DEFA-SternstundenTheaterFernsehenHörbuch

 

 

 

 


Erich Mielke: Ein deutscher Jäger.
Ein Feature von Joachim Walther.
Sprecherin: Eva-Maria Hagen
Regie: Holger Jackisch
Produktion: Deutschlankfunk/HR/MDR 1995
Laufzeit: 51 Min.
Der HörVerlag, München
1 MC, ISBN 3-89584-259-1
1 CD, ISBN 3-89584-259-1

 

 

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"ERICH MIELKE – EIN DEUTSCHER JÄGER"

"Ein einzigartiges Portrait des Ministers und eines Regimes, das sich selbst überlebte", verspricht die Hülle der Audio-Kassette. Es geht zwar nicht um den obersten Jäger der DDR - das war dann doch Erich Honecker - aber um den mit Sicherheit brutalsten:
Erich Mielke. Der ehemalige Minister für Staatssicherheit der DDR entlarvt sich in diesem Feature selbst. Denn Joachim Walther (Jahrgang 1943) hat für dieses Radio-Feature (ursprünglich für DeutschlandRadio, hr und mdr produziert) die Archive der Gauck-Behörde durchforstet und das Tonmaterial ausgewertet, das Mielke selbst zu seinem Schutz von sich anfertigen ließ.
Aber der Genosse soll selbst zu Wort kommen. Denn auf der Jagd auf Hirsche hat der am meisten Erfolg, "der sich ganz als Hirsch fühlt und benimmt". Wenn Mielke ein "Horrido, ein Waidmannsheil" auf Honecker ausbringt oder ähnlich feierlich die Jagd auf Menschen mit "rückständigen und feindlichen Ansichten" freigibt (und dann noch zynisch nachschiebt: "Ich bin nur höflich" oder herzlich die zuhörenden Genossen zum Mittagessen einlädt), dann kann einen schon das kalte Gruseln befallen. Eine seiner Lieblingsfloskeln hieß "kurzer Prozess", und den wollte er mit vielen machen:
Mit Verrätern aus den eigenen Reihen, Jugendlichen, "Abweichlern" und westlichen "Banditen". Eindrücklich, aber zurückhaltend kommentiert Eva-Maria Hagen als Sprecherin die Originalaufnahmen.
Der "Kämpfer an der unsichtbaren Front" liebte Gedichte und Gereimtes, Kunst und Hymnen - allerdings auf bescheidenem Niveau. "Das Lied vom Pfannenflicker", vorgetragen von Erich Mielke, gehört wohl zu den kuriosesten Abschnitten der Audio-Kassette. Trinksprüche, über die immer anbiedernd-wohlwollend gelacht wurde - Erich Mielkes Selbststilisierung kannte kaum Grenzen.
Und so, wie man über die holprigen Verse und verbalen Ausrutscher - natürlich ist auch das berühmte "Ich liebe, ich liebe doch alle Menschen" zu hören - lacht, wird einem gleichzeitig übel. Mielke war und blieb bis zu seinem Ende Stalinist mit einem begrenzten Horizont, den er brutal als generelle Moral umzusetzen suchte.
Von seinen Schergen verlangte er absolute Ehrlichkeit - aber nur der Stasi gegenüber. In diesem Abschnitt schweift der Autor leicht ab; die Einsichten in O-Ton-Stasi-Berichte aus dem Alltag sind zwar beeindruckend, führen aber ein wenig zu weit von der Person Mielkes weg. Das Feature steuert auf seinen Höhepunkt zu, wenn parallel die "Auflösungserscheinungen" der späten 80er Jahre und die von der Stasi ernsthaft geplanten Internierungslager für Regimegegner aufgerollt werden.
Die Verbindung von Jagd und "Menschen-Jagd" wird vielleicht manchem modernen Jäger nicht passen und sauer aufstoßen - aber zumindest für Mielke sind diese Parallelen entlarvend. Das Audio-Book ersetzt keine Biografie, die Lebensdaten Mielkes und sein Lebensweg werden eher in groben Zügen erwähnt. Aber es ist eine beeindruckende Form der Geschichtsaufarbeitung, die zum Nachdenken anregt. Und Mielke im O-Ton über sich selbst reden zu hören, ist ein Erlebnis, das man eben nicht mit Hilfe eines Buches haben kann.
Die knapp 30 DM für diese 60 Minuten Einblick in die Denkweise des Stasi-Chefs lohnen sich auf jeden Fall. Anhören!

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"ERICH MIELKE – EIN DEUTSCHER JÄGER"

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Sprecherin: EVA-MARIA HAGEN + O-TON

O-Ton: Horrido-Gesang Mielkes (im Hintergrund röhrende Hirsche aus dem Lehrmaterial Brunftjagd, Bestand:
Sekretariat des Ministers)

ANSAGE: Erich Mielke - ein deutscher Jäger – Der DDR-Mensch im obersten Stasi-Bürokraten – Originalton-Feature von Joachim Walther

O-Ton MfS-Offizier:
Genossen, das Mitglied des Politbüros und Minister für Staatssicherheit, Genosse Armeegeneral Erich Mielke, ein hervorragender Internationalist.

Sprecherin: Im Urlaub jagte der erste Tschekist der DDR Hirsche, im Dienst Menschen. "Feinde" genannt.

O-Ton Mielke : Auch wenn es in unserer Republik für die Organisierung einer inneren, einer antisozialistischen Opposition keine sozialökonomische Basis gibt, so gibt es aber trotzdem in unserer Gesellschaft noch genügend Menschen mit rückständigen und feindlichen Auffassungen, gibt es nicht wenige Feinde des Sozialismus. Nicht wenige, Genossen! Ich bin nur höflich. Und unter dem Einfluß des imperialistischen Gegners entwickeln sich auch neue Feinde.

Sprecherin: Wenn er gekonnt hätte, wie er wollte, wäre noch öfter geschossen worden. Eine
seiner Lieblingsfloskeln hieß: "kurzer Prozess".

O-Ton Mielke: Wenn wir nicht gerade jetzt hier in der DDR wären, wenn ich das ganz ehrlich sage, damit ihr das wisst, wenn ich wäre so in der glücklichen Lage wie die Sowjetunion, dann würde ich einige erschießen lassen. So müssen wir natürlich immer ein klein bisschen... Revolutionäre Gesetzlichkeit, das ist nicht etwa einen Prozess - einen kurzen Prozess machen!

Sprecherin: Nicht nur kurzen – ganz kurzen Prozess forderte er für die Verräter aus den
eigenen Reihen. Freilich aus humanistischen Gründen. Banditen, nannte er die,
Schufte und Drecksäcke.

O-Ton Mielke: Wir sind nicht gefeit, dass auch mal ein Schuft unter uns sein kann. Wir sind
nicht gefeit dagegen, leider. Wenn ich das schon jetzt wüsste, dann würde er
morgen schon nicht mehr leben. Ganz kurzen Prozess! Aber weil ich ein
Humanist bin, deshalb habe ich solche Auffassungen! Lieber Millionen Menschen
vorm Tode retten als wie einen Banditen leben lassen, der uns dann die Toten
bringt, damit ich mal richtig erkläre, warum man so hart sein muss. Das
Geschwafel von "nicht hinrichten" und "nicht Todesurteil" - alles Käse,
Genossen! Hinrichten die Menschen, ohne Gesetze, ohne Gerichtsbarkeit und so
weiter!

Sprecherin:Nach solch markigen Worten munterte Mielke seine verstummten Generale und
Oberste auf.

O-Ton Mielke: Nunja, Genossen, jetzt, Genossen, wie geht's jetzt weiter? Jetzt haben Sie die Möglichkeit, hier zu essen. Nun könnt ihr Mittag essen, nach Hause fahren, könnt alles durchdenken und in einer wirklich differenzierten Art und Weise die Sache auswerten. Ihr könnt natürlich, besonders den Teil, natürlich nicht allen erzählen. Das habe ich euch deshalb erzählt, damit ihr die ganze Größe, den ganzen Umfang des wirklichen Geschehens begreift und kennen lernt. Gut, dann ist die Dienstkonferenz geschlossen. Ich wünsch euch eine gute Heimreise, fahrt vorsichtig, damit nichts passiert, und guten Appetit noch!

Sprecherin: Der Appetit war ihnen an diesem Tag sicher vergangen. Denn es wurde kurzer Prozess gemacht in Mielkes Ministerium und hingerichtet. Durch Kopfschuss, von hinten. 1981 wurde der Hauptmann der Hauptverwaltung Aufklärung, Dr. Werner Teske, der sich nach Westen absetzen wollte, zum Tode verurteilt, das Urteil vollstreckt. Der Staatsanwalt, das Plädoyer.

O-Ton Staatsanwalt: In der sozialistischen Gesellschaft braucht keiner zum Verbrecher zu werden. Wer dennoch Verbrechen begeht, hat dafür vor der Gesellschaft einzustehen. Wer sich wie der Angeklagte auf die Positionen der Feinde unseres Volkes begibt, sich gegen unseren Staat, gegen unsere sozialistische Ordnung, gegen unsere Schutz- und Sicherheitsorgane stellt, bereit ist, seine Klassen- und Waffenbrüder zu verraten, soll sich nicht wundern, wenn er als Feind behandelt wird, den die ganze Härte unseres Gesetzes trifft. Die ganze Härte des Gesetzes anzuwenden, Hohes Gericht, das ist Gerechtigkeit, das ist gesellschaftliche Notwendigkeit, das sind wir unseren werktätigen Menschen, ihrem friedlichen Aufbauwerk, den Angehörigen der Schutz und Sicherheitsorgane schuldig. Ich beantrage aus den von mir dargelegten Gründen, den Angeklagten wegen begangener, vollendeter und vorbereiteter Spionage in besonders schwerem Fall in Tateinheit mit Fahnenflucht in schwerem Fall zum Tode zu verurteilen und gemäß Paragraph 58 Strafgesetzbuch die staatsbürgerlichen Rechte für dauernd abzuerkennen.

Sprecherin: Erich Mielke war jedoch nicht nur Hirsch- und Menschenjäger, sondern eine,
wenn nicht allseitig, so doch vielseitig gebildete Persönlichkeit - auf höchster Ebene und niedrigstem Niveau. Erich Mielke mochte beispielsweise Trinksprüche.

O-Ton Mielke: So, Genossen, jetzt also herzlichen Dank- an euch für die schönen, guten Worte. Das alles ist für mich Verpflichtung, mich weiterhin erfolgreich zu bemühen, weiter zu arbeiten. Und ich werde das tun. Ich werde das tun mit aller Wissenschaftlichkeit, mit aller Konsequenz, mit aller Härte und Parteilichkeit, die von einem Kommunisten gefordert wird. Ich habe große Liebe und liebe vor allen Dingen die Menschlichkeit als allerhöchstes, als das höchste Gut, und vor allen Dingen das Zusammensein, und anderen Menschen Gutes tun. Das ist mein wichtigstes Gebot. Andererseits gibt es bei mir keine Kompromisse, wenn es um die Sache geht, um die Sache des Friedens und des Sozialismus. Da gibt es keine Gnade. Ich kenne keine Gnade. Da werden wir mit aller Härte und mit aller Konsequenz und mit aller Entschlossenheit und mit allen Mitteln einschreiten. So ist die Lage. Also herzlichen Dank... Trinken wir auf unsere kleine Menschengemeinschaft hier. Sie verkörpert sozusagen im kleinen unsere große Familie der Deutschen Demokratischen Republik. Trinken wir auf unsere Führerin und inspirierende Kraft, unsere Partei! Trinken wir auf alle guten Menschen und Patrioten, die uns in unserer Arbeit unterstützen!

Sprecherin: Der Minister liebte auch den Gesang. Das Lied vom Pfannenflicker, gesungen von Erich Mielke.

O-Ton Mielke: Der Pfannenflicker schwenkt seinen Hut / Adieu, Mamsell, der Flick saß gut / Und als er ihr die Pfann' geflickt / Da hat sie ihm ein Talerstück wohl in die Hand gedrückt / Der Pfannenflicker schwenkt seinen Hut / Adieu, Mamsell, der Flick saß gut!

Sprecherin: Erich Mielke liebte die Kunst. Im allgemeinen die bedeutende Kunstform der sowjetischen Estrade und im besonderen die Geheimdienst-Hymne
"Du Kämpfer an der unsichtbaren Front":
Erste schwere Fahrt für dich ins fremde Land /
Einen kühlen Kopf brauchst du und eine ruhige Hand /
An die Tücken dieses Weges denke nicht /
Bester Schutz dagegen ist ein Allerweltsgesicht /

Du Kämpfer an der unsichtbaren Front Den Menschen bist du unbekannt Jedoch es dankt dir für all dein Tun, für deinen Mut Für dein stilles Heldentum – Dein Vaterland.
Das, was dir etwas bedeutet, bleibt zurück Frau und Kinder, Eltern, Freunde und dein Alltagsglück Liebe ist es dann, die deinen Weg verschönt Weil am Leben dieser Menschen dir so viel liegt In der Fremde wächst du über dich hinaus Pflichterfülltes Leben - dafür dankt dir dein Zuhaus Triffst du glücklich in der Heimat wieder ein Wird der Frieden auf der Erden sicher sein Du Kämpfer an der unsichtbaren Front Den Menschen bist du unbekannt Jedoch es dankt dir für all dein Tun, für deinen Mut Für dein stilles Heldentum Dein Vaterland.

Sprecherin: Und Gedichte liebte er auch.

O-Ton Rezitation: Mein Vorbild Feliks Dzierzynski /Welch ein Name / Er ist mein Vorbild, ein Kommunist /Er steht für viele seinesgleichen / Bei uns weiß jeder, wer er ist / Trotz Kerker, trotz Verbannung blieb aufrecht er, hielt stand / Er lernte auch im Zuchthaus für sich und für sein Land /Es imponiert mir seine Klugheit, sein Kampfgeist und sein Mut / Er haßte seine Feinde und war zu Kindern gut / Obwohl der Feind ihm drohte, tat er für Kinder viel / Er baute für sie Heime zum Lernen und zum Spiel / Zu früh hat der Tod ihm ein Ende bereitet, es gab noch so viel zu tun. Doch die, die ihn zum Grabe geleitet, setzen sein Werk fort, ohne zu ruh'n / Wenn wir nun seinen Namen tragen und jemand fragt, wer das ist / Dann antwortet: Feliks Dzierzynski. Nur ein Name? Nein, mehr: der erste Tschekist! (Applaus)

Sprecherin: Und weil er Gereimtes so überaus mochte, griffen sogar die Genossen der
Hauptabteilung HA VIII, eigentlich zuständig für Observation und Ermittlung, zur
Feder.

O-Ton MfS-Offizier: Gruß und Glückwunsch unserem Genossen Minister zum 75. Geburtstag von den Mitarbeitern der HA VIII: Wie könnte man sein Wirken jemals trennen von der Partei / In guten und in schweren Stunden / War er mit ihr aufs stets engste verbunden / Und will man nun von seinem Leben sprechen, spricht man von der Partei / Sein Tun floß ein in die Parteigeschichte / Bei allen Kämpfen war er mit dabei / Ein treuer Sohn und Kämpfer der Partei / Sie gab ihm ihre Kraft, er ihr die seine / So wuchs die Kraft im mächtigen Vereine / Sein Werk, es wird als Vorbild viele lehren / Seht, die Partei!

Sprecherin: Wolf Biermanns Lyrik oder Stefan Heyms Romane dagegen fand Erich Mielke weniger schön. Das subsumierte der Kunstkenner unter Begriffe wie "Machwerke" oder "Dreck". Und sowas gehörte selbstverständlich verboten.

O-Ton Mielke: Wenn hier Heym und alle solche Literaten und Künstler die Macht hätten, dann hätten wir die DDR schnell aufgefressen. So, Genossen, und nur so steht die Frage! Diese Briefe oder dieses Schreiben, diese Abhandlung über die "Langeweile von Minsk" von Heym grenzt objektiv an Staatsverrat !! Wenn wir nur einen Tag diesen Menschen die Macht in die Hände gäben, dann wäre die Macht verloren. Hier können wir deutlicher sprechen, was das für eine Gefahr bedeutet, dass man sie auch noch abdruckt. [ ... ] Nun fällt den armen Leuten, weil sie nichts Feindliches mehr bringen können, keine Demoralisation mehr bringen können, nun fällt den Geistern nichts mehr ein. Der Biermann, dass er noch was Gutes bringen könnte, da sind sie mit einem Mal trocken wie so'ne alte, ausgequetschte Zitrone! Die Genies! Anstatt uns herrliche Drehbücher zu schreiben, wunderbare Romane! Also bitte sehr, Herr Heym, bitte sehr alle die Künstler, die Filme drehen, dreht solche Filme, schreibt solche Bücher, die sogar den Nobelpreis bekommen! Sind wir dagegen? So steht die Frage. Also man sagt, wir sind Dogmatiker, die wollen nicht. Nein, gegen den Dreck sind wir! Und wir sind dagegen, dass man uns hier solche Sachen zeigt, um zu zersetzen unsere Gesellschaft und unsere Jugend, nämlich daher kommt das mit der Jugend!

Sprecherin: Erich Mielke war in seiner Liebe fest und treu. Zum Beispiel zu Stalin. Den ließ er noch 1970, 17 Jahre nach dessen Tod, bei einem Gelage mit Generalen vom KGB auf seinem Jagdschloss Wolletz in der Uckermark hochleben.

O-Ton Mielke: Wir meinen, so wie man jetzt die Opern hört aus dem Mittelalter, so wird man auch später einmal die Heldensagen über Stalin erzählen oder sprechen. [...] Trotzdem trinke ich jetzt ganz alleine, ihr habt vielleicht Angst, auf unseren Genossen Stalin. Meine Pension ist gesichert. Wer Angst hat um seine Karriere, der soll eben sitzen bleiben. [...] Als Stalin starb, ich hielt damals die Trauerrede im Ministerium. Und für mich war um so beleidigender, in welcher Art und Weise dann Chrustschow die Sache damals behandelte. [...] Ich habe niemals diese Linie bezogen, obwohl man versuchte, sie auch bei uns zu ziehen. Ich habe Stalin niemals persönlich die Hand gegeben, aber wie jetzt über ihn geredet wird, das ist entwürdigend. [...] Jetzt trinke ich ganz alleine in tiefer Dankbarkeit auf die Sowjetmacht. Ohne Sowjetmacht keine DDR!

Sprecherin: Und das KGB wusste, was es am Towarischtsch Mielke hatte. KGB-General Sacharowski bestätigte es ihm noch einmal 1987 in Ostberlin.

O-Ton KGB-General: Es ist uns besonders angenehm, dass nun schon mehr als 30 Jahre diese Kampfabteilung der Tscheka unter der bewährten Führung des standhaften Antifaschisten und Internationalisten, des Aktivisten der ersten Stunde, angesehenen politischen Funktionärs der DDR, unseres großen Freundes und Kampfgefährten, des Genossen Armeegeneral Erich Mielke, steht.

Sprecherin: Erich Mielke liebte Jagd, Trinksprüche, Gesang, Gedichte, die Partei, Josef Wissarionowitsch Stalin, die Sowjetunion und die Genossen vom KGB, eigentlich liebte er alle Menschen. Das erklärte er den Abgeordneten der DDR-Volkskammer im Herbst 1989, die sich damals, erstmalig in der Geschichte der
Deutschen Demokratischen Republik, zu lachen getrauten.

O-Ton Mielke: Ich liebe euch doch, ich liebe doch alle Menschen! (Gelächter)

Sprecherin: Sein Aufstieg war steil, die Fallhöhe entsprechend groß. Mielke, 1907 in Berlin geboren, proletarischer Herkunft, wurde schon mit 19 Jahren Mitglied der Kommunistischen Partei. Im "Parteiselbstschutz", einer paramilitärischen Organisation der Kommunisten, lernte er das Schießen - und schoss auf dem Berliner Bülowplatz am 9. August 19' ) 1. Zwei tote Polizisten blieben zurück, erschossen, von hinten. Von wem, blieb bis heute ungeklärt, Erich Mielke aber tauchte damals unter. Anlässlich seines 60. Geburtstages hielt er eine kleine Dankrede an die Gratulanten, unter ihnen Erich Honecker. Mielke autobiographisch, freilich konspirativ, was diese Episode betraf.

O-Ton Mielke: Ich persönlich, Genossen, erzogen in einem Arbeiterhaus, und als ich türmen musste - in diesem Rahmen darf man es wohl sagen - da bin ich als 21 -Jähriger aus dem Bett meines Bruders gestiegen, habe ihn auf den Kopf geküsst und habe gesagt ~ So, jetzt hast du dein Bett alleine, mein Sohn, jetzt kannst du schlafen. Er hat nicht mal mitbekommen, daß ich abhaute. Genossen, in dieser Arbeiterfamilie - der Vater ein Kämpfer mit der Waffe in der Hand, der im Zuchthaus saß - wurde ich groß und war von Anfang an erfüllt für diese Sache der arbeitenden Menschen und war bereit, zu kämpfen gegen dieses Unrecht. Wenn ich schon sah, dass ein Arbeiter oder irgendeine Arbeiterin verfolgt wurde von den Schergen, den Banditen der Bourgeoisie, dann empörte sich mein Herz. Und so wurde ich geformt und erzogen zu einem bewussten Kämpfer, Klassenkämpfer für die große Sache unserer Partei, für die Idee des Marxismus-Leninismus. Herzlichen Dank, Partei. Herzlichen Dank, Genosse Honecker, der du die Grußadresse des Zentralkomitees unserer Partei überbracht hast, unterschrieben von unserem 1. Sekretär und Vorsitzenden. Herzlichen Dank, liebe Genossen der Partei, die nur die Möglichkeit gaben, zu einem solchen Menschen zu wachsen. Ich meine, das ist das Schönste, was einem Menschen heute, im 60. Jahr seines Lebens, widerfahren kann. Diese hohe Auszeichnung und Anerkennung, für die habe ich eigentlich viel zu wenig getan, und ich muss noch viel mehr tun, um diese Würdigung und Ehrung, die mir zuteil wird, im Zentralkomitee noch zu rechtfertigen.

Sprecherin: Mielke floh nach Moskau, besuchte dort die militärpolitische Lenin-Schule der Kommunistischen Internationale (Komintern) und lieferte der Partei und dem sowjetischen Geheimdienst NK" Stimmungsberichte unter dem Decknamen "Paul Bach". 1936 tauchte er im spanischen Bürgerkrieg auf als Offizier des Servicio Information Militar (SIM), eines Sicherheitsdienstes der Kommunisten, der Abweichler wie Trotzkisten, Anarchisten und Syndikalisten aufspürte und liquidierte, Deckname-. "Fritz Leißner". Dort lernte er Wilhelm Zaisser ("General Gomez") kennen. Als der 1950 erster DDR-Minister für Staatssicherheit wurde, holte er Mielke zu sich als Staatssekretär. Sie beide bauten das Ministerium für Staatssicherheit nach stalinistischem Vorbild auf und aus. Zaisser musste wegen des Arbeiteraufstandes am 17. Juni 1953 gehen. Mielke blieb. Der Nachfolger Zaissers, Ernst Wollweber, musste 1957 gehen. Mielke blieb und empfahl sich nachdrücklich der Partei, die damals Ulbricht hieß, als Minister. Die früheste seiner erhaltenen Reden ist von 1957. Dann zog er gegen das "Tauwetter" zu Felde, gegen all jene, die damals eine Entstalinisierung wollten.

O-Ton Mielke: Interessant ist, dass diese Gruppe, Genossen, die den Stalinisten, den Menschen, die also als Stalinisten hier bezeichnet werden, die Führung unserer Partei und allen Menschen, die zur Führung dieser Partei stehen, verleumdete. Sie führten eine Politik, die sie den Stalinisten unterschoben, dass die Stalinisten eine Atmosphäre des Misstrauens und der Verleumdung und der Verfolgung organisierten. Als Schlussfolgerung aus den Ergebnissen der Rede des Genossen Chrustschow über die Fehler des Genossen Stalin und über die Frage des Personenkults. Sie organisierten überhaupt die Diskussion hauptsächlich über diese Fragen der Fehler, der Mängel, die sich gezeigt haben auf bestimmten Gebieten in der Sowjetunion und die als Ergebnis des XX. Parteitages der gesamten internationalen Arbeiterklasse eben als Lehre vermittelt wurde. Und diese Gruppe, die also so argumentierte, war also jene Gruppe, die besonders diese Art der Zersetzung führte, der Verleumdung, der Untergrabung, die eine Politik der Untergrabung des Vertrauens organisierte. Die Politik der Verleumdung und des Betruges! Die Genossen, die auf dem Prozess waren, werden sich erinnern an einige dieser Dinge. Ich möchte eins der krassesten Beispiele bringen. Genossen, weil es wichtig ist, dass man als Staatssicherheitsmann, nich wahr, genau weiß, wie diese Brüder gedacht haben: Dass also in der Staatssicherheit die Verhafteten geschlagen und misshandelt worden sind, auch hier in der DDR. Und dass deshalb also der bekannte Schriftsteller und Dramaturg Brecht Strafantrag stellen wollte gegen einen leitenden Funktionär der Staatssicherheit. Und dann ist der Brecht erlegen einem Herzschlag.

Sprecherin: Als eine der Ursachen dieser staatsgefährdenden "Aufweichung" machte Erich Mielke neben dem obligatorisch verantwortlichen Klassenfeind im Westen die "moralische Zersetzung" in Künstlerkreisen aus.

O-Ton Mielke: Nehmen wir solche Erscheinungen wie den "Club junger Künstler", wo die Zersetzung auf moralischem Gebiete ist, Genossen, wo also eine solche Atmosphäre, Boheme-Atmosphäre herrscht. Da könnte man sagen: Was hat das zu tun mit diesen ideologischen und politischen Fragen? Aber die Sache beginnt so, Genossen, man tauscht erst untereinander die Frauen aus, die Freundinnen und so weiter und markiert wilde Freiheit und dann beginnt man also, weil man sich doch seine unmoralischen Freiheiten rechtfertigen muss, also sich politisch zu verteidigen, beginnt sich politisch zu zersetzen, dann beginnt man zu kritisieren und so geht der Schritt weiter bis ins Lager des Feindes.

Sprecherin: Mielke gab auch ein praktisches Beispiel für die Aufweichung in den eigenen Reihen. Einer seiner Offiziere wollte in der Tauwetterperiode Mitte der fünfziger Jahre gar die Staatssicherheit abschaffen. Daraufhin wurde er für unzurechnungsfähig erklärt.

O-Ton Mielke: Interessant ist, dass dieser Schuft nicht verrückt wurde, indem er sagte: Jetzt geh ick nach Westberlin mit einer Pistole und erschieße Adenauer oder irgendeinen anderen Drecksack, den Feind. Nee, der wird verrückt gegen die DDR, gegen seine eigene Partei, gegen uns! Ihr seht also, mit dem Verrücktsein und dass er den § 51 gekriegt hat, das ist also nicht etwa sozusagen eine berechtigte Entschuldigung für sein feindliches Auftreten.

Sprecherin: Sodann kam Mielke auf die Zahl der Festnahmen zu sprechen.

O-Ton Mielke: Aber, Genossen, wir haben Festnahmen getätigt, Und 1956, wir sagen es euch ganz offen, im Mai, nach dem XX. Parteitag, 141. 1957 im Mai, da haben wir 197 getätigt. Im Juni, als die Verwässerung begann, die Aufweichung, Schwankungen sich zeigten, auch in unseren Reihen, da haben wir 68 verhaftet. Aber '57 haben wir verhaftet 255. Genossen, ich frage euch, ist die Kritik unser Partei-Politbüros nicht richtig? Waren die Feinde jetzt erst gekommen und da? Oder waren sie nicht schon vorher in der Untergrundbewegung? Wir haben von den 255 des Monats Juni ganze zwei, sage und schreibe, wegen Geringfügigkeit eingestellt, alle anderen wurden verknackt!

Sprecherin: Und Mielke stellte klar, dass Feinde auch weiterhin umgebracht werden sollen.

O-Ton Mielke: Is klar, dass der Feind nicht mit uns auf gutem Fuße steht, nich, is klar. Außerdem, wenn sie wissen, dass wir also einige Feinde schon umgebracht haben, Feinde umgebracht haben. Und wir werden sie auch weiter umbringen!

Sprecherin: Zum 8. Jahrestag der Gründung der Staatssicherheit 1958 beschrieb der neu ernannte Minister Mielke die Aufgaben seines Ministeriums und vollführte seinen verbalen Antrittskotau vor der anwesenden Parteiführung und den Vertretern des "ruhmreichen Sowjetvolkes". Anwesend waren Walter Ulbricht, Erich Honecker, Hermann Matern, Karl Maron sowie russische Generale und Oberste. Auf bewährt stalinistische Weise rechnete er mit seinen früheren Vorgesetzten Zaisser und Wollweber ab.

O-Ton Mielke: Bei der Schaffung der Organe der Staatssicherheit ließ sich unsere Partei und Regierung von der Lehre Lenins leiten, dass die Bourgeoisie, die Gutsbesitzer und alle begüterten Klassen verzweifelte Anstrengungen machen, um die Revolution, die die Interessen der Arbeiter, der Werktätigen und der ausgebeuteten Klassen wahrnehmen soll, zu untergraben. Die Bourgeoisie ist zu den schlimmsten Verbrechen bereit, wobei sie den Abschaum der Gesellschaft und die heruntergekommenen Elemente kauft und sie zur Durchführung von Pogromen vereinigt. In der Bekämpfung dieser Feinde haben die Organe der Staatssicherheit nicht unbedeutende Erfolge erzielt. Die Tätigkeit der Mitarbeiter der Organe der Staatssicherheit führte in den vergangenen Jahren zur Festnahme tausender Agenten und Spione, Feinde unserer Partei und der Arbeiterklasse. [ ... ] Genossinnen und Genossen, aber es gab Widersprüche in der Entwicklung des Ministeriums, die unnatürlich waren, nicht dem dialektischen Materialismus entsprachen, der sozialistischen Entwicklung fremd sind. Die Staatssicherheit befand sich zeitweilig in einer großen Gefahr, ihren politischen Gehalt und ihre Schärfe zu verlieren. Durch die ehemaligen Minister Zaisser und Wollweber wurde der Versuch unternommen, die Organe der Staatssicherheit zu einem Instrument parteifeindlicher Gruppen oder- einzelner Menschen zu machen. Deshalb wurden die uns von der Partei und Regierung gestellten Aufgaben in dieser Zeit nur unter großen Schwierigkeiten und zum Teil nur schwach erfüllt. Dank der großen Kraft der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und ihres Zentralkomitees wurden die der Partei treu ergebenen alten und jungen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, die nicht schwankten und sich nicht zersetzen ließen, rechtzeitig auf den richtigen Weg elenkt.

Sprecherin: Im Februar 1958 trat Minister Erich Mielke noch einmal gegen den entmachteten Ernst Wollweber nach.

O-Ton Mielke: Bis zur letzten Minute wurde ihm die Möglichkeiten gegeben, die Wahrheit zu sagen. Was wäre das für eine gute Sache gewesen, wenn er hätte vor dem Plenum gesprochen und sich distanziert. Dann wäre er noch heute Mitglied des ZK. Aber er hat nicht gesprochen. Er hat erst gesprochen, nachdem ihm alle Dinge vorgehalten worden sind. [ ... ] Genosse Wollweber hat bekanntlich die Frage Suezkanal nicht richtig eingeschätzt. Dass es deshalb zum Krieg kommen kann, hat er abgeleugnet, obgleich wir ernsthafte Informationen hatten. Er hat Polen falsch eingeschätzt. Als wir uns hier mobilisierten, indem wir sagten, es ist besser, wir lassen keine Agenten durch die DDR, weil die Provokationen beabsichtigten, das stimmt auch, das wird ja heute wieder bestätigt, sicher. Dass er sagte~ Was macht ihr denn hier - als er zurückkam von seinem Urlaub aus Polen - warum seid ihr denn hier alle so aufgewühlt? Wir müssen hier schon einiges ansprechen, und unsere Parteiorganisation hat darum gekämpft, dass Genosse Wollweber den Weg findet. Das wäre doch ein großer Gewinn gewesen, ein großer Gewinn. Aber er ging seinen Weg bis zuletzt, bis er durch das Plenum überführt wurde, dass er nicht die Wahrheit gesagt hat. Unsere Partei hat also demonstriert durch die Vertretung hier auf dem 8. Jahrestag, Ulbricht, Matern, Honecker, verschiedene ZK-Mitglieder, von der Armee, vom Innenministerium, vom Genossen Grotewohl, der abwesend war, der eine Grußadresse geschickt hat, das hat die Partei demonstriert, dass sie Vertrauen zu unserem Organ hat, das wirklich das Schwert der Partei ist, und dass sie weiß, dass unsere Mitglieder gesund sind, dass sie bestimmten Schwankungen unterlagen und dass es nur wenige gab, die subjektiv in Verbindung mit den Einzelnen zu bringen sind, subjektiv. Einige Genossen haben eine große Lehre gezogen daraus aus der Vergangenheit und haben der Partei geholfen durch eine richtige Information, die Gruppe rechtzeitig aufzudecken. Ein großes Verdienst, man muss ihnen Dank aussprechen. Da haben die tschekistischen Parteimitglieder gut gearbeitet.

Sprecherin
: 1966 entwickelte Mielke seine Vision von der sozialistischen Demokratie, nachdem er vorher des langen und des breiten dargelegt hatte, wie Andersdenkende bekämpft werden müssten.

O-Ton Mielke: ... selbst wenn solche Brüder, wenn es noch solche Brüder geben würde, dass sie überhaupt gar keinen Schaden anrichten können und keinen Einfluss bekommen. Richtig, so ist die Sache. Und damit, Genossen, erreichen wir die weitere Entfaltung der sozialistischen Demokratie. Das ist das Schönste und das Große. Und sie spotten uns Stalinisten, Dogmatiker, neue Eiszone oder so was, zurück in die Eiszeit und so weiter. Genossen, wir sehen die Sache viel kühner als sie es überhaupt zu denken vermögen! So sehen wir die weitere Entwicklung und Entfaltung der sozialistischen Demokratie, indem wir diese edlen und wertvollen humanistischen Taten mit dem proletarischen Internationalismus, mit dem revolutionären Reichtum unserer Klasse verbinden und das den Menschen übermitteln.

Sprecherin: Ein Jahr später in einer offiziellen Rede hob er fast ab in seiner ideologischen
Schwärmerei und Selbstverklärung.

O-Ton Mielke: Genossen, alles, was wir sind, wie der Mensch sich entwickelt hat, ist das Verdienst der Partei, ist Ausdruck der großen Kraft, unüberwindlichen Kraft des Marxismus-Leninismus, der Idee, der verkörperten Kraft der Arbeiterklasse und der befreienden Kraft der Menschheit gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Eine solche gewaltige Kraft, Genossen, die einen Menschen einmal erfasst hat, wie der Marxismus-Leninismus, die lässt ihn nicht mehr los, und wenn er ein guter Mensch ist, ein gutes Herz hat, dann wird er bereit sein, für diese Sache in den Tod zu gehen. Das ist das, was die Faschisten und die Bourgeoisie nicht verstehen, dass ein Kommunist für seine Partei lieber stehend stirbt als dass er kniend weiterlebt. Genossen, das macht uns unbesiegbar!

5precherin: Weniger geblümt redete Mielke intern vor seinen Leuten, insbesondere dann, wenn er vom Blatt abwich, was er gern tat. Dafür zwei Beispiele aus einer Rede von 1979 vor der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit Berlin. Erstes Beispiel.

O-Ton Mielke: Eine kleine Sache noch. Im Ministerium für Staatssicherheit müssen Tschekisten tätig seit die ihr Handwerk verstehen, findige Talente, die in der Lage sind, den Feind zu erkennen und ihm, wie das schon oft hier gesagt habe, das Bettlaken unter dem Hintern vorzuziehen, ohne dass er es merkt. Probiert das mal, Genossen! (Heiterkeit)

Sprecherin: Zweites Beispiel.


O-Ton Mielke: Ich will es so sagen: Wenn man die großen Feinde schlägt, dann rennen die anderen alle vor Angst weg. Die scheißen sich in die Hosen, die kleinen Leute, die kleinen Feinde. Das müsst ihr euch mal merken im Leben. Man muss doch dahin schlagen, wo das richtig sitzt und die entscheidende Frage damit gelöst wird!

Sprecherin: In der gleichen Rede warnte er die Berliner Tschekisten davor, im Verfolgungseifer nachzulassen, und forderte sie auf, die flächendeckende Überwachung weiter auszubauen.

O-Ton Mielke: Man soll sich nicht durch die relative Ruhe auf manchem Gebiet täuschen lassen. Nicht alle Feinde haben wir schon erkannt. Darüber sollten wir uns nichts vormachen. Erkannte Feinde sind weiterhin mittels einer qualifizierten IM- und Vorgangsarbeit zielstrebig zu bearbeiten und unter operativer Kontrolle zu halten. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie weiteren Schaden anrichten. Die Abwehrarbeit in eurer Bezirksverwaltung ist künftig noch stärker darauf auszurichten, den Gegner daran zu hindern, weitere Personen auf seine Position zu ziehen und sie zu feindlich-negativen Handlungen auszunutzen und zu missbrauchen. Das erfordert, selbst kleinste Ansatzpunkte dafür zu erkennen und zu verhindern, dass negative Entwicklungen bei bestimmten Personen in konkrete feindlich-negative Aktivitäten umschlagen. Zu oft werden wir in dieser Hinsicht noch überrascht, treten Vorkommnisse auf, die bei richtiger Beachtung vorliegender Informationen, bei besserer Organisation unserer Arbeit und allseitiger Nutzung der gegebenen Möglichkeiten hätten verhindert werden können und müssen. Und das geht uns alle an, bis zur letzten Scheuerfrau in unserem Ministerium, damit ihr den richtigen Sinn begreift, worauf es ankommt, und nicht nur die Linienarbeit. Ein echter Bürger der DDR, selbst wenn er nicht in der Staatssicherheit arbeitet, muss feststellen, dass hier etwas nicht in Ordnung ist, und die Sache melden. Dahin wollen wir streben.

Sprecherin: Dass Mielke und sein Ministerium bis zuletzt fähig und willens waren, auch mit Gewalt gegen die eigene, zunehmend aufmüpfigere Bevölkerung vorzugehen, belegen die Planungen zum so genannten "Vorbeugekomplex". Unter diesem Begriff Hefen die Vorbereitungen auf den Tag X, an dem schlagartig alle kritischen, oppositionellen und verdächtigen DDR-Bürger verhaftet und in die vorbereiteten Isolierungslager gebracht werden sollten. 1988 waren für diese Maßnahme 85.939 Personen vorgesehen. Sie waren in sogenannten Kennziffern (das Stasi-Kürzel dafür hieß bezeichnenderweise "Kz") erfasst. Es existierten die minutiös aufgeschlüsselten Verhaftungspläne, die Lagerpläne und die Lagerordnung, die Bewaffnung der Häscherkommandos und der Lagerbewachung, und es gab seit Mitte der achtziger Jahre geheime Übungen der Staatssicherheit in der DDR. In der Zentralen Dienstkonferenz vom 26. Februar 1988 ging der Armeegeneral auf diese bürokratisch peniblen Planungen ein, und die Rede zeigt, wie kämpferisch und intakt Erich Mielke und seine Mannen damals durchaus waren.

O-Ton Mielke: Gegenwärtig bestehen zwischen den Diensteinheiten in bezog auf Realitätsbezogenheit, Umfang und Qualität der Maßnahmen zur Realisierung spezifischer Vorbeugekomplexe noch zu große Unterschiede. Vielfach erfordern die unter Beachtung der Zahl der im Vorbeugekomplex aufgenommenen Personen festgelegten Maßnahmen durchweg einen viel größeren Zeitaufwand, als es der Plan vorsieht. Das heißt, die Zeitplanung ist oft unreal. Das zwingt dazu, die vorgesehenen Maßnahmen gründlicher zu durchdenken und insgesamt realitätsbezogener zu planen. Um das durchgängig zu erreichen, hat die Arbeitsgruppe des Ministers ihren Einfluss auch im Rahmen dieser Aufgabenstellung zu verstärken. Die bereits vorhandenen Orientierungen sind gegebenenfalls zu überarbeiten beziehungsweise zu präzisieren und Kriterien vorzugeben, welche Fragen bei der Realisierung der Vorbeugekomplexe inhaltlich stärker Beachtung finden müssen. Ob und wann welche Personenkategorien inhaftiert werden sollen, das kann natürlich nur in Abhängigkeit von der konkreten politisch-operativen Lage entschieden werden. Erforderlich ist jedoch, dass konkrete Vorstellungen dazu bestehen, um dann kurzfristig die notwendigen Weisungen geben zu können. [.... ] Zentral weiter zu klären ist auch, wie am zweckmäßigsten an die Realisierung der Vorbeugekomplexe herangegangen werden muss. Dabei gilt es, stärker nachfolgende Fragen in den Mittelpunkt zu stellen. Wie lassen sich Festnahmen und Zuführungen effektiv realisieren? Welche Verantwortung haben dabei die Kreisdienststellen? Wie hat das in Bezirksstädten beziehungsweise in der Hauptstadt Berlin zu erfolgen? Welche Möglichkeiten der zeitweiligen Einbeziehung von Kräften der Volkspolizei beziehungsweise Kampfgruppen zur Sicherung einer schlagartigen Durchführung dieser Maßnahmen zum gegebenen Zeitpunkt sind real vorhanden und gegebenenfalls wie nutzbar? Wie lassen sich die vorhandenen Haftanstalten für die Realisierung der Vorbeugungsmaßnahmen auch bei mehrfacher Belegung unter Einbeziehung überbezirklicher Lösungen vorrangig nutzen? Sind die geplanten zentralen Isolierungsobjekte unter Berücksichtigung der Transportprobleme, ihrer materiellen Sicherstellung und Versorgung sowie hinsichtlich der Verantwortlichkeit für Planung, Vorbereitung, Nutzung und Sicherung dieser Isolierungsobjekte tatsächlich geeignet, oder müssen neue bestimmt werden? Die materielle Sicherstellung der Isolierungsobjekte ist gegenwärtig noch nicht umfassend gesichert. Die Planung und materielle Ermittlung hat so zu erfolgen, dass die äußere und innere Sicherheit der geplanten Isolierungsobjekte sowie deren Aufnahmebereitschaft kurzfristig gewährleistet werden können.

Sprecherin: Bereits einen Monat später, im März 1988, musste sich Mielke mit der wieder einmal gewachsenen Zahl kritischer Geister in der DDR beschäftigen: Menschenrechtler, Wehrdienstverweigerer, Umweltschützer, Kirchenkreise, Frauengruppen, Ausreisewillige. Noch schien er die Lage im Griff zu haben.

O-Ton Mielke: Wir haben gesicherte Erkenntnisse darüber, dass der Gegner insbesondere im Hochspielen angeblicher Menschenrechtsverletzungen in der DDR ein Instrument, einen Hebel sieht, uni bei uns innere Auseinandersetzungen zu inszenieren. Besondere Erwartung knüpft der Gegner an den kritischen Geist der jungen Generation, der durch gezielte Aktionen von außen und durch entsprechende Aktivitäten innerer, feindlich-negativer Kräfte und reaktionärer Kirchenkreise in einen inneren Druck- umgewandelt werden soll. Die Bestrebungen des Gegners, in der DDR ein sogenanntes Druckpotential zu schaffen, das von der BRD-Regierung genutzt werden und ihr Handlungsspielräume im Vorgehen gegen unsere Republik eröffnen könnte, haben hier, wie wir täglich spüren, völlig neue Dimensionen angenommen, Genossen. [Aufgrund dieser gesamten Lageentwicklung wurde die zentrale Entscheidung getroffen, nicht nur gegen die Provokateure vom 17. Januar 1988, sondern auch gegen einige ihrer Hintermänner strafprozessuale Maßnahmen durchzuführen. Der Schlag richtete sich also vor allem gegen Mitglieder des Führungskerns, der über Jahre hinweg zu den maßgeblichen Organisatoren politischer Untergrundtätigkeit zählt und engster Kontaktpartner der gegnerischen Kräfte war und von diesen gesteuert wurde. Mit der zentralen Entscheidung und den darauf basierenden staatlichen Maßnahmen wurden Ziele verfolgt, die ich hier noch einmal kurz darlegen will. Allen, im Sinne politischer Untergrundtätigkeit wirkenden Kräften wurde unmissverständlich demonstriert, dass wir gegen Feinde des Sozialismus auch mit den Mitteln des sozialistischen Strafrechts vorgehen, dass unser Bemühen, sie mit politischen Mitteln in die Schranken zu weisen, dass unsere dabei gezeigte Toleranz und Geduld auch Grenzen hat und fortgesetzte antisozialistische Handlungen, Rechtsverletzungen, alle Bestrebungen, den Sozialismus aufzuweichen und zu zersetzen, nicht zugelassen werden. Es wurde nachgewiesen, dass es sich bei solchen Personen wie Krawczyk, Klier, Hirsch und Templin, um nur einige zu nennen, um unverbesserliche Feinde des Sozialismus handelt, die durch geheimdienstlich gesteuerte Kräfte aus dem Operationsgebiet angeleitet, instruiert und materiell unterstützt wurden. Damit sollte auch gegenüber den Anhängern und Sympathisanten des sogenannten harten Kerns, aber auch gegenüber den sie offen oder verdeckt unterstützenden Kirchenkräften deutlich gemacht werden, wo die eigentlichen Drahtzieher und Auftraggeber sitzen. Damit sollte auch all jenen, die immer noch glauben, sich für solche Kräfte aus welchen Motiven auch immer innerhalb und außerhalb unseres Landes engagieren zu können, verdeutlicht werden: Wer sich mit solchen Leuten einlässt, muss sich somit auch über die Konsequenzen im klaren sein.

Sprecherin: Sodann kam Erich Mielke auf aktuelle Tendenzen der politisch-operativen Lage unter jugendlichen Personenkreisen" zu sprechen, wobei der 81-jährige Chef der Firma "Horch & Guck" Sprachschwierigkeiten offenbarte, diese Gruppen zu benennen. Zahl und Art der Feinde hatten aber mittlerweile derart zugenommen, dass es schien, als verlöre er den Überblick.

O-Ton Mielke: Dennoch ist nicht zu übersehen, dass infolge permanenter, massiver und gezielter ideologischer Einwirkung des Gegners über die verschiedensten Kanäle, insbesondere mittels der elektronischen Massenmedien, sowie im Ergebnis des Wirksamwerdens feindlich-negativer Kräfte in der DDR unter bestimmten, von der Anzahl her relativ kleinen jugendlichen Personenkreisen zunehmend sozialismusfeindliche beziehungsweise -fremde Erscheinungen in Form pseudopazifistischer, anarchistischer, neonazistischer beziehungsweise neofaschistischer, aber besonders dekadenter Denk- und Verhaltensweisen zeigen. Dabei handelt es sich um solche nach westlichem Verhaltensmuster auftretende Kräfte wie Punks, Ski-Händs...

Sprecherin: Mielke meinte die Skinheads.

O-Ton Mielke: ... Heavymetals und deren Sympathisanten. Aber auch in jüngster Zeit in das operative Blickfeld geraten sind sogenannte Grufitz...

Sprecherin: Mielke meinte die Gruftis.

O-Ton Mielke: Von derartigen Gruppierungen, Zusammenschlüssen beziehungsweise Konzentrationen gehen, wie Vorkommnisse aus letzter Zeit beweisen, nicht zu unterschätzende Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus. Ich erinnere nur an die durch westliche Korrespondenten in engem Zusammenwirken mit inneren feindlichen Kräften inspirierten und provozierten Vorkommnisse mit Jugendlichen am Brandenburger Tor und an vielfältige andere Vorkommnisse der Jugendlichen in der Folgezeit, die sich unter anderem gegen die Grenzsicherungsmaßnahmen der DDR richteten, häufig verknüpft mit gegnerischen Freiheits-, Demokratie- und Menschenrechtsparolen.

Sprecherin: 1980 wurde Mielke zum Armeegeneral befördert. Und Mielke führte tatsächlich eine Armee, wenn auch eine weitgehend unsichtbare. 1989 befehligte er 91.000 Hauptamtliche Mitarbeiter und cirka 173.000 Inoffizielle Mitarbeiter (volkstümlich "Stasi-Spitzel" genannt), mithin ein Heer von 264. 000 "Kämpfern an der unsichtbaren Front". Mielke scheute die Öffentlichkeit, und nur selten wandte er sich direkt ans Volk, wie in diesem Interview von Radio DDR.

O-Ton Mielke: (Moderator-. Herr Minister, die Hetze des Gegners konzentriert sich oft auf die Arbeit der Organe der Staatssicherheit unserer Republik. Wie beurteilen Sie das?) Die Hetze gegen die Deutsche Demokratische Republik und ihre Einrichtungen ist ein Ausdruck des Hasses und der ohnmächtigen Wut des Gegners über die unerschütterliche Stärke unserer Staatsmacht. Die Pläne der westdeutschen Imperialisten und ihrer Helfer, den umfassenden Aufbau des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik zu verhindern und durch gewaltsame Einverleibung unseres Staates in die westdeutsche Bundesrepublik bei uns die Ausbeuterordnung zu errichten, sind von vornherein zum Scheitern verurteilt. Durch die ständige Festigung der moralisch-politischen Einheit der Bevölkerung unserer Republik verliert der Gegner immer mehr Möglichkeiten für seine Wühltätigkeit gegen unseren Arbeiter- und Bauernstaat. [...] Die derzeitigen Machthaber in Westdeutschland werden jedoch nicht verhindern können, dass sich die Wahrheit durchsetzt und damit die Erkenntnis, dass die Deutsche Demokratische Republik und ihre Rechtspflege zum Vorbild für ganz Deutschland geworden sind.

Sprecherin: An seine "Rechtspfleger", die Hauptamtlichen Mitarbeiter der DDR- Staatssicherheit stellte der Minister Mielke hohe Anforderungen.

O-Ton Mielke: Die Ausprägung solcher Eigenschaften wie Prinzipienfestigkeit, Zielstrebigkeit und Konsequenz, Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Achtung vor anderen und ihrer Arbeit sowie moralischer Sauberkeit muss ständig im Mittelpunkt der erzieherischen Arbeit stehen. Vom Tschekisten erwarten auch weiterhin Standhaftigkeit, Mut und Unerschrockenheit. Ein Tschekist schwankt nicht und weicht auch vor schwierigen Situationen nicht zurück. Feigheit ist ihm fremd. Er zögert auch keinen Moment, für die Sache der Arbeiterklasse alles zu geben, wenn notwendig, auch sein Leben. Das ist alles nicht umsonst, dass ich das hier sage.

Sprecherin: Und so hört sich einer seiner Stasi-Bürokraten während der Arbeit an.

O-Ton MfS-Offizier: Eins, zwo, drei, vier fünf. Hauptabteilung XIX, Abteilung 3, Al, Berlin, den 7.3.1983. Bestätigt: Schulz, Oberstleutnant. Bericht über die politisch-operative Situation im Sicherungsbereich der Diensteinheit im Monat Februar 1983, unterstreichen. Erstens, Ergebnisse der politisch-operativen Nachweisführung zu abgeschlossenen Prozessen, unterstreichen. OPK, unterstreichen. Im Berichtsmonat wurde die OPK [ ... 1 über die Person [...] geboren [ ... ] tätig [ ... ] abgeschlossen. Absatz. Die OPK war eingeleitet worden, da Ausgangshinweise hinsichtlich der Verletzung der Geheimhaltungspflicht zu klären waren und geprüft wurde, ob der Verdacht des Straftatbestandes gemäß § 245 StGB gerechtfertigt ist.

Sprecherin: Der besonderen Wertschätzung durch den Genossen Minister konnten sich auch die Spitzel sicher sein. Melke nannte sie wiederholt die "Hauptwaffe im Kampf gegen den Feind". Sie sollten in einem System des Verrats und der Lüge die "Wahrheit" herausfinden, "ehrlich" andere Menschen täuschen und das Vertrauen der Bespitzelten erringen, um es zu missbrauchen. In einer internen Forschungsarbeit von 1973 wurden Wert und Unverzichtbarkeit der Spitzel so beschrieben- "Im Zeitalter der modernen Technik gibt es trotz hochentwickelter Geräte und Mechanismen, die die physische und psychische Arbeit des Menschen erleichtern und zum Teil ersetzen, nichts, was der Kunst und den Fähigkeiten eines Menschen zur Erforschung der Gedankengänge des anderen gleichkommt. Einen gleichwertigen Ersatz für die in diesem Sinne tätigen Inoffiziellen Mitarbeiter gibt es nicht und wird es nicht geben." Auf die unbedingte Ehrlichkeit des Spitzels, freilich nur gegenüber dem MfS, wies Mielke 1983 noch einmal seine Rostocker Tschekisten hin.

O-Ton Mielke: Und noch eins scheint mir wichtig: Eine entscheidende Grundlage für eine noch wirkungsvollere Arbeit mit den Inoffiziellen Mitarbeitern ist ihr aufgaben- und sachbezogener Einsatz. Die Qualität, aber auch die Anzahl der von ihnen zu erarbeitenden Informationen ist weiter zu erhöhen. Die Regeln der Konspiration und Geheimhaltung sind strikter durchzusetzen. Das alles erfordert eine richtige Einschätzung der Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der Inoffiziellen Mitarbeiter. Unterstreiche, der Ehrlichkeit. Mancher Mitarbeiter ist ja betrogen worden oder hat sich betrügen lassen oder war so dumm, dass er betrogen werden konnte. Ich muss ja alle Seiten aufklären, ich bitte um Entschuldigung, meine keinen jetzt hier persönlich, nicht wahr.

Sprecherin: Auch hier zur Illustration zwei IM in Aktion. Im ersten Fall eine Mitarbeiterin der Akademie der Künste der DDR, die dem Führungsoffizier mit erkennbarer Lust in der Stimme ihre konspirativen Erkenntnisse auf Band spricht.

O-Ton weiblicher Ml: Ich habe mir die Bücher angeguckt. Und ich möchte als Archivar sagen mit hundertprozentiger Sicherheit: Die hat er gestohlen. Und zwar hat er dabei was übersehen. Er hat vorne, und das ist seine Handschrift, auf der ersten Seite, wenn man das Buch aufklappt, den neuen Preis geschrieben, nämlich ' )0 Kronen. Und auf der zweiten Seite dieses Buches steht die Zugangsnummer, die das Antiquariat da anbringt, das ist international so üblich, die steht da, und die dritte Stelle dieser Zugangsnummer macht immer den Preis aus, nämlich 90 Kronen. Und diese Handschrift wiederholt sich, und deshalb bin ich so sicher, dass es diese aus dem Antiquariat ist, wiederholt sich auf der zweiten Seite des hinteren Einbandes. Da er aber so ein Dilettant ist und also det allet nich weeß, könnte man ihn mit solchen Dingen, könnte man ihn ja kriegen. [ ... ] Er hat also gesagt: Solche Bücher werden viel zu wenig gedruckt, sie bekommen nur ganz wenige Exemplare, die anderen lesen die Bonzen, und diese wenigen Exemplare werden also so schlecht verteilt, dass die anderen alle in Spannung gehalten werden, und das müsste man alleene allet nachdrucken könn', aba hier kann ja keener wat, und sie sagte, er hat so mächtig auf diesen Staat und die Bonzen geschimpft, dass sie also schon dachte, wenn der so weitermacht und hier ist ein Verkehrter im Laden, denn knallt 'ne Bombe!

Sprecherin
: Zweites Beispiel: Ein IM und Ehemann meldet dem MfS die "außerdienstlichen" Kontakte seiner eigenen Frau.

O-Ton männlicher IM: Betrifft- Information zum außerdienstlichen Kontakt meiner Ehefrau mit dem Mitarbeiter der Firma [ ... ] Seit der Umbesetzung meiner Frau vor einem viertel Jahr in die Importgruppe des Genossen [ ... ] hatte meine Frau sehr häufig dienstliche Kontakte bei WMW mit [ ... ] Diese Kontakte waren dienstlich bedingt und aufgrund der Terminvorgaben zeitlich gerafft und, wie gesagt, häufig.

Sprecherin: Erfolge seiner Untergebenden beflügelten Mielke, und er hatte nicht wenige, Untergebende wie Erfolge. Sein väterlicher Stolz beispielsweise auf den Kanzleramtsspion Günter Guillaume, der Willi Brandt als Kanzler demontierte, ließ ihn das militärbürokratische Reglement vergessen, Mielke wurde ausgesprochen ausgelassen. So auf dem Bankett zum 37. Jahrestag des MfS im Februar 1987.

O-Ton Mielke: Genossen, hallo, auflösen die Fraktionsbesprechung! Genossen, Genossen! Passt jetzt mal gut auf! Und ihr wisst, wenn ich das so ankündige, dann steckt etwas dahinter! Seid ihr bereit? So, dann übergebe ich jetzt dem Brandt-Stifter das Mikrophon. Wo bist du, Guillaume?

Sprecherin: Und Günter Guillaume antwortete.

O-Ton: Genosse Minister, ich nehme das als eine Auszeichnung, betrachte mich aber trotzdem persönlich als Friedensstifter. Und ich hoffe, ihr stimmt mir da alle zu. Genossen, es ist für mich bewegend, heute dabei zu sein und natürlich auch mit zu den Genossen zu gehören, die ausgezeichnet wurden. Ich mache ja seit ein paar Jahren nicht mehr viel. Dass ich überhaupt was machen kann, verdanke ich all den Genossen, die dafür gesorgt haben, dass ich nicht mehr bis zum 24. April dieses Jahres in Rheinbach im Gefängnis sitzen musste. Da wäre nämlich Endstrafe, da wären die 13 Jahre um. (Zwischenruf Mielke: Dann darfst du da jetzt nicht rückfällig werden, mein Lieber! - Heiterkeit) Auf jeden Fall, ich will ja keine Anspielungen machen, aber hervorgerufen jetzt durch diese Bemerkung möchte ich sagen, in der BRD läuft am 24. April dieses Jahres meine Bewährung ab. Ich weiß nicht, ob ich mich da bewährt habe. Ich glaube, ich habe mich hier bewährt, bei uns. [...] Genossen, ich freue mich, heute mit dabei zu sein. Es ist ja für die Genossen, die Kämpfer an der unsichtbaren Front, immer ein bisschen wehmütig, wenn sie an unseren Jahrestag denken. Sie sitzen da draußen alleine, treffen nur vielleicht einmal im Jahr ihren Führungsoffizier oder einen Freund, mit dem sie reden können. Sie müssen das alles in ihrem Herzen ausmachen. Sie müssen Gespräche mit sich selbst führen. Sie müssen sich immer selbst überzeugen, was sie für gute Kämpfer sind und dass sie standhafte Kommunisten sind. Genossen, das ist sehr schwer. [... ] Wünschen wir ihnen weiterhin beste Gesundheit, Kampfeskraft und viel Erfolg unter unserer Anleitung und Glück. Glück, dass der Feind sie nicht entdeckt und von uns nur die sie kennenlernen, die sowieso mit ihnen zusammenarbeiten. Auf die Kämpfer an der unsichtbaren Front! (Beifall - Trinkspruch Mielke-. Auf unseren Patrioten und unsichtbaren Kämpfer, der jetzt hier sichtbar wurde, darauf ein dreifaches militärisches Hurra, hurra, hurra! - Beifall)

Sprecherin: Mitunter ging es in der Zentrale der Staatssicherheit hoch her. Und alles wurde mitgeschnitten. So zum 63. Geburtstag Erich Mielkes 1970. Geselligkeit auf Staatssicherheits-Niveau.

O-Ton Geburtstagsfeier-Zusammenschnitt): Glückwünsche für Mielke, Gläserklirren, Frauenkreischen, Gelächter, Gesang, Trinksprüche. Mielke zu einer Frau: Haste nasse Augen oder woanders was Nasses? Musik, Frauenstimme: Sto Gramm!

Sprecherin: Bei Familienfeiern wurde der leicht alkoholisierte Mielke auch sentimental, so bei der Hochzeit seines Sohnes Frank im Mai 1974.

O-Ton Mielke: Mielke spielt Drehorgel, singt "Prost, Prost, Prösterchen".

Sprecherin
: Dass diese fröhliche und dröhnende Überlegenheit des Siegers der Geschichte einmal enden würde, damit hatte Erich Mielke - mit Sicherheit - nicht gerechnet, Vor der Volkskammer ausgelacht - undenkbar. Im Dezember 1989 verhaftet von der Volkspolizei, verhört von der DDR-Kriminalpolizei, sein Ministerium für Staatssicherheit umbenannt in Amt für Nationale Sicherheit und er nicht mehr an dessen Spitze - unmöglich. Bei den Verhören und später vor Gericht flüchtete er sich vorausschauend ins konspirative Vergessen. Einem der Psychologen sagte er in Untersuchungshaft-. "Niemand weiß etwas über mich. Niemand erfährt etwas über mich. Alle wissen nichts." Das Ende: Mielke, der gejagte Jäger, das inhaftierte DDR-Rumpelstilzchen mit Speckhut. Mielke war kein Dämon. Er war so böse wie banal, so mächtig wie hilflos, so gefürchtet wie lächerlich, so zielsicher wie blind, so gnadenlos wie sentimental, so dumm wie schlau, ein Mörder und Bürokrat, ein Menschenjäger, der sich für einen Humanisten hielt, ein Kleinbürger, der die einmal errungene Macht festhielt mit all seinen Mitteln. Und Erich Mielke war nicht einzigartig. Es gab mehr von seiner Denkungsart. Einer von ihnen meldete sich im Dezember 1989 beim Amt für Nationale Sicherheit.

O-Ton Telefongespräch: 20 Uhr Null. Über ist die Ortsvermittlung, Genosse Diensthabender, hier kommt ein Amtsteilnehmer auf der Sammelnummer 5509991, der hat sich als Oberstleutnant Kroszewski vorgestellt und möchte den Offizier vom Dienst sprechen. - Das Amt für Nationale Sicherheit, Diensthabender Wendt. - Ja, hier spricht Kroszewski, Oberstleutnant Kroszewski, ich buchstabiere meinen Namen... Ich bin seit 1950 Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen, mir unterstand als Leiter des Büros beim Minister Mielke der OVD. Ist klar, ja? – Ist klar. – Wie ist denn Ihr Name? - Wendt. - Ich weiß nicht, ob der Egon Ludwig noch das Sagen hat, weiß ich nicht, interessiert mich jetzt auch im Augenblick nicht. Ich höre jetzt den Berliner Rundfunk, ja? Haben Sie mich verstanden? - Ja, ich höre Sie. - Gut. Und da dudelt dieser Verbrecher, dieser Liedermacher, wie heißt er? - Biermann. - Biermann. So, halten Sie das mal fest, Genosse Kroszewski, ich bin zu jeder Zeit bereit - ich bin zwar ziemlich schwach, aber ich kann trotzdem noch - ich bin zu jeder Zeit bereit, den Biermann niederzumachen. Diesen Verbrecher! Halten Sie das fest! - Ja. -Wer jetzt Chef ist, liest das aus der Zeitung, ob er das liest oder nicht liest, ist mir nicht so wichtig, ich möchte bloß, dass Sie die Eintragung machen. Kroszewski, Gerhard ist zu jeder Zeit bereit, den Biermann niederzumachen. Und das schaff ich noch, auch ohne Sie. - Ja, in Ordnung, ich habe Sie verstanden. - Halten Sie das fest. - Ja. - Haben Sie mich verstanden? - Natürlich. - Das ist ein abscheuliches Aas, ein Verbrecher, ich meine, es gibt noch viele andere, aber der Biermann und das hier, das ist beschämend! Beschämend für den, wie heißt der jetzt, der die Medien kommandiert, Schabowski, aber mit denen setz ich mich noch extra auseinander! Ich bin nämlich länger in der Partei wie Schabowski. Halten Sie das alles ein bisschen fest. - Ja, ist in Ordnung. - Also, Genosse Wendt, gute Nacht.

Sprecherin
: Seit seiner Haftentlassung ist der greise Jäger Melke wieder unter uns. Und wenn er einst gestorben ist, wird er weiterjagen wie der Ewige Jäger aus Grimm'scher Sage: Graf Eberhard von Württemberg ritt eines Tages allein in den grünen Wald. Plötzlich hörte er ein starkes Brausen und Lärmen, erschrak heftig und fragte den Geist, ob er ihm schaden wolle. "Nein", sprach die Gestalt, "ich bin gleich dir ein Mensch und stehe vor dir ganz allein, war vordem ein Herr. An dem Jagen hatte ich aber solche Lust, dass ich Gott anflehte, er möge mich jagen lassen bis zum Jüngsten Tag. Mein Wunsch wurde erhört, und schon fünfhalbhundert Jahre jage ich den einen und denselben Hirsch." Graf Eberhard sagte:"Zeig mir dein Angesicht, ob ich dich etwa erkennen möge?" Da entblößte sich der Geist, sein Antlitz war kaum faustgroß, verdorrt wie eine Rübe und gerunzelt wie ein Schwamm. Darauf ritt er dem Hirsch nach und verschwand.

O-Ton Hirschröhren

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