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"Alltag der Grausamkeit"

Zweite "SeeLesung" in Ravensbrück

03. 07. 2006 / Oberhavel

RAVENSBRÜCK
Es sind gemischte Gefühle, die auch bei der zweiten "SeeLesung" in Ravensbrück mitspielen. Auf der einen Seite diese traumhafte Kulisse am Schwedtsee, über dem sich im Abendlicht die Silhouette der Stadt erhebt, auf der anderen das Wissen um die Grausamkeit, mit der die Häftlinge des ehemaligen Frauen-Konzentrationslagers geschunden wurden.
An diesem wunderbaren Sonnabendabend ist Eva-Maria Hagen zu Gast. Die zu DDR-Zeiten populäre Schauspielerin liest Texte von ehemaligen Häftlingsfrauen und singt jiddische Lieder zur Gitarre. Etwa 60 Zuhörer begleiten sie durch die fast Tagebuch ähnlichen Eintragungen, die bis zum März 1945 reichen. Sie erzählen davon, wie die Frauen einen Alltag organisieren, den es unter solchen Bedingungen eigentlich nicht geben kann. Sie erzählen von kurzen, kalten Nächten, die für manche der Frauen weniger erholsam waren, als der lange, schwere Arbeitstag im Siemens-Lager oder im Jugend-KZ Uckermark. Dort mussten die Frauen Moore trocken legen, tagein, tagaus im Wasser stehen. Sie beschreiben Gefühle während der stundenlangen Appelle mit kalten, nackten Füßen. Und doch sind die wenigsten der Texte Hilferufe. Es sind Dokumente, wie sie Chronisten für die Nachwelt aufzeichnen. Und Eva-Maria Hagen lässt sie wirken, wie sie geschrieben sind. Sie liest sie ruhig, mit neutraler Stimme.
Im Hintergrund ertönt die Klang-Installation von Peter Tucholski mit. Gleich einem Trapez hat er vier große "Blechdosen" in den Wind gelehnt - und jeder Luftzug erzeugt im Inneren eigentümliche Schwingungen.
Eva-Maria Hagen ist beim Glauben angekommen. In Ravensbrück eine Institution. Wenn die Gräueltaten der Nazis den Frauen bis zum Halse standen, waren Gebete "die beste Nahrung". Gebete, die das Herz diktierte. In Gedanken verfolgten die Frauen das Kirchenjahr und verfassten gemäß der Feiertage und Stimmungen ihre eigene Liturgie. Und manchmal fand ihre Hoffnung, die sie während der Gottesdienste teilten, ein Stück Wahrheit. Etwa, wenn die Fürstenberger Apothekerin Paula Schulz, selbst Hitler-Gegnerin, Medikamente ins Lager schicken ließ, ohne Rezept, ohne Eigennutz. "So mancher Mitinsassin hat sie damit das Leben gerettet", heißt es in einem Text.
Nach knapp zwei Stunden ist die Sonne hinter den Bäumen verschwunden. Eva-Maria Hagen schließt das Buch. Vögel jagen über den Schwedtsee und ein Angelkahn wippt in den seichten Wellen - ein friedliches Panorama an einem Ort des Schreckens. cl

Isa Vermehren

Das unentbehrliche Ordnungssignal in diesem wimmelnden Ameisenhaufen war die Lagersirene, die sogenannte Uhle. Sie heulte in der Frühe das erstemal gegen vier Uhr. Dann mußten wir in großer Hast aus den Betten springen, sofern man das Bedürfnis danach empfand, sich im Waschraum ein Becken erobern und einen Platz auf der Toilette. Man mußte sich anstrengen, einen Becher heißen Kaffees zu erwischen, und bevor wir um fünf den Block verließen, um zum Appell anzutreten, mußte auch das Bett ordnungsgemäß gebaut sein. Für all dieses war die eine Stunde deshalb viel zu kurz, weil man sich in der dunklen Engigkeit kaum vom Fleck rühren konnte. Täglich bedurfte es der gleichen zähen Geduld und Hartnäckigkeit seitens der Block- und Stubenältesten, um die Häftlinge wie eine Herde unwilliger Kühe hinaus auf die Lagerstraße zu treiben, die sich überdies bei Regen in eine einzige große Pfütze verwandelte, aus der kaum einer mit trockenen Füßen wieder zurückkam.
Auf der Lagerstraße hatte jeder Block seinen ihm zugewiesenen Platz, wo er sich aufstellen mußte, zehn Reihen tief und die Blocks schön säuberlich getrennt voneinander, die Reihen gerade von vorn und von der Seite.
Obwohl es doch eine tägliche Übung war, dauerte es jeden Morgen über eine Stunde, bis es den Anweisungen der Blockältesten gelungen war, die geforderte Ordnung herzustellen.
Kein Häftling dachte auch nur daran, aus eigener Initiative sich gleich der Vorschrift entsprechend aufzubauen, im Gegenteil, die Stimmung war voll gereizter Widerspenstigkeit, und in dem unablässigen Murmeln vibrierte eine böse Spannung. Viermal, fünfmal, zehnmal mußte der Häftling gerufen, gebeten, ermahnt werden, bis er seinen Vordermann genommen und auch zur Seite sehend sich richtig placiert hatte.
Gebeten, gerufen ermahnt? Jede Blockälteste hatte ihre eigene Weise, und nicht wenige gab es, die ohne Hemmungen vom Faustrecht Gebrauch machten.
Dann wurde sorgfältig die Zahl der stehenden Häftlinge verglichen mit der Sollzahl entsprechend der Blockbucheintragung, und dann warteten wir auf das Erscheinen der Aufseherinnen, die sich oftmals eine halbe, und noch öfter auch eine ganze Stunde Zeit ließen. Der Himmel war zu dieser Stunde noch dunkel, und von weither trug ein unruhiger Wind den Duft der herbstlichen Wälder zu uns herüber.
Das fade Licht der Bogenlampen schwankte gespenstisch hin und her, und das dumpfe Raunen der vierzigtausend wartenden Häftlinge klang wie fernes Brausen großer, schwerer Wellen. Wirkliche gefesselte Menschheit, der die Angst das Rückgrat gebrochen hatte.
Beim Erscheinen der Aufseherinnen, angekündigt durch ein von Block zu Block springendes „Achtung“ verstummte das Raunen, die vorderste Reihe nahm Haltung an, sonst konnte es passieren, daß die Aufseherin rief „Hände aus die Taschen!“ was natürlich in zweifachem Sinne peinlich war und zu Unruhen führte.
Als „Köchin in Generalsattitüde“ schritt sie dann an uns entlang wie der Feldmarschall bei einer Parade, wobei sie bemüht war, in eleganter Weise mit ihrem Cape zu spielen.
Fand sie das Blockbuchresultat von der Zahl der stehenden Häftlinge bestätigt, so wurde die Zahl vorne in der Schreibstube gemeldet, und dann dauerte es gewöhnlich eine weitere Stunde, bis von dort endlich die Richtigkeit der gesamten Endsumme durch ein neuerliches Heulen der Sirene bekanntgegeben wurde.


Urszula Winska

Es konnte sie das Leben kosten. Sie wurde jedoch von den Kolleginnen, die Lagerfunktionen bekleideten, gerettet.
Als nach dem Warschauer Aufstand der gesamte Konvent der Schwestern der Marienfamilie mit der Frau Oberin, Teresa Stepówna, und der Meisterin des Noviziats, Mutter Rafaela Stando, aus Warschau gebracht wurde, belebten die Schwestern das religiöse Leben unter den Frauen. Nicht alle Frauen, die in dem selben Block wohnten, beteiligten sich an den gemeinschaftlichen Gebeten. Unter den Polinnen gab es auch einige Frauen mit einer weltlichen Grundeinstellung und einige Gläubige, die in der nächtlichen Einsamkeit auf eigene Art beten wollten.
In den Blocks, in denen Frauen verschiedener Nationalitäten zusammen wohnten (z.B. Block 2), fanden die Gruppengebete der Polinnen meistens im Schlafraum statt.
Die Häftlinge in ein- und derselben Nationalität versuchten die benachbarten Betten zu belegen, um wenigstens nachts unter den eigenen Leuten zu sein, und sich damit sicherer zu fühlen.
Man glaubte an die Kraft des Gebetes, an die seelische Bindung zwischen den Betenden und an die Vermittlung der abgeschiedenen Seelen.
Die Befragten schreiben über Vorfälle, die auf Erhörung der gemeinschaftlichen und individuellen Gebete hinweisen. Außer den Gebeten und guten Taten praktizierten einige Frauen Aufopferung und Entsagung in verschiedensten Formen zu wichtigen Anlässen.
Das Zentrum des religiösen Lebens im Lager bildeten die sogenannte Lagermesse, d. h. die sonntäglichen Gebete. Wir versuchten in den Jahren 1940-1942, da wir der Gebetbücher beraubt worden waren, unsere Sonntagsgebete der Liturgie so nahe wie möglich zu bringen.
So entstand im Sommer 1940 in dem Block 15 ein Text der Lagermesse.
Der Text wurde anhand von Fragmenten der liturgischen Texte in polnischer Sprache mit eingeflochtenen eigenen, im Lager entstandenen Gebete, die das Herz diktierte, verfasst.
Es wurden auch teilweise die Texte, die sich zu bestimmten Anlässen änderten, wiederhergestellt, wie z.B. zu Weihnachten, Ostern, zum Marienfeiertag, zur Ergießung des Heiligen Geistes, u.a. Man bemühte sich jeden Sonntag an ein Fragment des Evangeliums zu erinnern, indem man in Gedanken das Kirchenjahr verfolgte.
Die sonntäglichen Messen erschöpften die Frömmigkeit unserer ‘Prälaten’, ‘Kanoniker’ und ‘Pfarrer’ – wie wir scherzhaft die die Gebete sprechenden Frauen nannten – nicht. Ihr Eifer und die Vertrautheit mit den Texten vieler Gebete und Lieder wirkten anziehend auch auf die Frauen, die zwar religiös waren, aber dennoch ihre Religion mehr innerlich als eine private Angelegenheit betrachteten, und die Texte der Gebete und Lieder nicht auswendig kannten.
Manchmal, wenn der Körper und der Geist so schrecklich ermüdet waren, wenn die Greuel bis zum Halse stand und man sich weder konzentrieren noch „innerlich Erleben“ konnte, dann wurden die gesprochenen Gebete, das „an den Fingern“ verrichtete Rosenkranzgebet, die Litanei oder schließlich ein kirchliches Lied zur besten Nahrung für die erstarrten Seelen.
Im Winter 1942 arbeitete ich im Kunstgewerbe.
Ich nähte Stoffstücke zusammen, aus denen man Schnüre für die Sohlen der eleganten Damenpantoffeln aus Stroh flocht. Das ganze Material, das in der Werkstatt verwendet wurde, stammte von der WINTERHILFE, d.h. von den Spenden der deutschen Bevölkerung für die Hilfsbedürftigen.
Wir sahen also, wie unsere „Betreuer“ ihr eigenes Volk zu eigenen Zwecken bestahlen.
Daran war auch Himmler beteiligt, was er durch das persönliche Interesse während des Besuchs in der Werkstatt bezeugte. Ich erinnere mich an diesen Besuch sehr gut. Man verbot uns, die Augen von der Arbeit zu wenden. Ich warf einen verstohlenen Blick und sah, wie das ganze Gefolge am Tisch, auf dem diese Erzeugnisse ausgestellt waren, stehen blieb.
Unter anderem stand dort eine Kutsche mit vier Pferden, einem Lakai auf dem Kutschbock und einer Dame in einer Krinoline, die in dem offenen Fahrzeug saß. Es war ein Werk von Maria Bu´s und ihrem Töchterchen Wladislawa aus Kraków.
Die hohen Beamten der SS bewunderten lange das Exponat.
Nachdem sie weggingen, hatte die Kolonnenführerin die Kutsche sehr sorgfältig eingepackt und freudestrahlend aus der Baracke weggetragen. Man flüsterte, daß es für Himmler bestimmt war.
Im Kunstgewerbe wurden verschiedene Erzeugnisse hergestellt:
modische Strohpantoffeln, Puppen, Handtaschen, kleine Plastiken, Spielzeug und Teppiche. Es waren manchmal wirklich Wunderdinge dabei.
Die SS-Männer waren von den Gegenständen so begeistert, daß man ihnen auf die Hände schauen mußte, denn sie stahlen beinahe vor unseren Augen. Diese Neigung nutzten wir zum Bestechen aus. Auf diese Weise diente die Werkstatt nicht nur als Asyl, sondern auch als Hinterland für unsere soziale illegale Tätigkeit. Auf diesem Wege konnte man vielen Anzeigen oder Strafen vorbeugen, man konnte einen Verbündeten aus der SS beim Besetzen einer Funktion gewinnen. Wir bestachen die Aufseherinnen mit Strohtaschen, Schuhen, Spielzeugen. Manchmal hing das Schicksal einer Arbeitskolonne von einem Paar Schuhe ab. Es gab, glaube ich, kaum eine Aufseherin, die nicht mit Kunsterzeugnissen bestochen wurde. Es gab aber auch keine polnische Kolonnenführerin, oder auch einer anderen Nationalität, der wir nicht geholfen hätten.

Mittlerweile wurde mehr „schwarz“ hergestellt, als die offizielle Produktion betrug. Ich war den jungen Kolleginnen, die manchmal über ihre Kräfte arbeiteten, um den anderen bei dem Kampf um das Überleben zu helfen, dankbar.
Zu der zusätzlichen Tätigkeit in der Werkstatt gehörte das illegale Anfertigen von Erzeugnissen für die Häftlinge. Wir stellten kleine Gegenstände her, die unseren geplagten Mitgenossinnen Freude bereiteten, wie: kleine Herzchen, Elefantchen, kleine Medaillons, die aus den Stielen von den aus der Effektenkammer gestohlenen Zahnbürsten geschnitzt wurden.
Die Arbeitsbedingungen in den Gärten des SS-Sanatoriums in Hohenlychen boten viele Gelegenheiten zum „Organisieren“ von Gemüse und Obst, und sogar Zitronen, die wir in den „Sabotagesäckchen“ unter dem Kleid ins Lager trugen. Gleichzeitig nutzten auch die französischen Kriegsgefangenen und polnischen Arbeiter, die in der gleichen Gärtnerei beschäftigt waren, die Gelegenheit des „Organisierens“ aus. Eines Tages vernahm ich das Flüstern eines an mir vorbeigehenden Franzosen: -„Ich habe der Aufseherin ein paar Zitronen gegeben. Sie hat sie angenommen.“ – Unwillkürlich bewertete ich die Geste negativ, doch einige Tage später nützte ich diese Information aus. Es war so:
Nach der Arbeit stellte sich die Kolonne in zwei Reihen auf, und es fiel das Wort „Durchsuchung“. Die Aufseherin ging zu der ersten Gefangenen und begann Zwiebel, Möhren, Stückchen Kohlrüben aus den Verstecken in der Jacke und im Kleid herauszuholen.
Hochrot vor Wut schlug sie die Besitzerin der verbotenen Schätze, unsere liebe Rezitatorin und Schauspielerin Wanda Szczesna, auf den Kopf und ins Gesicht. Ich stand daneben.
Die Aufseherin näherte sich der zweiten Gefangenen ... und mir wurde bewusst, daß wir alle die gleiche Fracht besaßen, um sie wie jeden Tag für die ausgehungerten Mitgenossinnen ins Lager mitzunehmen.
Ich entschied mich, diese Durchsuchung zu unterbrechen.
Es war doch meine Pflicht, die Kolonne zu beschützen. Denn das, was meine Mitgenossinnen taten, geschah mit meinem Wissen.
Ich trat an die wutentbrannte Aufseherin heran und bat sie höflich, doch entschlossen, daß sie mit mir zur Seite gehen möchte, denn ich hätte ihr etwas Wichtiges zu berichten, und wollte nicht, daß es die Häftlinge hörten.
Die überraschte und verblüffte Aufseherin erfüllte meine Bitte. Und ich, mit dem Rücken zur Kolonne stehend, fühlte, wie meine Knie zitterten, als ich fast im Flüsterton sagte: „Wie können Sie uns durchsuchen und eine Frau schlagen, wenn Sie selbst Zitronen von den Franzosen in der Tasche haben?“ – Ich sagte das in einem Ton, in dem die Mütter zu ihren Kindern sprachen. Das Gesicht der Aufseherin wurde zuerst rot und dann blass.
Ich ließ sie nicht aus den Augen. Kriege ich jetzt etwas auf den Kopf, oder nicht? Sie beherrschte sich. Sie ging zur Kolonne: „Aufstellen, wir gehen zum Bahnhof“ - fiel das Kommando.
Die arme Maria sammelte das verstreute Gemüse auf, und die Kolleginnen halfen ihr dabei. Die Kolonne schwieg. Und ich? Es ist eine Schande zuzugeben – aber ich habe Flügel an meinen Armen gespürt...

Ich wurde aus der Kolonne Hohenlychen strafversetzt, weil „die freche Polin“ – wie mich der Direktor des SS-Sanatoriums nannte – ihm nicht gefiel. Zur Strafe arbeitete ich in der sogenannten „Scheißekolonne“.
Ich werde den üblen Geruch, die schweren, mit menschlichen Ausscheidungsstoffen gefüllten Schubkarren und glitschigen, vor Kot triefenden Griffe nicht vergessen. Die Schubkarre mußte ich während der zehnstündigen Arbeit viele Male täglich voll füllen, über einen schmalen Steg schieben und den Inhalt in einen breiten Tümpel – einen Seearm – ausschütten.


Anneliese Urbye

Ilse war Offizierstochter, 19 Jahre alt und hatte einen schwarzen Winkel wie ihre Freundin Belinda. Weshalb war sie eine Hure geworden? Ja, das war so. Sie hatte eine unglückliche Kindheit gehabt, und außerdem war es die einzige Chance, um die Arbeitsmobilisierung zu umgehen.
So wurde sie eine Professionelle im zweiten Kriegswinter und hatte es nicht bereut. Dagegen bereute sie bitter, daß sie die Gebühren an die Polizei drei-, viermal zu spät gezahlt hatte, aus diesem Grunde wurde sie verhaftet. Jetzt dachte sie daran, sich für einen Bordelltransport zu melden, der in ein Männerlager geschickt werden sollte.
Die Bedingungen waren nicht die besten, denn das Lager eignete sich den gesamten Verdienst an, und man mußte sich sein Brot hart verdienen.
Aber sie wollte weg von Ravensbrück um jeden Preis.
Fabrikarbeit hielt sie nicht aus. Belinda hatte sich bereits gemeldet, wurde aber nicht genommen, weil sie kurzgeschnittenes Haar hatte.


Isa Vermehren

Die Mittagspause dauerte nur eine halbe Stunde, was kaum ausreichte, das schlechte Essen herunterzuschlingen, und um halb sechs heulte die Sirene zum Beginn der Freistunde, der einzigen Stunde, in der es dem Häftling erlaubt war sich frei auf der Lagerstraße zu bewegen.
Dieser große Korso war natürlich sehr beliebt; er bot die einzige Möglichkeit erlaubterweise seinen Freunden zu begegnen und das den Hof zu dieser Stunde erfüllende Stimmengewirr war vertrauenserweckender als das dumpfe Raunen am Beginn des Tages.
Um acht Uhr heulte es zum Schlafengehen, und gegen neuen Uhr verlöschte das Licht auf den Blocks.


Charlotte Müller

In Fürstenberg gab es eine Apotheke. Wir brauchten eine Vertrauensperson, die uns von dort das Notwendige besorgen konnte.
In solchen Fällen hat uns oft die Handwerkerkolonne von Hannes Hader geholfen.
Sie bestand aus dienstverpflichteten Sachsenhausener KZ-Häftlingen, die unter Polizeiaufsicht außerhalb des geschlossenen Lagers lebten und gegen einen geringen Lohn für die Kommandantur bestimmte Arbeiten ausführten. Mit ihnen hatten wir guten Kontakt. Da sie sich innerhalb bestimmter Grenzen frei bewegen konnten, überbrachten sie uns Nachrichten über die Lage im Lande und an der Front.
Hannes Hader gelang es, Verbindungen zu der Besitzerin der Fürstenberger Apotheke, Frau Paula Schulz, herzustellen, und diese aufrechte Frau, selbst Hitlergegnerin, gab ihm ohne Rezept, manchmal sogar ohne Bezahlung; Medikamente. Oft legten auch Haders Genossen Geld zusammen, um Medikamente für unsre Kranken zu kaufen.
Das Risiko für Hannes Hader bestand darin, daß die Apotheke außerhalb des Kreises lag, in dem sich die ehemaligen Häftlinge frei bewegen durften. Jedenfalls brachte er die Medikamente ins Lager und rettete so – mit Hilfe der Apothekerin mancher Kameradin das Leben.

Ende Februar 1943 kamen erstmals sowjetische Kriegsgefangene – etwa fünfhundert Frauen und Mädchen, unter ihnen viele Ärztinnen und Sanitätspersonal – nach Ravensbrück.
Nach der Einlieferung befanden sie sich vier Wochen lang in Quarantäne.
Der Vorfall, von dem ich berichten möchte, trug sich an einem Sonntag im April zu. Die sowjetischen Häftlinge hatten sich geweigert, irgendeinen Befehl auszuführen, und sich darauf berufen, daß sie als Kriegsgefangene nach den Bestimmungen der Genfer Konvention des Roten Kreuzes behandelt werden müssten.
Für diese „Anmaßung“ wurden sie von Schutzhaftlagerführer Bräuning bestraft: Den ganzen Vormittag sollten sie auf der Lagerstraße marschieren und außerdem kein Mittagbrot erhalten.
Doch die Frauen vom Roten-Armee-Block wie wir den Block nannten, in dem die Angehörigen der Roten Armee untergebracht waren, hatten beschlossen, aus dem Strafmarschieren eine Demonstration gegen den Faschismus zu machen. Jemand rief plötzlich in unsern Block:
„Seht euch das mal an – die Rote Armee marschiert!“
Auch die andern Blocks wurden alarmiert, die Frauen liefen vor die Türen und hinaus auf die Lagerstraße. Jede suchte sich einen günstigen Platz, um gut sehen zu können. Den Anblick wollte sich keine entgehen lassen.
Und da kamen sie. Die fünfhundert sowjetische Frauen und Mädchen marschierten in Zehnerreihen, genau ausgerichtet wie bei einer Parade. Keine schwenkte den Arm höher als die andere. Wie Paukenschläge dröhnten ihre Schritte im Takt auf der Lagerstraße.
Es war eine Augenweide, zu sehen, wie die Frauen einschwenkten, um die Ecke bogen. Der gesamte Marschblock formte eine fest geschmiedete Einheit. Plötzlich gab die Kameradin links vorn das Kommando zum Singen. Sie zählte: „Ras – dwa - tri“, und dann sang eine Rotarmistin eine Liedstrophe vor, und die anderen fielen im Chor mehrstimmig ein. Sie sangen das Lied vom Vaterländischen Krieg.


Rita Sprengel

Ich arbeitete in einer Transportkolonne, von 6 Uhr früh bis 6 Uhr abends – mit einer Stunde Mittagpause – trugen wir Lasten: Geschosskästen, Bretter, Balken, je nachdem. Sonntag und Alltag.
Waren Waggons zu entladen, so steigerte das Tempo sich zur Raserei.
Die Entladung war nicht richtig organisiert. Die Aufseherin und der Anweisungshäftling hetzten.
Der Wachhund, durch Lärm und Schimpfen nervös geworden, knurrte.
Die Häftlinge verletzten sich gegenseitig bei den Entladearbeiten.
Jeder versuchte, sich davor zu drücken, an den gefährlichen Stellen zu arbeiten. Wir beschimpften uns. Einer war der Feind des anderen.

Die Aufseherin, eine gepflegte junge Frau, kokettierte mit dem Feldwebel, der die Arbeiten leitete, mit Wachmannschaften benachbart arbeitender Männerkolonnen, mit jedem „deutschen Manne“, der in die Nähe unserer Arbeitsstelle kam. Sie spielte mit einem Kaninchen, war mit ihm zärtlich und – schikanierte uns.

Furchtbar war der Hunger. Nicht, daß er „weh tat“. Aber – er machte müde, kraftlos. Wir aber mußten Lasten schleppen, Stunden um Stunden, Tag für Tag, Woche für Woche. Wir hatten keine Kraft mehr. Es tat weh, die Hand zu heben, es war eine Strapaze, die Beine zu bewegen.
Jeder versuchte, sich wenigstens für Minuten zu drücken, sich einmal zu setzen, einen Schlupfwinkel zu finden, an dem er nicht beobachtet wurde. Um diese Schlupfwinkel herrschte Zank und Streit.Der Anweisungshäftling verschob einen Teil unseres unzureichenden Essens: Schweine und Geflügel eines Zivilarbeiters wurden von unserem Essen mitgefüttert.
Aufseherin und Anweisungshäftling wurden dafür mit Gänsebraten und Speck entschädigt. (Auch) das war Ravensbrück.

Es kamen immer neue Zugänge auf unseren Block. Ich riet der Blockältesten, die Direktion darauf aufmerksam zu machen, daß absolut kein Platz mehr vorhanden wäre. Die Blockälteste lachte mich aus: „Kein Platz? Du wirst noch lernen, daß hier immer noch Platz ist, daß hier nichts unmöglich ist! Wer die Lebensbedingungen nicht verträgt, krepiert – weiter ist nichts dabei. Die meisten, verlass dich darauf, vertragen sie!
Es stirbt sich nicht so schnell!“
Morgens Appell, mittags Appell, abends Appell.
Die Lagerstraßen waren mit Koks- und Kohlenschlacken gepflastert.
Ob es regnete, ob die Sonne schien, vor Sonnenaufgang oder in der Mittagshitze standen wir mit bloßen Füßen auf den Schlacken. Die Füße vieler Frauen waren zerrissen und wund. Die Wunden waren ungepflegt. Sie rissen immer wieder auf. Sie waren verschmutzt und eiterten.
Rief die Sirene zum Appell, so hatten die Frauen sich in ausgerichteten Reihen blockweise rasch anzustellen. Sie hatten stillzustehen, bis die Sirene, manchmal nach vielen Stunden erst, das Signal zum Abtreten gab.

Eines Tages holte eine Aufseherin mich von der Arbeit ins Lager. Entlassung? Es war Dezember. Ein kalter Tag. Meine Hände aber klebten.
Mein Körper war nass vor Erregung.
„Ich weiß wirklich nicht, wozu ich Sie hole“, versicherte mir die Aufseherin.
Man brachte mich in die Politische Abteilung – nachdem ich ein sauberes Kleid, eine Jacke – und ein sauberes Kopftuch erhalten hatte.
Besuch? Wer? – Mein Mann kam herein. Wir führten ein seltsames Gespräch, mit wenig Worten und langen Pausen.
Ein Gespräch, in dem nichts Wesentliches gesagt wurde.
Einmal flüsterte ich ihm zu, daß er versuchen sollte, mir Lebensmittel zu schicken. Es sei eine Frage auf Leben und Tode. Er sagte mir leise:
„Unser Leben ist ein grausamer, teuflischer Witz:
Dich, meine Frau, bringen sie hier im KZ um – und ich werde die Ehre haben, für sie, die Bande, den Heldentod zu sterben.“
Ich antwortete leise: „Mein Tod wird leichter sein als deiner.
Wenn ich sterbe, so sterbe ich wenigstens auf der richtigen Seite!“
Er nickte. Die halbe Stunde war um. Ich trat auf ihn zu, nahm seinen Kopf. Wir küssten uns. Es war ein seltsamer Kuss. Es war kein Kuss zwischen Mann und Frau. Es war ein Kuss zwischen zwei Menschen, die sich unendlich gut kannten und ganz vertrauten. Ich empfand diesen Abschied fast musikalisch: wie ein unendlich schönes erfülltes Finale.

Zusammen mit vielleicht zwanzig Frauen wartete ich auf den Rückmarsch ins Lager. Ich war die einzige, die Besuch gehabt hatte. Besuche gab es im KZ nicht. Ausnahmen wurden nur bei Wehrmachtsangehörigen gemacht.
Zwei Polinnen hatten die Nachricht erhalten, daß ihre Männer im KZ verstorben seien. Es waren ältere Frauen. Die eine weinte. Die andere starrte vor sich hin. Leise ging das Gespräch zwischen den Wartenden.
Eine äußerte die Vermutung, daß es heute Abend „süße Suppe“ geben würde. Die Weinende unterbrach ihr Weinen: „Meint ihr wirklich?“ – fragte sie eifrig. „Unser Tisch hat heute Nachkelle!“
Erschüttert wandte ich mich zum Fenster. Draußen zogen die Arbeitskolonnen vorbei. Ja, der Hunger lässt die Menschen alles vergessen.


Margarete Buber-Neumann:

Als Gefangene unter Stalin und Hitler
Die Arbeitsbaracken der Firma Siemens waren von Männerhäftlingen erbaut worden – und erst seit einigen Wochen war die erste in Betrieb gesetzt. Noch arbeiteten nicht viel mehr als fünfzig Frauen dort beim Spulenwickeln und Relaisbau.
Bevor ein Häftling zur Arbeit genommen wurde, hatte er eine Geschicklichkeits- und Intelligenzprobe zu bestehen. Er mußte einen Draht in einer bestimmte Form biegen – und ein Stück Papier nach einem vorgeschriebenen Schema kniffen. Außerdem wurde er auf seine Sehfähigkeit hin kontrolliert.
Der Ingenieur Grade, der sich bei der Firma Siemens & Halskein fünfzehn Jahren hinaufgedient hatte, wählte unter dem ihm zugeschickten Sklavenmaterial sorgfältig das Brauchbarste aus. Er wandte sich immer wieder an den Schutzhaftlagerführer Bräuning mit der Bitte:
„Schicken Sie mir mehr Häftlinge von der ‚Lagerintelligenz’.“ Meine Beschäftigung bei Siemens bestand vor allem im Briefwechsel des Herrn Grade mit der Konzentrationslagerleitung. An diesem zivilen Ingenieur war ein SS-Mann verloren gegangen. Er scheute nicht davor zurück, ‚arbeitsunwillige’ Häftlinge bei der Aufseherin anzuzeigen und eine Meldung zu verlangen. Wenn er einen Häftling unbrauchbar fand, sparte er nicht mit abfälliger Charakterisierung in seinem Schreiben an die KZ-Behörde. Für ihn schien festzustehen, daß Häftlinge keine Menschenrechte zu beanspruchen haben. Wie ich erfuhr, waren die Haupttriebkräfte zu diesem Eifer der Wunsch, Karriere zu machen und die Angst vor der Front.


Hildegard Hansche

Um der Kälte zu wehren und um nicht bestohlen zu werden, pflegten einige Häftlinge immer wieder ihre Kleidung – auch des Nachts – anzubehalten, was verboten war.
So ergaben sich bei allnächtlichen Inspektionen des Blocks durch die SS-Blockaufseherin und bei der Durchsetzung der Lagerordnung mit Peitsche und wohl dressiertem Hund nachhaltige – und schlafstörende Nervenexzesse der gesamten Blockbelegung. (Man) erholte sich nicht während der Nacht, sondern atmete erleichtert auf, wenn 3.30 Uhr der Tag begann, man sich aus der Umklammerung der Menschenleiber lösen konnte. Es begann aber auch der grausame Tagesablauf.
Zunächst die Suche nach der Wäsche und der Kleidung. Waren sie noch aufzufinden? Möglicherweise hatte eine Kameradin sich in der Nacht, als alle schliefen, damit versorgt.“


Eva Busch

Manchmal, ganz selten nur, stahlen wir uns ein paar schöne Stunden.
Sowie die letzte Aufseherin den Block verlassen hatte, stellten wir einen Häftling vor den Block (...), um Wache zu stehen. Dann machten wir uns, ein oder zwei Stunden lang, einen ‚literarischen’ Abend, wie wir das hochtrabend nannten. Eine erzählte von einer weiten Reise, eine andere rezitierte Gedichte – wieder eine andere sprach von einem Buch (...).

Mimy Bontemps

Im Jahre 1942 mußten wir – ein paar Hundert Häftlinge (Frauen) – für Siemens arbeiten in Ravensbrück, zum Schluss waren es ein paar Tausend. Im Anfang waren wir im sogenannten großen Lager – jeden Tag um vier Uhr aufstehen, auf der Lagerstraße stehen bei jedem Wetter bis sieben Uhr, dann ab nach Siemens, ungefähr zwei Kilometer, geführt von unserer netten Wiener Kolonnenführerin Anni Vavak, welche uns immer so liebevoll betreute.
Getrieben wurden wir durch Hunde und diese SS-Weiber (Frauen konnte man solche Bestien wohl nicht titulieren) ...
Dann – 1944, als die Zahl der Häftlinge im großen Lager täglich unheimlich zunahm, wurde neben dem Siemens-Arbeitslager ebenfalls ein Barackenwohnlager errichtet.
So wurde uns wenigstens dieser viermalige, schreckliche Weg in unseren schweren Holzpantinen erspart, an dem tückischen See vorbei, der oft über die Ufer trat, und wir bis an die Knie durchs Wasser waten mußten.


Rita Sprengel

Im Herbst 1942 überließ ich es nicht mehr dem Zufall, in welche Kolonne ich kam. Ich suchte mir Arbeit in einer Ernte-Kolonne.
Der Anweisungshäftling, Wilma Heidemann, lag auf meinem Block. Sie war einverstanden, mich mitzunehmen, besorgte mir sogar all das, was man dort brauchte, um ein Maximum an Kartoffeln illegal ins Lager zu bringen: Schnüre, Ärmelschoner und zwei schmale Säcke, die von vorn und hinten zwischen die Schenkel gehängt wurden. So konnte ich Arme, Rücken, Brust und die beiden Säcke mit Kartoffeln füllen.


Aat Breur

Es ist Sklavenarbeit, aber doch angenehmer als die harte Arbeit im Lager.
Einerseits will man auf gar keinen Fall die deutsche Kriegswirtschaft unterstützen, andrerseits weiß man nicht, was tun, um dieses Leben zu überstehen. Bei Arbeitsverweigerung gibt es Bunker oder Strafblock. Ich mußte erst bei Siemens Spulen wickeln, wahrscheinlich für Funkgeräte, später kam ich in die Abortkolonne. Abscheuliche Arbeit, alle haben Durchfall, und man hat nie genug Wasser, um die Becken richtig sauber zu machen.
Bei Siemens arbeiten sehr viele. Das KZ verdient gut daran. Ob wir dabei kaputtgehen, spielt doch keine Rolle. Schließlich gibt es Häftlinge im Überfluß.


Antonia Bruha

Lebende Leichname waren es, die hier herkamen, und Wunden hatten sie!
Nie hätte ich mir vorstellen können, daß ein Mensch mit solchen Wunden noch leben und arbeiten kann. Durch Vitaminmangel oder überhaupt Nahrungsmangel entstanden Ekzeme am ganzen Körper, Ekzeme, die zuerst entzündlich, dann eitrig wurden und sich immer mehr und mehr ausbreiteten. Der Eiter fraß die Haut weg, fraß das Fleisch bis auf die Knochen. (...) Die Frauen baten die Häftlingsärztinnen mit aufgehobenen Händen um ein schmerzstillendes Mittel, weil sie den Schmerz nicht mehr ertragen konnten. Aber was sollten diese tun?
Sie und die Häftlingspflegerinnen arbeiteten Tag und Nacht mit kaum vorstellbarer Aufopferung, sie reinigten die Wunden, sie legten Verbände an. Aber es gab keine Medikamente, es gab zuletzt auch keine Desinfektionsmittel mehr, keine Verbände.


Hilde Zimmermann

Nach dem Heulen der Sirenen durften wir uns auf der Lagerstraße nicht mehr blicken lassen. Ein SS-Mann mit Hund und eine Aufseherin haben am Abend kontrolliert. Einmal fangen sie mich grad noch vor der Barackentür ab. Was machst du da?
Ich war bei meiner Mutter, sag ich, und will auf den Block.
Kannst dich nicht melden? Faucht mich die Aufseherin an.
Die Häftlingsnummer – die hab ich nicht herausgebracht.
Ich hab mich nicht hinstellen können und sagen, ich bin eine Nummer, dagegen hab ich mich gewehrt.
Verschwind! Hat sie gesagt. Naja, das war Glück.
Der Mali Brust hat ein SSler eine über den Kopf gehauen, weil er sie verspätet auf der Lagerstraße angetroffen hat. Sie ist in den Strafblock gekommen, hat Typhus gekriegt und ist gestorben.


Rosa Winter

So viele Jahre war ich in Ravensbrück, aber ich hab mich nicht ausgekannt, so groß war das, ein Riesenlager, wie eine große Stadt. Viele verschiedene Blocks hat es gegeben, für die Zigeuner, für die Juden, für die Russen. Am schlimmsten waren die Russen dran und die Juden, die Juden besonders.
Ich habe ja mit den verschiedenen Leuten gearbeitet. Bei den Deutschen, wenn du irgend etwas gestohlen hast, eine Kartoffel, warst du nicht sicher, ob sie dich verraten.
Eine Russin hat dich nicht verraten, die hat sich lieber köpfen lassen ... und dann die Bibelforscher, das waren die besten Menschen. Die haben dich auch nicht verraten ... Von den politischen Häftlingen hab ich mir manchmal ein bißl Essen organisiert, von denen, die in der Küche oder im Revier gearbeitet haben. Sie haben ja Menschen draußen gehabt, die ihnen Pakete schicken. Wir haben draußen niemand gehabt, die Zigeuner waren ja selber alle drinnen.



Liselotte Thumser-Weil

Margarete hat mich in die SS-Schneiderei gebracht. Dort wurden die SS-Uniformen genäht ... An einem Band saßen Frauen und mußten in einer Schicht 29 Hosen fertig stellen. Ich brauchte eigentlich nur die Seitennähte zunähen. Aber meine Maschine hat gemacht, was sie will und nicht, was ich will ... Ich konnte mir noch soviel Mühe geben, ich habe das nicht hingekriegt. Die Kameradinnen waren die ersten zwei Tage sehr fair. Sie haben meine Arbeit mitgemacht, haben das immer wieder erklärt, aber am dritten Tag lief das nicht mehr. Warum? Weil wir eine halbe Scheibe Brot und eine halbe Scheibe Wurst als Zusatz bekommen haben, wenn wir unser Pensum erreichten. Das hast Du dringend gebraucht, damit Du leben kannst ...
Wir haben also unser Pensum nicht geschafft, und Opitz hat nachgeforscht, warum – und ist dabei auf mich gekommen, daß ich diejenige war, die das ganze Programm kaputt gemacht hat.
Da passierte eine sehr hässliche Sache. Ich hatte keinen Kahlkopf. Er hat mich so an den Haaren genommen und hat meinen Kopf auf die Maschine geschlagen, auf die Zacken oben, die Maschine hat oben ein, zwei Zacken.
Ich habe heute im Kiefer ein Stück Silberplatte, und eine Kanüle geht zur Nase ... Ich durfte nicht ins Revier. Die Kameradinnen haben mit geholfen.
Ich habe lange Zeit nur vorsichtig, auf einer Seite des Mundes meine Suppe essen können. Die Brocken schaffte ich nicht. Die haben meine Kameradinnen zerquetscht und in die eine Mundseite reingesteckt – es war alles kaputt, alles.


Ursula Winska

Zofia Bastgen, Direktorin des Asnyk-Gymnasiums in Bielsko-Biela, wurde im April 1944 aus Kraków nach Ravensbrück gebracht. Wir waren während des Studiums bei Professor Ignacy Chrzanowski an der Jagiellonischen Universität herzlich befreundet. Sie besaß ein umfangreiches Wissen, ein hervorragendes Gedächtnis und vor allem gute Kenntnisse in drei westlichen Sprachen.
Während der dreijährigen Arbeit mit der Jugend im Lager erschöpfte sich langsam unser Bestand an Wissen. Deshalb suchten wir unter den neuangekommenen Polinnen Hilfe für uns und unsere Gruppen.
Als ich – dank Siasia Schöneman – zu den Zugängen befördert wurde und Zosia begegnete, freute ich mich darüber sehr und begrüßte sie mit den Worten: „Gut, daß du gekommen bist. Du wirst hier sehr gebraucht“.
Der Gesichtsausdruck der anwesenden Frauen machte mir bewusst, wie unpassend meine Worte waren. Doch Zofia verstand mich. Sofort schloß sie sich unserer Arbeit an. In ihrem Block wurde sie zur Lektorin der deutschen Tagespresse, die zu jener Zeit die Blockältesten bekommen durften. Sie übersetzte die Zeitungen – mit dem entsprechenden Kommentar – in die polnische und französische Sprache. Wir verwerteten ihr Wissen in allen unseren Gruppen. Sie war unermüdlich, obwohl sie schon zweimal inhaftiert wurde und eine schwere Untersuchung durchgemacht hatte.
Die Hauptquelle der aktuellen Nachrichten waren die deutschen Zeitungen, die die Meister und zivilen Deutschen in der Fabrik mitbrachten. Wenn es einer von uns gelang, eine Zeitung zu bekommen oder zu stehlen, trugen wir sie auf die Toilette und versteckten sie an einer abgesprochenen Stelle. Danach gingen wir nacheinander auf die Toilette, um die wichtigsten Nachrichten in einem Atemzug zu lesen.
Die „Omi“ Biedrzycka – ein Ebenbild der polnischen Matrone – war uns ein lebendes Beispiel für den Frohsinn. Leider starb sie auf der Schwelle der Freiheit. Die im Revier arbeitenden Kolleginnen brachten die Tragbahre, und Omi wurde auf die Bahre gelegt, in weißes Laken eingehüllt, und von Kolleginnen umkreist. An das lange weiße Hemd wurde ihr eine weiß-rote Schleife angeheftet, und in den Händen hielt sie das Bild Mutter Gottes aus Czestochowa. Ihr Haar wurde glatt nach hinten gekämmt, und ihr Gesicht drückte einen würdigen Ernst aus. Sie lag vor uns in der ganzen Majestät eines ruhigen Todes.
Nachdem sie von dem gesamten Block verabschiedet wurde, trugen Wanda Urbanska, Marysia Szymczakowa, Baska Suska und ich –die Bahre in die Richtung des Leichenhauses. Hinter uns her ging der ganze Block.
Es kam zum ersten Mal vor, daß die Polinnen auf diese Weise die von uns Davongehende verabschiedet hatten – der großartigen Landsmännin ihre Verehrung ausdrückend.


Käthe Anders

Acht oder zehn Tage war ich in Ravensbrück. Mit einer Schar anderer junger Madeln bin ich in die Uckermark gekommen, in das Konzentrationslager für Jugendliche, das sogenannte Jugendschutzlager, eine halbe Stunde von Ravensbrück entfernt ... Ich hab die Nummer 78 gekriegt. Später waren fünf-, sechshundert dort oben ...
Zuerst war ich in der Kleiderkammer. Im Juli oder August haben wir dann angefangen, das Sumpfgebiet trockenzulegen. Schwerarbeit war das ...
Bis November sind wir im Sumpf gestanden, bis der Boden gefroren war ... Barfuss dringestanden! Rheuma, Arthrosen haben wir alle davon, das ist uns geblieben. War ja eiskalt. Und nie was zum Aufwärmen ... Für den Schlafsaal haben wir von draußen das Holz gestohlen – organisiert -, eine von uns hat immer aufgepasst. Beim Fenster sind wir rausgekraxelt und haben die Scheitel genommen, damit wir wenigstens den Ofen im Schlafsaal ein bisschen heizen. Wenns uns erwischt haben, hat es acht Tage überhaupt nichts zum Heizen gegeben. Pfefferminzen sind gewachsen, daraus haben wir uns einen Tee gebraut, gekocht hat das Wasser eh nicht richtig. Wurzeln habens gegessen, drei sind gestorben daran. Es hat sehr viele Herbstzeitlose und giftige Pflanzen dort gegeben.

Urszula Winska

Die Nachrichten aus der Welt, vor allem über die Kriegslage und das Schicksal der Heimat, waren die ersehnte Nahrung für die langjährigen Gefangenen. Deshalb standen im Kernpunkt des Interesses die Presseberichte und Rundfunknachrichten, die durch die Polinnen ins Lager geschmuggelt wurden, welche als Reinemachefrauen in den deutschen, aus dem zerbombten Berlin verlegten Ämtern arbeiteten.
Halina Chorazyna war in all den Jahren bei der Beschaffung der Presse, die nur die Deutschen abonnieren konnten, und bei ihrer Übersetzung mit eigenen optimistischen Kommentaren unermüdlich.
Ihre wöchentlichen Presseberichte wurden von den Mitwissern fieberhaft erwartet und danach unter den Polinnen im gesamten Lager kolportiert.


Maria Zeh

Um zwei Uhr heulten die Sirenen auf. Appell! Tausend frierende Frauen standen im Scheinwerferlicht. Es regnete in Strömen auf den großen Platz. Endlose Stunden – ohne sich rühren zu dürfen. Kögels sadistische Stimme donnerte: „Ihr steht, bis wir das Luder gefunden haben!“
Ein krimineller Häftling war aus dem Strafblock geflohen. Unser trostloser Ausblick, Kögel, Wachtürme, die bissbereiten Hunde, der Zaun mit den SS-Totenkopfzeichen. Es erschien unerträglich.
Die mutige Doris zitierte Kästner: „Die Hände an die Hosennaht“, Bert Brecht und andere. Auf diese Weise hat sie uns unterstützt und unterhalten. Der Morgen verging, es gab kein Frühstück.
Die letzte Mahlzeit war der halbe Liter Suppe am Abend zuvor gewesen.
Viele brachen zusammen. Doris und ich trugen manche ins Revier.


Maria Fischer

Durch den politischen Kommissar Ramdohr, der ebenfalls auf der Anklagebank sitzt, habe ich fünf Monate meiner Lagerzeit unter den unmenschlichsten Verhältnissen im Dunkelarrest verbracht.
Drei meiner Kameradinnen und ich wurde am 05. April 1942 zu diesem Kommissar geholt ... Ramdohr fragte mich, ob ich wüsste, weshalb ich zu ihm gerufen worden sei. Nachdem ich verneinte, schrie er mich an: „Wegen kommunistischer Zellenbildung!“ Darauf wurde ich in dem berüchtigten Zellenbau in eine Dunkelzelle gebracht. Die ersten drei Tage bekam ich nichts zu essen und drei Wochen lang kein Bett. Ich mußte mich entweder auf den Boden legen oder auf den angeschraubten Schemel sitzend, den Kopf auf den Tisch gelegt, die Nächte verbringen. Nach drei Wochen bekam ich zwei dünne Decken. Am vierten Tag, nach einem Verhör, Mittag- und Abendkost, bestehend aus einer dünnen Suppe. Dann wieder drei Tage nichts. Das wiederholte sich ...
Des nachts hörten wir oft Schlüsselgerassel, Stiefeltritte, Schreien, Brüllen. Es wurden Menschen aus den Zellen geholt, die nicht zurückkehrten ... Es herrschte im Zellenbau eine eisige, von Grauen erfüllte Atmosphäre. Oft dachte ich: Erschießen ist Barmherzigkeit ...
Als Halbirre und mit einer schweren Nierenbeckenentzündung wurde ich aus dem Zellenbau nach fünf Monaten ins Lager entlassen.


Urszula Winska

Das Jahr 1943. Die Polinnen gehörten zu den schon erfahrenen Häftlingen. Sie hatten Schweres durchlebt: Exekutionen, experimentelle Operationen; sie kannten schon den das Fieber hervorrufenden Hunger.
Der Hunger wurde etwas gelindert, weil Himmler – zwar nicht aus humanitären Gründen, sondern in eigenem berechnendem Interesse – erlaubte, Pakete von den Familien zu empfangen. Das hatte die körperlichen Kräfte der Gefangenen gestärkt – sowie die Selbstsicherheit und den Mut gefestigt.
Das äußerte sich unter anderem im Organisieren polnischer Heiligabende nicht nur in den polnischen Blocks, sondern auch im Revier und in den internationalen Blocks, obwohl dort die Polinnen in der Minderheit waren.
Es gab schon Weihnachtsbäume mit dem polnischen Adler, Weihnachtskrippen und Gebete, die zu diesem Anlass gedichtet wurden, Wünsche für alle sich im Lager befindenden Nationalitäten,
Teilen der Oblate bzw. des Brotes aus Polen und lautes Singen der Weihnachtslieder.


Friedl Burda

Einmal bin ich zu einer Arbeitsgruppe gekommen, die Bomben erzeugt hat. Faserstoffwerke hat das geheißen, aber Bomben habens erzeugt. Damals hab ich so kleine Ratzenschwanzerl gehabt, so kleine Zopferl, hab also ausgeschaut wie 17 Jahr. War eh erst 21, aber damit hab ich noch jünger gewirkt. Darum habens mich net zu Drehbank, sondern zu Kontrolle geben. Und Kontrolle war genau das, wo ich mich am besten auskennt hab. Da hab ich mit meiner Lehre auch gute Stücke als Ausschuss angezeichnet. Die sind zurück und nachgedreht worden, und dann wars wirklich ein Ausschuss ... Angst? Schau, wir haben ganz genau gewusst, daß wir unser Leben einsetzen. Aber der Einsatz war das wert.
Ich hab mir gesagt, lieber mein Leben für eine gute Sache wie für eine schlechte. Die Sabotage, das war was, wo ich mit Sicherheit sagen kann, ich hab den Krieg ein bißl verkürzt.


Edith Klemich

Wir legten im Arbeitslager Siemens & Halske eine Geschicklichkeitsprüfung ab – dort kam es hauptsächlich auf besonders gutes Sehvermögen an.
Da ich darüber nicht verfügte, wurde ich als Schreiberin angenommen. Wir arbeiteten ab 1. Dezember 1944 dort und wurden Mitte des Monats ganz im Arbeitslager untergebracht.
Es begann für uns eine etwas bessere Zeit – wir hatten nicht bloß Wassersuppen mit getrockneten Steckrüben, sondern kräftiges, gekochtes Essen, die Kartoffeln allerdings mit Schalen, frische Steckrüben und oft Pferdefleisch, was für uns eine Delikatesse bedeutete ...
Wer infolge Materialmangels bei Siemens nicht voll beschäftigt war, hatte noch die angenehme Zugabe Moor zu tragen, um vor den Blöcken Blumenbeete anzulegen. Die meisten ohne Schuh bei jedem Wetter ins Moor. Viele, viele starben an schweren Erkältungen, an Magen- und Darmkatarrh, an Entkräftung ...
Eine große Strafe war die Nachtschicht im Arbeitslager, weil man kaum zum Schlafen kam. Hatte man 12 Stunden gearbeitet und den üblichen Appell hinter sich, mußte man die Kaffeekessel wegbringen, den Block mit einem Besen, der aus Kiefernzweigen bestand, kehren und wenn der Kaffee knapp war, mit eiskaltem Wasser wischen. War man grad eingeschlafen, mußte man schon wieder die Kessel mit dem Mittagessen holen – und um vier Uhr stand man wieder auf, um sich zur Nachtschicht fertig zu machen. Das Revier im Arbeitslager starrte vor Schmutz. Es gab nur zwei Waschschüsseln mit sehr wenig Wasser, das vom Waschraum hergeschleppt wurde, da sämtliche Blöcke ohne Wasserleitung waren.


Urszula Winska

Es war Januar 1945. Ich arbeitete damals im Keller beim Gemüseschälen in der Nachtschicht.
Das hatte auch eine gute Seite, denn nachts schliefen die Aufseherinnen, und die Gefangenen konnten miteinander sprechen, ohne die Arbeit zu unterbrechen. 25 Eimer mit Kohlrüben in einer Nacht – das war das Kontingent für jede von uns. Das Messer blitzte in den Fingern, die Hände wurden gegen Morgen steif, und nur mit äußerster Anstrengung konnten wir rechtzeitig fertig werden. Die russischen „Diewotschki“ schafften es, nicht nur das Kontingent zu erfüllen, sondern vor dem Appell noch ein bisschen zu schlafen. Wenn man sie dazu bewegen könnte, mit uns zusammen in einen „Trog“ schälen!


Aat Breur

1. März 1945. Eine Gruppe Menschen aus unserem Block, Sintifrauen und NN-Gefangene, darunter auch ich, müssen während des Appells vortreten.
Ich bin lange genug im Lager, um zu wissen, was das heißt: Streichung aus der Lagerkartei und Transport. Die ermorden uns ...
Haidi Hautval, die ich während meiner Rippenfellentzündung im Revier kennengelernt habe, läuft die Reihen ab. Sie trägt ein rotes Band, im Lager heißt das, sie hat eine Funktion. Sie sieht mich, reißt mich aus der Reihe und gibt mir einen kleinen weißen Lappen mit einer schwarzen Nummer. Irgendwie hat sie die Nummer einer Verstorbenen organisiert.
Ich muss mir den Stofffetzen auf den Ärmel nähen und im gleichen Moment dafür sorgen, daß ich verschwinde, denn es ist schon gezählt worden ... Haidi, die mir die Nummer gegeben hat, sagt sofort:
„Du bekommst die Hälfte meiner Brotration“.
Das nächste Problem: Ich muss irgendwo bleiben. Am Tag wie in der Nacht. Keine traut sich, mich in ihre Baracke aufzunehmen.
Erika Buchmann, eine deutsche Gefangene und Blockälteste, sagt schließlich: „Komm nur zu mir!“ Sie ist in Block 10, der Tuberkulosebaracke. Tagsüber arbeite ich als Pflegekraft in dem Block, in dem Haidi arbeitet. Ich habe keine Ahnung von Krankenpflege, aber das spielt überhaupt keine Rolle. Es geht ums nackte Leben, und man tut einfach das, was gefragt ist ... So schlage ich mich die letzten Monate im Lager durch.
Im Dezember 1944 versuchten Frauen unterschiedlichster Nationalität für die Kinder im KZ eine Weihnachtsfeier zu organisieren. Es wurde ein Kaspertheaterstück aufgeführt, kleine Geschenke vorbereitet und Lebensmittel gesammelt, damit sich die Kinder einmal satt essen konnten.


Hermine Jursa

Und die Kinder, die haben große Augen gemacht. Ich kann mich noch so gut erinnern. Die haben gar nicht lachen können.
Dann wie der Kasperl dann so gesprungen ist und so, hat man dann gesehen, so was haben sie noch nie gesehen. Die haben ja nur auf der Lagerstraße Aufseherin gespielt, Aufseher, Häftling und Hund.
Eine Kindheit konnte es im KZ nicht geben.


Rita Sprengel

Ich hörte Kinder auf der Lagerstraße sich darüber streiten, ob sie noch vergast würden oder nicht. Einer verteidigte seine Meinung, daß er noch zur Vergasung kommen werde, damit, daß seine dreijährige Schwester ja schon vergast sei. Die Kinder stritten um Leben und Tod – wie andere Kinder um ihr Spielzeug.


Germaine Tillion

Die leitende Oberaufseherin hieß Klein-Paubel. Sie ließ die Frauen streng und unbarmherzig schlagen oder strafen, aber wenn eine Bestrafung (gemäß ihrer persönlichen Vorstellung von Gerechtigkeit) ungerecht war, konnte man darauf hoffen, daß sie sie aufhob.
Allem Anschein nach war ihr Verhalten –von der ihr eigenen Vorstellung – von Pflichterfüllung bestimmt ... Die Persönlichkeit der Oberaufseherin wurde übrigens von der zweiten Oberaufseherin, Dorothea Binz, die der ‚große Star’ des Lagers war, vollständig in den Schatten gestellt. Wenn sie irgendwo auftauchte, spürte man buchstäblich, wie einen ein Hauch von Terror und Schrecken streifte. Beim Appell spazierte sie langsam in den Reihen auf und ab, die Reitgerte hinter dem Rücken, und suchte sich mit ihren kleinen bösen Augen die schwächste oder verängstigteste Frau heraus, um mit Schlägen über sie herzufallen ...
Im Gegensatz zu den SS-Männern, von denen ein beträchtlicher Teil der internationalen Kategorie der Mickerlinge und halben Portionen mit O-Beinen, gekrümmten Rücken usw. angehörte, waren die Aufseherinnen im allgemeinen kräftige und robuste junge Frauen von guter Gesundheit.
Nicht alle waren aus eigenem Entschluss auf ihren Posten gekommen, es gab unter ihnen auch Dienstverpflichtete, Frauen, die kraft Gesetzes zu dieser Arbeit gezwungen waren und sie sich nicht freiwillig ausgesucht hatten. Viele waren niemals Mitglieder der Nazipartei gewesen. Sie rekrutierten sich aus allen gesellschaftlichen Klassen Deutschlands: Straßenbahnschaffnerinnen, Fabrikarbeiterinnen, Opernsängerinnen, diplomierte Kinderpflegerinnen, Friseusen, Bäuerinnen, junge Mädchen aus bürgerlichen Haus, die noch nie gearbeitet hatten, pensionierte Grundschullehrerinnen, Kunstreiterinnen vom Zirkus, ehemalige Gefängniswärterinnen, Offizierswitwen usw.
Die Neueinsteigerinnen wirkten im allgemeinen erschreckt, wenn sie das erste Mal in Kontakt mit dem Lager kamen, und es brauchte einige Zeit bevor sie in Bezug auf Grausamkeit und Lebenswandel auf dem Niveau der alteingesessenen Aufseherinnen angekommen waren.
Einige von uns machten ein kleines, aber bitteres Spiel daraus, die Zeit zu messen, die eine neue Aufseherin brauchte, ehe sie deren Brutalitäts-Pegel erreicht hatte ...
Die Anzahl der Aufseherinnen, denen es ein sichtliches Vergnügen war, insbesondere schwache, kranke oder verängstigte Frauen zu schlagen und zu terrorisieren, kann auf etwa die Hälfte der Gesamtzahl geschätzt werden. Die anderen schlugen – wie der Bauer seinen Esel schlägt – aus Grobheit oder Einfältigkeit oder mehr noch aus Konformismus und vor allem dann, wenn ihre Kolleginnen oder SS-Männer dabei waren. Die besten Aufseherinnen waren jedenfalls solche, die überhaupt keine Reaktionen zeigten, wenn eine Frau in ihrer Gegenwart geschlagen wurde.


Urszula Winska

Die gesamte Zeit, die ich im Gefängnis und Lager verbrachte,
nannte ich „Mit dem Blick auf das Kreuz gerichtet“.
Ich denke, daß es für die Gläubigen verständlich ist, daß der Glaube und das Leiden Jesus erlauben, alles als Ausdruck der Vereinigung mit ihm anzusehen. Es gab mit Golgotha verbundene Fragen, die ich erst dort richtig verstanden hatte.
Es handelt sich um die von Christus ausgesprochenen Worte:
„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“.
Ihre göttliche Dimension erkannte ich, als ich selbst versuchte, den in mir erwachenden Hass gegen unsere Henker zu bekämpfen.
Zwei Geheimnisse des Glaubens sprachen zu den Seelen der Gefangenen besonders deutlich: das Leiden und der Tod Christi – für die Erlösung der Welt sowie seine Auferstehung. Denn wer konnte die Geißelung und das Aufsetzen der Dornenkrone besser verstehen als die blutigen Fetzen, in die die lebenden, gesunden, jungen Menschen durch die schrecklichen Verhöre der Gestapo oder durch die Strafen wegen ausgedachter Vergehen im Lager verwandelt wurden.
Christis Kreuzweg, der mit seinem Blut bis auf den Golgothaberg gezeichnet war, wiederholte sich hier in Tausenden Varianten. Es gab auch die grauenvollen Stunden auf dem Ölberg, von blutigem Schweiß triefend und von den Nächsten verlassen. Es gab auch Menschen, die den Verrat von Judas und die Flucht der Genossen, die noch vor kurzem in der Freiheit, ihre Seele für die Sache geben wollten, erlebten. Mancher richtete seinen Blick mit Schmerz und stummen Vorwurf auf Peter, der dreimal all das, was er liebte und ihm im Leben teuer war, leugnete.
Die Glücklichen trafen auf ihrem Weg die barmherzigen Veronikas, die schmerzerfüllten Frauen aus Jerusalem, den gezwungenen doch freundlichen Simon von Kyrene, und sei es auch den Halunken, der seine Schuld von der Unschuldigkeit des Gekreuzigten unterscheiden konnte.

Das Leiden und der Tod der Kollegin Strassburgerówna – eine Verwandte des ehemaligen Kommisärs aus Gdansk – gehörte zu den schrecklichsten Erlebnissen am Ende – unserer Inhaftierung in Neubrandenburg.
Ich hatte mit ihr einige Zeit beim Ausheben eines Panzergrabens außerhalb der Stadt gearbeitet. Sie war so stark geschwächt, daß sie sich kaum bewegen konnte. Deshalb ist sie von den Aufseherinnen – und der Kolonnenführerinnen, einer Russin, ständig geschlagen und gestoßen worden. Auf dem Rückweg ins Lager – wurde sie von den Kolleginnen geschleppt und gestützt. Schließlich befahl bzw. erlaubte die Aufseherin sie zu tragen. Wir waren auch sehr schwach, so daß sie uns manchmal aus den Händen glitt.
Dann schlugen die Aufseherinnen uns alle und versetzten uns Fußtritte.
Sie befahlen, die Sterbende hinter dem Tor zu lassen. Die deutschen Kinder warfen Steine nach uns, während des Kreuzweges, und riefen: „polnische Banditen“.

Ein auffallendes Beispiel gab uns die starke Haltung der Bibelforscherinnen, die ihrem Glauben bis zum Martertod treu blieben (sie verweigerten die mit dem Krieg verbundenen Arbeiten, die Beteiligung am Appell), oder der wenigen Mohammedanerinnen, die bei ihren Gebeten mit der Stirn auf die Erde schlugen. „Die Kraft des Gebets zerbricht die Macht des Bösen“ – wir glaubten heilig daran.
Wir fühlten, wie unsere Nächsten zu Gott um Gnade für uns baten, dagegen wir – für sie betend – stellten die Wirksamkeit der seelischen Verbindungen fest.
Als Vermittler für unsere Gebete luden wir die Verstorbenen ein, insbesondere diejenigen, die mit Gottes Gnade von uns gegangen waren, und der tiefe Glaube an die „Gemeinschaft der Heiligen“ vergönnte uns, in dem rasenden Terror, inmitten der abscheulichen Wirklichkeit, der drohenden Krankheiten und des Todes zuversichtlich einzuschlafen.

Am Anfang des Jahres 1942 brach der Aufstand der Bibelforscherinnen im Lager aus – der erste Aufstand in Ravensbrück.
Die Bibelforscherinnen, d. h. „Jehova’s Kinder“, waren überwiegend deutscher Nationalität; es gab einige Holländerinnen unter ihnen. Sie verweigerten die Arbeit in den für die Armee produzierenden Werkstätten sowie das Stehen beim Appell. Sie waren damals ca. 70 an der Zahl.
Einige von ihnen saßen schon zehn Jahre in verschiedenen Gefängnissen.
Nachdem sie ihren Widerstand so offensichtlich zeigten, wurden sie in den Bunker geworfen, und danach wurde ein Strafraum im zweiten Teil des Blocks 25, neben dem Kunstgewerbe, eingerichtet.
Uns wurde befohlen, in die Wohnblocks zurückzugehen.
Von dem tragischen Vorfall ergriffen, räumten wir langsam die Werkstatt vor dem Zuschließen auf. Der Kommandant jagte uns mit Geschrei weg.
Auf dem Weg trafen wir jedoch den grauenvollen Zug der siebzig unmenschlich misshandelten Frauen. Geschlagen, blutig, durch den Schnee geschleppt. Es war die zweite Hälfte des Januars. Drei gefolterte Bibelforscherinnen starben am nächsten Tag.
Die Übrigen, die mit Hunger bestraft und nur jeden vierten Tag mit etwas Nahrung versorgt wurden, warteten auf ihr Schicksal.
Es wurde der Besuch Himmler angesagt. Das Lager wurde geputzt. An dem angesagten Tag vernahmen wir, wie die ganze Gefolgschaft die von den Bibelforscherinnen belegte Blockseite eintrat.
Auf den Befehl „Achtung“ standen die Frauen nicht vom Boden auf. Eine von ihnen erklärte, daß sie lediglich vor Jehova stehen dürfe.
Nach Himmler’s Besuch wurden ihnen die Pritschen, Decken, Tische und Hocker weggenommen. Sechs Wochen lang lebten sie in der Kälte und bekamen nur jeden vierten Tag eine warme Kost. Einige starben, die Übrigen wurden erneut in den Bunker gebrach, wahrscheinlich erschossen (ins Lager kamen sie nicht zurück, sie wurden nirgendwo verschickt, also die einzige Möglichkeit war Mord).
Himmler hatte ich – zusammen mit Weldman, einer Deutschen – während seines Besuchs bei den Bibelforscherinnen begleitet, als eventuelle Dolmetscherin.
Große Bewunderung erregte in Meuselwitz die Haltung einer Baptistin, die – zum Bunker und einer Prügelstrafe wegen Verweigerung der Arbeit in der Fabrik verurteilt – ihre Strafen tapfer ertrug.
Jedes Mal weigerte sie sich, „die Todeswerkzeuge“ zu produzieren.
Der davon ermüdete Kommandant gab nach und schickte sie ins Landwirtschaftskommando. Dieses Beispiel war erbaulich und bestärkte die Frauen in dem Widerstand.

Gebete und Messen

Zu den Augenblicken, die sich am besten zu einem Gebet, einer Andacht und für die Selbstbesinnung geeignet hatten gehörten die Früh- und Abendappelle, selbstverständlich nicht die Appelle, die sich stundenlang bis spät in die Nacht hinzogen, und bei den Gefangenen Todesmüdigkeit hervorriefen, sondern die gewöhnlichen, täglichen Appelle, die 20-45 Minuten dauerten, und bei denen während des Zählens vollkommene Stille herrschen mu§te.
An manchem Sommermorgen war der Himmel so wunderschön – und die einzige unverdorbene Sache, die in der verkehrten Welt – die das Lager war – unberührt blieb. In solchen Momenten stiegen die Gedanken empor und suchten im Gebet die Ruhe und die Kraft, um den nächsten Tag und die nachfolgenden bis zum Sieg zu überstehen. Außerdem konnte man während der einsamen Spaziergänge, am Abend im Bett und auch bei der Arbeit beten. Der religiöse Eifer und das Bewusstsein des Wertes eines gemeinschaftlichen Gebetes führten zur Gruppierungen der Gefangenen im Sinne der Christus Worte: „Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammenkommen, dort bin ich unter ihnen“ (Math. 18,20).
Während der Woche betete man gemeinsam, und es war gewöhnlich das Rosenkranzgebet, die Litanei – und verschiedene Novenen anlässlich der kommenden Feiertage oder der besonders bevorzugten Heiligen, wie z. B. Juda Thaddäus oder der heilige Antonius.
Die Frauen, die außerhalb des Blocks arbeiteten, beteten gruppenweise im Schlafraum oder draußen. Die im Block arbeitenden Strickerinnen waren in günstigerer Lage, denn sie konnten bei der Arbeit gemeinsam beten.

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