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Aktenkundig

(1976)

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Aus Ordner MfS-HA XX/0G
Hauptabteilung XX/0G                                        Berlin, den 8. 3. 1976
                                                                            Pe/Ta
  I n f o r m a t i o n

Inoffiziell konnte festgestellt werden, daß die zum engsten Freundeskreis W. Biermann's gehörende Eva-Maria Hagen Anstrengungen unternimmt, um durch lukrative Rollen ihre Popularität weiter zu steigern.
In diesem Zusammenhang konnte inoffiziell festgestellt werden, daß zwischen der Eva-Maria Hagen und dem Regisseur Thomas Langhoff nicht-offizielle Absprachen über die Vergabe einer maßgeblichen Rolle für den Film "Prof. Unrat", der von Thomas Langhoff für das Fernsehen der DDR inszeniert werden soll, stattfanden. Die beabsichtigte Rollenvergabe an die Eva-Maria Hagen wird sowohl von der Hagen, als auch von Langhoff weitestgehend geheimgehalten. Dieses sogenannte "Projekt" wird von Langhoff und der Hagen vordergründig gesehen und würde bei dessen Realisierung die Popularität der Hagen wesentlich steigern.
Über das oben genannte "Projekt" fand ebenfalls ein Gespräch zwischen der Hagen und Biermann statt.

Pesch
Oberleutnant
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Hauptabteilung XX/OG                                        Berlin, den 7. 4. 1976
                                                                              TH/Ta
 
I n f o r m a t i o n
 
zu den negativ-feindlichen Verbindungen der HAGEN, Nina
 
Die                     H a g e n,   C a t h a r i n a
                          geb. am 11 .3. 1955 in Berlin wh. Berlin, Kastanienallee 55 Schlagersängerin
 
ist die Tochter der Schauspielerin Eva-Maria HAGEN, die in der Zeit von 1965 bis 1972 eng mit BIERMANN liiert war und gegenwärtig noch losen persönlichen Kontakt zu BIERMANN unterhält. Seit ihrer Kindheit unterhält die HAGEN, Catharina engste Verbindungen und Beziehungen zu BIERMANN und dessen negativen und feindlichen Umgangskreis aus der BRD, WB und aus der DDR.
Durch die Vernachlässigung der Erziehungspflicht ihrer Mutter und des negativen Umgangskreises um BIERMANN, kam die HAGEN, N. bereits als Schülerin mit zweifelhaften moralisch-verkommenen und zu den gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR feindlich eingestellten Jugendlichen in Konakt. Sie nahm mehrfach an partyähnlichen Zusammenkünften unter Anwesenheit Westberliner Jugendlicher teil, die links- und rechtsextremistischen Kreisen angehörten. So erhielt sie u. a. auch über BIERMANN Kontakt zu den BRD- und Westberliner Bürgern DUTSCHKE, TEUFEL, LANGHANS u. a..
Zu ihrem Freundeskreis in der Hauptstadt der DDR gehörten...

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HA XX/7                                        Berlin, 29. Juli 1976
Gen. Lohr                                     26/7/BA/19/66/1627/Et
 
Vertrauliche Dienstsache
Informationsbericht vom 27. Juli 1976
 
1200
Eva-Maria Hagen meldet sich bei Thomas Langhoff.
Sie teilt ihm mit, daß sie zur Zeit an einer Angina leidet. Ihr geht es nicht besonders gut.
Thomas Langhoff und Familie würde Eva-Maria Hagen dort (vermutlich Karolinenhof) gern einmal besuchen kommen. Sie bringt zum Ausdruck, daß sie darüber sehr erfreut wäre. Thomas L. wird eventuell am Donnerstag oder Freitag nach Karolinenhof kommen. Eva-Maria H. fährt heute oder morgen wieder raus.
Eva-Maria Hagen fragt ihn dann, wie die Reaktion auf den Film (vermutlich der Fernsehfilm "Die Forelle") war. Er bringt zum Ausdruck, daß die Reaktion furchtbar war. Der Film wurde dem Komitee vorgespielt und danach hat er gedacht, daß er jetzt verhaftet wird. Würde er nicht so gerne Filme machen, wäre er aufgestanden und gegangen. Er findet, daß es sehr kränkend für ihn war. Der Fehlich (o.ä.) und der Programmdirektor sind mächtig auf ihn losgegangen. Dr. Seidowski (o.ä.), nach seiner Meinung der größte Stalinist aller Zeiten, hat zu ihm gesagt, was das für ein Mensch wäre, der alle Möglichkeiten ausnutzt, um ein pessimistisches und menschenfeindliches Bild von unserer Republik zu machen. Thomas L. führt noch an, daß aber auch viele Komiteemitglieder den Film gelobt haben. Zum Schluß sind die bestehenden Meinungsverschiedenheiten aber auch nicht geklärt worden. Er fand diese Tatsache sehr gut. Nach seiner Ansicht war das ein kleiner Fortschritt. Der Fehlich hat dann zu ihm gesagt, daß der Film doch ein ganz guter Stoff ist, aber er ist nur ein bißchen unklar angekommen. Auch ein Herr Schmotz (o.ä.) hat sich lobend über diesen Film ausgesprochen. Eva-Maria Hagen wird sich mit ihm darüber noch einmal ausführlich unterhalten. Sie freut sich schon jetzt, wenn er nach Karolinenhof kommt.
F.d.R.d.A. Etzold

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HA XX/7                                        Berlin, 14. September 1976
Gen. Lohr                                     26/7/BA/19/66/ 1631/Rö
 
Vertrauliche Dienstsache

Informationsbericht vom 12. September 1976

0365

J ü r g e n , der sich auf Eva-Maria Hagens Grundstück bei Haßleben aufhält (er beaufsichtigt dort verschiedene Handwerker z. B. Dachdecker, Ofensetzer) schildert Eva-Maria Hagen, daß die eine Hälfte des Daches bereits gedeckt ist. Ferner wurden die Öfen gesetzt.

Eva-Maria Hagen stellt fest, daß Wolf Biermann ja gestern in Karolinenhof gewesen ist. Jürgen bestätigt das.

Jürgen erkundigt sich nach Matti G. Eva hat sich mit Matti ein bißchen gestritten. In Kürze wird Matti nach Moskau zurückfliegen. Zuvor ist er nochmal zu seinem Vater, G. Scheumann gegangen. Jürgen erinnert, daß Matti neulich im Krankenhaus beleidigt war und weggelaufen ist, weil Biermann im Beisein von Christine herumulkte. Eva weiß davon nichts.

Dann erzählt Jürgen, daß er (Jürgen – wahrscheinl. Auftritt in Prenzlau) gestern abend noch beim Konzert gewesen ist.

Eva entgegnet, daß "er" (Biermann ??) davon gar nichts sagte. "Er" hatte ihr zwar das ganze Konzert geschildert, aber nicht, daß auch Jürgen mit dabei war.

Jürgen fand das Konzert ganz gut.

Eva meint, "er" fand es auch gut und interessant. "Für 'ihn' war es mal wieder eine ungeheure Sache."

F.d.R.d.A. : Röbisch

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Information der Abteilung 26 vom 1. 12. 1976

Gespräche von der Wohnung Jurek Becker
Nina Hagen teilt dem Jurek Becker mit, daß sie mit der Tine und Eva mit dem Auto bei ›Schilkin‹ steht und sie wissen nicht, wie sie zu Jurek kommen. Jurek versprach, daß er sie abholen kommt.

20.06
Eva-Maria Hagen unterhielt sich mit dem Matti in Moskau. Matti erzählt, daß er heut 4 Stunden dort war ... im Mittelpunkt stand seine Haltung als junger Genosse. Am Dienstag findet eine Besprechung statt, Matti nimmt an, daß er dann gefeuert wird. Bis vor wenigen Minuten war eine Parteigruppenversammlung und da haben sich alle dafür ausgesprochen. Er war als Einzigster dagegen. Matti gab dann zu verstehen, daß man ihm heute gesagt hat, daß er nicht haltbar ist, wenn er als junger Regisseur ein Verfechter der Ideologie sein will und werde und jetzt die Linie der Partei nicht vertreten wird. Heute wurde von dem Parteisekretär ganz klar gesagt, daß sie es nicht dulden können, daß ein junger Regisseur gegen die Linie der Partei verstößt. Eva ist erschüttert. Gestern versuchte sie, Herrn Scheumann zu sprechen, das war nicht möglich.
Eva gab zu verstehen, daß alles finster ist. Dem kann Matti nur zustimmen und er bezeichnet es als großes Totenfinale. Seine Erfolge beim Institut helfen ihm in dieser Sache gar nicht. Eva wollte wissen, ob Matti nicht eine Formulierung finden kann, die akzeptiert wird. Matti verneint das, denn die Frage ist konkret gestellt. Als junger Genosse muß er eine klare Haltung haben. Die hat er nicht, weil Biermann sein Freund ist. Er kann daraufhin keine Erklärung geben. Wenn er es machen würde, dann würde seine Arbeit als Regisseur darunter leiden und besonders sein Gewissen. Er würde sich dann das Leben nehmen oder Alkoholiker werden. Eva betonte, daß er das den Leuten sagen soll. In der heutigen Besprechung der Parteigruppe hat man ihm gesagt, daß er bedenken soll, was auf dem Spiel steht und er soll an seine Zukunft denken. Matti hat ihnen entgegnet, daß er das besser sieht als alle zusammen, aber er kann es nicht. Wenn dann am Schluß die Frage steht, ob er für oder gegen die Partei ist, kann er diese blöde Frage nicht beantworten. Er ist für die Partei und die DDR, aber er kann sich nicht gegen seinen Freund entscheiden. Eva warf ein, daß sie doch auch alle für die DDR sind. Matti versicherte dann, daß er die Eva sehr lieb hat. Wenn sie ihn feuern, werden sie schon was finden. Eva hört das gern und sie hat ihn auch lieb.

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Hauptabteilung XX Berlin, 23.11.1976
Auskunft

Name: Hagen –
Vorname: Eva-Maria
geb. am: 19.10.1934 in: Költschen
Beruf: Schauspielerin
tätig als: freischaffende Schauspielerin
Arbeitsst.: Fernsehen der DDR
wohnhaft HW: 104 Berlin, Wilhelm-Pieck-Str. 220
Telefon HW: 28 115 15
Parteizugeh.:
Kfz: Wartburg 3.... (weiß) IO 79-98
Erfassung in der Abt. XII: HA XX/OG
Familienstand: geschieden
Kinder:
Name: Hagen Vorname: Nina
geb. am: 11.3.1955

1. Kurze Darstellung der beruflichen und politischen Entwicklung

Eva-Maria HAGEN wurde als Tochter einer Landarbeiterfamilie geboren. Sie besuchte bis zum 15 Lebensjahr die Volksschule. 1949 nahm sie eine Lehre als Maschinenschlosser im RAW Wittenberge auf, die sie aber ohne Abschluß 1950 beendete.
Sie ging dann keiner beruflichen Tätigkeit nach und begann 1951 ein Studium an der Schauspielschule Berlin. Ihre Ausbildung unterbrach sie in der Zeit von 1953 - 1956. Sie schloß in diesem Zeitraum die Ehe mit dem Schriftsteller Hans Oliva Hagen. 1955 wurde die Tochter Catharina (Nina) geboren. Anschließend setzte sie ihre Ausbildung als Schauspielerin fort und bestand 1957 die Abschlußprüfung der Schauspielschule Berlin.
1958 erhielt sie nach zwei kurzfristigen Verträgen dann einen Jahresvertrag am "Maxim Gorki Theater" in Berlin, der bis Juli 1960 verlängert wurde.
Nach ihrem Ausscheiden aus dem "Maxim Gorki Theater" wurde sie als Schauspielerin im DFF eingestellt.
Neben der Theaterarbeit und ihrer Tätigkeit im Fernsehen spielte sie in mehreren Filmen, synchronisierte und trat als Sängerin auf.
Die Ehe mit Hans Oliva Hagen wurde 1959 geschieden.
Politisch war die HAGEN von 1948 bis 1954 in der FDJ, 1948 bis 1953 im DTSB und seit 1954 im FDGB organisiert.
Die HAGEN hat eine negative politische Grundeinstellung zur gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR.

2. Operative Aufklärungsergebnisse

Seit 1965 unterhält die HAGEN engen persönlichen Kontakt mit Wolf BIERMANN. Sie gab ihm durch Aufnahme in ihrer Wohnung die Möglichkeit, fortgesetzt sein feindliches Ideengut zu produzieren und propagieren sowie sich mit anderen negativen und feindlichen Personen zu treffen. Sie selbst nahm an derartigen Zusammenkünften in ihrer Wohnung und an anderen Orten teil, wo sich Anhänger BIERMANNS trafen und ihre negativen und feindlichen Auffassungen austauschten und bezogen. Sie identifiziert sich mit den politisch-ideologisch negativen Werken BIERMANNS und unterstützt ihn in seiner negativen politischen Grundhaltung. Die HAGEN studiert alle feindlichen Lieder ein, singt sie gemeinsam mit ihm im internen Kreis mit dem Ziel, diese in der Öffentlichkeit vorzutragen. So versuchte sie z. B. bei Auftritten im Auftrag der Konzert und Gastspieldirektion im Oktober 1966 und Februar 1967 Biermann-Lieder ohne Nennung seines Namens vorzutragen.
Sie nahm auch BIERMANN zu Auftritten in den Bezirken der DDR mit und zeigte sich mit ihm bewußt in der Öffentlichkeit, um ihn populär zu machen. Dadurch verschaffte die HAGEN dem BIERMANN die Möglichkeit, zahlreiche Kontakte in der DDR herzustellen und diese feindlich zu beeinflussen.
Die Unterstützung BIERMANNS durch die HAGEN erfolgt nicht nur infolge ihrer intimen Verbindung, sondern auf Grund gleicher feindlicher Positionen.
Unmittelbar nach Verbreitung der ADN-Meldung über die Aberkennung der Staatsbürgerschaft BIERMANNS am 16.11.1976 begab sich die HAGEN in die Wohnung von BIERMANN, um dessen Ehefrau, Christine BIERMANN, Hilfe und Unterstützung anzubieten.
Gemeinsam mit Sybille HAVEMANN, Tochter des Robert HAVEMANN, entwickelte sie Aktivitäten zur Aufrechterhaltung der Verbindung zwischen Christine BIERMANN, Wolf BIERMANN und Personen aus der DDR und der BRD, die zu dem Umgangskreis von Wolf BIERMANN gehören. Die HAGEN organisierte eine durchgehende Besetzung der Wohnung, organisierte und quartierte sich selbst dort ein mit dem Ziel, einen ständigen Informationsfluß zu BIERMANN aufrechtzuerhalten. Sie tritt als Hauptperson in Erscheinung und entscheidet, was gemacht wird.
Durch fortlaufende Diskussionen mit Christine BIERMANN übt sie politisch-ideologisch negativen Einfluß auf diese aus.
Am 18.11.1976 quartierte sich Eva-Maria HAGEN u. Sybille HAVEMANN nach Abschaltung des Fernsprechanschlusses in BIERMANNS Wohnung bei Lotte FRANCK ein. Sie benutzten an dem Tag den Telefonanschluss der FRANCK zur Aufrechterhaltung ihrer Kontakte.
Die HAGEN beriet sich mit ihrer Tochter Nina, inwieweit die "Solidaritätserklärung" einiger Schriftsteller, der sie zustimmen. durch eine eigene Unterschriftensammlung unterstützt werden könne.
Am 8.12.1976 erfolgt die durch den Leiter des Bereiches Kunst und Kulturpolitik, Gen. Engelhard und dem Kaderleiter, Gen. Schiller, eine Kaderaussprache mit Eva-Maria Hagen. Ihr wurde geraten, ihre Stellung zu Biermann zu überdenken, da sie sonst aus dem Fernsehen der DDR ausscheiden müsse. Sie erklärte, daß sie ihre Meinung zu Biermann nicht ändere und daraufhin am 8.12.1976 aus dem DDR-Fernsehen entlassen wurde.
In einer Aussprache am 6.1.1977 im MfK erklärte die Hagen, daß es ihr darum gehe, daß die Kündigung zurückgenommen wird. Sie habe deshalb eine Eingabe an den Staatsrat gemacht und sich an das Arbeitsgericht gewandt.

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Eva-Maria Hagen

Berlin, den 10. 12. 1976


An den Staatsratsvorsitzenden der DDR – Erich Honecker

Sehr geehrter Herr Honecker! (....) In meinem heutigen Schreiben geht es um mehr, als nur meine Person. Es geht um Freunde, Kollegen, Menschen, die ich nicht persönlich kenne, und um das Vertrauen, das wir Ihnen entgegenbringen (...). Wolf Biermann ist, als wir nicht mehr Mann und Frau waren, mein bester Freund geblieben und wird es sein mein Leben lang; was nicht bedeutet, daß es keine Meinungsverschiedenheiten gab und geben kann. Sie können sich vielleicht vorstellen, daß die Maßnahme über die Aberkennung seiner Staatsbürgerschaft mich in tiefe Verzweiflung und Trauer versetzte. Ich schloß mich dem Brief der 12 Schriftsteller an, in dem die Bitte geäußert wird, ›die Maßnahme zu überdenken‹.
Es wird erzählt, Sie Erich Honecker, hätten gesagt, man sollte nie nie sagen und die Unterzeichner würden keinen Repressalien ausgesetzt werden, jetzt gehe man wieder zur Tagesordnung über. In den Zeitungen, im Radio und Fernsehen geschah das auch von einem Tag zum anderen. Aber wissen Sie, wie die Tagesordnung hinter den gepolsterten Türen der jeweiligen Leiter der Kulturinstitute aussieht? Jeder einzelne der Unterzeichner wird stundenlang, ja tage- und inzwischen wochenlang bearbeitet. Es wird erst in sanfter, dann massiverer Form Druck ausgeübt und eine Distanzierung bzw. Rücknahme der Unterschrift verlangt! Die Argumente sind: Der Klassenfeind benutze unsere Namen. Aber warum wurde die Liste nicht im ND abgedruckt, warum waren da nur Stellungnahmen von Personen, die die Maßnahme begrüßten? Das geht nicht in meinen Kopf hinein. Es fallen inzwischen Vokabeln wie Konspiration, Gruppenbildung, Konterrevolution. – Wo steht, daß es keine Meinungsverschiedenheit geben darf oder Kritik? Sollen wir ein Volk von Heuchlern und Kriechern werden! Ich setze mich entschieden zur Wehr, wenn man versucht, meine Würde als Mensch und Frau und Kommunist mit Füßen zu treten. (...)
Meine Tochter, Nina Hagen, hat die Verzweiflungstat begangen, einen Antrag auf Ausreise (...) zu stellen, denn sie hat von Kindheit an meine beruflichen Behinderungen miterlebt. (...) Sie wollte nicht mein Schicksal an sich wiederholen lassen. Und Wolf Biermann war für sie Vater, Freund, Lehrer. Nach den ersten Aussprachen in diesen Tagen wurde klar, daß sie ihren Beruf mit 21 Jahren hätte an den Nagel hängen müssen. So sehr mich das kaputt macht, daß sie weg ist: Ich möchte hier leben, in der DDR, ich bin hier aufgewachsen, hier bin ich zu einem aufrechten Menschen herangereift, hier hatte sich mein Weltbild geformt – und hier bemühe ich mich um Verständigung der Menschen untereinander, um Ehrlichkeit, Furchtlosigkeit. Ich versuche hier, den Sinn und Zweck meines Lebens zu finden.
Da wird mir von Herrn Schmotz vom Fernsehen gesagt: ›Ja, glaubt ihr, in einem kapitalistischen Kulturbetrieb würden über politische Meinungsverschiedenheiten auch nur drei Worte gewechselt? Zack und schon lägt ihr auf der Straße.‹ Ich erinnerte ihn daran, daß wir in einem sozialistischen Land leben und daß Sie, Erich Honecker, gesagt haben sollen, es würde keine Repressalien geben. Herr Schmotz belehrte mich: ›Wir haben im Fernsehen unsere eignen Gesetze, da brauchen wir nicht erst den Genossen Honecker zu fragen, was wir mit solchen Leuten machen müssen.‹ Dann wurde mir mein Kündigungsschreiben überreicht.
Ich finde die darin enthaltenen Anschuldigungen so ungeheuerlich, daß ich mich sofort mündlich dagegen verwahrt habe. Inhalt und Ausdrucksweise dieses Schreibens sind in so bedrohlicher Form gehalten, daß ein uneigeweihter Leser daraus schließen müßte, ich käme unweigerlich hinter Schloß und Riegel. Aber für mich bedeutet es nur Berufsverbot.
Ich hoffe noch immer, daß Wolf Biermann wieder in die DDR zurückkehren darf.
Sie, Erich Honecker, müssen doch wissen oder fühlen, daß er Kommunist ist. Wenn Sie wirklich glauben, daß er ein Feind der DDR ist, weiß ich nicht mehr, was ich machen soll.
Wie soll ich dann überhaupt noch leben? – Ich grüße Sie!

(gekürzt)

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Quelle: XX/9/53
HA XX lfd. Nr. 3                                                 Bln, den 16.12. 76
 
Aktenvermerk
 
Am 16. 12. wurde mit Gen. Göhler, Stellv. KD Leiter der KD Mitte, Rücksprache über die Wohnung der Nina Hagen, Kastanienallee geführt: 

Nach Auskunft des Gen. Göhler wird am 17. 12. von der KWV mit der Eva-Maria Hagen eine Besichtigung der Wohnung vorgenommen zur Klärung:
 
- Rückerstattung von Baukosten (20.000,-- M)
- Festlegung des Termins der Räumung der Wohnung.
 
Gegenwärtig können nach Auffassung des Gen. Göhler die Eva-Maria Hagen und ihre Mutter die Wohnung betreten.
Die Hagen war bemüht, für diese Wohnung einen Mietpartner zu finden. Diese Absichten werden durch Übernahme der Wohnung durch die KWV unterbunden. Es besteht die Absicht, die Wohnung nach der Besichtigung mit der Hagen zu versiegeln.
 
Gen. Göhler bat darum, daß auf Leitungsebene weitere Rücksprachen geführt werden müßten, da er den persönl. Auftrag des Gen. OSL Hähnel erhalten hat, sich um die Wohnung der Hagen zu kümmern.

((handschriftlich beschriebenes Blatt)

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Hauptabteilung XX

Berlin, den 21. 12. 1976
XX/OG/Mü/Ta/17792/76
Z645 Gen. Müller

Abteilung X -

Leitet

im H a u s e

Inoffiziell wurde bekannt, daß die Schauspielerin
HAGEN, gebn. Buchholz, Eva-Maria ............
und ihr Freund
GESCHONNECK, Mathias (Matti) ...........
beabsichtigen, in den nächsten Tagen in die CSSR zu reisen.
Als Reiseziel wurde die Baude "Nisalasi" in Pec/Riesengebirge -
Tel. Pec 358 - bekannt.

Bei der HAGEN und dem GESCHONNECK handelt es sich um enge Verbindungen des BIERMANN, Karl-Wolf, dem die Staatsbürgerschaft der DDR aberkannt wurde.
Es wird gebeten, die Sicherheitsorgane der CSSR entsprechend zu informieren und zu bitten, operative Kontrollmaßnahmen einzuleiten, um das Verhalten und Kontaktaufnahmen der genannten Personen festzustellen.
Die HAGEN ist im Besitz des PKW Typ "Wartburg", Farbe weiß, poliz.Kennzeichen IO 79 - 98.
Bei Bekanntwerden weiterer Details zu der beabsichtigten Reise werden Sie umgehend informiert.

Anlage

- 2 Bilder der HAGEN, Eva-Maria
- 2 Bilder des GESCHONNECK, Mathias

Kienberg
Generalmajor

       

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