Rüsche ist ein Stück Kleid, das normalerweise aus Tüll oder Musselin gemacht ist. Wenn also ihre „Rüschen raschelten“, darf man annehmen, dass Mielke sie angefasst hat, besonders, wenn man das begleitende Bild[130] ansieht, wo die Rüschen eben direkt auf ihren Hüften und ihrem Po hängen. Dies ist ein Beispiel für sexuelle Erpressung, die von politisch mächtigen Männern ausgeübt werden konnte. Wie Hagen es ausgedrückt hat, war sie „ein Stück lebendes Volkseigentum zum Anfassen und Bewundern“.[131] In diesem Fall bietet Mielke seine Unterstützung und Schutz um die Zuwendung Hagen zu bekommen.

Hagen führt auch die Perspektive des Spähers an: „Lupen statt Pupillen“, die Formulierung erinnert einerseits an die Funktion des MfS aber auch an die besondere Behandlung, der die Frauen unterworfen waren. Mielke wollte außerdem wissen, ob sie einen Ehering hat, der eine Beziehung verrät. Mielke sieht „verschlagen“ aus, was den Leser denken lässt, dass der Fall Biermann-Hagen noch kein großes Interesse von Seiten des MfS erregte und verrät auch die wahren Absichten Mielkes gegenüber Hagen. Aber es ist nicht auszuschließen, dass Mielke als Stasi-Chef mehr über das Hagen-Biemann-Verhältnis weiß, und dass das Gespräch ein Spiel ist.

Die Absichten kamen Hagen klar vor, als sie „seine Gedanken las“. Sie nennt ihn einen „mickrigen Mephisto“. Bekanntlich versprach Goethes Mephisto Faust ein reichliches Leben voller Genuss als Gegenleistung für seine Seele. Der Vergleich mit Mephisto ist angebracht, da Hagen in der Position wäre, ihre Integrität aufzugeben und sich instrumentalisieren und ausnützen zu lassen, um der feinen Gesellschaft angehören zu dürfen. Ihre Geringschätzung gegenüber Mielke zeigt sie mit dem Begriff „mickrig“, indem sie ihn als einen schwachen Menschen herausstellt, der keine Würde hat und den sie leicht erniedrigen kann. Hagen war klar, sie hätte ihn leicht vor den Augen seiner Untergebenen demütigten können, wenn er eine falsche Bewegung gemacht hätte, aber er blieb „anständig“.

Sie schließt den Brief, indem sie beschreibt, wie sich die Männer am Ende des Abends nun völlig ungeniert und mit „männlichem Interesse“ aufs „Fleisch“ stürzten; sei es weibliches Fleisch oder die reichlichen Reste des Buffets.[132] Sie war allein in einer schwierigen Situation und konnte kaum glauben, dass alles tatsächlich so passiert ist. Sie ist stolz, dass sie diesen „Oktobersturm[133]“ mit Würde überstand. Sie schreibt, dass sie mit „überklarem Kopf“[134] saß, also dass sie ihre Illusionen verloren hatte. Doch weigert sie sich, sich von ihnen ganz zu trennen, indem sie sich ins „Traumland“ flüchtet:

Das Schloß und Drumherum hat mich versöhnt. [...] Die herrlich bunten Herbstfarben strahlen eine geradezu magische Kraft aus und haben sie einfach auf mich übertragen. Ich will Dir immer abgeben von meinen Schätzen, Dich erheitern, Dir erzählen von Zwergen, Greisen, Weibsbildern, Wichtelmännern, kuriosen Nebensächlichkeiten. [135]

Hagen verstand nun was von ihr verlangt wurde. Plötzlich sind Dornröschen und die Stasi-Zwerge verschwunden. Jedoch versucht Hagen sich immer noch an diesem märchenhafte Bild festzuhalten, da es ihr erlaubt, die Realität zu fliehen.

Diese zwei Briefe, die wir gerade besprochen haben, stellen einen der wichtigsten Momente des Buches dar, da diese beiden Feste Hagen zwangen, die Augen aufzumachen: Obwohl Hagen es nicht wahrhaben wollte, hatte sie die Illusion entlarvt.

4.4 Das Spiel wird ernst

Am Anfang des Buches scheinen Biermann und Hagen der Stasi durch Humor und Ironie zu entkommen. Freilich ist es eine Art Unbeschwertheit, aber man darf sicher nicht davon ausgehen, dass das Paar leichtsinnig war. Nun hatte Hagen eine praktische Erfahrung des Staates und hatte klar gemacht, sie sei keine Marionette und lehne es ab, ein Teil der staatlichen Mechanik zu werden. Obwohl sie nicht ganz auf ihre Illusionen verzichten wollte, ist eine Änderung in der Wahrnehmung Hagens gegenüber dem Staat zu bemerken: das Erwachen ist schmerzhaft und hinterlässt einen bittereren Nachgeschmack im Vergleich zum Aufbruch und jener zurückkehrenden kindlichen Freude nach dem Krieg, die Hagen so sehr schätzte.

4.4.1 Die Zäsur in der deutschen demokratischen Kultur

Die SED hatte schon in der Vergangenheit mit „sanften Methoden“ versucht, Biermann zu überzeugen, nicht aufzutreten, indem sie ihm zum Beispiel Geld anbot[136]. Jedoch wirkte das 11. Plenum im Dezember 1965 wie einen Kahlschlag in der DDR-Kultur, indem sie eine starke Zensur- und Unterdrückungswelle auslöste, wie wir auf Seiten 17 bis 19 erklärt haben. Nach der Erscheinung im November 1965 der Sammlung Drahtharfe fuhr die SED schweres Geschütz auf und das Werk Biermanns erhielt Publikationsverbot. Der Titel der Sammlung bezieht sich auf den Stacheldraht des „antifaschistischen Schutzwalls“, der die DDR umgürtete. Gedichte wie „Kunststück“ und „Antrittsrede des Sängers“[137] stehen in der Sammlung, die heftig kritisiert wurde. Biermann wurde vorgeworfen, den Sozialismus mit dem Anarchismus zu verwechseln. Ihm wurde auch vorgeworfen, Menschen, die sich für den Aufbau des Sozialismus einsetzten, in seinen Gedichten mit Schmutz zu bewerfen[138].

Am 25 November 1965 machte das Zentralkomitee (ZK) der SED das Dokument „Wolf Biermanns >Drahtharfe< in der internen Einschätzung[139] des ZK der SED“ bekannt. Das Dokument galt als Lesemappe zu dem 11. Plenum. Die Einschätzung enthielt eine „Analyse“ des Werkes, indem sie die störenden Stellen der Sammlung herausnahm und sie kritisierte. Das ZK der SED stellte fest, dass Biermann sich von „seinen fruchtbaren Ausgangspositionen“ entfernt hatte und fürchtete, dass Biermann zu einem „Bannerträger der literarischen Opposition der DDR[140]“ werden könnte, also dass Menschen sich mit seinen Gedanken identifizieren konnten[141]. Es wird aber in Eva und der Wolf nicht genau erläutert, dass die Erscheinung von Drahtharfe Anlass zum Berufsverbot Biermanns gab und das 11. Plenum wird auch nicht erwähnt.

4.4.2 Einschränkung und öffentliches Urteil

Am Tag der Erscheinung der oben genannten Einschätzung, 25. November 1965, schrieb Biermann an Hagen. Man kann davon ausgehen, dass er damals nichts von der Einschätzung wusste, aber er scheint deren erste Stoßwelle schon zu spüren, da er in seinem Brief an zwei Themen heranging, die sich auf die Drahtharfe beziehen und die wir nun besprechen werden: Einerseits erfährt der Leser, unter welchen Umständen Biermann über sein Berufsverbot erfuhr und anderseits kommentiert er die Reaktion der Westens auf die Drahtharfe.

Allerdings schrieb Biermann wenig über sein Verbot. Er sagt auch nicht viel dazu und die drei Punkte, die im folgenden Zitat stehen, lassen den Leser glauben, dass es etwas anderes gib, worüber Biermann nicht offen schreiben wird. Biermann schrieb:

Als ich auf dem Ostbahnhof zu den DEFA-Leuten kam, um den verlogenen DDR-Franzosen zu spielen, eröffnete mir Regisseur Günther, dass auf höhere Anweisung … Es wird Zeit, dass ich aus diesem Dreckloch Berlin verschwinde.[142]

Ohne genau zu wissen, woraus die „höhere Anweisung“ bestand, kann man vermuten, dass es tatsächlich um das Berufsverbot ging. Biermann wurde anscheinend eingestellt, um eine Rolle in einer Filmproduktion zu spielen – obwohl diese Stelle als ironisch verstanden werden kann – aber wurde von den DEFA-Leuten über sein Berufsverbot informiert.

In ihrer Antwort betont Hagen die fehlende Kohärenz des politischen Diskurses in der DDR. Sie übernimmt die Formulierung der SED >dekadenten Lebensformen<, um gegen die Urteile der SED zu sticheln. In ihrer Antwort schrieb Hagen:

[…] soeben las ich das ND [Neues Deutschland]: ›Keine Toleranz gegenüber ideologischer Koexistenz.‹ Kurz davor hatte ich noch so einleuchtendes Material wie ›Pluralismus in marxistischer Sicht‹ verschlungen. Nun offiziell das Gegenteil. Ich mache mir Sorgen wegen der >dekadenten Lebensformen<, mit denen man Dich so primitiv angreift. Es beginnt wieder eine Art Flur-Bereinigung oder Markierung der Grenzen in der Kunst, wo verfügt wird, was geschrieben, wie gemalt und dargestellt zu werden hat. Unsere Mächtigen wollen ein Exempel statuieren.

Immer lauter und unverblümter wird die Gefährlichkeit sogenannter ›Elemente‹ verkündet, von denen Du der schwerste Brocken bist ihrer Ansicht nach. [143]

Hagen übernimmt die von der SED benutzte Formulierung und stellt sie zwischen Anführungsstriche, was die Distanzierung zwischen dem Staat und der Bevölkerung hervorhebt. Begriffe wie „Element“, um sich auf einen Menschen zu beziehen, wirken bürokratisch und erinnern an die amtliche Sprache, die von Mielke angewandt wurde, als er mit Hagen tanzte. Diese mechanische Sprache suggeriert eben, dass Menschen keine Menschen mehr sind, sondern ein Teil der entmenschlichten „Maschine“.

Die Art und Weise, wie Hagen ihre bisherige Gläubigkeit – mit dem Verb „verschlingen“ – zeigt, dass sie nun merkt, wie weit die Lügen reichen und damit signalisiert sie einen weiteren Schritt in ihrer Wahrnehmung des Staates. Auch wenn der Pluralismus in marxistischer Sicht nie wirklich existiert hatte, hatte die SED ihren Diskurs und ihre Sprache eingerichtet, um eine gewisse Toleranz vorzugaukeln.

Außerdem bemerkt man eine Änderung in der Art und Weise, wie Hagen sich auf die „Mächtigen“ bezieht – dieser Begriff zeigt, dass sie sie als ernstere Gefahr betrachtet. Es gibt in ihrem Ton weder Spott noch Ironie; die Stimmung bringt nicht mehr zum Lächeln. Das Ende des Jahres 1965 bedeutet eine neue Ära in der Kunst in der DDR, wie Hagen es nun zu spüren bekommt. Obwohl dieser Brief kurz vor dem 11. Plenum geschrieben wurde, war der „Kahlschlag“ schon in der Schwebe. Mit der Einführung des NÖS 1962, wovon das 11. Plenum 1965 die zweite Phase war und zusätzlich von den Sowjets unterstützt wurde, war diese „Flur-Bereinigung“, wovon Hagen spricht, eine allmähliche Einführung der Einschränkungen, die man überall im kulturellen und Intellektuellen Milieu zu spüren bekam.

Hagen betont jedoch ein wichtiges Faktum: Biermann wurde als der Erzfeind der DDR betrachtet, der als Exempel abgestempelt werden sollte, koste es, was es wolle. Die Umstände, die 1965-66 in der DDR Kultur vorherrschten, nährten die „Schusswechsel“ zwischen Ost und West. Für den Fall Biermanns interessierten sich besonders die westlichen Medien.

4.4.3 Der Märtyrer aus dem Osten

Die Erscheinung der Drahtharfe erregte viel Aufmerksamkeit auch in der BRD. In seinem Brief vom 25. November 1965 setzt Biermann fort, indem er über die westlichen Medien berichtet. Die Verfolgung, deren Ziel er in der DDR war, wurde von den westlichen Medien übernommen und Biermann wurde dort langsam zum symbolischen Opfer des Ulbrichtsystems:

Es kamen schon wieder Leute mit langen Messern, um sich ein Pfund Biermannfleisch rauszuschneiden. Es gibt eine reiche Ernte an Biermann-Gerüschten. Sie wachsen auf dem Boden der DDR, in der das öffentliche Interesse an Biermann etwa so groß ist wie seine künstliche Isolierung. Im Westen erschienen große Artikel über den armen Biermann in der ZEIT und im SPIEGEL. Eine grosse Rezension über die „Drahtharfe“ in der FAZ usw. usw. In Ost & West arbeitet man fleißig am Märtyrer-Denkmal für mich […] Die Kacker im Westen hätten natürlich gern ein armes Ulbricht-Opfer und die Stalinisten hier säßen sicherer, wenn ich unter der Dornenkrone flennte.[144]

Ironischerweise hatte das Zentralkomitee der SED schon in seiner Einschätzung damit gerechnet, dass Biermann mit den „schroffen Konfrontationen mit der Staatsmacht der DDR“ Publizität erlangen könnte[145]. Dennoch haben die DDR-Mächtigen nichts dagegen tun können, besonders im Kontext des kalten Krieges, wo die BRD der DDR das Existenzrecht aberkannte. Die westlichen Medien spielten ein ähnliches Spiel wie Schnitzler und sein Schwarzer Kanal. Die westlichen Medien übernahmen die Geschichte Biermanns, dessen Popularität eigentlich sehr gering war, und machten ihn zu dem Opfer, das sie brauchten, um die DDR anzuprangen. Folglich befand sich Biermann in einem ironischen Dilemma: Entweder ließ er sich vom Westen oder vom Osten instrumentalisieren. In diesem kalten Krieg gab es keinen Ausweg für diejenigen, die nicht ihr Lager wählten. Als sie meine Fragen beantwortete, betonte Hagen, Biermann wäre „durch seine Ausbürgerung und der ungekürzten TV-Ausstrahlung seines Konzerts in Köln 1976 quasi über Nacht bekannt geworden[146]“. Die Ironie der Sache liegt auch darin, dass der ganze Ruhm Biermanns von einer Instrumentalisierung kommt, die er eben im Osten bekämpfte. Die Lösung von Biermanns Dilemma drängte sich einfach auf: Er durfte und wollte die DDR nicht verlassen, damit hätte er wohl beiden Lagern eine Freude bereitet und das wollte es keinesfalls. Anstatt aufzugeben, erzählt er Hagen von seinem neuen Projekt, Winter-Märchen. Bemerkenswert ist die Anwendung des Begriffs „Dornenkrone“, der an Jesus erinnert. Wir werden in Kapitel 4.6 die Gelegenheit nutzen, Jesus und Biermann zu vergleichen, wenn wir das Gedicht „Auferstehung“ erörtern.

Hagen antwortet auch auf Biermanns Beschwerden über die westlichen Medien. Sie drückt ihre Abneigung gegenüber der westlichen Propaganda aus, die Biermann als Waffe gegen den Osten einsetzte. Hagen drückt hier das Dilemma der prominenten Künstler und Dissidenten aus:

Gibt’s keine Methode ohne Hilfe des Westens, für den Du auch nur als abschreckendes Beispiel, für Propaganda-Zwecke gegen den Kommunismus herhalten mußt – und der Dich, lebtest Du drüben, mit viel Spektakel in den Dreck ziehen würde. Sollte es keine Alternative geben?[147]

Die Frage – wenn auch nur rhetorisch –, die sie Biermann vor 40 Jahren stellte, wiederholte ich, indem ich sie fragte, ob sie damals Angst hatte, ein Propagandamittel zu werden. Mit dem Abstand antwortete Hagen folgendes:

Ich hatte Berührungsängste, vieles war mir fremd, selbst die Sprache, Formulierungen, die Selbstsicherheit der "Brüder und Schwestern", die sich wunderten, daß man nicht vor Freude pausenlos in die Luft sprang, wo man sich doch als jahrelang hinter der Mauer "Eingesperrte" endlich in Freiheit befand. Ich wollte nichts mit den so genannten Hetzblättern und Klatschmagazinen zu tun haben, deren Methode mir teils zuwider war, die man andererseits aber brauchte, damit über meine Person berichtet wird, meine Arbeit, denn "Klappern gehört nun mal zum Handwerk". [148]

Hagen deutet an, dass die West-Medien viele mißverständliche Nachrichten und Halbwahrheiten über die DDR verbreiten würden, dass sie eine irrtümliche Solidarität geschaffen haben, indem sie die ganze DDR-Bevölkerung – wie Biermann es betont hat – zu Märtyrern machten. Im Gegensatz zu den östlichen Medien wurden die westlichen Medien als glaubwürdige Quelle angenommen. Oft wurden auch nur negative Aspekte der DDR besprochen und dabei übertrieben: Die Darstellung der Familien, die in erbärmlichen Bedingungen lebten, nutzte das westliche Lager, um den kalten Krieg zu schüren. Die westlichen Medien sprachen menschliche Gefühle wie Mitleid, Solidarität und patriotische Bruderschaft an: Sie weckten nicht nur das Entsetzen der westlichen Bevölkerung, sondern auch das Gefühl, dass Ostdeutsche zu bemitleiden waren. Die DDR-Bürger wurden im Westen als arme „Brüder und Schwestern“ in Not dargestellt, deren einziger Wunsch es war, in den Westen überzusiedeln, um endlich frei zu sein. Der Wortschatz spielte dabei eine wichtige Rolle; ausdrucksstarke Begriffe wie „eingesperrt“ waren in der westlichen Darstellung der DDR so sehr verbreitet, so dass sie heute noch angewendet werden, um die DDR zu beschreiben.

Diese Art Verteufelung des östlichen Feinds ist weit effizienter, als die Methoden von Schnitzler, die wir im Kapitel 4.3.2.2 besprochen haben, weil man im Westen eher das Leid der „Opfer“ betonte, während man im Osten mit dem Finger auf den lügnerischen und bösen „Täter“ zeigte. In diesem Zusammenhang wurde Biermann dem westlichen Publikum vorgestellt. Es gab keinen Ausweg für Biermann sowie Hagen nach ihrer Ausbürgerung: Die Medien gehörten zu ihrer Arbeit.

Der ganze Druck, der auf Biermann ausgeübt wurde, störte indirekt das Leben Hagens, die als Gefährtin Biermanns die Schläge auf sich nahm. Aber auch auf professioneller Ebene bekam Hagen den kulturellen „Kahlschlag“ zu spüren. Wir haben jetzt die Gelegenheit, uns mit einigen Beispielen dieses Kahlschlages zu befassen, die in Eva und der Wolf dargestellt sind.

4.4.4 Die Theaterwelt in der DDR nach dem 11. Plenum

Auch auf der Bühne musste die Besonderheit der DDR gefördert werden. Doch bestand in der Theaterwelt nach dem 11. Plenum eine „graue Zone“; es gab keine Theaterkultur mit DDR-spezifischen Produktionen. Deswegen wurden Stücke aus der „kapitalistischen Welt“ wie My Fair Lady auf DDR-Bühnen vorgestellt. Solange diese Stücke die ideologische Linie sowie die neue Kulturpolitik nicht tangierten, durften sie uneingeschränkt gespielt werden. Doch einige Stücke wurden à la DDR revidiert und angepasst, wie Hagen bezeugt: Im Februar 1966 bekam Hagen eine Rolle in dem englischen Stück “Drei leichte Fälle” zugeteilt. Hagen beschreibt die Handlung, die sich ursprünglich in Paris abspielt, aber nun auf die Hohe Tatra verlegt wird, ein Dreieckskonflikt, bei dem jetzt die Hauptrolle mit Namen Marie, „völlig a-sexisch“ darzustellen ist, bestimmt als Folge der Vorwürfe der SED in Bezug auf die „obszönen“ Künstler anlässlich des 11. Plenums. Hagen beschreibt die Lage mit Ironie und Sarkasmus:

Völlig a-sexisch wird Marie nach neuester Regiekonzeption bzw. Einschreiten der Dramaturgie angelegt, weil das Team einen entsprechenden Wink bekam, Order kriegte vom Olymp, wo die kulturpolitischen Banausen hausen und es im Moment zugeht, wie in ein reingestochenes Wespennest. Meine Marie hat jetzt frischfrankfröhlich zu sein. Der Originaltext, der viel englischen Humour enthält, was ein spezieller ist, das Werk also hauptsächlich vom Dialog lebt, wurde übertragen aufs Mittelmaßdeutsch Gutgestellter. […] Der Regisseur, genervt inzwischen vom ständigen Reinmischen eines Zensors, achtet jedoch auf wortgetreue Wiedergabe.[149]

Sie betont auch, wie die Regierung sich von der Attraktivität des ausländischen Stoffes bedroht fühlt („reingestochen Wespennest“); einige Zeilen früher erwähnt sie, dass diese Anpassung mit der angespannten Lage zu tun hat. Nun bezieht sie sich auch sarkastisch auf den Anspruch auf absolute Wahrheit der Regierung, deren Mitglieder auf dem „Olymp“ hausen, laut Hagen wenig Ahnung von Kultur haben (die „Banausen“). Die Regierung verlangte eine Darstellung des Stückes, die in Bezug auf Sprache, Humor und Adaptation sehr weit von dem Original entfernt war. Das Stück wurde langweilig, plump und grotesk, da es aus seinem Zusammenhang gerissen wurde und da es einen großen Teil seines Humors eingebüßt hat. Dies war ein Vorzeichen für den entstehenden Kampf gegen angelsächsische Überfremdung und die „westliche Unkultur“, der Anfang 1967 gefordert wurde[150].

Wenige Künstler trauten sich, der neuen Kulturpolitik Widerstand zu leisten bzw. den Zensoren nicht zu gehorchen, bestimmt aus lauter Angst davor, in dieser „Flur-Bereinigung“, von dem Hagen im vorigen Zitat erzählt, weggefegt zu werden: Da die SED schon einige Parteisäuberungen hinter sich hatte, war eine neue Bereinigungswelle nicht auszuschließen.

Unter diesen Umständen hielten die Behörden weitere Feste und kulturelle Abende, wo Hagen anscheinend nicht eingeladen wurde und über die sie trotzdem berichtet:

Unsre Hauptstadt wird z. Zt. von einer Sturzwelle aus Veranstaltungen überrollt.[…] [S]taatlich anerkannte Dichter nuscheln in der Kongreßhalle ihren Seim runter, liefern beim Regimentsstaab Reime ab, ›gepflegte‹ Jazzabende finden statt, Lyrik-Prosa-Lesungen, Tucholsky ist stark im Rennen (wenn der heut lebte, erginge es ihm wie dem Wolf […]), Max Frisch wird serviert im ›Dritten Stock‹, das klassisch-moderne Chanson groß geschrieben, originelle Plakate an jeder Ecke als Ablenkung. Kabarett, Leichte Muse sind angesagt…[151]

Hagen betont die gezwungene Natur bzw. die Zensur in der Kunst: Sie benutzt das Verb „überrollt“, um die Veranstaltungen zu beschreiben, als ob sie Panzer wären. Sie bezieht sich auf die Mittelmäßigkeit der „staatlich anerkannten Dichter“, da sie „nuscheln“ bzw. sich nicht ordentlich ausdrücken können und da sie jeder Laune des Staates nachgeben (Seim anstatt Reim). Dass sie „beim Regimentsstaab Reime liefern“, deutet einerseits auf eine absolute Kontrolle des Staats über die Kultur hin, anderseits darauf, dass die Arbeit inhaltlich bestellt wurde.

Um das Wort „Zensur“ bzw. Begriffe, die auf eine totalitäre Einstellung schließen lassen, zu ersetzen, wurden sanftere Begriffe wie „gepflegt“ offiziell angewendet. Deswegen übernimmt Hagen die Formulierung „gepflegte Jazzabende“. Sie bezieht sich auf die Zensur und auf die heuchlerische Art, wie die Sprache die Unterdrückung bedeckte.

Bekanntlich entwickelte sich eine unterschiedliche Sprachweise in der DDR. Ein möglicher Grund dafür ist, dass die Sprache sich als ein interessantes Propagandawerkzeug erwies. Die Anwendung einer „gepflegten“ Sprache in der DDR diente einer „richtigen“ Geschichtsinterpretation. Es existierte sogar zu diesem Grund eine „spezifische Sprachregelung“[152]. Als praktisches Beispiel nehmen wir den Namen „Deutsche Demokratische Republik“. Er vermittelt und täuscht ein Gefühl der Freiheit vor, indem er den Begriff „demokratisch“ enthält. Wir haben über den Stalinismus in der DDR gesprochen und verstehen, dass Begriffe wie Totalitarismus, Absolutismus oder Stalinismus eine herabsetzende Konnotation tragen. Indem er das Wort „Demokratie“ durch das Beiwort „Volks-“ modifizierte (die DDR galt als eine Volksdemokratie) versucht der Staat der grässlichen Konnotation nicht zu widersprechen, sondern behauptet, er sei „gut oder lobenswert“[153]. Die Sprache kann als Ablenkung wahrer Absichten wirken oder die Realität verschönern, indem sie der Umformung und Verwandlung des „neuen Menschen“ zur staatlich erwünschten Ideologie[154] dient.

Hagen bemerkt auch in dem oben stehenden Zitat die Verweisung von Künstlern wie Tucholsky oder Max Frisch, die sich als störend erweisen, in den „dritten Stock“, also in den Hintergrund verschoben wurden. Klassisch-modernes Chanson, Kabarett und leichte Musen dienten daher als Ablenkung von jenen unbequemen Dichtern. Es gibt hier ein weiteres Beispiel von „Ablenkung“ als angesagte Methode in der SED, um die „feindlichen Elemente“ zu binden. Eine weitere Methode besteht aus öffentlicher Beschmutzung des Feindes mittels der Medien.

4.4.5 Hetzkampagne in der Medienlandschaft

Die Verteufelung Biermanns führte die SED nicht nur in den Regierungskreisen, sondern auch durch eine Reihe von Zeitungsartikeln, die darauf abzielten, aus Biermann einen Paria zu machen und Biermann zu isolieren. In ihrem Brief am 5. Dezember, den sie aus einem Kurort schrieb, äußert Hagen ihre große Unruhe über einen Zeitungsartikel, der an jenem Tag erschien.

Im ›Neuen Deutschland‹ heute wurde eine Hetzkampagne angekündigt, der Startschuß abgefeuert; die Hunde sind los und machen Jagd auf den bösen Wolf.

Ich bin keine Pessimistin, kann mir aber lebhaft vorstellen, welche Kettenreaktion das auslöst.[155]

In jenem Brief betont Hagen auch, dass sie schon selber kaum Ruhe findet, da überall über diesem Artikel gesprochen wird. Ihre Sorgen über die Folgen dieses Artikels wiederholt sie, indem sie die Reaktion der Kurortgäste auf ihre Meinungen über verschiedene Themen beschreibt, wenn diese nicht dem Vorgeschriebenen entsprechen: Entweder denkt man, dass sie scherzt, oder man ist entsetzt. Die Reaktion der Kurortgäste zeigt, wie tief die durchgesetzte Wahrheit in der Gesellschaft verwurzelt war: Anders zu denken war entweder unmöglich bzw. es konnte nur ein Scherz sein – oder es war unmoralisch bzw. entsetzend. Dies zeigt, inwieweit die Hetzkampagne große Folgen mit sich bringen könnte. Auch wenn Menschen die Lügen und Übertreibungen durchschauten, galt das offizielle Wort – das vor allem in DDR-Zeitungen wie Neues Deutschland zum Ausdruck kam, aber auch von Schnitzler gepredigt wurde – als einzige akzeptable Verhaltensregel und Denkkategorie. Es ist dann verständlich, dass gehässige Artikel sich als sehr störend erweisen und dies erklärt, warum Hagen diesen Artikel als „Startschuss einer Hetzkampagne“ beschreibt. Einige Tage später beunruhigte sich Biermann über einen weiteren Artikel, der in der Jungen Welt erschien.

Bitte besorgt mir unbedingt die JUNGE WELT vom letzten Sonnabend. Dort steht ein faschistischer Artikel gegen mich, den man nicht anders als eine Morddrohung bzw. Aufforderung zur Intellektuellenhatz verstehen kann. Die Oberen sind in gefährlich wahnsinnige Raserei gefallen, der Abschaum feiert Auferstehung. Ich lege Dir das inzwischen weit verbreitete Extra-Blatt bei, bitte verbreite es.[156]

Obwohl der Artikel, von dem die Rede ist, nicht zur Verfügung steht, begreift man, dass er ein Angriff auf die Arbeit Biermanns ist. Die eindringliche Anklage Biermanns suggeriert, dass die Aufforderung zur Intellektuellenhatz eine Art von Morddrohung sei. Wir haben leider keinen Zugang zu diesem Artikel, aber die von Biermann benutzte Formulierung deutet an, dass, obwohl der Artikel keine wörtliche Morddrohung enthielt, eine totale Isolation und einen intellektuellen bzw. beruflichen Mord bedeutet. Es ist nicht ganz klar, was im „Extra-Blatt“ steht, jedoch wirkt deren Verbreitung wie eine Gegenwehr. Der Konflikt schlug einen anderen Ton an und wurde zum offenen Krieg.

Was der „faschistische Artikel“ betrifft, betont Biermann indirekt, dass die Verfolgung, die Hetze und die Diffamierung, die in der Nazizeit gegen Juden bzw. alle „Feinde“ ausgeübt wurde, nun gegen Gegner der SED angewendet werden. Übrigens ist es relevant daran zu erinnern, dass der Vater Biermanns in Auschwitz ermordet wurde. Ferner deutet Biermann mit seinem Kommentar „der Abschaum feiert Auferstehung“ an, dass die alten Nazis wieder an der Macht gekommen sind. Während in der BRD die gesamte Schuld für den Nationalsozialismus auf Hitler geschoben wurde, wurde sie in der DDR auf den kapitalistischen Feind geschoben. Damit rechtfertigte die DDR die Spaltung des Landes und lehnte die Notwendigkeit einer Bewältigung der Vergangenheit ab.

Deshalb werden wir uns mit der Frage nach dem Antifaschismus damals besonders auseinandersetzen.

4.4.5.1 Entarteter Antifaschismus in der DDR

Biermann war bekanntlich Antifaschist und hatte gute Gründe der DDR gegenüber kritisch zu sein. Gleich nach dem Kriegsende bis 1948 vollzogen die Sowjets in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) eine massive Entnazifizierung. Der Anzahl von Verurteilten und Gefangenen in der SBZ war weitaus höher als der der westlichen Alliierte[157]. Daraus entstand die erste Parteisäuberungswelle. Antifaschistiche-Schulen (Antifa-Schulen) und etliche antifaschistische Organisationen wie die Antifa-Ausschüsse wurden kurz vorm Kriegsende gegründet.

Im April 1945 waren die Sowjets schon bereit, die Macht zu ergreifen: Die kommunistischen Kader sollten gleich nach dem Kriegsende die deutsche Gesellschaft aufbauen können. Kommunistische und antifaschistische Kriegsgefangene aus Deutschland wurden in der Antifa-Schule in Krasnogorsk ausgebildet und dann nach Berlin geschickt.[158] In diesen Jahren nutzte die Sowjetunion bzw. die DDR die antifaschistische Ausrede aus – besonders in Spielfilmen –, um den Helden der sowjetischen Widerstands zu erheben, wohingegen die sowjetischen Pogrome verschwiegen wurden[159].

Mit dem Aufbau der SED-Verwaltung und dem Ende der Entnazifizierung in Jahre 1948 wurden Antifa-Ausschüsse und ähnliche antifaschistische Organisationen – die oft unabhängig vom Staat waren – abgeschafft. Im Mai 1948 wurde die National-Demokratische Partei Deutschlands gegründet. Die NDPD bestand großtenteil aus ehemaligen Nazis und blieb in der Volkskammer bis zum Ende der DDR vertreten. Im Jahre 1953 wurden 150.000 ehemalige Nazis und NSDAP-Mitglieder in der SED aufgenommen unter der Voraussetzung eines Aufenthalts in der Antifa-Schule oder in einem sowjetischen Kriegsgefangenelarger. 1965 waren 53 Alt-Nazis Abgeordnete der Volkskammer und 12 Mitglieder des ZK der SED, andere waren Landesminister, Mitglieder des Staatrates. Alt-Nazis waren in allen Schichten des Machtapparates zu finden: Medien, Justiz, Außenpolitik, Volkspolizei, Armee usw. Außerdem benötigte der Wiederaufbau Deutschlands zahlreiche Spezialisten und die ehemaligen Nazis wurden wieder eingegliedert[160].

Indem niemand die Schuld für den Nationalsozialismus übernahm und jeder es ablehnte, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, brachte die DDR die diktatorische Natur dieser Herrschaft ans Licht. Über die Ähnlichkeiten der beiden Diktaturen – die national-sozialistische und die kommunistisch-stalinistische Diktaturen – ist zu sagen, dass alle totalitären Diktaturen sechs Gemeinsamkeiten aufweisen: eine ausgearbeitete Ideologie, die alle Aspekte der Existenz umfasst; eine einzige Massenpartei, die hierarchisch und oligarchisch organisiert ist; ein Terrorsystem, das durch Partei- und Geheimpolizei-Kontrolle verwirklicht wird; ein Quasi-Monopol der Massenkommunikation (Presse, Funk, Filme); ein Monopol der Anwendung aller Kampfwaffen und schließlich, eine zentrale Überwachung und Lenkung der gesamten Wirtschaft.[161] Beide Diktaturen waren grundsätzlich ähnlich, mit vergleichbaren Strukturen und Zielen. Es war dann selbstverständlich, dass die kommunistische Diktatur auf der Asche der nationalsozialistischen Diktatur aufgebaut wurde. Es bestand tatsächlich eine Kontinuität zwischen der Nazi- und der kommunistischen Herrschaft. Wie es unter Hilter war, so hatte auch hier wieder ein Kreis ausgewählten Menschen Vorteile davon, sich gewinnen und einspannen zu lassen, das System zu unterstützen.

4.4.5.2 Wenn Freunde und Verwandte dem Staat dienen

In einer Gesellschaft, wo man nicht nur große Vorteile hat, wenn man den Machtapparat unterstützt, sondern wo man auch große Nachteile hat, wenn man dagegen opponiert, ist es womöglich ein Zeichen von Freundschaft, die „verirrten Schafe“ heimbringen zu wollen. Wahrscheinlich ist es, was Hagens Freundin A. und – wie wir gleich besprechen werden – Hagens ehemaliger Ehemann vorhatten, als sie Hagen im Januar 1966 besuchten: Sie versuchten Hagen zu überzeugen, Biermann zu verlassen. Man könnte davon ausgehen, dass mit dem Artikel, den wir gerade besprochen haben, der Staat Biermanns Isolation wollte, beziehungsweise dass der Staat die Rückkehr des „Kindes aus dem Volke“ durch die Hetzkampagne hervorrufen wollte.

Man foltert mich, veranstaltet Bekehrungsrituale: Ich soll abschwörn! Als hätte ich was mit dem Teufel. […] Meine Freundin A. macht mir teure Geschenke, stellt ein Ultimatum, schwärmt von einer Reise nach Ägypten (der dortige Fernsehchef hat bei seinem letzten Besuch Interesse bekundet, ein verlängertes Wochenende drangehängt) will mich verkuppeln, arrangiert Empfänge, lukullische Dinner im engsten kreis. [...] Sie [Freundin A.] wachte eifersüchtig über meine Freundschaften, würde mich gern ›bei Hofe‹ unterbringen, vorzugsweise mit einem Minister verheiraten.[162]

Hagen wendet starke Begriffe an, die sich auf Religionswechsel beziehen, um die Lage zu beschreiben: Abschwören, Bekehrungsrituale und Teufel. Hagen vergleicht also die ideologischen Ansprüche des Staates mit einer Religion, in der Hagen ein Teil des Paradieses angeboten wird: Allerdings versuchte die Freundin A. Hagen aller Wahrscheinlichkeit nach mit Geld bzw. Privilegien der hohen Gesellschaft und mit falscher Fürsorglichkeit – wenigstens laut Hagen – anzulocken und sie von Biermann abzubringen.

Obwohl Hagen den Namen der Freundin verheimlicht, gibt es mehrere Hinweise über deren Identität. Zwei Bilder stehen am Rand des langen Briefes: auf dem ersten steht Hagen mit Heinz Adameck. Die Beschreibung des Bildes identifiziert den Mann als „Intendant (Fernsehchef der DDR) Heinz Adameck“. Rechts davon ist Hagen mit seiner Frau Annelore Adameck zu sehen. Man kann davon ausgehen, dass die Freundin A. eigentlich Annelore Adameck ist. Es erklärt außerdem die Kontakte der Freundin mit ausländischen Fernsehchefs und mit wichtigen Leuten „bei Hofe“. Dieser Begriff greift übrigens das Wortfeld der Monarchie wieder auf, das wir wegen Schnitzler in Kapitel 4.3.2.2 angesprochen haben und das Hagens Instrumentalisierung als Hofnarrin andeutet. Dies ist ein gutes Beispiel für die erzählende Rolle des Paratextes: Hagen scheint die Identität der Frau schützen zu wollen, indem sie nur den Anfangsbuchstaben verrät. Jedoch verrät das Bild, das von Hagen ausgesucht wurde, die Identität der Frau. Was deutet vielleicht daraufhin, dass Freundin A. eine IM war. Es ist nicht auszuschließen, dass Hagen aus Sarkasmus die Freundin A. nur mit Initialbuchstaben benennt, da dies so gängige Praxis bei der Stasi war. Hagen erweist sich als nicht völlig naiv in ihrer Auswahl von Briefen und Informationen, die sie ans Licht treten ließ. Es ist denn die Rolle des Lesers, die Verbindung zwischen Text und Bildern herzustellen.

Hans Oliva-Hagen, dem ehemaligen Ehemann Eva-Maria Hagen, ging es aber anders. Er versuchte sich mit Hagen zu versöhnen und, wie mehrere andere Leute versuchte Hans Oliva-Hagen sie zu überzeugen, dass Biermann sie eigentlich nicht verdiente und dass ihre Beziehung mit Biermann ein Verrat an wahren Freunden wäre. Hans Oliva-Hagen „rastete aus“ und übernahm die Vorwürfe an Biermann, die vom Staat stammten: Er konnte es nicht fassen, dass Hagen ihre Tür dem Klassenfeind aufgemacht hatte und zerriss ein Bild von Biermann an der Wand. Das Gespräch wurde zum heftigen Kampf und Hagen zeigte Freundin A. und Hans Oliva-Hagen die Tür. Hagen bemerkte eine große Veränderung in dem Verhältnis der Freundin A.: Sie war plötzlich kühl und distanziert. Es gab keine Freundschaft mehr, da Hagen sich für Biermann entschieden hatte.[163]

Hagen berichtete leidenschaftlich vom Besuch Hans Hagens und der Freundin A.. Der Brief, den sie Biermann schrieb war besonders lang und detailliert. Er zeugte von ihrer Wut aber auch von ihrer Beharrlichkeit. Sie betont jedoch auch, dass es „zum Totlachen [ist]. Aber so naiv [ist sie] nicht, dass [ihr] der Ernst der Lage nicht bewußt wär.“[164] Diese Veranstaltung gegen Biermann war zweifellos eine unmittelbare Folge der Zeitungsartikel gegen Biermann, die in Neues Deutschland und Junge Welt erschienen.

Wir sehen nun, dass die Hetzkampagne, die gegen Biermann angekündigt wurde, zum Isolationsprogramm gehörte und unmittelbar Hagen betraf, da sie zwischen Biermann und somit einem unterdrückten Leben und dem Staat und ihrer Karriere wählen musste. Dies schließt sich in Hagen Erwachensprozess ein, der das endgültige Ende des Märchens ergibt.

4.4.6 Der Tod Dornröschens oder der Biss in den Apfel

Obwohl der Staat sich in seiner wahren Gestalt zeigte, kann sich Hagen dieser Realität nicht ergeben. Das Verbot und die nachfolgende Hetzkampagne gegen Biermann bestätigte das Gefühl, dass Hagen schon nach ihrer Begegnung mit den Mächtigen bekam. Dieses Mal bringt sie mit einem verzweifelten Ton ihre Bestürzung zum Ausdruck. Als Paratext zu folgendem Zitat stehen zwei “Schappschüsse” von Hagen als Jugendliche, die beim Spaßhaben und Musikmachen geknipst wurden, als eine Art Beweis dessen, was sie im folgenden Zitat beschreibt:

Die schöne heile Zeit, meine Jungmädchenjahre in der FDJ, ich, das Arbeiter- und Bauernkind, wie wir zu Ernte-Einsätzen fuhren zwischen Fahnen im Wind, auf LKWs zur Kreismeisterschaft, aufstiegen in die Bezirksklasse, Wettkämpfe, Subotniks, Kartoffelkäfersammeln, gesungen, gelacht, gute Menschen getroffen auf’m Weg bis zu Dir hin. Das alles kann nicht nur Schein gewesen sein, für null und nichtig erklärt werden. In meinem Kopf ist ein Drunter und Drüber. Ich will und kann es nicht glauben, daß man Dich ablehnt. Als wüchsen mir Stacheln im Gehirn. Dieser Kampf zwischen Nichtwahrhabenwollen und der Gier nach besagtem Apfel, Märchen und Realität, als zöge man mir den Teppich weg untern Füßen, als würde der feste Boden zerbröckeln.[165]

Natürlich hat man in der DDR nicht nur gelitten und man braucht dazu keinen „Beweis“. Aber das neue Leben, das so verheißungsvoll und glücklich angelaufen war, schien sich verflüchtigt zu haben. Im Kapitel 3.2.2.1 haben wir die Polysemie der Symbolik und die möglichen Interpretationen des Apfels diskutiert; interessanterweise gilt hier der Apfel ausdrücklich, durch eine Parallelisierung, als Gegenstück zu Märchen und als Symbol des Wirklichkeitserkennens. Hagen legt die Existenz von zwei Aspekten dar. Der metaphorische Apfel der Erkenntnis entspricht der Realität, indem er Hagen zwingt, die Realität wahrzunehmen. Das Märchen entspricht dem „Nicht wahrhabenwollen“, bzw. dem Bedürfnis nach „Lebensfreude“, die Hagen so lebenswichtig war[166]. Also bedeutet der Biss in den Apfel die Erwachung bzw. das Ende des Märchens. Da diese Erkenntnis im direkten Zusammenhang mit ihrer Begegnung mit Biermann steht, kann man einen Bruch in der üblichen metaphorischen Darstellung des Apfels erkennen und behaupten, dass Biermann die traditionelle Rolle der Eva eigentlich gespielt hat, indem er derjenige ist, der die Erkenntnis mit sich getragen hat, der den Apfel Eva(-Maria) überreicht hat, der der böse Wolf ist.

Wenige Tage später, am 5. Dezember 1965, nachdem der erste Artikel über Biermann in „Neues Deutschland“ erschienen war und nach der Erfahrung im Kurort, scheint Hagen mit der Realität schon klarer zurechtzukommen:

Übrigens entdeckte ich an mir neue Qualitäten, komme eher auf den Punkt. Ich muß mehr lesen, klar formulieren lernen. Und trotzdem ist meine Schwester, was die Maria ist, stolz auf Eva, wie die besagten Apfel krachend in sich reinfrißt, ob er nun süß ist oder sauer.[167]

Ihren Namen, den wir schon im Kapitel 3.2 besprochen haben, benutzt Hagen, um die Symbolik des Apfels und des Märchens zu betonen: Hagen übernimmt die „Rolle“ der wachen Eva, die die Realität – den Apfel – nun annimmt, egal ob sie angenehm ist oder nicht, bzw. süß oder sauer ist. Maria ihrerseits, die als gefügiges Wesen gilt bzw. als Verkörperung einer Märchenfigur – wie Schneewittchen – gelten könnte, ist mit dem Biss einverstanden und sogar stolz, vielleicht weil Hagen Selbstverantwortung übernimmt. Das “Krachen des Apfels” beim Reinfressen in sich, erinnert an die Erregung und den Knall, die mit der genannten Erwachung verbunden sind. Das oben stehende Zitat zeigt, dass Hagen eine Art Gleichgewicht findet, das ihr erlaubt, positive Aspekte an der Lage zu finden, indem sie in sich eine neue Qualität erkennt und versteht, dass sie sich auf einen psychologischen Krieg vorbereiten muss: Das Märchen war endgültig vorbei.

4.5 Überwachung und Gewalt

In diesem Kapitel werden wir uns mit der Verwirklichung der staatlichen Drohung beschäftigen. Diese beinhaltet eine starke Überwachung und schärfere Maßnahmen, also spielt das Ministerium für Staatsicherheit eine bedeutende Rolle in diesem Teil unserer Analyse. Der fünfte Teil unserer Analyse des Kapitels „Der Biss in den Apfel“ ist durch die Einführung der ersten Stasi-Berichte gekennzeichnet, den wir analysieren werden. Sie enthalten viele Informationen über den Mordversuch an Hagen, den Folgen der Hetzkampagne und die Einsatz der Isolationspolitik. In diesem Zusammenhang werden wir an den Wechsel des Erzählers herangehen und besprechen, wie er den Standpunkt des Lesers beeinflusst.

4.5.1 Die enthüllte Staatssicherheit

Das Ministerium für Staatssicherheit, „Schild und Schwert der Partei“, hatte die Aufgabe, die Partei zu schützen. Es heißt praktisch, dass es das Ziel des MfS grundsätzlich war, „vermeintliche oder tatsächliche Gegner der Transformation zur Volksdemokratie nach sowjetischem Vorbild aufzuspüren und dingfest zu machen[168]“. Um dies zu erreichen, sollte das MfS sich in jeden Bereich der Gesellschaft einnisten, da die SED auf eine absolute ideologische Kontrolle aus war, die nur mittels engster Überwachung zu überprüfen war. Die Resultate war oft Erpressung und Verfolgung, wobei Anwendung von Gewalt nicht ausgespart blieb. Als Gegenwehr entwickelte sich eine besondere Redeweise, ein bestimmter Umgangston, ein durch-die-Blume-sprechen, das in der Kunst des Briefschreibens eigene Blüten trieb.

4.5.1.1 Die Sklavensprache

Die Überwachung von feindlichen „Elementen“ – wir haben es früher erwähnt – bedeutete auch das Lesen von Briefen. Nina, die Tochter Hagens unterhielt auch eine Korrespondenz mit ihrem Stiefvater. Biermann, der ahnte, dass seine Post kontrolliert wird, nutzte die Gelegenheit, um die Stasi direkt anzusprechen, wie in diesem Brief an Nina, geschriebenen Brief:

Liebes Schlumpfi! Du hast mit Deinem ernsten Schlumpf wirklich recht: ich halte mich dran und schreibe kein einziges Schlumpf auf den großen alten Schlumpf (ich reib mir schon die Schlumpfe bei dem Gedanken, daß unsere Staatssicherheitsschlumpfe auch diesen Schlumpf aufschlumpfen und denken, daß der böse böse Bierschlumpf jetzt eine raffinierte Geheimschlumpf entwickelt hat. Wir wollen es ihnen nicht zu leicht machen und sagen gleich, was ›Schlumpf‹ bedeutet: Schlumpf bedeutet SCHLUMPF. So nun ist alles klar, pardon: schlumpf.)[169]

Der oben stehende Brief ist ein wunderbares Beispiel für die breite Palette von Biermanns Humor. Die Anwendung der niedlichen „Schlumpfsprache“ ist kindgerecht aber auch sarkastisch und grotesk gleichzeitig, besonders, als nahe gelegt wird, Stasi-Leute würden nicht einmal die Schlumpfsprache, d.h. eine Kindersprache verstehen und bräuchten Erklärungen. Die große Frustration für die Stasi war, dass die zwei ersten Zeilen tatsächlich unverständlich sind. Biermann schreibt, dass die „Schlumpfsprache“ womöglich eine „raffinierte Geheimsprache“ sei, um der Stasi spöttisch zu zeigen, dass sie die Gespräche zwischen Nina bzw. Hagen und Biermann nicht zu verstehen vermag. Biermann will wahrscheinlich klar machen, dass die Überwachung erfolglos sein wird, weil die Stasi ihre „Sklavensprache“ bzw. die „Schlumpfsprache“ ohne seine Hilfe nicht verstehen kann und die gewollten Informationen verpasst. Er wandelt seine objektive Unterlegenheit in eine subjektive Überlegenheit. Laut Hagen gelang es Ihnen tatsächlich, die Pläne der Stasi zu durchkreuzen, wie sie es betonte, als ich sie fragte, was die Waffen der Opposition in der DDR waren:

Aber es war so ein Trend, sich ins Private zurückzuziehen, eine Art „Sklavensprache“ zu entwickeln, in Andeutungen, „durch die Blume“ zu sprechen. In den „Stasi-Akten“ sind Beispiele von Gesprächen, Abhör-Protokollen zu finden, wo der Informant oder „Lauscher“ an der Wand genervt anmerkt: „Sie sprechen übers Wetter und Belangloses“.[170]

Biermann richtet sich hier an ein Kind, mit dem er spielt, aber er dreht dieses Spiel um, indem er die Stasi einschließt und zum ohnmächtigen Beobachter macht. Die Vermischung des Niedlichen und der Härte der Machtverhältnisse ist grotesk, zeigt aber wie unsinnig die Überwachung eines Gesprächs mit einem Kind ist, als könnte es staatsfeindlich sein und mit Biermann konspirieren. Wir haben ein wunderbares Beispiel dafür, dass Zwang und Mangel die Kreativität hat fördern können.

Die Existenz einer geheimen Sprache spiegelt sich auch in der Rolle der Symbolik des Apfels und des Märchens wider, indem ein gewisses Geheimnis unabdingbar war. Andeutungen und Metaphern waren damals notwendig und sind heute dem Leser teilweise unverständlich, wie z.B. als Biermann schrieb: „Ich [...] umarme Dich [...] – Dein Wolf – (18.8.?)“[171]. Biermanns und besonders Hagens Schreibstil spielen jedoch auch eine wichtige Rolle dabei, indem sie selber Figuren und Metaphern in sich schließen. Merkwürdig ist es aber, dass die Symbolik des Apfels und des Märchens, die sich in den sechziger Jahren spontan entwickelte, vierzig Jahre später zur wesentlichen Triebkraft einer Erzählung wurde.

Auf der Strukturebene kann dieser Brief als Einführung zur Stasi-Erzählung bezeichnet werden. Sie stellt einen Übergang dar, da von nun an die Geschichte aus einem anderen Blickwinkel, von einem Stand punkt aus, nämlich aus dem der Stasi, erzählt wird. Die „Stasi-Akten“, von denen Hagen spricht, werden übrigens in den folgenden Seiten tiefer behandelt.

4.5.1.2 Die große Spinne webt ihr Netz

Ab diesem Punkt wird die Geschichte zum Teil mit Hilfe von Stasi-Berichten erzählt. Das Belauschen von Gesprächen erlaubte der Stasi, einen Handlungsplan zu entwickeln und dann, nach dessen Verwirklichung, die Wirksamkeit zu beurteilen. Dieses System war aber nicht ohne Lücken: Viele Informationen erwiesen sich als überflüssig, während andere auf Vermutungen beruhten, die manchmal groteske Folgen hatten. Eva und der Wolf enthält übrigens einige Beispiele davon, die wir gleich besprechen werden.

Die folgenden Seiten des Buches sind sehr informationsdicht, da sie Ausschnitte aus wichtigen Berichten, die Hagens Schicksal feststellten, enthalten. Außerdem spielt diese Änderung eine wichtige Rolle für den Leser. Diese Umbesetzung des Erzählers erlaubt dem Leser, die Geschichte aus verschiedenen Standpunkten zu betrachten. Der staatliche Stil bricht mit Hagens und Biermanns leidenschaftlichem Stil, woran der Leser bis jetzt gewöhnt war. Die Umbesetzung des „Erzählerpostens“ erzeugt einen Bruch im Rhythmus und erweist sich als besonders wichtig für den Leser, indem es ihm ein Gefühl der Beklemmung verleiht. Wir werden nun die ersten Stasi-Berichte ins Auge fassen, indem wir die Umbesetzung des Erzählers und die Isolierungspolitik der Stasi weiter erklären.

In einem ersten Abschnitt dieses Berichtes wurden Biermann und eine Frau belauscht, als sie über Hagen im Februar 66 sprachen. Sie reden unter anderen über die Beziehung Biermann-Hagen. Es scheint eine Bewertung der Lager zu sein:

Sie [Hagen] neigt sogar dazu, daß sie sich öffentlich rückhaltlos für Biermann erklärt. Das bedeutet für sie, daß sie im Arsch ist. Aber sie liebt Biermann. Es ist schon wieder eine politische Haltung, daß man liebt. [...] Der ganze Freundeskreis, den sie früher hatte, ist von ihr weg. Sie lebt jetzt in völliger Klausur. [172]

Etwa vier Wochen nach Erscheinen des Artikels gegen Biermann bezeugt diese Stelle von den Folgen für Hagen der Hetzkampagne gegen ihn. Obwohl Hagen und Biermann sich nicht getrennt haben, ist es dem Staat dennoch gelungen, Hagen „in völliger Klausur“ zu isolieren. Vermutlich stammen Hagens Freunde meistens aus der von dem Staat kontrollierten Kinowelt der DDR. Das heißt, dass eine treue Freundschaft zu Hagen ihnen ihre Karriere gekostet hätte. Also waren die Befürchtungen Hagens leider berechtigt und die angesehenen Freunde Hagens wollten nichts mit der Gefährtin eines Staatsfeindes zu tun haben. Jedoch gab sich der Staat damit offensichtlich nicht zufrieden, da er dabei war, einen neuen Anschlag vorzubereiten.

4.5.2 An der Spitze der Gewalt

Das nächste Dokument – eines der härtesten –, welches wir nun besprechen werden, ist auf den 1. April datiert. Wir befinden uns jetzt an der Stelle, wo die Steigerung der Gewalt ihren Höhepunkt erreicht. Im folgenden Zitat wird über Hagens Autounfall berichtet, der allem Anschein nach ein Mordversuch war:

1.4. 1966 – Unterhaltung zwischen Frau H. und Wolf B. Frau H. berichtet über die Ursachen des kaputten Autoreifen. Sie sagt, daß die Nägel so reingeschlagen wurden, daß die Luft nur langsam entweichen konnte. Bei großer Geschwindigkeit wäre sie unheimlich ins Schleudern gekommen, und es hätte sich ein furchtbarer Unfall ereignen können. [...] Wolf erwidert: Das sind Mörder! […] Bei dieser Geschwindigkeit geht die Luft heraus, und man fährt sich tot. Auf die Art und Weise werden Menschen umgebracht […] Bei diesem Fall handelt es sich um einen vorsätzlichen Mordanschlag (…) Wolf macht den Vorschlag, daß Eva die Geschichte der Kriminalpolizei meldet. Eva ist von seinem Vorschlag nicht begeistert. […] Wolf erwidert, daß einige von ihnen sehr nett sind.[173]

Dieser Unfall war tatsächlich allem Anschein nach ein Mordanschlag, da wie Biermann betonte, Jugendliche mit bösen Absichten die Nägel nicht so präzise hätten reinschlagen können. Außerdem griff bekanntlich manchmal die SED zu den äußersten Mitteln, wie Inhaftierung oder Entführung. Ein Mordanschlag war deswegen nicht auszuschließen.

Aber gegen wen war dieser Mordanschlag gerichtet? Es wird in dem Geschichtsliebhaberkreis behauptet, dass Biermann das eigentliche Ziel des Anschlags war und dass Hagen an diesem Tag das Auto Biermanns genommen hätte. Die Frage nach dem Verständnis – und auch nach den Grundkenntnissen – des Lesers lässt sich in dem oben zitierten Fall stellen, weil der Leser den Eindruck bekommt, dass Hagen das eigentliche Ziel des Anschlags war. Wir wissen, dass Biermann und (doch) nicht Hagen zum Staatsfeind erklärt wurde. Deswegen werden wir die Möglichkeit nicht ausschließen, dass das Auto Biermann gehörte und dass er das eigentliche Ziel war. Allerdings bezeugt dies, dass Hagen, indem sie sich für Biermann entschieden hatte, Biermanns Fatum teilte.

Darüber hinaus betont hier Biermann eine wichtige Erkenntnis, da Hagen die Parteilosigkeit der Polizei zu bezweifeln scheint. Er nuanciert seinen Diskurs über den Machtapparat, indem er erkennt, dass auch einige gute Menschen für den Staat bzw. bei der Polizei arbeiten. Auf solche Gedanken kommen Hagen und Biermann in Eva und der Wolf regelmäßig, da sie anscheinend viel Wert darauf legten, nicht gehässig zu werden und nicht zu vergessen, dass es überall gute Menschen gibt, auch beim Staat selbst. Hagen betonte außerdem in dem Interview, das sie mir gab, dass sie dem gesunden Menschenverstand vertraute – sowie ihrem Charme.[174] Leider erwies sich in diesem Fall Verführung und Zuversicht wirkungslos.

4.5.3 Anatomie eines Nervenkrieges

Die Stellen, von denen nun die Rede ist, stellen einen Bruch dar, da der Leser aus Hagens Standpunkt in den der Stasi versetzt wird. Zwei Bilder, die von der Stasi gemacht wurden, stehen im Paratext. Deren Rückseiten, auf denen Information über die Zeit und den Ort stehen, sind auch gezeigt. In der folgenden Stelle wird über dramatische Ereignisse berichtet, als ob es nur eine normale Etappe eines Vorgangs wäre. Der distanzierte und kühle Ton fällt besonders auf:

Zum Verhältnis Hagen-Biermann: B. versucht die H. zu beeinflussen, daß sie sich konspirativ verhalten soll. Beide leiden darunter, daß sie sich ständig beobachtet fühlen. Die H. ist völlig mit den Nerven herunter, was sich schon auf ihrer Arbeitstelle bemerkbar macht. Dort schreit sie und benimmt sich oft hysterisch. Die H. soll in ihrer Wohnung einen Dolch versteckt haben, um sich eventuell wehren zu können, wenn sie abgeholt werden soll. (...) Bei der Hagen wird vermutet, daß diese süchtig ist.[175]

Hagens Entscheidung, ab diesem präzisen Punkt die Geschichte mittels Stasi-Berichte zu erzählen, wurde sicherlich nicht zufällig getroffen: Sie macht damit die Heftigkeit der Verfolgung und Überwachung deutlich, die diesen Zeitabschnitt ihres Lebens so geprägt hat. Daraufhin wird noch einmal die Geschichte völlig ihrer Leidenschaft beraubt. Der Abstand, mit dem der Mitarbeiter schreibt, erzeugt beim Leser den Eindruck, durch die Augen eines verrückten Forschers zu sehen, der Hagen und Biermann unter einem Einmachglas gefangen hält, und der seine Versuchskaninchen beim Leiden untersucht. Der Leser betrachtet plötzlich die Geschichte aus dem Standpunkt des Staates. Diese Änderung hebt Hagens Machtlosigkeit und Leid hervor, indem sie den Eindruck erzeugt, dass das Paar machtlos in die Hände des Staates geraten sei. Man versteht deutlich die Demütigung und den Druck, jederzeit hinterrücks belauscht zu werden.

Diese Stelle lässt die grausame Unmenschlichkeit des Systems durchscheinen und zeigt, dass ein Mensch alleine kaum ins Gewicht fällt – welches die Anwendung der Isolierungspolitik „rechtfertigt“ sozusagen. Der Leser erkennt jetzt die Heftigkeit der Verfolgung und der Angst, die sich seit dem Mordanschlag eingenistet haben. Die Stasi setzte weitere Zersetzungsmaßnahmen ein, wie folgend erläutert wird:

(Maßnahme-Pläne) (...)

4. In der Wohnung der Eva-Maria H a g e n ist eine konspirative Hausdurchsuchung durchzuführen, um vom Inhalt der von Biermann neu produzierten Lieder und Gedichte und anderer gegen die DDR gerichtete Schriftstücke informiert zu werden.

[…]

6. Mit der Partei sind Maßnahmen abzusprechen, um die Schauspielerin Eva-Maria Hagen, die bisher Biermann finanziell unterstützte, zu veranlassen, sich vom ihm zu trennen. Unsere Vorschläge gehen dahin – entsprechende Maßnahmen der Einschränkung der Auftrittsmöglichkeiten mit den zuständigen Leitern bei der DEFA, im DFF [Deutscher Fernsehfunk], StRK sowie der Deutschen Künstleragentur einzuleiten; alle Auftritte der Hagen überprüfen, feststellen, ob sie in versteckter oder offener Form Lieder von Biermann oder Gedichte und Balladen vorträgt (…).[176]

Arbeit mit IM: - 1. Die IM ›Lamprecht‹ und ›Davis‹, die einen guten Kontakt zu Biermann unterhalten, sind zielstrebig zum Einsatz zu bringen, […] Ziel muß es sein – Verbindung zu den in Westdeutschland wohnhaften Personen herzustellen, den Charakter der Besuche in Erfahrung zu bringen; rechtzeitig informiert zu werden über das Produzieren von neuen Liedern, wie soll die Weitervertreibung stattfinden, welche Rolle spielt dabei die H a g e n (…)[177]

Die Stasi hat vermutet oder gewusst, dass sich Biermann lange Zeit bei Hagen aufgehalten hat, da die Wohnung Hagens als Wohnsitz und Arbeitsplatz Biermanns galt. Außerdem vermerkte die Stasi in ihrem Bericht, dass nachzuschauen sei, ob Biermann als Untermieter bei Hagen gemeldet war. Wenn nicht, sollte er gesetzlich bestraft werden. Das oben stehende Zitat entlarvt die zwei Hauptziele der Stasi. Erstens wollte die Stasi alles über die neuen Werke von Biermann wissen, damit sie deren Verbreitung verhindern konnte, besonders in Westdeutschland, da er seine Platten dort erscheinen ließ und so der DDR schadete. Es gab übrigens in den Akten ein ausführliches Diagramm, wo alle Kontakte Biermanns dargestellt waren, was von der maßlosen Aufmerksamkeit zeugt, die Biermann bekam. Zweitens wollte die Stasi Biermanns Geldversorgungsquelle entdecken und sie unterbinden. Dies sollte auf den freiwilligen Umzug Biermanns in die BRD hinauslaufen. Hagen wurde also als Versorger und als Mitschuldige identifiziert. Hagen saß schon in der Klemme.

Die Maßnahmen zur Trennung von Hagen und Biermann werden nicht weiter erläutert. Jedoch gibt es für den Leser im folgenden Kapitel des Buches Anlass zu denken, dass die Stasi sich schöne Frauen als IM aussuchte, damit sie Biermann verführten und so die Trennung auslösen konnten. Als Leserin erschien es mir als Möglichkeit, dass die nächste Gefährtin Biermanns, womöglich eine IM gewesen war. Jedoch als ich Hagen fragte, ob die Stasi eine Rolle bei ihrer Trennung von Biermann gespielt habe, antwortete sie:

Ich glaube nicht. Die „Große Spinne“ hat zwar alles versucht, hat ihre Netze gesponnen und sogenannte „Legenden“, zynische Rollenspiele erdacht, uns weibliche oder männliche Lockvögel zufliegen lassen, aber unsere Trennung war ja nicht von der Art, daß unsere Menschenliebe und Freundschaft dadurch in die Binsen ging, im Gegenteil: die Solidarität und das Vertrauen waren geblieben, was die „Kämpfer von der unsichtbaren Front“ nicht erfreulich fanden. Ich blieb in ihren Augen also eine „Abtrünnige“, eine zu „observierende Person“.[178]

Wir können diese Gelegenheit nutzen, um ein weiteres Beispiel für den Belang der Rolle des Lesers sowie der Lücken in der Erzählung darzustellen. Die Struktur des Buches eignet sich zu Missdeutungen, wobei es keine Brücke zwischen den gegnerischen Erzähler-Lagern – Stasi und Hagen-Biermann – gibt. Dies schafft eine Art leeren Raum zwischen den Perspektiven der verschiedenen Erzähler, da, obwohl beide Erzähler sich einigermaßen ergänzen, es ihnen nicht gelingt, zusammen zu wirken und sich gegenseitig zu erklären. Daraus ergibt sich die Verzerrung und Verwicklung der Wahrheit, allerdings kann sich dabei der Leser mit einer beeindruckenden Authentizität zufrieden geben.

Hagens Antwort zeugt übrigens von der Dauerhaftigkeit der menschlichen Gefühle und beweist gleichzeitig, dass es dem MfS nie gelungen ist, Biermann ganz zu isolieren. Biermann konnte sich nicht nur auf Hagen verlassen, sondern auch auf Freunde und Dissidenten – auch wenn abgeschwächt – wie Peter Huchel und Robert Havemann.

4.5.4 Ein Beispiel der staatlichen Großbürokratie

Ein weiteres Dokument bzw. eine Tonbandabschrift vom 10. Juni 1966 führt den Faden und die Hauptgedanken der Berichte zusammen. Die Funktion „Informeller Mitarbeiter“ (IM) wurde 1964 mit der Gründung der Hauptabteilung XX gegründet. Jedoch wurde die Bezeichnung „Geheime Informatoren“ oder GI bis 1968 in Gebrauch.[179] Anscheinend sind diese zwei Bezeichnungen – GI und IM – damals gleichzeitig in Gebrauch gewesen, da teilweise von „IM Davis“ und teilweise von „GI Davis“ berichtet wird. In diesem Fall handelt es sich um einen Bericht von einem Besuch der GI »Davis« zu Biermann. »Davis« scheint, das Vertrauen des Paares für sich gewonnen zu haben. Bis ihre Akten geöffnet wurden, wussten Biermann und Hagen natürlich nicht, dass diese Leute eigentlich Spitzel waren. Wir earfahren u. a., dass Biermann verhaftet worden war und dann wieder freigelassen wurde. Obwohl die Isolierungspolitik der SED scheiterte, gestand Biermann, dass er nicht mehr in der BRD veröffentlichen wollte, da die Probleme, die damit verbunden waren, zu groß waren. Die Glaubwürdigkeit des GI »Davis«, vom Standpunkt des Staates betrachtet, erscheint fraglich: Es ist heute bekannt, dass mehrere Informanten und Mitarbeiter irrtümlich oder absichtlich Informationen lückenhaft oder gar nicht vermittelten. Außerdem enthielt dieser Bericht viele Vermutungen, die auf Grund der ›Sklavensprache‹ irreführend sind, wie es im Kapitel 4.5.1.1 dargestellt wurde. Dies schadete der Glaubwürdigkeit und der „Informationsqualität“ der Berichte. Diese Vermutungen verstärken den Bruch im Rhythmus, der von dem Wechsel der Erzähler verursacht wird, indem sie Zweifel in den Gedanken des Lesers bewirken:

Aber er schreibt viele Lieder, scheint sehr produktiv zu sein trotz allem [...] [Biermann] scheint sehr sehr niedergeschlagen zu sein [...] Wovon er lebt weiß ich nicht, möglicherweise von dem durchgebrachten der Hagen. Zu seinen Verbindungen kann ich nichts sagen. Er spricht allerdings von uns, d.h. es muß noch mehrere Leute geben, mit denen er sich verbunden fühlt. Er sagte in diesem Zusammenhang, ›ausgerechnet diese Stalinisten müssen uns diese Vorwürfe machen.‹ Das sind also mehrere. [...] [180]

Wir fassen nun ins Auge, wie viele Vermutungen ein einziger Bericht enthalten konnte. Der oben stehende Bericht ist ein Beispiel für die übertriebenen Vermutungen, die die Stasi teilweise auf falsche Fährten brachte. Die SED hatte zahlreichen Künstlern und Intellektuellen scharfe Vorwürfe gemacht und dabei die Intellektuellen marginalisiert. Die SED schuf eine Welt, wo alle Außenseiter automatisch als konspirative Verschwörer betrachtet wurden. Es ist also die SED, die dieses „wir“ und „sie“ förderte. Nun wird darüber berichtet, als ob es eine Überraschung wäre. Der GI unterstellt deswegen eine konspirative Haltung, weil Biermann sich mit anderen Opfern identifiziert. Das heißt noch lange nicht, dass es eine verborgene Konspiration gab. Außerdem könnte „uns“ einfach nur „Eva-Maria und ich“ bedeuten. Hagen betonte, als ich sie zu den Waffen der Opposition in der DDR befragte, dass die Stasi die harmlosen Aussagen in Subversives wie Staatshetze, Verunglimpfung der Führungskräfte uminterpretierte.[181]

Zum Entmenschlichungsprogramm gehörte auch die Übersetzung der menschlichen Sprache in eine „staatliche Sprache“. Es ist auch grotesk, die Sprache der Liebe in staatliche Sprache übersetzten zu wollen wie hier: „Durch die Hagen ist B. des öfteren von dort [Peter Huchels Wohnung] abgeholt worden, weil die H. angeblich nicht ohne B. sein konnte.[182]“ Diese befremdende Formulierung entstellt völlig die ursprüngliche Leidenschaft der Beziehung und verneint menschliche Gefühle und hebt den Bruch der Erzählung hervor. Die Anwendung von Initialen anstatt von Namen trägt zu der Entmenschlichung von „feindlichen Elementen“ bei, ebenso die Anwendung einführender Artikel vor den Namen oder von Lücken zwischen Buchstaben, wie hier unten. Obwohl dies zum Lächeln anregen könnte – wie Hagen es früher betonte – war die Stasi nicht zu Scherzen aufgelegt. Und auf dem Weg konnte wohl „die H a g e n“[183] weggefegt werden.

Aus allen diesen Gründen kann man davon ausgehen, dass der Inhalt mündlicher und schriftlicher Berichte nicht als Wahrheit gelten darf und deshalb mit einem kritischen Blick betrachtet werden sollte.

Im selben Bericht setzt der GI »Davis« fort, indem er seine Verbindung zu Biermann und Hagen einschätzt. „Davis“ fühlt sich allem Anschein nach gezwungen, sich für seine Zustimmung zu Biermann rechtfertigen zu müssen.

[...] Ich hab ihm aber in vielem zugestimmt [...] Meine Zustimmung wird dazu beigetragen haben, daß er überhaupt einigermaßen Vertrauen zu mir gefunden hat, um sich überhaupt mit mir über die Dinge zu unterhalten. Ich habe also nicht alles pauschal in Bausch und Bogen verbannt, sondern einiges anerkennen müssen, selbst in seinen Gedichten, welches mir im Moment nicht mehr geläufig ist. [...] weil er [Biermann] mich in dieser Hinsicht [Musik] schätzt und ich wiederum von der Eva-Maria Hagen weiß und sie mich sehr schätzt, glaube ich, daß die Verbindung beibehalten werden kann und daß ich jederzeit mich dort sehen lassen kann, um mich mit ihm zu unterhalten. Das ist also so, daß ich von beiden des öfteren eingeladen worden bin, vorbeizukommen.[184]

Die Isolationspolitik der SED machte die Infiltration des Privatkreises des Paares etwas leichter, da Biermann und Hagen menschlichen Kontakten mehr als je zuvor bedurften. Die Stasi durfte dann hoffen, die „subversiven Elemente“ zu beschwichtigen. Weiterhin scheint es dem Leser, als ob Hagens und Biermanns ganzer Bekanntenkreis völlig infiltriert war. GI Davis betonte:

Ich glaube wohl, dass Biermann mir einiger Maßen freundlich gesonnen ist, möglicherweise aus dem Grund, weil er doch etwas unter Einsamkeit lebt und sich freut, mit irgendwem zusammenzukommen, sich zu unterhalten, mehr noch seine Lieder vorzustellen.[185]

Möglicherweise war der GI Davis einer der „Lockvögel“, die Hagen und Biermann trennten sollten. Der GI schien in den zwei letzten Zitaten in einer unangenehmen Situation zu sein. Er scheint sich bei seinem Chef entschuldigen zu wollen, dass er Biermann zugestimmt hat. Es ist gerade dieser Umstand, welcher der Stasi einen bösen Streich gespielt hat: Obwohl die SED auf eine totale Kontrolle der Bevölkerung abzielte, „lässt sich eine solche Kontrolle nie erreichen, nicht einmal innerhalb der Reihen ihrer Parteimitglieder oder Kader, geschweige denn über die Bevölkerung insgesamt.[186]“ Anders gesagt, ist es nicht immer möglich, einen Menschen zu entmenschlichen und ihn von Willen und Gefühlen zu trennen, wie die Stasi sich darum bemühte. Die Erziehung zum sozialistischen „neuen Menschen“ hatte aus dieser Perspektive von Anfang an keine Chance und konnte nur scheitern, aber leider nicht, ohne schweren Schaden zu verursachen.

4.6 Zwischen Machtlosigkeit und Hoffnungen

Es wurde schon herausgearbeitet, wie einsam Biermann und Hagen sich fühlten. Es wurde von GIs berichtet, dass Hagen besonders unter der Unterdrückung und Isolationspolitik litt. Jedoch haben wir auch gesehen, mit welcher Eigensinnigkeit und mit welcher Kraft sich Hagen und Biermann einander unterstützten. Dieser besonders mäklige Zeitabschnitt schließt sich mit einem Gedicht von Biermann ab. Dieses Gedicht wirkt als Übergang zwischen den zwei verschiedenen Erzählungsstilen – kühlen Stasi-Berichten und heiße Briefwechsel – und bringt den Leser wieder mit der Leidenschaft des Paares in Berührung:

AUFERSTEHUNG – für Eva

(das ist die Rehabilitation Jesu in unsere Liebe)

In unserer Liebe findet das Evangelium

Seine Wahrheit. In unserer Liebe nämlich

Auferstehen wir von den Toden

Der Umarmungen, den wollüstigen. Wir

Auferstehen in die Himmel der Ermattung

Auffliegen wir, um herrlicher zu stürzen

Mächtig sprang mein Fleisch in deines Fleisches Wolken

Bevor der Mast brach

Bevor das Boot sank

Sangen wir vor Übermut und Ängsten

Ach, diese Tiefen unter dem Spiegel der Wellen !

Ach, diese Ströme dann gelinder Erschöpfung !

In deinen Schenkeln, Frau

Erkenne ich die Pfeiler dieser Welt

Sie brechen auseinander

In diesen Toden, Geliebte

Ahne ich, was uns noch erwartet:

Das Lebendige

In unserer Liebe ist die Erlösung

Da also ist die Auferstehung

Der die Kirchenväter, die listigen

Den Namen gaben: JESUS[187]

In Jesus erkennt man Hingabe aus Liebe für die Menschheit. Man erkennt auch in ihn denjenigen, der aus Liebe für die Menschheit aus dem Reich der Toten zurückgekommen ist. Die Symbolik übernimmt Biermann, um die Schwierigkeiten darzustellen, die das Paar überstanden hat und die mit dem Tod dargestellt sind. Hier stehen Tod und Auferstehung/Liebe für die Erpressung und der neue Anfang des Paares. Jene zwei metaphorischen Bilder werden jeweils mit einem Wortfeld wiedergeben. Das Wortfeld der Auferstehung und der Liebe schließt u.a. folgende Begriffe ein: Evangelium, Liebe, Wahrheit, Umarmung, wollüstig, Auffliegen, Boot, Mast, Wolken, sangen, gelinde Erschöpfung, Pfeiler Geliebte, Lebendige, Erlösung, während das gegenständige Wortfeld, das des Todes und der Erpressung aus folgenden Elementen besteht: Toden, Ermattung, stürzen, brach, sank, Übermut, Ängsten, listigen. Die Auferstehung wird durch die Vokabel dem Tod gegenübergestellt.

Man merkt jedoch eine verstrickte Anwendung dieser Wortfelder, die uns zeigt, dass die Auferstehung bzw. die Liebe ohne den Tod[188] bzw. die Erpressung nicht möglich ist, obwohl das Wortfeld der Liebe reicher als das der Erpressung ist. Das Ende schöpft neue Hoffnungen: Dem Tod wird das Paar entkommen, das auferstehen kann, indem ihre Liebe die Erlösung von den „listigen Kirchenväter“ bzw. der Stasi ist. Die Kirchenväter gelten für viele als diejenigen, die die Religion verzerrt haben und die über Jesus Wort eine Institution errichtet haben. In derselben Art haben die kommunistischen Regierungen Marxens und Lenins Wort verzerrt und die kommunistische Diktatur darauf errichtet. In diesem Zusammenhang besteht eine Parallele zwischen Biermann und Jesus – Biermann als Vermittler des wahren Sozialismus und Jesus als Vermittler des wahren Wortes Gottes. Die Kirchenväter ernannten Jesus, bzw. die Kirchenväter haben Jesus erhoben. Sie schufen den „prominenten“ Jesus, indem sie seine Wörter für ihren eigenen Nutzen verzerrten. Auch Biermann wurde durch die Hetze und die Propaganda bekannt.

Die Rehabilitation Jesu in ihrer Liebe erinnert an eine neue Welle Hoffnung, da die Rehabilitation eine Neuentdeckung der verlorenen Reinheit Jesus einbezieht (bevor die Kirchenväter seine Worte verzerrten). Dies ist womöglich eine irrtümliche Analyse des Gedichtes, da der Sklavensprache-Faktor berücksichtigt werden muss. Es spiegelt aber gut die Stimmung des Paares zu dieser Zeit wieder: aus seiner Asche neu erstehen.

4.6.1 Die Auferstehung

Der nächste Brief betont den Anfang eines „wachen Lebens“, ja sogar eine Art Erholung von dem Anschlag. Hagen arbeitete damals bei einer DEFA-Produktion in der Ukraine, deshalb berichtete sie in den nächsten Briefen über ihre Abenteuer auf sowjetischem Boden. Vieles davon erwies sich als anekdotisch und der Briefwechsel aus dem Sommer 1966 ist von Liebe geprägt. Jedoch fühlte sich Biermann immer noch beobachtet:

Ein Telegramm wollte ich nicht schicken, denn das, was ich darin hätt sagen wollen, hätte ich nicht sagen können und das was jeder hätte lesen können wollte ich nicht sagen, es hätte Dich nur traurig gemacht.[189]

Da diese Stelle im Buch zwischen Stasi-Berichten steht, spürt der Leser die Beklemmung des Paares, dessen Hände gefesselt sind. Hagen bleibt trotzdem in ihrer offenen Sprache nach wie vor ihrer Umgebung kritisch gegenüber, während Biermann weiterarbeitet und sich bemüht, der Einsamkeit zu entkommen. Beide bleiben kritisch aber dennoch unsicher. Hagen nutzte ihren Aufenthalt aus, um sich mit turkmenischen Dichtern anzufreunden und staunt üvber die Tragweite der Lügen. Sie scheint beunruhigt über Breshnews Meinung über Künstlern und Literaten.

Was soll werden in unserem Lager. Es sieht trübe aus für Wahrheitssucher. Man muß sich auf kleine Dosen einstellen und mit dem Rücken zur Wand, für den Fall, daß einer Attrappe der Vorschlagshammer aus der Faust rutscht; понимаешь? [Verstehst du][190]

Ihr war vor allem bewusst, ein Fehltritt konnte Wolf das Leben kosten. Hagen deutet damit an, dass der Schlag aus Moskau stammen konnte.

Diesbezüglich hatte sich Biermann schon ausgedrückt, als er einige Monate vorher schrieb:

Dafür schaffte ich aber in der Woche, bevor ich auf Deinen Brief zu warten anfing, ein großes Stück Weg und hoffe nur, mit dieser Arbeit fertig zu sein, bevor unseren einfällt, mit uns hier eine Nachgeburt des Moskauer Prozesses gegen die Schriftsteller zu inszenieren. Bei deren mimetischer Begabung und wenn man ihre Kommentare über den Moskauer Prozeß liest, liegt es nahe, daß hier auch so was inszeniert wird. [191]

Die russische Drohung schwebte eindeutig über ihnen. Die Moskauer Prozesse waren Schauprozesse im Rahmen einer von Stalin geführte Säuberungswelle[192]. Einen Schauprozess erlebte Hagen selber[193] und die sowjetischen Methoden äffte die DDR tatsächlich nach, wie wir es im ersten Kapitel erörtert haben.

Eigentlich, wie Hagen es betont, müssen sie „aus Fehlern und Tugenden gescheiterter Revolutionäre lernen. „[194] Sie schrieb:

Und: WAS TUN? Jedenfalls nicht Feige sein, aber auch nicht ständig den Plattköpfen das Blutrote Tuch ihrer Untaten vor die Nase halten.[...] Unsere Devise soll sein: dem Leben nicht ausweichen.[195]

Wir sehen, dass Hagen sich bemüht, sich an ihre Umwelt anzupassen. Sie versucht, eine ausgewogene Haltung gegenüber der Staatsmacht zu haben. Hagen scheint eine neue Aussicht zu haben, trotz der Schwierigkeiten, die auf Biermann und Hagen lasten.

Der Alltag konnte aber nicht mehr genau derselbe sein und Hagen durfte nicht mehr in der Öffentlichkeit singen; ihr war nicht mehr erlaubt, die Gitarre zu spielen aus lauter Angst, sie könnte plötzlich ein Lied von Biermann singen. Die verschiedenen Regisseure wurden nicht einmal informiert, dass Hagen auch eine Sängerin ist, damit sie nicht als Sängerin eingesetzt werden könnte. Hagen beklagte sich:

[...] denkt man automatisch, Du bist es in Verkleidung von mir. Zumindest, wo ich bin, taucht gleich der Barde aus’m doppelten Boden. Sein Geist ist jedenfalls stets anwesend in meiner Aura. Bin infiziert von seinen Ideen, selbst sicherheitgefährdend.[196]

Einer der Schwierigkeiten Hagens lag darin, dass sich ihre Auftrittsmöglichkeiten langsam einschränkten. Singen war nicht mehr erlaubt.

Für Biermann lag die Schwierigkeit in der Einsamkeit, obwohl er produktiv und hoffnungsvoll blieb:

Daß Du [Hagen] jetzt nicht bei mir bist, bringt meine wahre Einsamkeiten ans Licht […] Das Manuskript, aus dem ich nochmals alles ausgemerzt habe, was von dem vorletzten idioten als konterrevolutionär oder pornographisch bezeichnet werden könnte, sowie einen begleitbrief, in dem ich um streichung mißliebiger titel zusätzlich gebeten habe, wird morgen bei Bruno Haid im ministerium abgegeben. (sic) [197]

Biermann arbeitete doch weiter und bemühte sich der Zensur anzupassen, da, wie der GI Davis es berichtete, er sich fragte, wann er „jemals wieder ein Lied öffentlich [werde] singen können“ und „sehr sehr niedergeschlagen zu sein darüber [scheine], daß er es nicht kann.“[198] Deswegen bemühte sich Biermann Bruno Haid, dem Zensurchef, zu „gehorchen“, in der Hoffnung in der DDR seine Arbeit in Ruhe veröffentlichen zu dürfen.

4.6.2 Die große Rolle auf der Bühne

In einem Brief, der Ende der Sommer 1966 von Biermann geschrieben wurde, erfährt man, dass Hagen die Rolle von „Eliza“ in My Fair Lady im Theater interpretieren wird. Dies war natürlich kein Geschenk an Hagen, sondern eine Folge der in den vorigen Stasi-Berichten erwähnten Einschränkung der Arbeitsmöglichkeiten. Wenn man sich aber auf den nächsten Brief verlässt, könnte man tatsachlich denken, dass Hagen verdutzt war, nicht auf die Leinwand zu kommen, sondern auf der Bühne. Dennoch wird nirgendwo im Buch das so ausgedrückt, aber Biermann schrieb:

[D]as [Theater] ist wenig einträglich und ruhmarm, aber […] Du akkumulierst mehr Substanz als Schauspielerin da auf der Bühne als beim dummen Film. […]Daß jetzt der harmlose Film von B. liquidiert wird ist eine Bestätigung mehr für etwas, was keiner Bestätigung mehr bedarf: die gegenwärtigen Herrschaften werden keinen Meter Film mehr genehmigen, der ihren bornierten Interessen nicht nützt. Vielleicht wirst du doch noch, vielleicht gerade weil Du jetzt mit mir in Ungnade gefallen bist, eine große Schauspielerin. […] unsere Fesseln werden Flügel, wir vermeinen zu sterben und fangen an zu leben. Und daß wir beide da in ähnlicher Lage sind, ist vielleicht gut für unsere Liebe[…].[199]

Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Hagen einiges Gutes darin erkannt hat. Da, wie wir es auf Seite 18 gesprochen haben, die Zensur die Filmbranche in der DDR besonders hart getroffen hatte, gab es wenig interessante Arbeit. Hagen schreibt Wolf im folgenden Kapitel, dass „Eliza“ die Rolle ihres Leebens sei. Deswegen fragte ich Hagen, warum „Eliza“ so eine wichtige Rolle gewesen ist. Sie schrieb mir:

„Eliza“ im Musical „My Fair Lady“ ist eine echte schauspielerische Herausforderung gewesen, ich konnte außerdem mein musikalisches Talent unter Beweis stellen, meine Popularität vergrößerte sich durch den Erfolg auch in der Theaterwelt.[200]

Weiterhin stellte My Fair Lady eine Gelegenheit dar, in einer DDR-Einfluss-freien Inszenierung mitzuwirken. Wir sehen, dass sich das Paar bemüht, genau wie das Gedicht „Auferstehung“ es dargestellt hat, einen Ausweg aus der Unterdrückung zu finden („unsere Fesseln werden Flügel“).

Vom Standpunkt der Stasi aus betrachtet, kann man die Frage nach der finanziellen Unterstützung nochmals stellen. Da Hagen der Stasi als „Versorgerin“ erschien, ist es keine Überraschung, dass die Stasi eine Situation verursachte, wo die Einträge Hagens sich verminderten. Gerade beschäftigte sich der nächste Stasi-Bericht über das Einkommen Hagens, (was sie aber damals nicht wusste, doch spürte sie es) als ihr verboten wurde, Biermann zu ihren Auftritten einzuladen. Sie schrieb: „Es sieht aus, als gehöre es zum Programm, unser Leben auf Sparflamme zu halten.[201]“

4.6.3 Übergang zum zweiten Kapitel

Im Lauf der Kapitel wiederholen Hagen und Biermann mehrmals ihre Liebe für einander. In diesen düsteren Zeitabschnitten ihres Lebens konnten Hagen und Biermann sich auf einander verlassen. Die Themen, die besprochen wurden sind u. a. alltägliche Dinge, erfreuliche sowie lästige Treffen und Berufsangelegenheiten, in denen die Kulturpolitik wie früher stark kritisiert wird, wie wir es im Lauf unserer Analyse besprochen haben.

Wolf hat gemalt: Auf einem Spiegel einen dreiköpfigen Drachen und einen ängstlichen Clown mit einem viel zu großen Schwert. […][Peter]Huchel arbeitet kaum noch, die Misere hat ihn zerrüttet; trotzdem ist er voll Bewunderung für Wolf, der in seiner nicht minder komplizierten Lage unheimlich produktiv ist. Die >Eckermann-Ballade< ist köstlich. Bei der frechen Musik muß jedes Herz mithüpfen voll diebischer Freude; wann wird es aber erlaubt sein, es nicht nur heimlich zu singen. Eines Tages und das wird vielleicht schon morgen sein, werden wir sehen, daß… (“ihnen alles nichts nützt”: Liedzeile von Brecht).[202]

Das oben genannte Zitat stammt aus dem letzten Dokument des Kapitels. Es ist der erste Tagebuchausschnitt, der den Lesern vorgestellt wird. Es enthält besonders viele Hoffnungen, eine bessere Zukunft zu gewinnen. Es wirkt sogar so, als befördere das Verbot Biermanns Kreativität. Dank der Tagebuchausschnitte gewinnt der Leser einen Einblick in die inneren Gefühle Hagens, was oft später in Eva und der Wolf wiederholt wird. Das Bild, welches Biermann gemalt hatte, steht im Paratext. Das Bild widerspricht ein bisschen der Botschaft, die aus dem Text hervorgeht. Indem Biermann sich als harmloser Clown gegen den dreiköpfigen Drachen darstellt, zeigt er, dass er sich diesem Untier nicht gewachsen fühlt. Das Bild zeugt von dem Übermaß des „staatlichen Drachens“ im Vergleich zu Biermann. Jedoch beschließt sich „der Biss in den Apfel“ mit Biermanns bissigen Humor: Er vermittelt damit, dass die Stasi ihm viel mehr Aufmerksamkeit schenkte, als er eigentlich Wert war. Der Clown erwies sich auch als spöttisch, da der Clown ein Narr ist, stellt Biermann die Glaubwürdigkeit und das Ernste der Stasi. Er betont dabei, dass die Stasi nichts Besseres zu tun hat, als einen Narr nieder zu schlagen.

Weiterhin findet Hagen Kraft und Freude in Biermanns Lied „die Eckermann-Ballade“, die sich mit der Überwachung der Bevölkerung auseinandersetzt. Dies zeugt sowohl von Hagens Beharrlichkeit als auch von ihrer Frechheit. Es widerspricht den Stasi-Berichten, die Hagen als hysterisch und zerschlagen beschrieben haben.

Es wurde jedoch klar dargestellt, dass Hagen und Biermann sich der Macht des staatlichen Apparats und den verbundenen Risiken bewusst waren. Aber die Isolationspolitik und die Trennungsmaßnahmen schienen das Gegenteil zu erreichen, das heißt dass sie Hagen und Biermann einander näher gebracht haben, die sich auf ihre Liebe verlassen, um der Erpressung zu entkommen, wie in „Auferstehung“ dargestellt wurde.

Biermann und sie ließen sich nicht einschüchtern und sie blieben ehrlich zu einander. Hagen betonte sogar, dass ihre Trennung 1972 mit den Lockvögeln der Stasi nichts zu tun hatte, und dass sie nach ihrer Trennung befreundet blieben. Daran erkennt man, dass es dem MfS nie gelungen ist, weder Biermann noch Hagen völlig zu isolieren.

****

Das Kapitel „Der Biss in den Apfel“ betont den Einstieg Hagens in die „staatliche Getriebe“. Es zeigt den Durchgang von einem Traum von „Lebensfreude“ zur bitteren Realität einer weiteren Diktatur. Die wichtigen Etappen von Hagens Erwachen werden ausführlich dargestellt: Von einer spöttischen und grotesken Darstellung der Stasi, über ihre Begegnung mit den Mächtigen im Sommer und Herbst 1965, bis zum Mordanschlag. Das Erwachen wird durch die Symbolik des Apfels, die uns an Eva, die freche und verführerische Frau erinnert und durch die Symbolik des Märchens, die Maria vertritt, die die Realität nicht wahrhaben will. Diese „Maria“ ist nur scheinbar naiv, da die Symbolik des Märchens darauf abzielt, die grotesken Aspekte der Stasi zu enthüllen und dabei die Stasi harmlos zu machen, um sie nicht wahrhaben zu müssen.

Die Stasi-Akten zeigen die Heftigkeit der Überwachung und Tragweite der Isolationspolitik: Beinahe jede Minute des Lebens Hagens in diesem Zeitabschnitt wurde registriert, was sich als besonders stressvoll und demütigend erwies. Obgleich dieser Zeitabschnitt besonders aufreibend und trostlos schien und trotz Übermaß von staatlichem Ehrgeiz eine absolute ideologische Kontrolle über Künstler und Intellektuelle durchzusetzen, blieben Hagen und Biermann optimistisch und erwartungsvoll, „aufzuerstehen“, wohingegen sie dem Staat gegenüber misstrauischer wurden. Trotz alledem blieb Biermann sehr produktiv, während Hagen enthusiastisch ihrer Rolle in My Fair Lady anging.

Das Ganze zielte darauf ab, ein subversives „Element“, in dem Fall Biermann, abzuschrecken, in der Hoffnung, er würde von allein die DDR verlassen wollen. Die Stasi erkannte dabei ein Hindernis, und zwar Biermanns Beziehung zu Hagen, die sich auf doppelter Ebene als „konspirativ“ erwies. Zum einen, indem sie keck und provokativ Biermanns Lieder interpretierte – wir erinnern uns an Hagens Begegnung mit Horst Sindermann. Außerdem genoss sie die Zuneigung eines sehr großen Publikums und galt vielen als Vorbild. Sie weigerte sich nicht ihre Meinung auszusprechen, wobei sie ihr Publikum sicherlich beeinflussen konnte[203]. Zum anderen, indem sie Biermann zu versorgen vermochte. Deswegen wurde Hagen unter immer entwürdigenden und bedrängenderen Druck gesetzt, damit sie Biermann verlässt.

Der Biss in den Apfel endet mit einer etwas dunkleren Note, da der staatliche Drachen eine wahre Drohung darstellt. Dies kündigt eine schwierige Zukunft an, die in der aufeinander folgenden Ausbürgerung Biermanns und Hagens kulminierte.

5. Abschluss

Sowohl Eva-Maria Hagen als auch Wolf Biermann hatten bereits ein verblüffend dichtes Leben gehabt, bevorf sie es 1965 zueinander führte. Beide erlebten den 2. Weltkrieg: Biermann verlor sein Vater in Auschwitz, während Hagen die Vertreibung der deutsche Bevölkerung aus dem heutigen Poland am eigenen Leib erfahren musste. Nach Ende des Krieges, hoffte Hagen auf eine neue Zeit voll von ungeahnter Möglichkeiten und bewährte sich bald als Nachwuchstalent in der Filmindustrie, während sich Biermann für einen idealistischen Kommunismus einsetzte. Obwohl ihre ursprünglichen Vorstellungen kollidierten, begegneten sich zwei sich gegenseitig stützende Persönlichkeiten, die eine ungeheuere Kraft gegen den staatlichen Goliath entwickeln mussten und die 40 Jahre später zu einem Zeugnis des weltweit bewegtesten Jahrzehnts des letzten Jahrhunderte wurde.

Diese Beziehung wird in eine offene Erzählung über ein besonders aufregendes Jahrhundert übertragen und fordert eine offene Interpretation. Es ist kein historisches Werk, da die wichtigen Ereignisse der Geschichte – bis auf ein paar Ausnahmen – nicht näher erläutert werden. Tatsachlich dient die Zeitgeschichte nicht als Treibkraft. Jedoch ist Eva und der Wolf eine „Kreuzung“ zwischen persönlicher Erfahrung und historischer Erzählung. Es wird dem Leser überlassen, die zeitgeschichtlichen Lücken zu schließen: Leser mit geschichtlichen Kenntnissen können tatsächlich – wie es dargestellt wurde – einen Zusammenhang zwischen den behandelten Themen oder Ereignissen und der politischen Lage schaffen.

Die Originalität des Buches liegt teils im Auge des Betrachters, der Symbolik des Apfels, des Märchens und nicht zuletzt ist es der Erzählungsstil, der uns fesselt. Da die ausgewählten Dokumente oft nur einen einzigen Standpunkt vertreten und nicht alle Ereignisse – private oder gesellschaftliche – abdecken, muss der Leser selbständig Schlussfolgerung ziehen können. Hagen entschied sich daher einigen persönlichen Erfahrungen, wie zum Beispiel ihre Trennung von Biermann, nicht weiter auszuführen. Die Lücken liegen also nicht nur an der unerwähnten Geschichte, sondern auch an der Entscheidung Hagens, bestimmte Themen nicht zu behandeln.

Es muss außerdem berücksichtigt werden, dass das Paar eine eigene Sprache zum Schutz vor dem Staat entwickelte, wie Hagen es im Interview betonte. Dies zwingt den Leser bedenken, dass es möglicherweise einige Sachen gibt, die ihm aus diesem Grund nicht verständlich sind. Hagens Kommentar über die Verwendung einer geheimen Sprache gibt einen weiteren Aufschluss zur Anwendung sovieler Metaphern und Andeutungen, neben der Tatsache, dass Hagen zusätzlich ein Schreibtalent ist. Dennoch ist die Verlässlichkeit der Stasi-Akten aus diesem Grund auch fraglich.

Deshalb muß der Leser die Erzählung nicht als Absolutheit betrachten. Wie im Vorwort betont, ist diese eigenwillige Erzählweise vor allem ein persönliches Zeugnis und zielt nicht darauf ab, die Wahrheit über Hagens Beziehung und ihre DDR-Erfahrung zu enthüllen, sondern ein wahrhaftiges Zeugnis zu liefern. Es ist auch nicht die logische Reihenfolge die berücksichtigt wird, sondern die chronologische Reihenfolge. Zum Beispiel führen wir den Zusammenhang zwischen dem Fest im „Elephanten“ mit Sindermann und das Fest in Reinhardsbrunn mit Mielke auf[204]. Der erste große Unterschied zwischen Eva und der Wolf und einer traditionellen Biographie liegt darin, dass es der biographischen Illusion entkommt.

Die Symbolik des Apfels und die Symbolik des Märchens verleihen dem Kapitel „Der Biss in den Apfel“ einen metaphorischen Aspekt, der Hagens Wahrnehmung der Diktatur befördert. Apfel und Märchen stellen die zwei Facetten Hagens dar: Einerseits symbolisiert Eva auf der Seite des Apfels, die wache, freche und überlegene Verführerin, wohingegen Maria das sanfte Wesen und das Märchen sich ergänzen, indem die Märchenfiguren die Stasi erniedrigen und entkräften, als ob Hagen die grausamer Realität ablehnte. Die Märchenfiguren unterstützen dabei das „nicht Wahrhabenwollen“, bzw. Maria. Beide Symboliken verstricken sich, um die Wahrnehmung der diktatorischen Realität literarisch darzustellen, während sie den literarischen Anspruch des Werkes hervorheben.

Ein weiterer Unterscheid zwischen Eva und der Wolf und einer traditionellen Biographie liegt im Erzählungsstil. Die Abwechslung des Erzählers verstärkt das Gefühl der Unvollkommenheit der Erzählung und bestärkt die lückenhafte Struktur, da es einen Bruch des Rhythmus erzeugt, und dabei die „Porösität“ der Geschichte unterstützt. Jedoch erlaubt die vielfältige Erzählung dem Leser einen peripherischen Blick auf Hagens Geschichte: Die Struktur, die Erzählung und die Transtextualität summieren sich auf, um dem Leser die Möglichkeit einer Art 3D-Inszenierung anhand der Vielfältigkeit der Quellen zu erschaffen.

Der Paratext und Peritext ermöglichen eine weitere Erzählungsebene, die an die Aufmerksamkeit des Lesers appelliert. Sie unterstützen die erörterten Themen oder ergänzen die schriftliche Erzählung, wie das Bild von Annelore Adameck auf Seite 45 des Buches. Sie heben die Gefühle hervor und erschaffen eine gewisse Stimmung, wie die einleitenden Bilder am Anfang jedes Kapitels oder wie Biermanns Gedichte. Weiterhin beweisen Bilder, Kunstwerke und sogar die Handschriften die körperliche Existenz eines bestimmten Menschen, indem sie deren Persönlichkeit und Seelenstimmung verraten. Sie halten ein greifbares Lebenszeichnen fest.

Dabei weigert sich Hagen ihre Leserschaft zu erziehen oder ihre Meinung beeinflussen zu wollen, wie es oft der Fall bei historischen Romanen ist, da Hagen nicht den Anspruch stellt, historisches Wissen vermitteln zu wollen. Jedoch lässt sich die Subjektivität in der Transtextualität und in der Dokumentenauswahl spüren: Sie zeugen von einer diskreten Beurteilung und Aussortierung der Vergangenheit. Hagen bietet mit Eva und der Wolf einen vielfältigen Blick auf ihr Leben, den sie selber nicht vor der Wende hatte haben können. Hagen übte sogar eine doppelte Subjektivität aus, da sie damals ihre Briefe und ihr Tagebuch mit Leidenschaft schrieb und da sie 25 Jahre später diese Dokumente aussortiert hat und sich entschieden hat, welches Dokument im Buch erscheinen wu´ürde und welches nicht.

Daraus soll für den Leser eine Warnung entstehen: Die Wahrheit ist eine subjektive Angelegenheit. Die vermittelte Wahrheit hängt einerseits von dem Standpunkt des Verfassers ab und anderseits von der Beurteilung des Verfassers über die Relevanz der zugänglichen Informationen. Daraufhin kann die „Wahrheit“ eines bestimmten Ereignisses tatsächlich aus mehreren Einblicken entstehen, wobei jeder Einblick eine andere Geschichte erzählt. Zum Beispiel erzählt Hagen von einer leidenschaftlichen Beziehung und einem Kampf, der von Menschlichkeit und Hoffnung geprägt ist, während die Stasi eine Zersetzungsmaßnahme beschreibt, wobei der „neue Mensch“ geschaffen werden soll bzw. der neue entmenschlichte Mensch geschaffen werden soll. Diese Beschreibung setzt den Akzent – im Gegenteil von Hagens Erzählung – auf das Leid und den Schmerz des Opfers. Es ist also die Verantwortung des Lesers, kritisch über die vermittelten Informationen zu werten und sich deren Relativität bewusst machen.

Der historische Anspruch des Buches ist, dass jedwede vollkommene und ausgeglichene historische Forschung aus verschiedenen Perspektiven und Quellen bestehen soll. Trotz der Subjektivität und Emotionalität der Augenzeugen, spiegeln ihre Zeugnisse verschiedene konkrete Beispiele für den Zusammenhang zwischen Politik und Kultur wieder. Das Buch stellt eine Aufzeichnung der Zeitgeschichte dar, in dem Sinn, dass die Protagonisten sich in einem bestimmten historischen Rahmen bewegen, die ihre Entscheidungen und ihr Verhältnis beeinflussten. Es bezeugt ein privates Leben, indem sich der Standpunkt des Staates verstrickt. Diese verschiedenen Stimmen greifen ineinander und tragen dabei zu einer lebhaften Darstellung eines Zeitabschnitts bei, die eine Facette der globalen Zeitgeschichte vertritt.

Das Buch Eva und der Wolf veranschaulicht außerdem Aspekte über die DDR, die wenig thematisiert wurden: nämlich die für Prominente in der DDR schweren Arbeitsbedingungen. Obwohl die Prominenten in der DDR viele materielle Vorteile und Privilegien genossen, wurden sie zum „Volkseigentum“ auf Kosten ihrer Integrität und ihrer Würde behandelt – wie Hagen es in dem Interview betonte. Eva und der Wolf bezeugt das abgekartete Spiel zwischen Macht und Kunst bzw. Medien, sowohl zum propagandischen, als auch zum sexuellen Zweck. Kunst und Kultur stifteten ein interessantes und wichtiges „Erziehungsmittel“, wie es Chruschtschow 1963 betonte. Auch wenn die Kunst in der DDR ein Unterhaltungswert zugesprochen wurde, durfte sie eine pointierte Grenze nicht überschreiten. Staatlich anerkannte Künstler bzw. instrumentalisierte Künstler genossen nicht nur materielle Privilegien, sondern auch eine staatliche Unterstützung, die ihre Karriere förderte. Die Politisierung der Kunst und der Kultur war sozusagen selbstverständlich.

Ferner enthüllt Eva und der Wolf den grotesken Aspekt des Regimes, weil es den Versuch des Staates zeigt, den Mensch zu entstellen und aus ihm einen Roboter zu machen. Indem der Staat sich bemühte, Biermann die Meinungsfreiheit abzusprechen, bewirkte er damit genau das Gegenteil und machte ihn zum Märtyrer, wodurch er umso bekannter wurde. Das Werk zeigt auch indirekt den Opportunismus des „westlichen Feindes“, indem Eva und der Wolf Einblick in das Dilemma Biermanns gibt. Es waren diese Umstände, die Hagen zwangen, eine politische Position einzunehmen. Das machte sie mir mehrmals klar, nicht nur im Interview, sondern auch in unseren Telefongesprächen.

Obwohl es Hagens offenes Ziel war, ihre Leserschaft zu überzeugen, dass es immer Hoffnung gäbe, kann man auch auch das Gefühl haben, dass Hagen versucht, ihre „Abtreibung[205]“ aus der DDR zu bewältigen. Auf alle Fälle ist diese Vergangenheitsbewältigung für die heutige Gesellschaft notwendig. Mit diesem Werk ist es Hagen gelungen, dem – sich mit ihrer Geschichte eingelassen habenden Leser nicht nur Hoffnung, Mut und Beharrlichkeit zu vermitteln, sondern auch eine originelle und neue Perspektive der DDR-Vergangenheit zu unterbreiten, die der Bevölkerung nutzvoll sein kann – auch den nächsten Generationen –, um eine wahrhaftige und menschliche Darstellung der DDR-Vergangenheit zu bekommen.

Eva und der Wolf ist nicht ganz eine Biographie, da es auf der Ebene der Struktur und der Erzählung viel reicher ist. Es ist auch kein historisches Werk, da die Handlung hauptsächlich das private Leben Hagens und Biermann darstellt. Daraufhin scheint das Buch sich in einen neuen Trend einzufügen, indem es ein Bedürfnis nach der Wahrheit widerspiegelt, die ursprünglich der „Reality Television“ einforderte. Nach dem Misserfolg der „Reality Television“ ein „wahres“ Produkt zu liefern, scheint Hagens wahrhaftige Herangehensweise eine interessante Alternative zu der Wahrheit zu sein. Heutzutage ist Eva und der Wolf bloß ein Werk, das sich von den traditionellen Biographien unterscheidet. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass wir in wenigen Jahren über eine neue Gattung, und zwar die „biographische Erzählcollage“, sprechen werden, wovon Eva und der Wolf dann einer der Vorläufer wäre.

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VOSS, Margit: „Die ungewaschene Wahrheit / Eva-Maria Hagen und Wolf Biermann im Liebes-Dialog“. In: Textarchiv : Berliner Zeitung Online. 2. November 1998. <http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/1998/1002/magazin/0029/index.html> (2. Mai 2006)

Date: Mon, 14 Nov 2005 15:49:53 +0000

Objet: Re: Fragen zum Buch Eva und der Wolf

De: "Eva-Maria-Hagen" <eva-maria-hagen@t-online.de>

À: Karine Labelle <karinelabelle20@yahoo.ca>

Ich habe schon vor längerer Zeit Ihre Fragen zum größten Teil beantwortet. Vielleicht sind Sie bereits fertig mir Ihrer Arbeit? Vielleicht melden Sie sich mal? Schöne Grüße von Eva-Maria Hagen

Berlin, den 29 Juni 2005

Fragen für Frau Eva Maria Hagen

über das Buch Eva und der Wolf

Karine Labelle - Université de Montréal, Québec, Canada

1. Wie sind Sie zum Kommunismus gekommen, welche Schritte haben Sie gemacht?

Hingekommen bin ich wohl nie, er hat mich interessiert und angezogen. Der Kommunismus hat nach der „Vertreibung“ aus meiner Kinderheimat langsam, aber unaufhaltsam, die Religion abgelöst, Väterchen Stalin – den Gottvater mit dem langen weißen Bart auf seinem Himmelsthron.

Ich hatte als Kind hautnah den Krieg erlebt, das Elend, den Hunger – und war nach dem Wegmüssen aus dem Gebiet hinter der Oder in dem Teil Deutschlands gelandet, der zur Sowjetischen Zone erklärt – und in der auch die DDR gegründet wurde. Ich glaubte daran, daß die Befreiung vom Faschismus durch die Sowjetarmee die Welt verändern wird. Aber letztendlich war es Lebenshunger, das Bedürfnis, beim Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung mitzumachen, wo es gerechter als bisher zugehen sollte. Auch der Zufall spielte eine Rolle, daß wir 1945 nicht in den Westen kamen und ich durch die Umstände anders gebildet und erzogen wurde.

2. Was hat sich in ihrem Leben geändert, nachdem Sie Wolf Biermann getroffen haben?

Vorerst nicht viel. Es war in erster Linie eine Privatsache und seine Lieder interessierten mich vor allem, sein wacher Geist, der Poet und Mensch an erster Stelle und natürlich der Mann. Ich verhielt mich spontan und wie ich es für richtig hielt. Die Zeit unseres Zusammenlebens, die Erfahrungen zwischen 1965-1977 – waren jedenfalls lehrreiche Jahre, die mir in mancherlei Hinsicht die Augen geöffnet haben, den Horizont erweiterten.

3. Sie erwähnen in einem Brief, den Sie nicht verschickt haben, dass Sie sich politisch eingemischt haben, wegen Herrn Biermann. Stimmt das überhaupt?

Ich habe mich in Angelegenheiten eingemischt, die mein Leben betrafen, mein Verhalten Freunden gegenüber, als Vorgesetzte mir rieten, mich von W. B. zu trennen. Und ich habe öfter Briefe an Wolf Biermann nicht mit der Post abgeschickt, sondern gab sie ihm später selber oder einem Freund mit, weil ich ziemlich sicher war, daß die Briefe kontrolliert werden. – Aber wenn Sie das Buch „Eva und der Wolf“ gelesen haben, müsste Ihnen aufgefallen sein, daß ich der Obrigkeit ein Dorn im Auge war und mich nicht einschüchtern ließ, weder mit Drohungen, Repressalien, noch Erpressungsversuchen.

4. Hätten Sie den gleichen Standpunkt auch ohne Wolf Biermann vertreten?

Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß ich von Kindheit an Ungerechtigkeit erkannte, war aber politisch – und auch was allgemeines Wissen betraf, zu ungebildet, als daß ich ernsthaft hätte mitreden können. Doch habe ich mich auch schon vor der Begegnung mit Wolf B., denke ich, so verhalten, daß ich mich im Spiegel habe ankucken können.

5. Was sind ihre größten Vorwürfe an den SED-Apparat gewesen?

Die neuen Machthaber haben sich, nachdem der „Drache“ Adolf Hitler tot war, Deutschland vom Faschismus befreit nach anfangs hoffnungsvoller Entwicklung Richtung Sozialismus bzw. Kommunismus, selbst als „Lindwürmer“ entpuppt, sich die Privilegien ehemaliger Fürsten und Potentaten zugestanden und das Volk geknebelt, das Denken vorgeschrieben, denn „Die Partei, die Partei, die hat immer Recht“, heißt es in ihrer Hymne. aaaaaaaaa

6. Haben Sie irgendwann die Hoffnung verloren, einen Kommunismus mit menschlichem Antlitz zu sehen?

Vorerst ist der Zug abgefahren. Die nächsten Generationen haben es in der Hand, sollten dem Kind jedoch nicht nur einen anderen Namen geben – denn im Namen des Kommunismus ist viel Blut geflossen, auch das der eigenen Leute in Strömen, sondern es klüger anstellen, um Bildung kämpfen, aus Erfahrungen der Vorfahren Lehren ziehen. Außerdem müßten kluge, phantasievolle Köpfe und entsprechend mutige, moderne Frauen eine neue Ethik erarbeiten beziehungsweise die Rangordnung schon vorhandener oder bereits zum alten Eisen geworfener Werte überprüfen, den Nachwachsenden eine lebenswerte Perspektive liefern.

Aber woher nehmen und nicht stehlen. Ich weiß es auch nicht, aber gewinne jedem Tag etwas Positives ab, versuche, den Glauben an so etwas wie Menschlichkeit und Solidarität in uns nicht zu verlieren, denn "panta rhei" oder “alles fliesst” heißt es seit alters her, oder “alles Seiende ist dauernden Veränderungen unterworfen”, wie es im "Brockhaus" steht.

Mein unbewußt gelebtes Lebensmotto ist: "carpe diem" und inzwischen gibt es andere und größere Probleme für die Menschheit (Armut, Hunger, Dürre, Krankheiten, Seuchen, sintflutartige Überschwemmzungen, Erdbeben, Katastrophen noch und noch) – und für unsern (noch) grünen Planeten Erde, als diese eitel-rechthaberischen und besserwisserischen Lagerkämpfe.

7. Was ist wahre Freiheit? Fühlen Sie sich heute frei?

Bei Lesungen aus meinem neuen Buch „Eva jenseits vom Paradies“, wo ich alte deutsche Volkslieder einstreue, singe ich auch manchmal das Lied „Die Gedanken sind frei“, dadurch kann man ängstlichen Seelen Kraft geben, Trost spenden

Was jedoch im praktischen, alltäglichen Leben wahre Freiheit bedeutet, kann ich nicht mit wenigen Worten sagen. Sie ist für jeden was anderes wahrscheinlich. Überhaupt ist der Begriff Freiheit sehr relativ. Aber im Verhältnis zu damals, meine letzten 12 Jahre in der DDR, etwa in der Zeit von 1965 bis 1977 – ist mir im Westen manchmal zu Mute gewesen, als wäre ein „Goldenes Zeitalter“ angebrochen: materiell und was das Fliegen durch die Welt betrifft. Andererseits waren die Wurzeln zum zweiten Mal gekappt worden, Bindungen zu Menschen, Freunden, der Heimat, denn ich durfte nach dem Krieg nicht in das Dorf zurück, woher ich ursprünglich stamme - und dann auch nicht mehr dorthin, wo wieder so etwas wie eine Heimat entstanden war, in die DDR; man scheuchte mich weg am Grenzübergang mit den Worten: Sie sind hier unerwünscht. Das war schon sehr bitter.

8. Was wären Sie bereit gewesen, für sie zu opfern bzw. was haben Sie für sie geopfert?

Keine Ahnung. Das Leben besteht aus fließenden Übergängen. Als Opfer habe ich mich jedenfalls nicht empfunden bei den Schikanen der „Bonzen“ des Machtapparates, denn ich wußte ja, daß die „Genossen“ Gehorsam verlangten, man nicht von der Linie der Partei abweichen darf. Dass ich es trotzdem tat, hat mit meinem Charakter zu tun und war mir eine Genugtuung. Es waren Erfahrungen, die mich widerstandsfähiger gemacht haben.

9. Sie machen mehrere Andeutungen bezüglich der Religion im Lauf des Buches. Wie stehen Sie zur Religion? Trennen Sie das spirituelle Leben und die Menschen von der Institution Kirche?

Es gehört alles zum Großen und Ganzen im Leben. Als Kind glaubte ich an den Lieben Gott, bin katholisch erzogen worden, habe gebetet, bin konfirmiert, dann wurde uns der Genosse Stalin als wahrer Gott vorgesetzt bzw. "Retter derMenschheit" . Ich unterhalte mich gern mit klugen Theologen, mag Stille und Andacht in alten Kirchen, erbauliche Predigten. Die Kirche hat mich im Laufe der letzten Jahre sogar öfter zu Konzerten, Lesungen, sogar zu Vorträgen, Symposien eingeladen, z. B. zum Thema „Kindheiten“, „Liebe und Alltag“ u.s.w.

10. Sie haben gewusst, die Stasi hat Sie verfolgt und Ihre Briefe gelesen. Haben Sie aber davon gewusst, dass die Stasi Sie zu Hause abgehört und überwacht hat? Wenn ja, wie sind Sie damit umgegangen?

Gewußt nicht, gespürt, geahnt, aber nicht in dem Maße, Machtlosigkeit und Demütigungen erlebt in alltäglichen Dingen. Der Umgang damit? Ignorieren, Verdrängen, mit List umzugehen, meine Popularität ausnutzend, durch Diskutieren, Frechsein. Dann der Glaube daran, daß überall Menschen zugange sind, die nicht nur entweder gut oder böse sind, sie dazu verführen, zuzuhören, sie anzustecken mit meiner Unerschrockenheit, Furchtlosigkeit. Das ist mir oft gelungen.

11. Hat die Stasi eine Rolle bei Ihrer Trennung von Wolf Biermann gespielt?

Ich glaube nicht. Die „Große Spinne“ hat zwar alles versucht, hat ihre Netze gesponnen und sogenannte „Legenden“, zynische Rollenspiele erdacht, uns weibliche oder männliche Lockvögel zufliegen lassen, aber unsere Trennung war ja nicht von der Art, daß unsere Menschenliebe und Freundschaft dadurch in die Binsen ging, im Gegenteil: die Solidarität und das Vertrauen waren geblieben, was die „Kämpfer von der ansichtbaren Front“ nicht erfreulich fanden. Ich blieb in ihren Augen also eine „Abtrünnige“, eine zu „observierende Person“.

12. Wie erklären Sie den Ablauf Ihres Prozesses wegen Staatsverleumdung?

Eine einzige Farce war das. Demonstrieren der Macht. Einschüchterungsversuche. Kettenrasseln. Macho-Gehabe. Es gehörte zum Programm Angst und Schrecken zu verbreiten. Einige Beispiele davon sind aufgezeichnet im Buch „Eva und der Wolf“.

13. Es wurde behauptet, es gäbe keinen echten Widerstand in der DDR. Bitte kommentieren Sie diese Aussage.

Natürlich gab es von einzelnen Menschen immer wieder ein Aufbäumen gegen diese Zwänge. Viele versuchten das Land zu verlassen und riskierten oder verloren ihr Leben dabei. Aber meistens wurde der Widerstand schon im Keime erstickt. Denn es gab keine Öffentlichkeit oder Austausch von kritischen Meinungen. Abweichler kamen oft wegen Lapalien hinter Gitter; es gab seit 1961 die Mauer, den sogenannten Schutzwall.

Die meisten Menschen passen sich an in solchen Zwangssituationen, um ihren Nachwuchs zu schützen und hoffen auf die Zukunft – in diesem Falle nicht vergebens ... In einem Lied von Wolf Biermann heißt es: "Ich hätt' nie geglaubt, daß je die Mauer fällt / Noch bevor ich sterbe, tja so ist die Welt. Plötzlich waren die Herrn der Macht so herrlich schwach / plötzlich boten Bauern einem König Schach. Plötzlich schießt kein Grenzsoldat / Und kein Flüchtling stirbt im Draht. Krenz und Mielke waren pleite / Als das Volk sich selbst befreite ...

14. Was waren damals die Waffen der Opposition bzw. des Widerstands in der DDR-Gesellschaft?

Ich habe keiner Organisation angehört – (bis auf die der „Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft“ und der Gewerkschaft) sondern habe mich tagtäglich, bei privaten Gesprächen und Begegnungen so verhalten, daß man wußte, wo ich stehe, wie ich denke, was ich mache – allerdings nichts, was andere gefährden konnte. Da ich sehr bekannt und beliebt war im Volk, war ich eine Art Vorbild für viele, das ängstlichere Charaktere ermutigte, ebenfalls den Mund aufzumachen. Aber es war so ein Trend, sich ins Private zurückzuziehen, eine Art „Sklavensprache“ zu entwickeln, in Andeutungen, „durch die Blume“ zu sprechen. In den „Stasi-Akten“ sind Beispiele von Gesprächen in Abhör-Protokollen zu finden, wo der Informant oder „Lauscher“ an der Wand genervt anmerkt: „Sie sprechen übers Wetter und Belangloses“. Andererseits interpretierten sie harmlose Bemerkungen um in konspiratives Vorhaben, Subversives wie Staatshetze, Verunglimpfung der Führungskräfte.

15. Was bedeuteten Kunst und Kultur für das SED-Regime? Und für Sie? Sollten sie einen bestimmten Zweck erreichen?

An erster Stelle das, was die Oberen darunter verstanden. Es gibt massenhaft Beispiele dafür. Und für mich? Dass manche Künstler, Maler, Schriftsteller, Bildhauer, Dichter, Liedermacher, die mit scheinbarer Naivität und Raffinesse immer wieder Individuelles und Eigenes schafften, also etwas gegen den Geschmack und das "Kunstverständnis" der Zensoren schufen.

Aus einem Radio-Feature von 1995: Original-Ton des Ministers für Staatssicherheit Erich Mielke: "Wenn hier Heym und alle solche Literaten und Künstler die Macht hätten, dann hätten wir die DDR schnell aufgefressen. So, Genossen, und nur so steht die Frage! (....) diese Abhandlung über die "Langeweile von Minsk" von Heym grenzt objektiv an Staatsverrat !! Wenn wir nur einen Tag diesen Menschen die Macht in die Hände gäben, dann wäre die Macht verloren. Hier können wir deutlicher sprechen, was das für eine Gefahr bedeutet, dass man sie auch noch abdruckt. [ ... ] Nun fällt den armen Leuten, weil sie nichts Feindliches mehr bringen können, keine Demoralisation mehr bringen können, nun fällt den Geistern nichts mehr ein. Der Biermann, dass er noch was Gutes bringen könnte, da sind sie mit einem Mal trocken wie so'ne alte, ausgequetschte Zitrone! Die Genies! Anstatt uns herrliche Drehbücher zu schreiben, wunderbare Romane! Also bitte sehr, Herr Heym, bitte sehr alle die Künstler, die Filme drehen, dreht solche Filme, schreibt solche Bücher, die sogar den Nobelpreis bekommen! Sind wir dagegen? So steht die Frage. Also man sagt, wir sind Dogmatiker, die wollen nicht. Nein, gegen den Dreck sind wir! Und wir sind dagegen, dass man uns hier solche Sachen zeigt, um zu zersetzen unsere Gesellschaft und unsere Jugend, nämlich daher kommt das mit der Jugend!

16. Gab es positive Elemente in der Kulturpolitik der DDR?

Natürlich auch das. Traditionelles, das sogenannte Kulturerbe wurde ja nicht in Bausch und Bogen verbannt. Und das Gemeinsame hatte seine positiven Seiten. Man war bemüht, die Jugend frühzeitig durch Freizeit-Projekte zu beschäftigen, Laienspielgruppen, die Singebewegung waren Programm, „Zirkel schreibender Arbeiter“, wo man sich zwar auch einmischte, aber immerhin. Viele fühlten sich dadurch geborgen. Ach, das ist ein Thema für sich.

17. Wie beurteilen Sie die Kulturpolitik im Ostblock (z.B. Ungarn) im Vergleich zur DDR?

Ostblockländer wie Ungarn, Polen, die Tschechoslowakei, Jugoslawien, haben sich nicht nur in künstlerischer Hinsicht mehr Freiheiten herausgenommen, wurden von Künstlern der DDR bewundert, beneidet. Ich erinnere mich, als ich in Budapest war zu Filmaufnahmen, da fühlte ich mich fast wie im Westen – wegen der modernen Musik, der freieren und toleranten Lebensweise. Auf alle Fälle haben die „Bruderländer“ Einfluß ausgeübt auf DDR-Kollegen, sie ermutigt ...

18. Als prominente Persönlichkeit in der DDR haben Sie gewisse Privilegien gehabt? Was waren sie?

Einladungen von VEB´s, (volkseigene Betriebe) und Klubhäuser zu Festen, Gedenktagen, ins Gästehaus der Gewerkschaft an der Ostsee. Und wenn man das Geld zusammen hatte, früher ein Auto als ein „Normal-Sterblicher“, ich den weißen Skoda-Sport „Felicitas“ zum Beispiel. Aber dieses Verhätscheln hatte auch Nachteile: Man war ständig im Blickpunkt, ein Stück lebendes Volkseigentum – zum Anfassen und Bewundern. Aber wehe, man hatte eine von der Linie der Partei abweichende Haltung oder äußerte sich kritisch ... da verstanden die Genossen keinen Spaß.

19. Warum ist Ihnen Eliza so wichtig gewesen?

„Eliza“ im Musical „My Fair Lady“ ist eine echte schauspielerische Herausforderung gewesen, ich konnte außerdem mein Musikalisches Talent unter Beweis stellen, meine Popularität vergrößerte sich durch den Erfolg auch in der Theaterwelt, wodurch ich – aber auch Wolf Biermann, den damals die Leute weniger kannten – (der erst durch seine Ausbürgerung und der ungekürzten TV-Ausstrahlung seines Konzerts in Köln 1976 quasi über Nacht bekannt geworden war wie ein bunter Hund) – etwas geschützter war gegen Willkür und Schikane als Krethi und Plethi, falls diese sich herausnehmen würden, mit einem „anerkannten Staatsfeind“ zu verkehren.

20. Haben Sie sich zur Beatgeneration im Westen zugehörig gefühlt?

Nein, nicht direkt. Diese Musikrichtung war mehr was für die Freizeit, Partys, zum Tanzen. Andererseits aber auch ein Lebensgefühl, das von Westberlin aus in die DDR rüberschwabbte und als subversiv galt. Aber das ist lange her – und mir fehlt die Muße, darauf näher einzugehen.

21. Sie sprechen von positiver und negativer Linken und Rechter.

Ist mir zwar nicht bewußt, kenne den Zusammenhang nicht, aber vielleicht so: Die positiven Linken waren französische, italienische und spanische Kommunisten, die Selbstkritik zuließen, während die westdeutsche DKP nur eine Zweigstelle der SED-Partei-Zentrale in Ost-Berlin war, deren Anhänger sich beweihräuchern und aushalten ließen, finanziell und überhaupt – (Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.) Aber positive Rechte? Da habe ich wohl in der Eile Konservative mit gemeint, die einige Sitten und Gebräuche erhalten wollen, dem Chaos vorbeugen, nicht alles im Laufe vergangener Zeiten Gewachsene, Traditionelles, Ureigenes – mit Stumpf und Stiel ausrotten lassen wollen. In manchen Fragen vermischen sich halt die Grenzen zwischen Rechts und Links beziehungsweise treffen sie sich in der Mitte.

21b. Wie haben Sie damals die BRD eingeschätzt?

Weiß ich jetzt nicht mehr so genau. Zeitweise natürlich als imperialistischen Staat, der die alten Verhältnisse wieder herstellen will, die Besetzung und Enteignung der Gebiete hinter der Oder und Weichsel, diese ganze „Vertreibung“ rückgängig machen, was bedeuten würde, daß womöglich ein neuer Krieg stattfinden würde. Aber als die Verbrechen der Stalin-Ära ans Licht kamen, ging mir und manch anderen Leuten ein Licht auf.

22. Hätte eine reformierte und eine freie DDR in guter Nachbarschaft mit der BRD leben können? Wie haben Sie sich es damals vorgestellt? Wie haben Sie sich damals die Zukunft vorgestellt?

Das ist illusorisch. Über kurz oder lang wäre die DDR ausgeblutet, die Häuser und Fabrikanlagen zusammengefallen, denn die Menschen flohen in Massen schon Jahre zuvor davon, selbst das eigene Leben riskierend. Natürlich wäre es schön gewesen, wenn einiges von einst geblieben wäre, aber der Mensch ist in der Regel nun mal so veranlagt, daß er auch das haben will, was der Nachbar hat. Es war ein Wunschdenken von mir.

23. Wäre es nicht einfacher aus dem Westen gewesen, für eine Reform des Sozialismus zu kämpfen?

Ich bin keine Politikerin und möchte nicht Formulierungen von damalsübernehmen ...

24. Sie haben den westlichen Medien nicht vertraut. Haben Sie gefürchtet ein Propagandamittel zu werden?

Ich hatte sowas wie Berührungsängste, vieles war mir fremd, selbst die Sprache, Formulierungen, diese Selbstsicherheit der "Brüder und Schwestern", die sich wunderten, daß man nicht vor Freude pausenlos in die Luft sprang, wo man sich doch als jahrelang hinter der Mauer "Eingesperrte" endlich in Freiheit befand. Ich wollte nichts mit den einst so genannten Hetzblättern und Klatschmagazinen zu tun haben, deren Methoden mir teils zuwider und respektlos waren, die man andererseits aber brauchte, damit über meine Arbeit berichtet wurde, denn "Klappern gehört zum Handwerk". Aber inzwischen habe ich mir längst meine Position geschaffen, reise noch immer durchs Land, singe Lieder aus aller Welt, lese aus meinen Büchern, male, spiele, fühle ich mich sowohl im Osten als auch Westen mehr oder weniger zuhause – oder heimatlos, je nachdem. Aber mit diesem ambivalenten Befinden müssen viele Leute klarkommen. Wenn die Wurzeln der Kindheit einmal gekappt sind, ist es schwierig, wieder richtig Fuß zu fassen in einer bestimmten Landschaft. Man sucht unbewußt nach ähnlichem Berührtwerden, was Sinne und Emotionen betrifft. Das soll aber nicht heißen, daß ich heimatlos war mein Leben lang. Mir begegneten Seelenverwandte, Menschen, die Freunde wurden. Durch all die Erfahrungen wuchs eine neue Kraft, die kaum Einsamkeitsgefühle aufkommen ließen, im Gegenteil: Ich genieße Abseitssein vom Trubel.

[1] HEINKE, Lothar: „500 Seiten Eva und ihr Wolf“ In: Der Tagesspiegel 29. März 1998 S. 12.

[2]Johann Peter Eckermann war ein Korrespondent und naher Vertrauter Goethes, der Gespräche und die Gedanken Goethes aufgezeichnet hat. Es ist im eigentlichen Sinn ein positiver Begriff, der hier aber ironisch angewendet wird.

Der Begriff ist auch ein Hinweis auf das Lied Biermanns „Die Stasi-Ballade“ und auf das Buch Erich Loests Der Stasi war mein Eckermann oder Mein Leben mit der Wanze.

[3] HEINKE, Ebd.

[4] Hrg: „Völlig verliebt im ‚Stunkhaufen’ “ In: Leipziger Volkszeitung 21. u. 22. März 1998 S. 9

[5] HEINKE, Ebd.

[6] HEINKE, Op. cit.

[7] DAUM, Thomas und HILSHEIMER, Thomas : Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz 1999 - Eva-Maria Hagen : Eine Würdigung, 1. Auflage, Verlag K.F. Geißler GmbH & Co. KG Edenkoben, Kaiserslautern, 2000, S. 8

[8]DAUM, Thomas und HILSHEIMER, Thomas : Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz 1999 - Eva-Maria Hagen : Eine Würdigung, 1. Auflage, Verlag K.F. Geißler GmbH & Co. KG Edenkoben, Kaiserslautern, 2000

[9]DAUM und HILSHEIMER, Op. cit.

[10] HABEL F.-B. & WACHTER Volker: „Eva-Maria Hagen: Biographie“. In: DEFA Sternstunden, k.D <http://www.defa-sternstunden.de/stars/emhagen.htm>

. Februar 2006)

[11] HAGEN-PROMOTION: „Biographie – Eva-Maria Hagen“. In: Die offiziellen Internetseiten von Eva-Maria Hagen. <http://www.eva-maria-hagen.de/> 14. März 2006 (10. Mai 2006)

[12] Das vollständige Interview befindet sich im Anhang.

[13] „Eva-Maria Hagen“. In: Wikipedia 10. Mai 2006 < http://de.wikipedia.org/wiki/Eva-Maria_Hagen > (10.Mai 2006)

[14] SCHAPIRO, Leonhard : Die Geschichte der KPdSU, S. Fischer Verlag, Berlin 1961, S. 568

[15] WEBER, Hermann : Aufbau und Fall einer Diktatur : kritische Beiträge zur Geschichte der DDR. Bund-Verlag, Köln 1991, S. 47

[16] Ebd, S. 44 ff.

[17] Ebd, S. 75 ff.

[18] HAGEN, Eva-Maria: Eva jenseits vom Paradies, 1. Auflage August 2006, List Taschenbuch Verlag, Berlin, S. 187

[19] NEUBERT, Ehrhart: Geschichte der Opposition in der DDR 1949-1989, 1 Band. 2. Aufl. 2000 Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1997 S. 63

[20] Ebd, 63 ff

[21] HAGEN-PROMOTION: „Biographie“. In: Die offiziellen Internetseiten von Eva-Maria Hagen, k.D. <http://www.eva-maria-hagen.de/> (5. Mai 2006)

[22] HABEL F.-B. & WACHTER Volker: „Eva-Maria Hagen“. In: DEFA Sternstunden, k.D <http://www.defa-sternstunden.de/stars/emhagen.htm>

[23] NEUBERT, Op. cit., S. 133.

[24]HAGEN, Eva-Maria : Eva und der Wolf, 2. Auflage 2000, Econ Taschenbuch Verlag, München 1999, S. 10

[25] HABEL & WACHTER, Op. cit.

[26] HAGEN, Op. cit., S. 267.

[27] Interview im Anhang. Frage 4

[28] HAGEN, Op. cit. Ss. 88-89

[29] HAGEN, Op. cit. S. 26

[30] Interview im Anhang. Frage 12

[31] KOLLEKTIV: „Eva Maria Hagen” in : Wikipedia 14. Mai 2006 <http://de.wikipedia.org/wiki/Eva-Maria_Hagen> (20. Juni 2006)

[32]Rainer A. Müller (Hrg): Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung - Besatzungszeit Bundesrepublik und DDR 1945-1969, Band 10, Philipp Reclam jun., Stuttgart, 1998. Seite 455,

[33] HAGEN, Op. cit., S. 429

[34] Ebd. Ff 466.

[35] Ebd, S. 502.

[36] Ebd, S. 533

[37] HAGEN-PROMOTION: „Interviews/Portait“. In: Die offiziellen Internetseiten von Eva-Maria Hagen, k.D. <http://www.eva-maria-hagen.de/> (5. Mai 2006)

[38] Hrgb: Eva jenseits vom Paradies <http://www.ullsteinbuchverlage.de> k.D. (23. Mai 2006)

[39] LeMO: Lebendiges virtuelles Museum Online http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/BiermannWolf/, k.D. (13. Januar 2006)

[40] Das Begriff ‚Agitprop’ gehört zu der politischen Doktrin Lenins und bezeichnet einen Appell an die Massen zu revolutionären Aktionen

[41] MILLER, James K.: „A Composer’s Life” in : Subjet :Hanns Eisler – Interview with Wolf Biermann k.D. <http://eislermusic.com/biermann.htm> (26. März, 2006)

[42] Ebd.

[43] NEUBERT, op. cit., S. 154

[44] LeMO: Lebendiges virtuelles Museum Online k.D. http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/BiermannWolf/ (13. Januar 2006)

[45] Ebd

[46] NEUBERT, op. cit., S. 148

[47] SCHITTLY, Dagmar : Zwischen Regie und Regime: Die Filmpolitik der SED im Spiegel der DEFA-Produktionen, Ch. Links Verlag, Berlin, 1. Auflage 2002, S. 132

[48] Ebd, S. 133

[49] WESTPHAL, Anke: „Sonnenblume und Distelstrunk“. In : TAZ 21/22. März 1998, S. 09.

[50] SCHITTLY, Op. cit., S. 102

[51] NEUBERT, op. cit. S. 148

[52] NEUBERT, op. cit. Sqq 148

[53] WEBER, op. cit, S. 80-81

[54] NEUBERT, op. cit., Ff 148

[55] SCHITTLY, Op. cit., Ss 91-92

[56] Ebd

[57] Ebd, S. 118

[58] Ebd, Ss 131-132

[59] HV XX war für die gesamte Kultur in der DDR zuständig und wurde 1964 gegründet.

[60] SCHITTLY, Op. cit. S. 90 ff.

[61] Ebd, S. 127

[62] Ebd, S.90 ff.

[63] HAGEN, Op. cit. S. 19

[64] HAGEN, Op. cit. S. 58

[65] Interview im Anhang. Frage 14

[66] HAGEN, Op. cit, S. 502

[67] Interview im Anhang. Frage 1.

[68] Interview im Anhang. Frage 4

[69] Interview im Anhang. Frage 3

[70] Interview im Anhang. Frage 5

[71] BOURDIEU, Pierre : L’illusion biographique, in : Actes de la recherche en sciences sociales 62/63 (1986), 69-72

[72] Ebd, S. 69

[73] Ebd, S. 70

[74] HEINKE, Op. cit.

[75] „Literaturtheoretiker Gérard Genette“ in : Einladung zur Literaturwissenschaft – Ein Vertiefungsprogramm zum Selbststudium. Universität Duisburg Essen. <http://www.uni-essen.de/einladung/> (20. Juni, 2006)

[76] Ebd.

[77] Ebd.

[78] Ebd.

[79] Siehe Seite 1, Note 1.

[80] Ebd.

[81] GENETTE, Gérard: „Paratext – Das Buch Beiwerk des Buches“, 1. Aufl., Campus Verlag, Frankfurt/Main 1989, S. 10

[82] GENETTE, Op. cit., S. 328

[83] HAGEN, Op. cit. S. 49,

[84] Ebd, S. 399

[85] Ebd

, S. 38

[86] ADLER, Cyrus und DEUTSCH Gotthard : “Nebich (Bebbich) ”. In: Jewischencyclopedia.com. 2002. ‘<http://www.jewishencyclopedia.com/view.jsp?artid=151&letter=N> (July 25. 2006)

[87] Ebd, S. 147

[88] Ebd, S. 204

[89] Ebd, S. 205

[90] Ebd, S. 233

[91] HAGEN, Eva Maria: „Eva jenseits vom Paradies“, 1. Auf, List Taschenbuch, Berlin, 2005

[92] Ebd, S. 147 („Marie im November“)

[93] HAGEN, Eva-Maria : Eva und der Wolf, 2. Auflage 2000, Econ Taschenbuch Verlag, München 1999, Ss 362-363

[94] Interview im Anhang, Frage 9

[95] HAGEN, Eva Maria: „Eva jenseits vom Paradies“, 1. Auf, List Taschenbuch, Berlin, 2005, S. 10 Ff

[96] HAGEN, Eva-Maria : Eva und der Wolf, 2. Auflage 2000, Econ Taschenbuch Verlag, München 1999, S. 55

[97]Am 10. Juli 1958 machte Ulbricht die zehn Gebote bzw. Pflichten der DDR-Bürger bekannt.

Quelle: „Die 10 Gebote der SED“ in : NDR 1 Radio MV. K. D. <http://www1.ndr.de/ndr_pages_std/0,2570,OID467742,00.html#seitenanfang> (5. September 2006)

[98] HAGEN, Op. cit., S. 157

[99] Interview im Anhang, Frage 7

[100] HAGEN-PROMOTION, Op. cit.

[101] HAGEN, Eva Maria: Eva jenseits vom Paradies, 1. Auf, List Taschenbuch, Berlin, 2005, S. 10 ff

[102] HAGEN, Eva-Maria : Eva und der Wolf, 2. Auflage 2000, Econ Taschenbuch Verlag, München 1999, Seite 9

[103] Siehe Seite 28.

[104] WELLNITZ, Philippe, « Le grotesque littéraire – simple style ou genre à part entière? » in Le grotesque théorie, généalogie, figures, Publications des Facultés universitaires Saint-Louis, Bruxelles, 2004, Ss 15-28

[105] HEIZMANN, Jürgen, Notizen im Rahmen des Graduiertenseminars: ALL 6211 Formen der Komik, Herbst 2003.

[106] HAGEN, Op. cit., S. 10

[107] Interview im Anhang, Frage 10

[108] Interview im Anhang, Frage 18

[109] Ebd, S. 19

[110] Ebd, Ss 19-20

[111] Der Text steht auf die Seite 31.

[112]„Horst Sindermann“ in: Chronik der Wende, k.D., ‹http://www.chronikderwende.de/_/lexikon/biografien/biographie_jsp/key=sindermann_horst.html› (5. März, 2007)

[113] SCHITTLY, Dagmar Op. cit.

[114] HAGEN, Eva-Maria, Op. cit., S. 19

[115] Rasscass Medien und Content Verlag: „Horst Sindermann – Biografie“ in: Who’s who, 1999-2007, ‹http://www.whoswho.de/templ/te_bio.php?PID=1356&RID=1› (5. März, 2007) und ARD.de: „Horst Sindermann“ in: Chronik der Wende, k.D., ‹http://www.chronikderwende.de/_/lexikon/biografien/biographie_jsp/key=sindermann_horst.html› (5. März, 2007)

[116] HAGEN, Eva-Maria, Op. cit., S. 20

[117] Ebd, Ss 20-21

[118] Ebd, S. 9

[119] Ebd. S. 22

[120] Ebd, S. 22

[121] Ebd, S. 23

[122] Ebd, S. 23

[123] Ebd., S. 24

[124] Ebd, S. 23

[125] MEUNE, Manuel: „Construction médiatique de l’ « Allemand autre » et de l’ « autre Allemand » dans Der schwarze Kanal – 1961, un prélude à l’information mondialisée ?, in : Enjeux interculturels des médias. Violences, discontinuités, altérités, 2007 (erscheint demnächst).

[126] Ebd, S.24

[127] Ebd, S. 26

[128] Ebd, S. 27

[129] Ebd., S. 28

[130] Ebd, S. 25

[131] Interview im Anhang, Frage 18.

[132] Ebd., S. 29

[133] Ebd., S. 28

[134] Ebd.

[135] Ebd., S. 29

[136] Ebd., S. 17

[137] „Antrittsrede des Sängers“ befindet sich in Anhang

[138] SCHITTLY, Op cit., S. 130

[139] WOLLE, Stefan : Aufbruch in die Stagnation – Die DDR in den Sechzigerjahren, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 2005. S. 117

[140] Ebd

[141] SCHITTLY, Op. cit., S. 130

[142] HAGEN: Op. cit, S. 32

[143] HAGEN, Op. cit, Ss 34-35

[144] HAGEN, Op. cit., S. 32

[145] WOLLE, Op. cit. S. 117

[146] Interview im Anhang, Frage 19.

[147] HAGEN, Op. cit., S.35

[148] Interview im Anhang, Frage 24.

[149] Ebd., Ss 52-53

[150] WOLLE, Op. cit., S. 120

[151] Ebd. S. 51

[152] VON SALDERN, Adelheid : „Öffentlichkeit in Diktaturen; Zu den Herrschaftspraktiken im Deutschland des 20. Jahrhunderts“ in: Diktaturen in Deutschland – Vergleichsaspekte, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 2003, S.457

[153] FRIEDRICH, Carl Joachim und BRZEZINSKI, Zbigniew : „Die allgemeinen Merkmale der totalitären Diktatur“ in : Totalitarismus im 20. Jahrhundert – Eine Bilanz der internationalen Forschung, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 1999. S. 225

[154] Edb.

[155] HAGEN, Op. cit., S.41

[156] Ebd., S.42

[157] TESCHNER, Dirk: „Faschistische Vergangenheit in der DDR“, in: Telegraph, 3. April, 1998 auch auf dem folgenden Webseite erschienen: Faschisten in der DDR und antifaschistischer Widerstand: Nazivergangenheit in der DDR/SBZ,<http://www.antifa-nazis-ddr.de/ > (August 14., 2007)

[158] Ebd.

[159] JUNG, Uli: „Höhepunktedes Films in der DDR: Kurzrezension zu Der geteilte Himmel: Höhepunkte des DEFA-Kinos 1946-1992“ in: IASL online: Rezensionen <www.http://www.iasl.uni-muenchen.de/> 10. Juli 2001 (11. August 2007)

[160] Teschner, Op. cit.

[161] FRIEDRICH und ZBIGNIEW, Op. cit., S. 230

[162] HAGEN, Op. cit., S. 43

[163] Ebd., S. 43-45

[164] Ebd., S.44

[165] HAGEN, Op. cit., S. 36

[166] Interview im Anhang, Frage 1

[167] Hagen Op. cit., S. 41

[168] GIESEKE, Jens: Die DDR-Staatssicherheit : Schild und Schwert der Partei, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2000, S.16

[169] HAGEN, Op. cit., S. 60

[170] Interview im Anhang, Frage 14

[171] Hagen, Op. cit., S.75

[172] Ebd, S. 61

[173] Ebd, S. 62

[174] Interview im Anhang, Frage 10.

[175] HAGEN, Op. cit., S. 62

[176] Ebd.

[177] Ebd, S. 62-63

[178] Interview im Anhang, Frage 11

[179] SCHITTLY, Op. cit. S. 279

[180] HAGEN, Op. cit, Ss 63-64

[181] Interview im Anhang, Frage 14

[182] Ebd, S. 63

[183] Ebd.

[184] Ebd Ss 63-64

[185] Ebd, S. 64

[186] FRIEDRICH und BRZEZINSKI, Op. cit, S. 226

[187] HAGEN, Op. cit., S. 64

[188] Den intellektuellen Mord haben schon auf Seiten 78-79

[189] Edb, S.75

[190] Ebd, S. 76

[191] Ebd, S. 58

[192] 1948, 1950 und 1952.

[193] Siehe Zitat 29, Seite 10

[194] HAGEN, Op. cit., S. 77

[195] Ebd, S. 77

[196] Ebd, S. 77

[197] Ebd, Ss 67-68

[198] Ebd, S. 63

[199] Ebd, S. 82

[200] Interview Anhang, Frage 19.

[201] HAGEN, Op. cit, S. 89

[202] Ebd, S. 95

[203] Interview im Anhang, Frage 14

[204] Siehe Seiten 53 Ff.

[205] Siehe Kapitel 3.2.5

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