Zurück"ERICH MIELKE – EIN DEUTSCHER JÄGER"
"Ein einzigartiges Portrait des Ministers und eines Regimes, das sich
selbst überlebte", verspricht die Hülle der Audio-Kassette. Es geht zwar
nicht um den obersten Jäger der DDR - das war dann doch Erich Honecker -
aber um den mit Sicherheit brutalsten:
Erich Mielke. Der ehemalige Minister für Staatssicherheit der DDR
entlarvt sich in diesem Feature selbst. Denn Joachim Walther (Jahrgang
1943) hat für dieses Radio-Feature (ursprünglich für DeutschlandRadio,
hr und mdr produziert) die Archive der Gauck-Behörde durchforstet und
das Tonmaterial ausgewertet, das Mielke selbst zu seinem Schutz von sich
anfertigen ließ.
Aber der Genosse soll selbst zu Wort kommen. Denn auf der Jagd auf
Hirsche hat der am meisten Erfolg, "der sich ganz als Hirsch fühlt und
benimmt". Wenn Mielke ein "Horrido, ein Waidmannsheil" auf Honecker
ausbringt oder ähnlich feierlich die Jagd auf Menschen mit
"rückständigen und feindlichen Ansichten" freigibt (und dann noch
zynisch nachschiebt: "Ich bin nur höflich" oder herzlich die zuhörenden
Genossen zum Mittagessen einlädt), dann kann einen schon das kalte
Gruseln befallen. Eine seiner Lieblingsfloskeln hieß "kurzer Prozess",
und den wollte er mit vielen machen:
Mit Verrätern aus den eigenen Reihen, Jugendlichen, "Abweichlern" und
westlichen "Banditen". Eindrücklich, aber zurückhaltend kommentiert
Eva-Maria Hagen als Sprecherin die Originalaufnahmen.
Der "Kämpfer an der unsichtbaren Front" liebte Gedichte und Gereimtes,
Kunst und Hymnen - allerdings auf bescheidenem Niveau. "Das Lied vom
Pfannenflicker", vorgetragen von Erich Mielke, gehört wohl zu den
kuriosesten Abschnitten der Audio-Kassette. Trinksprüche, über die immer
anbiedernd-wohlwollend gelacht wurde - Erich Mielkes Selbststilisierung
kannte kaum Grenzen.
Und so, wie man über die holprigen Verse und verbalen Ausrutscher -
natürlich ist auch das berühmte "Ich liebe, ich liebe doch alle
Menschen" zu hören - lacht, wird einem gleichzeitig übel. Mielke war und
blieb bis zu seinem Ende Stalinist mit einem begrenzten Horizont, den er
brutal als generelle Moral umzusetzen suchte.
Von seinen Schergen verlangte er absolute Ehrlichkeit - aber nur der
Stasi gegenüber. In diesem Abschnitt schweift der Autor leicht ab; die
Einsichten in O-Ton-Stasi-Berichte aus dem Alltag sind zwar
beeindruckend, führen aber ein wenig zu weit von der Person Mielkes weg.
Das Feature steuert auf seinen Höhepunkt zu, wenn parallel die
"Auflösungserscheinungen" der späten 80er Jahre und die von der Stasi
ernsthaft geplanten Internierungslager für Regimegegner aufgerollt
werden.
Die Verbindung von Jagd und "Menschen-Jagd" wird vielleicht manchem
modernen Jäger nicht passen und sauer aufstoßen - aber zumindest für
Mielke sind diese Parallelen entlarvend. Das Audio-Book ersetzt keine
Biografie, die Lebensdaten Mielkes und sein Lebensweg werden eher in
groben Zügen erwähnt. Aber es ist eine beeindruckende Form der
Geschichtsaufarbeitung, die zum Nachdenken anregt. Und Mielke im O-Ton
über sich selbst reden zu hören, ist ein Erlebnis, das man eben nicht
mit Hilfe eines Buches haben kann.
Die knapp 30 DM für diese 60 Minuten Einblick in die Denkweise des
Stasi-Chefs lohnen sich auf jeden Fall. Anhören!
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"ERICH MIELKE – EIN DEUTSCHER JÄGER"
Abhören Stereo (50 MB)
Abhören
Mono (25 MB) Sprecherin: EVA-MARIA HAGEN + O-TON
O-Ton: Horrido-Gesang Mielkes
(im Hintergrund röhrende Hirsche aus dem Lehrmaterial Brunftjagd,
Bestand:
Sekretariat des Ministers)
ANSAGE: Erich Mielke - ein deutscher Jäger – Der DDR-Mensch im obersten
Stasi-Bürokraten – Originalton-Feature von Joachim Walther
O-Ton MfS-Offizier:
Genossen, das Mitglied des Politbüros und Minister für Staatssicherheit,
Genosse Armeegeneral Erich Mielke, ein hervorragender Internationalist.
Sprecherin:
Im Urlaub jagte der erste Tschekist der DDR Hirsche, im Dienst Menschen.
"Feinde" genannt.
O-Ton Mielke : Auch wenn es in unserer Republik für die Organisierung
einer inneren, einer antisozialistischen Opposition keine
sozialökonomische Basis gibt, so gibt es aber trotzdem in unserer
Gesellschaft noch genügend Menschen mit rückständigen und feindlichen
Auffassungen, gibt es nicht wenige Feinde des Sozialismus. Nicht wenige,
Genossen! Ich bin nur höflich. Und unter dem Einfluß des
imperialistischen Gegners entwickeln sich auch neue Feinde.
Sprecherin:
Wenn er gekonnt hätte, wie er wollte, wäre noch öfter geschossen worden.
Eine
seiner Lieblingsfloskeln hieß: "kurzer Prozess".
O-Ton Mielke: Wenn wir nicht gerade jetzt hier in der DDR wären, wenn
ich das ganz ehrlich sage, damit ihr das wisst, wenn ich wäre so in der
glücklichen Lage wie die Sowjetunion, dann würde ich einige erschießen
lassen. So müssen wir natürlich immer ein klein bisschen...
Revolutionäre Gesetzlichkeit, das ist nicht etwa einen Prozess - einen
kurzen Prozess machen!
Sprecherin:
Nicht nur kurzen – ganz kurzen Prozess forderte er für die Verräter aus
den
eigenen Reihen. Freilich aus humanistischen Gründen. Banditen, nannte er
die,
Schufte und Drecksäcke.
O-Ton Mielke:
Wir sind nicht gefeit, dass auch mal ein Schuft unter uns sein kann. Wir
sind
nicht gefeit dagegen, leider. Wenn ich das schon jetzt wüsste, dann
würde er
morgen schon nicht mehr leben. Ganz kurzen Prozess! Aber weil ich ein
Humanist bin, deshalb habe ich solche Auffassungen! Lieber Millionen
Menschen
vorm Tode retten als wie einen Banditen leben lassen, der uns dann die
Toten
bringt, damit ich mal richtig erkläre, warum man so hart sein muss. Das
Geschwafel von "nicht hinrichten" und "nicht Todesurteil" - alles Käse,
Genossen! Hinrichten die Menschen, ohne Gesetze, ohne Gerichtsbarkeit
und so
weiter!
Sprecherin:Nach solch markigen Worten munterte Mielke seine verstummten Generale
und
Oberste auf.
O-Ton Mielke: Nunja, Genossen, jetzt, Genossen, wie geht's jetzt weiter?
Jetzt haben Sie die Möglichkeit, hier zu essen. Nun könnt ihr Mittag
essen, nach Hause fahren, könnt alles durchdenken und in einer wirklich
differenzierten Art und Weise die Sache auswerten. Ihr könnt natürlich,
besonders den Teil, natürlich nicht allen erzählen. Das habe ich euch
deshalb erzählt, damit ihr die ganze Größe, den ganzen Umfang des
wirklichen Geschehens begreift und kennen lernt. Gut, dann ist die
Dienstkonferenz geschlossen. Ich wünsch euch eine gute Heimreise, fahrt
vorsichtig, damit nichts passiert, und guten Appetit noch!
Sprecherin:
Der Appetit war ihnen an diesem Tag sicher vergangen. Denn es wurde
kurzer
Prozess gemacht in Mielkes Ministerium und hingerichtet. Durch
Kopfschuss,
von hinten. 1981 wurde der Hauptmann der Hauptverwaltung Aufklärung, Dr.
Werner Teske, der sich nach Westen absetzen wollte, zum Tode verurteilt,
das
Urteil vollstreckt. Der Staatsanwalt, das Plädoyer.
O-Ton Staatsanwalt: In der sozialistischen Gesellschaft braucht keiner
zum Verbrecher zu werden. Wer dennoch Verbrechen begeht, hat dafür vor
der Gesellschaft einzustehen. Wer sich wie der Angeklagte auf die
Positionen der Feinde unseres Volkes begibt, sich gegen unseren Staat,
gegen unsere sozialistische Ordnung, gegen unsere Schutz- und
Sicherheitsorgane stellt, bereit ist, seine Klassen- und Waffenbrüder zu
verraten, soll sich nicht wundern, wenn er als Feind behandelt wird, den
die ganze Härte unseres Gesetzes trifft. Die ganze Härte des Gesetzes
anzuwenden, Hohes Gericht, das ist Gerechtigkeit, das ist
gesellschaftliche Notwendigkeit, das sind wir unseren werktätigen
Menschen, ihrem friedlichen Aufbauwerk, den Angehörigen der Schutz und
Sicherheitsorgane schuldig. Ich beantrage aus den von mir dargelegten
Gründen, den Angeklagten wegen begangener, vollendeter und vorbereiteter
Spionage in besonders schwerem Fall in Tateinheit mit Fahnenflucht in
schwerem Fall zum Tode zu verurteilen und gemäß Paragraph 58
Strafgesetzbuch die staatsbürgerlichen Rechte für dauernd abzuerkennen.
Sprecherin:
Erich Mielke war jedoch nicht nur Hirsch- und Menschenjäger, sondern
eine,
wenn nicht allseitig, so doch vielseitig gebildete Persönlichkeit - auf
höchster
Ebene und niedrigstem Niveau. Erich Mielke mochte beispielsweise
Trinksprüche.
O-Ton Mielke: So, Genossen, jetzt also herzlichen Dank- an euch für die
schönen, guten Worte. Das alles ist für mich Verpflichtung, mich
weiterhin erfolgreich zu bemühen, weiter zu arbeiten. Und ich werde das
tun. Ich werde das tun mit aller Wissenschaftlichkeit, mit aller
Konsequenz, mit aller Härte und Parteilichkeit, die von einem
Kommunisten gefordert wird. Ich habe große Liebe und liebe vor allen
Dingen die Menschlichkeit als allerhöchstes, als das höchste Gut, und
vor allen Dingen das Zusammensein, und anderen Menschen Gutes tun. Das
ist mein wichtigstes Gebot. Andererseits gibt es bei mir keine
Kompromisse, wenn es um die Sache geht, um die Sache des Friedens und
des Sozialismus. Da gibt es keine Gnade. Ich kenne keine Gnade. Da
werden wir mit aller Härte und mit aller Konsequenz und mit aller
Entschlossenheit und mit allen Mitteln einschreiten. So ist die Lage.
Also herzlichen Dank... Trinken wir auf unsere kleine
Menschengemeinschaft hier. Sie verkörpert sozusagen im kleinen unsere
große Familie der Deutschen Demokratischen Republik. Trinken wir auf
unsere Führerin und inspirierende Kraft, unsere Partei! Trinken wir auf
alle guten Menschen und Patrioten, die uns in unserer Arbeit
unterstützen!
Sprecherin:
Der Minister liebte auch den Gesang. Das Lied vom Pfannenflicker,
gesungen
von Erich Mielke.
O-Ton Mielke:
Der Pfannenflicker schwenkt seinen Hut / Adieu, Mamsell, der Flick saß
gut /
Und als er ihr die Pfann' geflickt / Da hat sie ihm ein Talerstück wohl
in die Hand
gedrückt / Der Pfannenflicker schwenkt seinen Hut / Adieu, Mamsell, der
Flick
saß gut!
Sprecherin: Erich Mielke liebte die Kunst. Im allgemeinen die bedeutende
Kunstform der sowjetischen Estrade und im besonderen die
Geheimdienst-Hymne
"Du Kämpfer an der unsichtbaren Front":
Erste schwere Fahrt für dich ins fremde Land /
Einen kühlen Kopf brauchst du und eine ruhige Hand /
An die Tücken dieses Weges denke nicht /
Bester Schutz dagegen ist ein Allerweltsgesicht /
Du Kämpfer an der unsichtbaren Front Den Menschen bist du unbekannt
Jedoch es dankt dir für all dein Tun, für deinen Mut Für dein stilles
Heldentum – Dein Vaterland.
Das, was dir etwas bedeutet, bleibt zurück Frau und Kinder, Eltern,
Freunde und dein Alltagsglück Liebe ist es dann, die deinen Weg
verschönt Weil am Leben dieser Menschen dir so viel liegt In der Fremde
wächst du über dich hinaus Pflichterfülltes Leben - dafür dankt dir dein
Zuhaus Triffst du glücklich in der Heimat wieder ein Wird der Frieden
auf der Erden sicher sein Du Kämpfer an der unsichtbaren Front Den Menschen bist du unbekannt
Jedoch es dankt dir für all dein Tun, für deinen Mut Für dein stilles
Heldentum Dein Vaterland.
Sprecherin:
Und Gedichte liebte er auch.
O-Ton Rezitation: Mein Vorbild Feliks Dzierzynski /Welch ein Name / Er
ist mein Vorbild, ein Kommunist /Er steht für viele seinesgleichen / Bei
uns weiß jeder, wer er ist / Trotz Kerker, trotz Verbannung blieb
aufrecht er, hielt stand / Er lernte auch im Zuchthaus für sich und für
sein Land /Es imponiert mir seine Klugheit, sein Kampfgeist und sein Mut
/ Er haßte seine Feinde und war zu Kindern gut / Obwohl der Feind ihm
drohte, tat er für Kinder viel / Er baute für sie Heime zum Lernen und
zum Spiel / Zu früh hat der Tod ihm ein Ende bereitet, es gab noch so
viel zu tun. Doch die, die ihn zum Grabe geleitet, setzen sein Werk
fort, ohne zu ruh'n / Wenn wir nun seinen Namen tragen und jemand fragt,
wer das ist / Dann antwortet: Feliks Dzierzynski. Nur ein Name? Nein,
mehr: der erste Tschekist! (Applaus)
Sprecherin:
Und weil er Gereimtes so überaus mochte, griffen sogar die Genossen der
Hauptabteilung HA VIII, eigentlich zuständig für Observation und
Ermittlung, zur
Feder.
O-Ton MfS-Offizier: Gruß und Glückwunsch unserem Genossen Minister zum
75. Geburtstag von den Mitarbeitern der HA VIII: Wie könnte man sein
Wirken jemals trennen von der Partei / In guten und in schweren Stunden
/ War er mit ihr aufs stets engste verbunden / Und will man nun von
seinem Leben sprechen, spricht man von der Partei / Sein Tun floß ein in
die Parteigeschichte / Bei allen Kämpfen war er mit dabei / Ein treuer
Sohn und Kämpfer der Partei / Sie gab ihm ihre Kraft, er ihr die seine /
So wuchs die Kraft im mächtigen Vereine / Sein Werk, es wird als Vorbild
viele lehren / Seht, die Partei!
Sprecherin:
Wolf Biermanns Lyrik oder Stefan Heyms Romane dagegen fand Erich Mielke
weniger schön. Das subsumierte der Kunstkenner unter Begriffe wie
"Machwerke" oder "Dreck". Und sowas gehörte selbstverständlich verboten.
O-Ton Mielke: Wenn hier Heym und alle solche Literaten und Künstler die
Macht hätten, dann hätten wir die DDR schnell aufgefressen. So,
Genossen, und nur so steht die
Frage! Diese Briefe oder dieses Schreiben, diese Abhandlung über die "Langeweile von Minsk" von Heym grenzt objektiv an Staatsverrat !! Wenn
wir nur einen Tag diesen Menschen die Macht in die Hände gäben, dann
wäre die Macht verloren. Hier können wir deutlicher sprechen, was das
für eine Gefahr bedeutet, dass man sie auch noch abdruckt. [ ... ] Nun
fällt den armen Leuten,
weil sie nichts Feindliches mehr bringen können, keine Demoralisation
mehr bringen können, nun fällt den Geistern nichts mehr ein. Der
Biermann, dass er noch was Gutes bringen könnte, da sind sie mit einem
Mal trocken wie so'ne alte, ausgequetschte Zitrone! Die Genies! Anstatt
uns herrliche Drehbücher zu schreiben, wunderbare Romane! Also bitte
sehr, Herr Heym, bitte sehr alle die Künstler, die Filme drehen, dreht
solche Filme, schreibt solche Bücher, die sogar den Nobelpreis bekommen!
Sind wir dagegen? So steht die Frage. Also man sagt, wir sind
Dogmatiker, die wollen nicht. Nein, gegen den Dreck sind wir! Und wir
sind dagegen, dass man uns hier solche Sachen zeigt, um zu zersetzen
unsere Gesellschaft und unsere Jugend, nämlich daher kommt das mit der
Jugend!
Sprecherin:
Erich Mielke war in seiner Liebe fest und treu. Zum Beispiel zu Stalin.
Den ließ er noch 1970, 17 Jahre nach dessen Tod, bei einem Gelage mit
Generalen vom KGB auf seinem Jagdschloss Wolletz in der Uckermark
hochleben.
O-Ton Mielke: Wir meinen, so wie man jetzt die Opern hört aus dem
Mittelalter, so wird man auch später einmal die Heldensagen über Stalin
erzählen oder sprechen. [...] Trotzdem trinke ich jetzt ganz alleine,
ihr habt vielleicht Angst, auf unseren Genossen Stalin. Meine Pension
ist gesichert. Wer Angst hat um seine Karriere, der soll eben sitzen
bleiben. [...] Als Stalin starb, ich hielt damals die Trauerrede im
Ministerium. Und für mich war um so beleidigender, in welcher Art und
Weise dann Chrustschow die Sache damals behandelte. [...] Ich habe
niemals diese Linie bezogen, obwohl man versuchte, sie auch bei uns zu
ziehen. Ich habe Stalin niemals persönlich die Hand gegeben, aber wie
jetzt über ihn geredet wird, das ist entwürdigend. [...] Jetzt trinke
ich ganz alleine in tiefer Dankbarkeit auf die Sowjetmacht. Ohne
Sowjetmacht keine DDR!
Sprecherin:
Und das KGB wusste, was es am Towarischtsch Mielke hatte.
KGB-General Sacharowski bestätigte es ihm noch einmal 1987 in Ostberlin.
O-Ton KGB-General:
Es ist uns besonders angenehm, dass nun schon mehr als 30 Jahre diese
Kampfabteilung der Tscheka unter der bewährten Führung des standhaften
Antifaschisten und Internationalisten, des Aktivisten der ersten Stunde,
angesehenen politischen Funktionärs der DDR, unseres großen Freundes und
Kampfgefährten, des Genossen Armeegeneral Erich Mielke, steht.
Sprecherin: Erich Mielke liebte Jagd, Trinksprüche, Gesang, Gedichte,
die Partei, Josef Wissarionowitsch Stalin, die Sowjetunion und die
Genossen vom KGB, eigentlich liebte er alle Menschen. Das erklärte er
den Abgeordneten der DDR-Volkskammer im Herbst 1989, die sich damals,
erstmalig in der Geschichte der
Deutschen Demokratischen Republik, zu lachen getrauten.
O-Ton Mielke:
Ich liebe euch doch, ich liebe doch alle Menschen! (Gelächter)
Sprecherin: Sein Aufstieg war steil, die Fallhöhe entsprechend groß.
Mielke, 1907 in Berlin geboren, proletarischer Herkunft, wurde schon mit
19 Jahren Mitglied der Kommunistischen Partei. Im "Parteiselbstschutz",
einer paramilitärischen Organisation der Kommunisten, lernte er das
Schießen - und schoss auf dem Berliner Bülowplatz am 9. August 19' ) 1.
Zwei tote Polizisten blieben zurück, erschossen, von hinten. Von wem,
blieb bis heute ungeklärt, Erich Mielke aber tauchte damals unter.
Anlässlich seines 60. Geburtstages hielt er eine kleine Dankrede an die
Gratulanten, unter ihnen Erich Honecker. Mielke autobiographisch,
freilich konspirativ, was diese Episode betraf.
O-Ton Mielke: Ich persönlich, Genossen, erzogen in einem Arbeiterhaus,
und als ich türmen musste - in diesem Rahmen darf man es wohl sagen - da
bin ich als 21 -Jähriger aus dem Bett meines Bruders gestiegen, habe ihn
auf den Kopf geküsst und habe gesagt ~ So, jetzt hast du dein Bett
alleine, mein Sohn, jetzt kannst du schlafen. Er hat nicht mal
mitbekommen, daß ich abhaute. Genossen, in dieser Arbeiterfamilie - der
Vater ein Kämpfer mit der Waffe in der Hand, der im Zuchthaus saß -
wurde ich groß und war von Anfang an erfüllt für diese Sache der
arbeitenden Menschen und war bereit, zu kämpfen gegen dieses Unrecht.
Wenn ich schon sah, dass ein Arbeiter oder irgendeine Arbeiterin
verfolgt wurde von den Schergen, den Banditen der Bourgeoisie, dann
empörte sich mein Herz. Und so wurde ich geformt und erzogen zu einem
bewussten Kämpfer, Klassenkämpfer für die große Sache unserer Partei,
für die Idee des Marxismus-Leninismus. Herzlichen Dank, Partei.
Herzlichen Dank, Genosse Honecker, der du die Grußadresse des
Zentralkomitees unserer Partei überbracht hast, unterschrieben von
unserem 1. Sekretär und Vorsitzenden. Herzlichen Dank, liebe Genossen
der Partei, die nur die Möglichkeit gaben, zu einem solchen Menschen zu
wachsen. Ich meine, das ist das Schönste, was einem Menschen heute, im
60. Jahr seines Lebens, widerfahren kann. Diese hohe Auszeichnung und
Anerkennung, für die habe ich eigentlich viel zu wenig getan, und ich
muss noch viel mehr tun, um diese Würdigung und Ehrung, die mir zuteil
wird, im Zentralkomitee noch zu rechtfertigen.
Sprecherin: Mielke floh nach Moskau, besuchte dort die militärpolitische
Lenin-Schule der Kommunistischen Internationale (Komintern) und lieferte
der Partei und dem sowjetischen Geheimdienst NK" Stimmungsberichte unter
dem Decknamen "Paul Bach". 1936 tauchte er im spanischen Bürgerkrieg auf
als Offizier des Servicio Information Militar (SIM), eines
Sicherheitsdienstes der Kommunisten, der Abweichler wie Trotzkisten,
Anarchisten und Syndikalisten aufspürte und liquidierte, Deckname-.
"Fritz Leißner". Dort lernte er Wilhelm Zaisser ("General Gomez")
kennen. Als der 1950 erster DDR-Minister für Staatssicherheit wurde,
holte er Mielke zu sich als Staatssekretär. Sie beide bauten das
Ministerium für Staatssicherheit nach stalinistischem Vorbild auf und
aus. Zaisser musste wegen des Arbeiteraufstandes am 17. Juni 1953 gehen.
Mielke blieb. Der Nachfolger Zaissers, Ernst Wollweber, musste 1957
gehen. Mielke blieb und empfahl sich nachdrücklich der Partei, die
damals Ulbricht hieß, als Minister. Die früheste seiner erhaltenen Reden
ist von 1957. Dann zog er gegen das "Tauwetter" zu Felde, gegen all
jene, die damals eine Entstalinisierung wollten.
O-Ton Mielke:
Interessant ist, dass diese Gruppe, Genossen, die den Stalinisten, den
Menschen, die also als Stalinisten hier bezeichnet werden, die Führung
unserer Partei und allen Menschen, die zur Führung dieser Partei stehen,
verleumdete. Sie führten eine Politik, die sie den Stalinisten
unterschoben, dass die Stalinisten eine Atmosphäre des Misstrauens und
der Verleumdung und der Verfolgung organisierten. Als Schlussfolgerung
aus den Ergebnissen der Rede des Genossen Chrustschow über die Fehler
des Genossen Stalin und über die Frage des Personenkults. Sie
organisierten überhaupt die Diskussion hauptsächlich über diese Fragen
der Fehler, der Mängel, die sich gezeigt haben auf bestimmten Gebieten
in der Sowjetunion und die als Ergebnis des XX. Parteitages der gesamten
internationalen Arbeiterklasse eben als Lehre vermittelt wurde. Und
diese Gruppe, die also so argumentierte, war also jene Gruppe, die
besonders diese Art der Zersetzung führte, der Verleumdung, der
Untergrabung, die eine Politik der Untergrabung des Vertrauens
organisierte. Die
Politik der Verleumdung und des Betruges! Die Genossen, die auf dem
Prozess waren, werden sich erinnern an einige dieser Dinge. Ich möchte
eins der krassesten Beispiele bringen. Genossen, weil es wichtig ist,
dass man als Staatssicherheitsmann, nich wahr, genau weiß, wie diese
Brüder gedacht haben: Dass also in der Staatssicherheit die Verhafteten
geschlagen und misshandelt worden sind, auch hier in der DDR. Und dass
deshalb also der bekannte Schriftsteller und Dramaturg Brecht
Strafantrag stellen wollte gegen einen leitenden Funktionär der
Staatssicherheit. Und dann ist der Brecht erlegen einem Herzschlag.
Sprecherin:
Als eine der Ursachen dieser staatsgefährdenden "Aufweichung" machte
Erich Mielke neben dem obligatorisch verantwortlichen Klassenfeind im
Westen die "moralische Zersetzung" in Künstlerkreisen aus.
O-Ton Mielke: Nehmen wir solche Erscheinungen wie den "Club junger
Künstler", wo die Zersetzung auf moralischem Gebiete ist, Genossen, wo
also eine solche Atmosphäre, Boheme-Atmosphäre herrscht. Da könnte man
sagen: Was hat das zu tun mit diesen ideologischen und politischen
Fragen? Aber die Sache beginnt so, Genossen, man tauscht erst
untereinander die Frauen aus, die Freundinnen und so weiter und markiert
wilde Freiheit und dann beginnt man also, weil man sich doch seine
unmoralischen Freiheiten rechtfertigen muss, also sich politisch zu
verteidigen, beginnt sich politisch zu zersetzen, dann beginnt man zu
kritisieren und so geht der Schritt weiter bis ins Lager des Feindes.
Sprecherin: Mielke gab auch ein praktisches Beispiel für die Aufweichung
in den eigenen Reihen. Einer seiner Offiziere wollte in der
Tauwetterperiode Mitte der fünfziger Jahre gar die Staatssicherheit
abschaffen. Daraufhin wurde er für unzurechnungsfähig erklärt.
O-Ton Mielke: Interessant ist, dass dieser Schuft nicht verrückt wurde,
indem er sagte: Jetzt geh ick nach Westberlin mit einer Pistole und
erschieße Adenauer oder irgendeinen anderen Drecksack, den Feind. Nee,
der wird verrückt gegen die DDR, gegen seine eigene Partei, gegen uns!
Ihr seht also, mit dem Verrücktsein und dass er den § 51 gekriegt hat,
das ist also nicht etwa sozusagen eine berechtigte Entschuldigung für
sein feindliches Auftreten.
Sprecherin:
Sodann kam Mielke auf die Zahl der Festnahmen zu sprechen.
O-Ton Mielke:
Aber, Genossen, wir haben Festnahmen getätigt, Und 1956, wir sagen es
euch ganz offen, im Mai, nach dem XX. Parteitag, 141. 1957 im Mai, da
haben wir 197 getätigt. Im Juni, als die Verwässerung begann, die
Aufweichung, Schwankungen sich zeigten, auch in unseren Reihen, da haben
wir 68 verhaftet. Aber '57 haben wir verhaftet 255. Genossen, ich frage
euch, ist die Kritik unser Partei-Politbüros nicht richtig? Waren die
Feinde jetzt erst gekommen und da? Oder waren sie nicht schon vorher in
der Untergrundbewegung? Wir haben von den 255 des Monats Juni ganze
zwei, sage und schreibe, wegen Geringfügigkeit eingestellt, alle anderen
wurden verknackt!
Sprecherin:
Und Mielke stellte klar, dass Feinde auch weiterhin umgebracht werden
sollen.
O-Ton Mielke:
Is klar, dass der Feind nicht mit uns auf gutem Fuße steht, nich, is
klar. Außerdem, wenn sie wissen, dass wir also einige Feinde schon
umgebracht haben, Feinde umgebracht haben. Und wir werden sie auch
weiter umbringen!
Sprecherin: Zum 8. Jahrestag der Gründung der Staatssicherheit 1958
beschrieb der neu ernannte Minister Mielke die Aufgaben seines
Ministeriums und vollführte seinen verbalen Antrittskotau vor der
anwesenden Parteiführung und den Vertretern des "ruhmreichen
Sowjetvolkes". Anwesend waren Walter Ulbricht, Erich Honecker, Hermann
Matern, Karl Maron sowie russische Generale und Oberste. Auf bewährt
stalinistische Weise rechnete er mit seinen früheren Vorgesetzten
Zaisser und Wollweber ab.
O-Ton Mielke: Bei der Schaffung der Organe der Staatssicherheit ließ
sich unsere Partei und Regierung von der Lehre Lenins leiten, dass die
Bourgeoisie, die Gutsbesitzer und alle begüterten Klassen verzweifelte
Anstrengungen machen, um die Revolution, die die Interessen der
Arbeiter, der Werktätigen und der ausgebeuteten Klassen wahrnehmen soll,
zu untergraben. Die Bourgeoisie ist zu den schlimmsten Verbrechen
bereit, wobei sie den Abschaum der Gesellschaft und die
heruntergekommenen Elemente kauft und sie zur Durchführung von Pogromen
vereinigt. In der Bekämpfung dieser Feinde haben die Organe der Staatssicherheit nicht unbedeutende Erfolge erzielt. Die Tätigkeit der
Mitarbeiter der Organe der Staatssicherheit führte in den vergangenen
Jahren zur Festnahme tausender Agenten und Spione, Feinde unserer Partei
und der Arbeiterklasse. [ ... ] Genossinnen und Genossen, aber es gab
Widersprüche in der Entwicklung des Ministeriums, die unnatürlich waren,
nicht dem dialektischen Materialismus entsprachen, der sozialistischen
Entwicklung fremd sind. Die Staatssicherheit befand sich zeitweilig in
einer großen Gefahr, ihren politischen Gehalt und ihre Schärfe zu
verlieren. Durch die ehemaligen Minister Zaisser und Wollweber wurde der
Versuch unternommen, die Organe der Staatssicherheit zu einem Instrument
parteifeindlicher Gruppen oder- einzelner Menschen zu machen. Deshalb
wurden die uns von der Partei und Regierung gestellten Aufgaben in
dieser Zeit nur unter großen Schwierigkeiten und zum Teil nur schwach
erfüllt. Dank der großen Kraft der Sozialistischen Einheitspartei
Deutschlands und ihres Zentralkomitees wurden die der Partei treu
ergebenen alten und jungen Mitarbeiter des Ministeriums für
Staatssicherheit, die nicht schwankten und sich nicht zersetzen ließen,
rechtzeitig auf den richtigen Weg elenkt.
Sprecherin:
Im Februar 1958 trat Minister Erich Mielke noch einmal gegen den
entmachteten Ernst Wollweber nach.
O-Ton Mielke: Bis zur letzten Minute wurde ihm die Möglichkeiten
gegeben, die Wahrheit zu sagen. Was wäre das für eine gute Sache
gewesen, wenn er hätte vor dem Plenum gesprochen und sich distanziert.
Dann wäre er noch heute Mitglied des ZK. Aber er hat nicht gesprochen.
Er hat erst gesprochen, nachdem ihm alle Dinge vorgehalten worden sind.
[ ... ] Genosse Wollweber hat bekanntlich die Frage Suezkanal nicht
richtig eingeschätzt. Dass es deshalb zum Krieg kommen kann, hat er
abgeleugnet, obgleich wir ernsthafte Informationen hatten. Er hat Polen
falsch eingeschätzt. Als wir uns hier mobilisierten, indem wir sagten,
es ist besser, wir lassen keine Agenten durch die DDR, weil die
Provokationen beabsichtigten, das stimmt auch, das wird ja heute wieder
bestätigt, sicher. Dass er sagte~ Was macht ihr denn hier - als er
zurückkam von seinem Urlaub aus Polen - warum seid ihr denn hier alle so
aufgewühlt? Wir müssen hier schon einiges ansprechen, und unsere
Parteiorganisation hat darum gekämpft, dass Genosse Wollweber den Weg
findet. Das wäre doch ein großer Gewinn gewesen, ein großer Gewinn. Aber
er ging seinen Weg bis zuletzt, bis er durch das Plenum überführt wurde,
dass er nicht die Wahrheit gesagt hat. Unsere Partei hat also
demonstriert durch die Vertretung hier auf dem 8. Jahrestag, Ulbricht,
Matern, Honecker, verschiedene ZK-Mitglieder, von der Armee, vom
Innenministerium, vom Genossen Grotewohl, der abwesend war, der eine
Grußadresse geschickt hat, das hat die Partei demonstriert, dass sie
Vertrauen zu unserem Organ hat, das wirklich das Schwert der Partei ist,
und dass sie weiß, dass unsere Mitglieder gesund sind, dass sie
bestimmten Schwankungen unterlagen und dass es nur wenige gab, die
subjektiv in Verbindung mit den Einzelnen zu bringen sind, subjektiv.
Einige Genossen haben eine große Lehre gezogen daraus aus der
Vergangenheit und haben der Partei geholfen durch eine richtige
Information, die Gruppe rechtzeitig aufzudecken. Ein großes Verdienst,
man muss ihnen Dank aussprechen. Da haben die tschekistischen
Parteimitglieder gut gearbeitet.
Sprecherin:
1966 entwickelte Mielke seine Vision von der sozialistischen Demokratie,
nachdem er vorher des langen und des breiten dargelegt hatte, wie
Andersdenkende bekämpft werden müssten.
O-Ton Mielke: ... selbst wenn solche Brüder, wenn es noch solche Brüder
geben würde, dass sie überhaupt gar keinen Schaden anrichten können und
keinen Einfluss bekommen. Richtig, so ist die Sache. Und damit,
Genossen, erreichen wir die weitere Entfaltung der sozialistischen
Demokratie. Das ist das Schönste und das Große. Und sie spotten uns
Stalinisten, Dogmatiker, neue Eiszone oder so was, zurück in die Eiszeit
und so weiter. Genossen, wir sehen die Sache viel kühner als sie es
überhaupt zu denken vermögen! So sehen wir die weitere Entwicklung und
Entfaltung der sozialistischen Demokratie, indem wir diese edlen und
wertvollen humanistischen Taten mit dem proletarischen
Internationalismus, mit dem revolutionären Reichtum unserer Klasse
verbinden und das den Menschen übermitteln.
Sprecherin:
Ein Jahr später in einer offiziellen Rede hob er fast ab in seiner
ideologischen
Schwärmerei und Selbstverklärung.
O-Ton Mielke: Genossen, alles, was wir sind, wie der Mensch sich
entwickelt hat, ist das Verdienst der Partei, ist Ausdruck der großen
Kraft, unüberwindlichen Kraft des Marxismus-Leninismus, der Idee, der
verkörperten Kraft der Arbeiterklasse und der befreienden Kraft der
Menschheit gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Eine solche gewaltige
Kraft, Genossen, die einen Menschen einmal erfasst hat, wie der
Marxismus-Leninismus, die lässt ihn nicht mehr los, und wenn er ein
guter Mensch ist, ein gutes Herz hat, dann wird er bereit sein, für
diese Sache in den Tod zu gehen. Das ist das, was die Faschisten und die
Bourgeoisie nicht verstehen, dass ein Kommunist für seine Partei lieber
stehend stirbt als dass er kniend weiterlebt. Genossen, das macht uns
unbesiegbar!
5precherin:
Weniger geblümt redete Mielke intern vor seinen Leuten, insbesondere
dann, wenn er vom Blatt abwich, was er gern tat. Dafür zwei Beispiele
aus einer Rede von 1979 vor der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit
Berlin. Erstes Beispiel.
O-Ton Mielke:
Eine kleine Sache noch. Im Ministerium für Staatssicherheit müssen
Tschekisten tätig seit die ihr Handwerk verstehen, findige Talente, die
in der Lage sind, den Feind zu erkennen und ihm, wie das schon oft hier
gesagt habe, das Bettlaken unter dem Hintern vorzuziehen, ohne dass er
es merkt. Probiert das mal, Genossen! (Heiterkeit)
Sprecherin: Zweites Beispiel.
O-Ton Mielke:
Ich will es so sagen: Wenn man die großen Feinde schlägt, dann rennen
die anderen alle vor Angst weg. Die scheißen sich in die Hosen, die
kleinen Leute, die kleinen Feinde. Das müsst ihr euch mal merken im
Leben. Man muss doch dahin schlagen, wo das richtig sitzt und die
entscheidende Frage damit gelöst wird!
Sprecherin:
In der gleichen Rede warnte er die Berliner Tschekisten davor, im
Verfolgungseifer nachzulassen, und forderte sie auf, die flächendeckende
Überwachung weiter auszubauen.
O-Ton Mielke: Man soll sich nicht durch die relative Ruhe auf manchem
Gebiet täuschen lassen. Nicht alle Feinde haben wir schon erkannt.
Darüber sollten wir uns nichts vormachen. Erkannte Feinde sind weiterhin
mittels einer qualifizierten IM- und Vorgangsarbeit zielstrebig zu
bearbeiten und unter operativer Kontrolle zu halten. Wir dürfen nicht
zulassen, dass sie weiteren Schaden anrichten. Die Abwehrarbeit in eurer
Bezirksverwaltung ist künftig noch stärker darauf auszurichten, den
Gegner daran zu hindern, weitere Personen auf seine Position zu ziehen
und sie zu feindlich-negativen Handlungen auszunutzen und zu
missbrauchen. Das erfordert, selbst kleinste Ansatzpunkte dafür zu
erkennen und zu verhindern, dass negative Entwicklungen bei bestimmten
Personen in konkrete feindlich-negative Aktivitäten umschlagen. Zu oft
werden wir in dieser Hinsicht noch überrascht, treten Vorkommnisse auf,
die bei richtiger Beachtung vorliegender Informationen, bei besserer
Organisation unserer Arbeit und allseitiger Nutzung der gegebenen
Möglichkeiten hätten verhindert werden können und müssen. Und das geht
uns alle an, bis zur letzten Scheuerfrau in unserem Ministerium, damit
ihr den richtigen Sinn begreift, worauf es ankommt, und nicht nur die
Linienarbeit. Ein echter Bürger der DDR, selbst wenn er nicht in der
Staatssicherheit arbeitet, muss feststellen, dass hier etwas nicht in
Ordnung ist, und die Sache melden. Dahin wollen wir streben.
Sprecherin: Dass Mielke und sein Ministerium bis zuletzt fähig und
willens waren, auch mit Gewalt gegen die eigene, zunehmend aufmüpfigere
Bevölkerung vorzugehen, belegen die Planungen zum so genannten
"Vorbeugekomplex". Unter diesem Begriff Hefen die Vorbereitungen auf den
Tag X, an dem schlagartig alle kritischen, oppositionellen und
verdächtigen DDR-Bürger verhaftet und in die vorbereiteten
Isolierungslager gebracht werden sollten. 1988 waren für diese Maßnahme
85.939 Personen vorgesehen. Sie waren in sogenannten Kennziffern (das
Stasi-Kürzel dafür hieß bezeichnenderweise "Kz") erfasst. Es existierten
die minutiös aufgeschlüsselten Verhaftungspläne, die Lagerpläne und die
Lagerordnung, die Bewaffnung der Häscherkommandos und der
Lagerbewachung, und es gab seit Mitte der achtziger Jahre geheime
Übungen der Staatssicherheit in der DDR. In der Zentralen
Dienstkonferenz vom 26. Februar 1988 ging der Armeegeneral auf diese
bürokratisch peniblen Planungen ein, und die Rede zeigt, wie kämpferisch
und intakt Erich Mielke und seine Mannen damals durchaus waren.
O-Ton Mielke:
Gegenwärtig bestehen zwischen den Diensteinheiten in bezog auf
Realitätsbezogenheit, Umfang und Qualität der Maßnahmen zur Realisierung
spezifischer Vorbeugekomplexe noch zu große Unterschiede. Vielfach
erfordern die unter Beachtung der Zahl der im Vorbeugekomplex
aufgenommenen Personen festgelegten Maßnahmen durchweg einen viel
größeren Zeitaufwand, als es der Plan vorsieht. Das heißt, die
Zeitplanung ist oft unreal. Das zwingt dazu, die vorgesehenen Maßnahmen
gründlicher zu durchdenken und insgesamt realitätsbezogener zu planen.
Um das durchgängig zu erreichen, hat die Arbeitsgruppe des Ministers
ihren Einfluss auch im Rahmen dieser Aufgabenstellung zu verstärken. Die
bereits vorhandenen Orientierungen sind gegebenenfalls zu überarbeiten
beziehungsweise zu präzisieren und Kriterien vorzugeben, welche Fragen
bei der Realisierung der Vorbeugekomplexe inhaltlich stärker Beachtung
finden müssen. Ob und wann welche Personenkategorien inhaftiert werden
sollen, das kann natürlich nur in Abhängigkeit von der konkreten
politisch-operativen Lage entschieden werden. Erforderlich ist jedoch,
dass konkrete Vorstellungen dazu bestehen, um dann
kurzfristig die notwendigen Weisungen geben zu können. [.... ] Zentral
weiter zu
klären ist auch, wie am zweckmäßigsten an die Realisierung der
Vorbeugekomplexe herangegangen werden muss. Dabei gilt es, stärker
nachfolgende Fragen in den Mittelpunkt zu stellen. Wie lassen sich
Festnahmen
und Zuführungen effektiv realisieren? Welche Verantwortung haben dabei
die
Kreisdienststellen? Wie hat das in Bezirksstädten beziehungsweise in der
Hauptstadt Berlin zu erfolgen? Welche Möglichkeiten der zeitweiligen
Einbeziehung von Kräften der Volkspolizei beziehungsweise Kampfgruppen
zur
Sicherung einer schlagartigen Durchführung dieser Maßnahmen zum
gegebenen
Zeitpunkt sind real vorhanden und gegebenenfalls wie nutzbar? Wie lassen
sich
die vorhandenen Haftanstalten für die Realisierung der
Vorbeugungsmaßnahmen auch bei mehrfacher Belegung unter Einbeziehung überbezirklicher Lösungen vorrangig nutzen? Sind die geplanten zentralen
Isolierungsobjekte unter Berücksichtigung der Transportprobleme, ihrer
materiellen Sicherstellung und Versorgung sowie hinsichtlich der
Verantwortlichkeit für Planung, Vorbereitung, Nutzung und Sicherung
dieser
Isolierungsobjekte tatsächlich geeignet, oder müssen neue bestimmt
werden?
Die materielle Sicherstellung der Isolierungsobjekte ist gegenwärtig
noch nicht
umfassend gesichert. Die Planung und materielle Ermittlung hat so zu
erfolgen,
dass die äußere und innere Sicherheit der geplanten Isolierungsobjekte
sowie
deren Aufnahmebereitschaft kurzfristig gewährleistet werden können.
Sprecherin:
Bereits einen Monat später, im März 1988, musste sich Mielke mit der
wieder
einmal gewachsenen Zahl kritischer Geister in der DDR beschäftigen:
Menschenrechtler, Wehrdienstverweigerer, Umweltschützer, Kirchenkreise,
Frauengruppen, Ausreisewillige. Noch schien er die Lage im Griff zu
haben.
O-Ton Mielke: Wir haben gesicherte Erkenntnisse darüber, dass der Gegner
insbesondere im Hochspielen angeblicher Menschenrechtsverletzungen in
der DDR ein Instrument, einen Hebel sieht, uni bei uns innere
Auseinandersetzungen zu inszenieren. Besondere Erwartung knüpft der
Gegner an den kritischen Geist der jungen Generation, der durch gezielte
Aktionen von außen und durch entsprechende Aktivitäten innerer,
feindlich-negativer Kräfte und reaktionärer Kirchenkreise in einen
inneren Druck- umgewandelt werden soll. Die
Bestrebungen des Gegners, in der DDR ein sogenanntes Druckpotential zu
schaffen, das von der BRD-Regierung genutzt werden und ihr
Handlungsspielräume im Vorgehen gegen unsere Republik eröffnen könnte,
haben hier, wie wir täglich spüren, völlig neue Dimensionen angenommen,
Genossen. [Aufgrund dieser gesamten Lageentwicklung wurde die zentrale
Entscheidung getroffen, nicht nur gegen die Provokateure vom 17. Januar
1988,
sondern auch gegen einige ihrer Hintermänner strafprozessuale Maßnahmen
durchzuführen. Der Schlag richtete sich also vor allem gegen Mitglieder
des
Führungskerns, der über Jahre hinweg zu den maßgeblichen Organisatoren
politischer Untergrundtätigkeit zählt und engster Kontaktpartner der
gegnerischen Kräfte war und von diesen gesteuert wurde. Mit der
zentralen
Entscheidung und den darauf basierenden staatlichen Maßnahmen wurden
Ziele
verfolgt, die ich hier noch einmal kurz darlegen will. Allen, im Sinne
politischer
Untergrundtätigkeit wirkenden Kräften wurde unmissverständlich
demonstriert,
dass wir gegen Feinde des Sozialismus auch mit den Mitteln des
sozialistischen
Strafrechts vorgehen, dass unser Bemühen, sie mit politischen Mitteln in
die
Schranken zu weisen, dass unsere dabei gezeigte Toleranz und Geduld auch
Grenzen hat und fortgesetzte antisozialistische Handlungen,
Rechtsverletzungen, alle Bestrebungen, den Sozialismus aufzuweichen und
zu
zersetzen, nicht zugelassen werden. Es wurde nachgewiesen, dass es sich
bei
solchen Personen wie Krawczyk, Klier, Hirsch und Templin, um nur einige
zu
nennen, um unverbesserliche Feinde des Sozialismus handelt, die durch
geheimdienstlich gesteuerte Kräfte aus dem Operationsgebiet angeleitet,
instruiert und materiell unterstützt wurden. Damit sollte auch gegenüber
den
Anhängern und Sympathisanten des sogenannten harten Kerns, aber auch
gegenüber den sie offen oder verdeckt unterstützenden Kirchenkräften
deutlich
gemacht werden, wo die eigentlichen Drahtzieher und Auftraggeber sitzen.
Damit
sollte auch all jenen, die immer noch glauben, sich für solche Kräfte
aus welchen
Motiven auch immer innerhalb und außerhalb unseres Landes engagieren zu
können, verdeutlicht werden: Wer sich mit solchen Leuten einlässt, muss
sich
somit auch über die Konsequenzen im klaren sein.
Sprecherin:
Sodann kam Erich Mielke auf aktuelle Tendenzen der politisch-operativen
Lage
unter jugendlichen Personenkreisen" zu sprechen, wobei der 81-jährige
Chef der
Firma "Horch & Guck" Sprachschwierigkeiten offenbarte, diese Gruppen zu
benennen. Zahl und Art der Feinde hatten aber mittlerweile derart
zugenommen,
dass es schien, als verlöre er den Überblick.
O-Ton Mielke: Dennoch ist nicht zu übersehen, dass infolge permanenter,
massiver und gezielter ideologischer Einwirkung des Gegners über die
verschiedensten Kanäle, insbesondere mittels der elektronischen
Massenmedien, sowie im Ergebnis des Wirksamwerdens feindlich-negativer
Kräfte in der DDR unter bestimmten, von der Anzahl her relativ kleinen
jugendlichen Personenkreisen zunehmend sozialismusfeindliche
beziehungsweise -fremde Erscheinungen in Form pseudopazifistischer,
anarchistischer, neonazistischer beziehungsweise neofaschistischer, aber
besonders dekadenter Denk- und Verhaltensweisen zeigen. Dabei handelt es
sich um solche nach westlichem Verhaltensmuster auftretende Kräfte wie
Punks, Ski-Händs...
Sprecherin:
Mielke meinte die Skinheads.
O-Ton Mielke:
... Heavymetals und deren Sympathisanten.
Aber auch in jüngster Zeit in das operative Blickfeld geraten sind
sogenannte
Grufitz...
Sprecherin:
Mielke meinte die Gruftis.
O-Ton Mielke: Von derartigen Gruppierungen, Zusammenschlüssen
beziehungsweise Konzentrationen gehen, wie Vorkommnisse aus letzter Zeit
beweisen, nicht zu unterschätzende Gefahren für die öffentliche Ordnung
und Sicherheit aus. Ich erinnere nur an die durch westliche
Korrespondenten in engem Zusammenwirken mit inneren feindlichen Kräften
inspirierten und provozierten Vorkommnisse mit Jugendlichen am
Brandenburger Tor und an vielfältige andere Vorkommnisse der
Jugendlichen in der Folgezeit, die sich unter anderem gegen die
Grenzsicherungsmaßnahmen der DDR richteten, häufig verknüpft mit
gegnerischen Freiheits-, Demokratie- und Menschenrechtsparolen.
Sprecherin: 1980 wurde Mielke zum Armeegeneral befördert. Und Mielke
führte tatsächlich eine Armee, wenn auch eine weitgehend unsichtbare.
1989 befehligte er 91.000 Hauptamtliche Mitarbeiter und cirka 173.000
Inoffizielle Mitarbeiter (volkstümlich "Stasi-Spitzel" genannt), mithin
ein Heer von 264. 000 "Kämpfern an der unsichtbaren Front". Mielke
scheute die Öffentlichkeit, und nur selten wandte er sich direkt ans
Volk, wie in diesem Interview von Radio DDR.
O-Ton Mielke: (Moderator-. Herr Minister, die Hetze des Gegners
konzentriert sich oft auf die Arbeit der Organe der Staatssicherheit
unserer Republik. Wie beurteilen Sie das?) Die Hetze gegen die Deutsche
Demokratische Republik und ihre Einrichtungen ist ein Ausdruck des
Hasses und der ohnmächtigen Wut des Gegners über die unerschütterliche
Stärke unserer Staatsmacht. Die Pläne der westdeutschen Imperialisten
und ihrer Helfer, den umfassenden Aufbau des Sozialismus in der
Deutschen Demokratischen Republik zu verhindern und durch gewaltsame
Einverleibung unseres Staates in die westdeutsche Bundesrepublik bei uns
die Ausbeuterordnung zu errichten, sind von vornherein zum Scheitern
verurteilt. Durch die ständige Festigung der moralisch-politischen
Einheit der Bevölkerung unserer Republik verliert der Gegner immer mehr
Möglichkeiten für seine Wühltätigkeit gegen unseren Arbeiter- und
Bauernstaat. [...] Die derzeitigen Machthaber in Westdeutschland werden
jedoch nicht verhindern können, dass sich die Wahrheit durchsetzt und
damit die Erkenntnis, dass die Deutsche Demokratische Republik und ihre
Rechtspflege zum Vorbild für ganz Deutschland geworden sind.
Sprecherin:
An seine "Rechtspfleger", die Hauptamtlichen Mitarbeiter der DDR-
Staatssicherheit stellte der Minister Mielke hohe Anforderungen.
O-Ton Mielke: Die Ausprägung solcher Eigenschaften wie
Prinzipienfestigkeit, Zielstrebigkeit und Konsequenz, Ehrlichkeit,
Bescheidenheit, Achtung vor anderen und ihrer Arbeit sowie moralischer
Sauberkeit muss ständig im Mittelpunkt der erzieherischen Arbeit stehen.
Vom Tschekisten erwarten auch weiterhin Standhaftigkeit, Mut und
Unerschrockenheit. Ein Tschekist schwankt nicht und weicht auch vor
schwierigen Situationen nicht zurück. Feigheit ist ihm fremd. Er zögert
auch keinen Moment, für die Sache der Arbeiterklasse alles zu geben,
wenn notwendig, auch sein Leben. Das ist alles nicht umsonst, dass ich
das hier sage.
Sprecherin:
Und so hört sich einer seiner Stasi-Bürokraten während der Arbeit an.
O-Ton MfS-Offizier: Eins, zwo, drei, vier fünf. Hauptabteilung XIX,
Abteilung 3, Al, Berlin, den 7.3.1983. Bestätigt: Schulz,
Oberstleutnant. Bericht über die politisch-operative Situation im
Sicherungsbereich der Diensteinheit im Monat Februar 1983,
unterstreichen. Erstens, Ergebnisse der politisch-operativen
Nachweisführung zu abgeschlossenen Prozessen, unterstreichen. OPK,
unterstreichen. Im Berichtsmonat wurde die OPK [ ... 1 über die Person
[...] geboren [ ... ] tätig [ ... ] abgeschlossen. Absatz. Die OPK war
eingeleitet worden, da Ausgangshinweise hinsichtlich der Verletzung der
Geheimhaltungspflicht zu klären waren und geprüft wurde, ob der Verdacht
des Straftatbestandes gemäß § 245 StGB gerechtfertigt ist.
Sprecherin: Der besonderen Wertschätzung durch den Genossen Minister
konnten sich auch die Spitzel sicher sein. Melke nannte sie wiederholt
die "Hauptwaffe im Kampf gegen den Feind". Sie sollten in einem System
des Verrats und der Lüge die "Wahrheit" herausfinden, "ehrlich" andere
Menschen täuschen und das Vertrauen der Bespitzelten erringen, um es zu
missbrauchen. In einer internen Forschungsarbeit von 1973 wurden Wert
und Unverzichtbarkeit der Spitzel so beschrieben- "Im Zeitalter der
modernen Technik gibt es trotz hochentwickelter Geräte und Mechanismen,
die die physische und psychische Arbeit des Menschen erleichtern und zum
Teil ersetzen, nichts, was der Kunst und den Fähigkeiten eines Menschen
zur Erforschung der Gedankengänge des anderen gleichkommt. Einen
gleichwertigen Ersatz für die in diesem Sinne tätigen Inoffiziellen
Mitarbeiter gibt es nicht und wird es nicht geben." Auf die unbedingte
Ehrlichkeit des Spitzels, freilich nur gegenüber dem MfS, wies Mielke
1983 noch einmal seine Rostocker Tschekisten hin.
O-Ton Mielke: Und noch eins scheint mir wichtig: Eine entscheidende
Grundlage für eine noch wirkungsvollere Arbeit mit den Inoffiziellen
Mitarbeitern ist ihr aufgaben- und sachbezogener Einsatz. Die Qualität,
aber auch die Anzahl der von ihnen zu erarbeitenden Informationen ist
weiter zu erhöhen. Die Regeln der Konspiration und Geheimhaltung sind
strikter durchzusetzen. Das alles erfordert eine richtige Einschätzung
der Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der Inoffiziellen Mitarbeiter.
Unterstreiche, der Ehrlichkeit. Mancher Mitarbeiter ist ja betrogen
worden oder
hat sich betrügen lassen oder war so dumm, dass er betrogen werden
konnte.
Ich muss ja alle Seiten aufklären, ich bitte um Entschuldigung, meine
keinen jetzt
hier persönlich, nicht wahr.
Sprecherin:
Auch hier zur Illustration zwei IM in Aktion. Im ersten Fall eine
Mitarbeiterin der
Akademie der Künste der DDR, die dem Führungsoffizier mit erkennbarer
Lust in
der Stimme ihre konspirativen Erkenntnisse auf Band spricht.
O-Ton weiblicher Ml: Ich habe mir die Bücher angeguckt. Und ich möchte
als Archivar sagen mit hundertprozentiger Sicherheit: Die hat er
gestohlen. Und zwar hat er dabei was übersehen. Er hat vorne, und das
ist seine Handschrift, auf der ersten Seite, wenn man das Buch
aufklappt, den neuen Preis geschrieben, nämlich ' )0 Kronen. Und auf der
zweiten Seite dieses Buches steht die Zugangsnummer, die das Antiquariat
da anbringt, das ist international so üblich, die steht da, und die
dritte Stelle dieser Zugangsnummer macht immer den Preis aus, nämlich 90
Kronen. Und diese Handschrift wiederholt sich, und deshalb bin ich so
sicher, dass es diese aus dem Antiquariat ist, wiederholt sich auf der
zweiten Seite des hinteren Einbandes. Da er aber so ein Dilettant ist
und also det allet nich weeß, könnte man ihn mit solchen Dingen, könnte
man ihn ja kriegen. [ ... ] Er hat also gesagt: Solche Bücher werden
viel zu wenig gedruckt, sie bekommen nur ganz wenige Exemplare, die
anderen lesen die Bonzen, und diese wenigen Exemplare werden also so
schlecht verteilt, dass die anderen alle in Spannung gehalten werden,
und das müsste man alleene allet nachdrucken könn', aba hier kann ja
keener wat, und sie sagte, er hat so mächtig auf diesen Staat und die
Bonzen geschimpft, dass sie also schon dachte, wenn der so weitermacht
und hier ist ein Verkehrter im Laden, denn knallt 'ne Bombe!
Sprecherin:
Zweites Beispiel:
Ein IM und Ehemann meldet dem MfS die "außerdienstlichen" Kontakte
seiner
eigenen Frau.
O-Ton männlicher IM: Betrifft- Information zum außerdienstlichen Kontakt
meiner Ehefrau mit dem Mitarbeiter der Firma [ ... ] Seit der
Umbesetzung meiner Frau vor einem viertel Jahr in die Importgruppe des
Genossen [ ... ] hatte meine Frau sehr häufig dienstliche Kontakte bei WMW mit [ ... ] Diese Kontakte waren dienstlich bedingt und aufgrund der
Terminvorgaben zeitlich gerafft und, wie gesagt, häufig.
Sprecherin:
Erfolge seiner Untergebenden beflügelten Mielke, und er hatte nicht
wenige,
Untergebende wie Erfolge. Sein väterlicher Stolz beispielsweise auf den
Kanzleramtsspion Günter Guillaume, der Willi Brandt als Kanzler
demontierte,
ließ ihn das militärbürokratische Reglement vergessen, Mielke wurde
ausgesprochen ausgelassen. So auf dem Bankett zum 37. Jahrestag des MfS
im
Februar 1987.
O-Ton Mielke:
Genossen, hallo, auflösen die Fraktionsbesprechung! Genossen, Genossen!
Passt jetzt mal gut auf! Und ihr wisst, wenn ich das so ankündige, dann
steckt
etwas dahinter! Seid ihr bereit? So, dann übergebe ich jetzt dem
Brandt-Stifter
das Mikrophon. Wo bist du, Guillaume?
Sprecherin:
Und Günter Guillaume antwortete.
O-Ton: Genosse Minister, ich nehme das als eine Auszeichnung, betrachte
mich aber trotzdem persönlich als Friedensstifter. Und ich hoffe, ihr
stimmt mir da alle zu. Genossen, es ist für mich bewegend, heute dabei
zu sein und natürlich auch mit zu den Genossen zu gehören, die
ausgezeichnet wurden. Ich mache ja seit ein paar Jahren nicht mehr viel.
Dass ich überhaupt was machen kann, verdanke ich all den Genossen, die
dafür gesorgt haben, dass ich nicht mehr bis zum 24. April dieses Jahres
in Rheinbach im Gefängnis sitzen musste. Da wäre nämlich Endstrafe, da
wären die 13 Jahre um. (Zwischenruf Mielke: Dann darfst du da jetzt
nicht rückfällig werden, mein Lieber! - Heiterkeit) Auf jeden Fall, ich
will ja keine Anspielungen machen, aber hervorgerufen jetzt durch diese
Bemerkung möchte ich sagen, in der BRD läuft am 24. April dieses Jahres
meine Bewährung ab. Ich weiß nicht, ob ich mich da bewährt habe. Ich
glaube, ich habe mich hier bewährt, bei uns. [...] Genossen, ich freue
mich, heute mit dabei zu sein. Es ist ja für die Genossen, die Kämpfer
an der unsichtbaren Front, immer ein bisschen wehmütig, wenn sie an
unseren Jahrestag denken. Sie sitzen da draußen alleine, treffen nur
vielleicht einmal im Jahr ihren Führungsoffizier oder einen Freund, mit
dem sie reden können. Sie müssen das alles in ihrem Herzen ausmachen.
Sie müssen Gespräche mit sich selbst führen. Sie müssen sich immer
selbst überzeugen, was sie für gute Kämpfer sind und dass sie standhafte
Kommunisten sind. Genossen, das ist sehr schwer. [... ] Wünschen wir
ihnen weiterhin beste Gesundheit, Kampfeskraft und viel Erfolg unter
unserer Anleitung und Glück. Glück, dass der Feind sie nicht entdeckt
und von uns nur die sie kennenlernen, die sowieso mit ihnen
zusammenarbeiten. Auf die Kämpfer an der unsichtbaren Front!
(Beifall - Trinkspruch Mielke-. Auf unseren Patrioten und unsichtbaren
Kämpfer,
der jetzt hier sichtbar wurde, darauf ein dreifaches militärisches
Hurra, hurra,
hurra! - Beifall)
Sprecherin:
Mitunter ging es in der Zentrale der Staatssicherheit hoch her.
Und alles wurde mitgeschnitten. So zum 63. Geburtstag Erich Mielkes
1970.
Geselligkeit auf Staatssicherheits-Niveau.
O-Ton Geburtstagsfeier-Zusammenschnitt):
Glückwünsche für Mielke, Gläserklirren, Frauenkreischen, Gelächter,
Gesang,
Trinksprüche. Mielke zu einer Frau: Haste nasse Augen oder woanders was
Nasses? Musik, Frauenstimme: Sto Gramm!
Sprecherin:
Bei Familienfeiern wurde der leicht alkoholisierte Mielke auch
sentimental, so bei
der Hochzeit seines Sohnes Frank im Mai 1974.
O-Ton Mielke: Mielke spielt Drehorgel, singt "Prost, Prost,
Prösterchen".
Sprecherin: Dass diese fröhliche und dröhnende Überlegenheit des Siegers
der Geschichte einmal enden würde, damit hatte Erich Mielke - mit
Sicherheit - nicht gerechnet, Vor der Volkskammer ausgelacht -
undenkbar. Im Dezember 1989 verhaftet von der Volkspolizei, verhört von
der DDR-Kriminalpolizei, sein Ministerium für Staatssicherheit umbenannt
in Amt für Nationale Sicherheit und er nicht mehr an dessen Spitze -
unmöglich. Bei den Verhören und später vor Gericht flüchtete er sich
vorausschauend ins konspirative Vergessen. Einem der Psychologen sagte
er in Untersuchungshaft-. "Niemand weiß etwas über mich. Niemand erfährt
etwas über mich. Alle wissen nichts." Das Ende: Mielke, der gejagte
Jäger, das inhaftierte DDR-Rumpelstilzchen mit Speckhut. Mielke war kein
Dämon. Er war so böse wie banal, so mächtig wie hilflos, so gefürchtet
wie lächerlich, so zielsicher wie blind, so gnadenlos wie sentimental,
so dumm wie schlau, ein Mörder und Bürokrat, ein Menschenjäger, der sich
für einen Humanisten hielt, ein Kleinbürger, der die einmal errungene
Macht festhielt mit all seinen Mitteln. Und Erich Mielke war nicht
einzigartig. Es gab mehr von seiner Denkungsart. Einer von ihnen meldete
sich im Dezember 1989 beim Amt für Nationale Sicherheit.
O-Ton Telefongespräch: 20 Uhr Null. Über ist die Ortsvermittlung,
Genosse Diensthabender, hier kommt ein Amtsteilnehmer auf der
Sammelnummer 5509991, der hat sich als Oberstleutnant Kroszewski
vorgestellt und möchte den Offizier vom Dienst sprechen. - Das Amt für
Nationale Sicherheit, Diensthabender Wendt. - Ja, hier spricht
Kroszewski, Oberstleutnant Kroszewski, ich buchstabiere meinen Namen...
Ich bin seit 1950 Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit
gewesen, mir unterstand als Leiter des Büros beim Minister Mielke der
OVD. Ist klar, ja? – Ist klar. – Wie ist denn Ihr Name? - Wendt. - Ich
weiß nicht, ob der Egon Ludwig noch das Sagen hat, weiß ich nicht,
interessiert mich jetzt auch im Augenblick nicht. Ich höre jetzt den
Berliner Rundfunk, ja? Haben Sie mich verstanden? - Ja, ich höre Sie. -
Gut. Und da dudelt dieser Verbrecher, dieser Liedermacher, wie heißt er?
- Biermann. - Biermann. So, halten Sie das mal fest, Genosse Kroszewski,
ich bin zu jeder Zeit bereit - ich bin zwar ziemlich schwach, aber ich
kann trotzdem noch - ich bin zu jeder Zeit bereit, den Biermann
niederzumachen. Diesen Verbrecher! Halten Sie das fest! - Ja. -Wer jetzt
Chef ist, liest das aus der Zeitung, ob er das liest oder nicht liest,
ist mir nicht so wichtig, ich möchte bloß, dass Sie die Eintragung
machen. Kroszewski, Gerhard ist zu jeder Zeit bereit, den Biermann
niederzumachen. Und das schaff ich noch, auch ohne Sie. - Ja, in
Ordnung, ich habe Sie verstanden. - Halten Sie das fest. - Ja. - Haben
Sie mich verstanden? - Natürlich. - Das ist ein abscheuliches Aas, ein
Verbrecher, ich meine, es gibt noch viele andere, aber der Biermann und
das hier, das ist beschämend! Beschämend für den, wie heißt der jetzt,
der die Medien kommandiert, Schabowski, aber mit denen setz ich mich
noch extra auseinander! Ich bin nämlich länger in der Partei wie
Schabowski. Halten Sie das alles ein bisschen fest. - Ja, ist in
Ordnung. - Also, Genosse Wendt, gute Nacht.
Sprecherin: Seit seiner Haftentlassung ist der greise Jäger Melke wieder
unter uns. Und wenn er einst gestorben ist, wird er weiterjagen wie der
Ewige Jäger aus Grimm'scher Sage: Graf Eberhard von Württemberg ritt
eines Tages allein in den grünen Wald. Plötzlich hörte er ein starkes
Brausen und Lärmen, erschrak heftig und fragte den Geist, ob er ihm
schaden wolle. "Nein", sprach die Gestalt, "ich bin gleich dir ein
Mensch und stehe vor dir ganz allein, war vordem ein Herr. An dem Jagen
hatte ich aber solche Lust, dass ich Gott anflehte, er möge mich jagen
lassen bis zum Jüngsten Tag. Mein Wunsch wurde erhört, und schon
fünfhalbhundert Jahre jage ich den einen und denselben Hirsch." Graf
Eberhard sagte:"Zeig mir dein Angesicht, ob ich dich etwa erkennen
möge?" Da entblößte sich der Geist, sein Antlitz war kaum faustgroß,
verdorrt wie eine Rübe und gerunzelt wie ein Schwamm. Darauf ritt er dem
Hirsch nach und verschwand.
O-Ton Hirschröhren
ABSAGE
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